Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. September 1986

Pflichten der Untergebenen gegen die Obrigkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das 4. Gebot Gottes verpflichtet die Menschen zum Gehorsam gegen die Eltern. Aber die Kirche hat dieses Gebot immer so verstanden, daß darin die Achtung vor jeder Autorität aufgerichtet wird, also nicht nur vor der elterlichen, sondern auch vor der staatlichen und vor der kirchlichen. So hat sie in ihren Katechismen regelmäßig nach den Pflichten gegen die Eltern die Pflichten gegen die Staatsführung und gegen die Kirche lehren lassen.

In der Tat: Gott hat zwei Gewalten aufgerichtet, damit sie über die Gesellschaft, über die Menschen herrschen, die geistliche und die zeitliche, die kirchliche und die staatliche. Wir beobachten ja in der Wirklichkeit überall eine Art Hierarchie, also eine Über- und Unterordnung. Denken wir an die Welt der Gestirne! Der Mond ist abhängig von der Erde, die Erde ist abhängig von der Sonne. Dank wunderbarer Gesetze, vor allem dank des Gravitationsgesetzes haben wir diese Über- und Unterordnung des einen Gestirnes über das andere, des einen unter das andere. Ähnlich ist es im Reiche des Menschen auf unserer Erde. Die Mineralien dienen den Pflanzen, die Pflanzen den Tieren, die Tiere den Menschen. Auch hier eine Über- und Unterordnung. Selbst bei den rein geistigen Wesen, im Engelreich, gibt es Über- und Unterordnung. Es besteht eine Hierarchie der Engel.

Wenn Gott schier überall diese Über- und Unterordnung gewollt hat, dann offenbar deswegen, damit dadurch die Ziele der jeweiligen Wirklichkeit leichter erreicht werden. Ohne Führung, ohne Lenkung, ohne Leitung sind die Menschen eine zügellose Rotte. Sie bedurften wahrscheinlich schon vor der Erbsünde einer Führung, aber als die Erbsünde dazwischenkam und auf alle Menschen überging, da wurde die Lenkung durch eine Obrigkeit unerläßlich. Wie wilde Tiere würden die Menschen sonst übereinander herfallen. Das erste und traurigste Beispiel ist ja die Ermordung des Abel durch den Kain. So hat Gott also eine Obrigkeit eingerichtet, und zwar eine doppelte, eine für die geistlichen Angelegenheiten und eine für die zeitlichen Angelegenheiten, eine, die die Menschen zum Himmel führen soll, und eine andere, die für die irdischen Bedürfnisse des Menschen sorgen soll.

Das gläubige Mittelalter hat – wohl nicht zu Unrecht – die geistliche Gewalt mit der Sonne, die weltliche Gewalt mit dem Mond verglichen. So wie der Mond von der Sonne sein Licht empfängt, so hat man damals argumentiert – etwa der große Innozenz III. –, so ähnlich ist es auf Erden. Die weltliche Gewalt wird von der geistlichen insofern gelenkt, als die geistliche Gewalt kraft göttlicher Ermächtigung das Sittengesetz verkündigt und über das Sittengesetz Erklärungen gibt und Bestimmungen trifft. Die geistliche Gewalt sagt: Das ist erlaubt, das ist nicht erlaubt. Und daran hat sich die zeitliche Gewalt zu halten. Wegen dieses Vorgangs hat man die geistliche Gewalt mit der Sonne, die zeitliche Gewalt mit dem Mond verglichen. Ein anderes Exempel für den Versuch, eine Verhältnisbestimmung der beiden Gewalten vorzunehmen, ist die Zwei-Schwerter-Lehre. Gott, so hat man argumentiert, hat der menschlichen Gesellschaft zwei Schwerter – ein Bild für die Gewalt – übergeben, das geistliche Schwert und das zeitliche Schwert. Das geistliche Schwert führt die Kirche, etwa in der Exkommunikation, in der Lehrerklärung, das zeitliche Schwert führt der Staat, der Herrscher, der König. Aber er hat es nach Weisung der Kirche zu führen.

Daß die beiden Gewalten von Gott sind, ergibt sich aus der Heiligen Schrift. Die oberste kirchliche Gewalt liegt beim Papst, und zum ersten Papst, zu Petrus, hat Christus gesprochen: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!“ Damit hat er ihm die oberste Gewalt über seine Kirche, über alle Bischöfe und über alle Gläubigen übertragen. Der Nachfolger des Petrus ist der Bischof von Rom; deswegen hat auch der heutige Papst die Gewalt, wie sie dem Petrus übertragen wurde mit den Worten: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!“

Aber auch die zeitliche Gewalt ist von Gott. Christus hat es dem Landpfleger Pontius Pilatus bei seinem Prozeß gesagt: „Du hättest keine Gewalt, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“ Von oben, das heißt natürlich von Gott. Also Pilatus hat Gewalt; er hat rechtmäßige Gewalt, denn er hat seine Gewalt von Gott. Und Paulus, der ja in seinem Römerbrief die Gewaltenlehre weiterentwickelt hat, sagt im 13. Kapitel, erster Vers: „Es ist keine Gewalt, außer von Gott, und die besteht, ist von Gott angeordnet.“

Wenn also die zeitliche und die geistliche Gewalt von Gott sind, dann müssen sich die Menschen ihnen unterordnen; dann sind sie ihnen etwas schuldig, und zwar Gehorsam und Achtung, Ehrerbietung schulden sie ihnen, und Dienstleistung.

Wir wollen zuerst einmal betrachten, was die Menschen der geistlichen, und dann, was sie der zeitlichen Gewalt schulden. Was schulden die Menschen der geistlichen Gewalt? An erster Stelle Gehorsam. Die in der Kirche Versammelten müssen dem Papste gehorchen. In allen erlaubten geistlichen Angelegenheiten müssen sie ihm folgen. Ich habe also eine doppelte Einschränkung gemacht: Es muß sich um geistliche Angelegenheiten handeln, und es muß sich um erlaubte geistliche Angelegenheiten handeln. In allen erlaubten geistlichen Angelegenheiten ist dem Papst Gehorsam zu leisten, von allen, von den Gläubigen wie von den Hirten der Kirche. Wir haben dem Papst auch Hochachtung entgegenzubringen. Denn er ist Vollmachtträger Gottes. „Wer euch verachtet, verachtet mich,“ sagt der Heiland, und natürlich gilt das an erster Stelle für seinen Statthalter, für seinen Stellvertreter. Man muß dem Papst treu bleiben. Die Treue ist verlangt, und die sie ihm gebrochen haben, die Schismatiker aller Zeiten, sind gleichsam von Gott selbst abgefallen. Es ist nicht leichtzunehmen, daß die ganze griechische Kirche sich vom Nachfolger Petri getrennt hat, und es ist überhaupt nicht einzusehen und vorzustellen, wie eine Vereinigung mit diesen Leuten möglich sein soll ohne die Anerkennung der Stellung des Papstes. Ich halte deswegen den ganzen Ökumenismus für eine glatte Illusion. Wer sich vom Papste trennt, der trennt sich in gewisser Hinsicht von Gott, so ernst ist die Treue zum Papste zu nehmen. Wir müssen weiter dem Papste das Gebet und unsere Mittel schenken. Als Petrus im Gefängnis war, da betete die Kirche für ihn, und sie hat nicht aufgehört, für den Papst zu beten. In jeder heiligen Messe betet der Priester an erster Stelle für den Papst. Wer für seine Eltern nicht betet, ist ein schlechtes Kind, und wer für den Papst nicht betet, ist ein schlechter Christ. Wir haben die heilige Pflicht, die vielfältigen Aufgaben und Sorgen des Papstes betend mitzutragen. Wir sind ihm aber auch unsere Mittel schuldig. Der Papst hat mannigfache Verpflichtungen. Er muß die Missionen unterhalten. Die meisten Bistümer sind auf Zuschüsse angewiesen. Er muß bei Katastrophen und Verfolgungen helfend eingreifen. Er muß die römische Kurie, den Vatikanstaat, seine Berater und Helfer tragen, und wir wissen wie es aussieht: Im Jahre 1985 fehlten dem Papste hundert Millionen Mark. Hundert Millionen Defizit im Vatikan, weil die Christen offenbar zu wenig spenden.

Es wird bei uns einmal im Jahre der Peterspfennig eingesammelt. Da kommt eine lächerliche Summe zusammen. Das Bistum Speyer hat für den Peterspfennig 43.000 Mark gesammelt. Das ist das Gehalt eines kleinen Angestellten im Jahr. Was sind 43.000 Mark für ein ganzes Bistum? Nein, wir müssen auch finanziell dem Papste unter die Arme greifen und für seine großen, unerläßlichen Unternehmungen ihm die Mittel zur Verfügung stellen.

Welche Pflichten haben wir gegenüber der weltlichen Obrigkeit? Nun, sie sind nicht sehr verschieden von denen, die wir der geistlichen Obrigkeit schulden. Auch ihr müssen wir gehorchen. In allen erlaubten zeitlichen Angelegenheiten müssen wir Gehorsam leisten. Maria und Josef begaben sich nach Bethlehem, um sich dort aufschreiben zu lassen, weil eben der Befehl ergangen war, jeder habe sich in seine Vaterstadt zu begeben, um sich der Volkszählung zu stellen. Und so müssen auch wir der Regierung, den weltlichen Mächten in allen erlaubten Dingen Gehorsam leisten. Nur wo es um unerlaubte Dinge geht, da gilt das Wort: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Es ist deswegen ganz falsch und ungerecht, der katholischen Kirche vorzuwerfen, daß sie im Jahre 1933 und in den folgenden Jahren keinen Aufstand gemacht habe. Das konnte sie nicht, das durfte sie nicht! Denn der Herr, der damals regierte, war eben rechtmäßige Obrigkeit. Die Kirche hätte sich gegen Gottes Befehl vergangen, wenn sie in dieser Zeit zum Aufstand gerufen hätte. Wir müssen der Obrigkeit auch treu sein. Treu sein heißt, zu ihr halten in allen Fährnissen, so wie Andreas Hofer, der große Volksführer, dem angestammten Kaiserhause treu war, als Frankreich Tirol von Österreich lösen wollte. So müssen wir treu sein und dürfen uns nicht erheben gegen die rechtmäßige Obrigkeit.

Es kann freilich eine Lage geben, meine lieben Freunde, in der eine Obrigkeit unrechtmäßig wird. Das ist dann der Fall, wenn eine Regierung sehenden Auges ein ganzes Volk ins Unheil führt. Sobald das feststeht, ist es möglich, ist es erlaubt, die Obrigkeit ihres Amtes zu entsetzen. Ab wann das der Fall war in jenen traurigen Jahren von 1933 bis 1945, das ist schwer zu bestimmen. Aber man wird sagen können, daß von einem bestimmten Zeitpunkt an diese Regierung aufgehört hat, rechtmäßig zu sein, und daß deswegen ein Versuch, ein wohlüberlegter, ein mit Aussicht auf Erfolg unternommener Versuch, sie zu stürzen, sittlich gerechtfertigt war. Aber wir müssen die Obrigkeit hochachten. Das fällt nicht immer leicht, denn wir kennen ja die öffentlichen und privaten Verhaltensweisen von vielen, die zu dieser Obrigkeit gehören. Es ist bekannt, wie sie sich an der staatlichen Futterkrippe bereichert haben. Wir wissen, wie sie sich gegenüber ihren ersten und zweiten Ehefrauen verhalten haben. Aber das ändert nichts daran, daß sie in ihrer rechtmäßigen Stellung Hochachtung beanspruchen dürfen. Wir müssen auch für sie beten. Das steht schon im ersten Timotheusbrief, daß man für den Kaiser beten muß, ja für den Kaiser, der die Christen verfolgte, hat die Kirche das Gebet verlangt. Das Gebet ist jedem zu gewähren, auch dem Verfolger; denn wir beten dafür, daß er die Gewalt, die er besitzt, zu unserem Nutzen gebraucht, daß er Anordnungen trifft, die uns nützlich sind. Wir beten nicht darum, daß er in seiner Bosheit verhärtet, sondern wir beten, daß er sich bekehrt und segensreich sein Amt verwaltet. Wir sind ihm auch Steuern schuldig. Der Herr selbst hat die Steuer bezahlt. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt Gott, was Gottes ist!“ Diesen Ausspruch hat der Herr getan, als man ihn fragte: „Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen?“ Ja, es ist erlaubt! So sind also auch wir um des Gewissens willen verpflichtet, nicht nur den Befehlen der rechtmäßigen Obrigkeit zu gehorchen, sondern auch Steuern zu zahlen und andere Dienste zu leisten, etwa den Wehrdienst. Es ist eine Pflicht, zum Schutze des Friedens und zur Verteidigung des Vaterlandes Wehrdienst zu leisten. Und wir haben immer hervorragende Beispiele in der Geschichte gehabt, wie Männer und Frauen in wunderbarer Weise zum Schutze des Vaterlandes angetreten sind. Noch heute klingt hoch das Lied der dreihundert Mann unter dem König Leonidas, die in den Thermopylen ein ganzes persisches Heer aufgehalten haben. Sie wurden dann, als der Ephialtes, der Verräter, sie umgangen hatte, bis auf den letzten Mann niedergemetzelt. Sie haben ihre Treue zu Volk und Vaterland mit ihrem Leben bezahlt.

Das sind die Pflichten, die wir der weltlichen Obrigkeit schulden. Nun hat, meine lieben Freunde, in den letzten Jahrhunderten, eine Bewegung zur parlamentarischen Demokratie eingesetzt. Nicht mehr ein Monarch, nicht mehr ein Monarch allein regiert ein Land, sondern er teilt seine Macht, oder – in einer Republik – steht an der Spitze ein gewählter Präsident, ein auf Zeit gewählter Präsident. Die eigentliche Macht liegt beim Parlament. Denn das Parlament beschließt die Gesetze, das Parlament bestellt die Regierung, spricht ihr sein Vertrauen oder sein Mißtrauen aus. So ist eine neue, schwerwiegende Pflicht auf die Christen zugekommen, nämlich die Männer und Frauen ins Parlament zu wählen, die geeignet sind, die Geschicke des Vaterlandes in geordneter und mit dem Sittengesetz übereinstimmender Weise zu regeln. Es liegt eine große Verantwortung auf dem Wahlrecht. Das Wahlrecht ist nach Gottes Willen auszuüben. Wir haben uns vor der Wahl die Gewissensfrage vorzulegen: Was will Gott, daß ich wählen soll? Wen soll ich nach Gottes Willen wählen? Denn wir müssen eben Männer und Frauen wählen, die Gottes Gesetz sich selbst und ihren Beschlüssen zum Maßstab nehmen.

Ein französischer Bischof hat einmal in einem Hirtenbrief geschrieben: „Ich katholischer Wähler bin schuld, daß die Kinder keinen Religionsunterricht in der Schule haben. Ich bin schuld, daß die Beamten ihren religiösen Pflichten nicht nachkommen können. Ich bin schuld, daß in den Krankenhäusern keine Priester zugelassen werden.“ Er hat damit die katholischen Wähler angesprochen, die nichtkatholische, kirchenfeindliche Abgeordnete gewählt haben. Eine ganz große Verantwortung liegt also auf der Ausübung des Wahlrechts. Da kann man nicht fragen: Was nützt eine Stimme? Sehr viel! Eine Stimme ist alles, was ich habe. Und wenn ich meine Stimme eben nicht gebrauche oder falsch verwende, dann mache ich mich schuldig, soweit es mir überhaupt möglich ist, mich in dieser wichtigen Frage schuldig zu machen. Außerdem bleibt es ja nicht bei dieser einen Stimme. Es gibt viele einzelne Stimmen, die nicht oder falsch abgegeben werden. Man muß also, meine lieben Freunde, die Verantwortung, die im Wahlrecht liegt, ernst nehmen.

Der Ungehorsam gegen die Obrigkeit ist immer schwer von Gott bestraft worden. Die Rotte Kore im Alten Testamente, die sich gegen das Priestertum erhob, wurde von der Erde verschlungen. Der Absalom, der sich gegen seinen Vater empörte, wurde von drei Lanzen durchbohrt. Der Semmai, der dem David geflucht hatte und dem verboten worden war, den Bach Cedron zu überschreiten, wurde, als er dieses Verbot übertrat, hingerichtet.

So haben wir also eine Menge von Beispielen, wie der Ungehorsam gegen die gerecht gebietende Obrigkeit von Gott gestraft wird. Als im vorigen Jahrhundert die Iren, die katholischen Iren, um Freiheit der Religion rangen im englischen Parlament in London, da gab es einen Mann, der hieß O'Connell. O'Connell war der Führer dieser Iren, ein gläubiger, ein glühend überzeugter katholischer Mann. Und einmal war im englischen Parlament eine wichtige Debatte, und O'Connell war nicht auf seinem Platze. Man suchte ihn, man hastete, um ihn zu finden. Man fand ihn in seinem Zimmer, da betete er den Rosenkranz. Seine Mitabgeordneten bestürmten ihn, er solle doch sogleich ins Parlament, ins Plenum kommen. Er sagte: „Laßt mich erst den Rosenkranz fertig beten, das ist wichtiger als die größten Debatten.“ Damit hat er etwas angegeben, was alle tun können. Alle, ob sie nun Wahlrecht haben oder nicht, können beten. Sie können beten wie bei den Wahlen in früheren Zeiten. In besseren Zeiten haben die katholischen Bischöfe an den Wahlsonntagen Betstunden vor dem ausgesetzten Allerheiligsten angeordnet, und das war richtig, denn das Gebet bewegt einen Arm, und dieser Arm bewegt die ganze Welt.

Amen.

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