Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Juli 2020

Pius XII., Teil I

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Für den Außenstehenden, aber auch für die Glieder der Kirche ist das hervorragendste Kennzeichen der katholischen Kirche das Amt des Papstes. Die Kirche wird vielfach als die Papstkirche bezeichnet. Luther hat sie mit infernalischem Hass bekämpft. Der Bischof von Rom ist der Nachfolger Petri, das Haupt des Bischofskollegiums, der Stellvertreter Christi und der Hirt der gesamten Kirche auf Erden. Er ist auch ein Glied der Kirche, wenn auch ihr hervorragendstes. Tatsächlich ist für das Wohl und Wehe der Kirche in hohem Maße bestimmend, wer der Mann ist, der an ihrer Spitze steht. Ein Nachfolger Petri, der seinem Amt gewachsen ist, der die persönlichen Eigenschaften besitzt, die diesem Amt angemessen sind, ziert die Kirche, gewinnt das Vertrauen der Kirchenglieder, nötigt die Draußenstehenden zu Achtung und Anerkennung. Ein solcher Papst war Pius XII., der die Kirche von 1939 bis 1958 regierte. Eugenio Pacelli war am 2. März 1876 geboren, also gleichaltrig mit Konrad Adenauer, und zwar als Bürger der Stadt Rom und Glied einer Familie, deren Angehörige im Dienst des Heiligen Stuhles standen. Er verbrachte die ersten Jahre seit seiner Priesterweihe an der Römischen Kurie, also im Dienste der Päpste Leo XIII. und Pius X., und gewann so gründlichen Einblick in die Regierung der Gesamtkirche. Danach fand er Verwendung in der Diplomatie. Als Titularbischof von Sardes wurde er Apostolischer Nuntius am bayerischen Hof (1917), anschließend (1920) beim Deutschen Reich in Berlin. 1929 beförderte ihn Pius XI. zum Kardinal, 1930 zum päpstlichen Staatssekretär. Pius XI. starb am 10. Februar 1939. Pacelli wurde am 2. März 1939 in einem Konklave, das nur einen Tag dauerte, zum Papst gewählt. Die Kardinäle trauten ihm offensichtlich in überwältigender Mehrheit zu, die Kirche in einer Weltlage, die von Tag zu Tag bedrohlicher wurde, zu regieren. Auch sein Vorgänger hatte in ihm wohl den geeignetsten Mann für seine Nachfolge gesehen. Pius XI. hatte seinen Staatssekretär gezielt auf die Tiara vorbereitet, z.B. durch die Auslandsreisen nach Frankreich, Ungarn, Nord- und Südamerika. Pacelli hat ihn nicht enttäuscht. Er hat auf allen Gebieten seiner weitgebreiteten Tätigkeit Außerordentliches geleistet.

Sowohl als Nuntius und als Staatssekretär wie als Papst galten Pacellis angestrengteste Bemühungen der Erhaltung bzw. Wiederherstellung des Friedens auf Erden. In München betrieb er aufgrund der Friedensnote Benedikts XV. vom 1. August 1917 die Beendigung des 1. Weltkrieges, leider vergeblich. Die Mächte wollten keinen Frieden, der vom Papst vermittelt worden wäre. Unter Aufbietung seiner gesamten moralischen Autorität versuchte Pius XII. in den ersten Monaten seines Pontifikats mit Friedensappellen, Gebetsaufrufen und dem Vorschlag einer Fünfmächtekonferenz den drohenden neuen Krieg zu verhindern. Beschwörend rief er aus: „Mit dem Frieden ist nichts, mit dem Kriege alles verloren.“ Aber alle seine Bemühungen waren vergeblich. Das Unheil nahm seinen Lauf. Der Papst wollte nun wenigstens die Ausweitung des Krieges verhindern. Wiederholt versuchte er Mussolini vom Eintritt in den Krieg an der Seite Deutschlands abzuhalten. Auch diese Anstrengung war erfolglos. In dem dennoch ausgebrochenen Krieg wahrte er strikte Neutralität gegenüber den einander bekämpfenden Mächten. Durch eine im Stillen agierende Eingabepolitik bei den Regierungen, trug er vor allem zur Linderung der Leiden des Krieges bei.

Eine herausragende Tätigkeit Pacellis war sein Bemühen als Nuntius, Staatssekretär und Papst, vertragliche Bedingungen zwischen Kirche und Staat einzugehen. Auf diese Weise hoffte er, der Kirche den Raum freier Betätigung ihrer Sendung zu verschaffen und zu erhalten. Die Konkordate mit Bayern, Preußen, Baden und dem Deutschen Reich, die er zustande brachte, bestehen noch heute, allerdings mannigfach modifiziert. Dass er als Staatssekretär Pius XI. das Reichkonkordat abschloss, ist ihm vielfach übelgenommen worden. Die Kritik ist unberechtigt. Das Reichskonkordat wurde der Kirche von der Regierung Hitler/ Hugenberg angeboten. Der Heilige Stuhl konnte das Angebot nicht ablehnen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, den guten Willen der Reichsregierung missachtet zu haben. Bei Zurückweisung des Konkordatsangebotes wäre dem Heiligen Stuhl die Verantwortung für jede schmerzliche Folge zugefallen. Die Absicht des Papstes Pius XI. und Pacellis bei dem Abschluss des Reichskonkordates war: Sie wollten der Kirche die Freiheit der Verkündigung, des Gottesdienstes, der Sakramentenspendung, der Seelsorge, der Schule und der Erziehung erhalten. Das Reichskonkordat bot eine unanfechtbare Rechtsgrundlage für ihre Beziehungen zur Reichsregierung. Wer es missachtete, stand als Rechtsbrecher da. Das Reichskonkordat wurde zu der vertragsrechtlichen Form der Nichtanpassung der katholischen Kirche an das Dritte Reich. Trotz aller Umgehungen und Rechtsbrüche von Seiten der Regierung war das Reichskonkordat nicht wertlos. Es bot immer noch einen gewissen Schutz. Katholische Glaubensverkündigung und Seelsorge, Gottesdienst und Sakramentenspendung waren bis zum Ende des Dritten Reiches, wenn auch vielfach eingeschränkt und behindert, möglich. Das Regime hätte sie weiter drosseln und einengen können, ohne dass es seine Existenz riskiert hätte, setzte sich aber offensichtlich ins Unrecht mit seinen Rechtsbrüchen. Die Kirche verteidigte sich im Ganzen gesehen als Volkskirche, als soziale Realität für die meisten Menschen. Dazu half auch das Konkordat. Hitler war zwar der Meinung, das Reichskonkordat sei hinfällig geworden. Vor einer amtlichen Kündigung schreckte er jedoch zurück. Der Abschluss von Verträgen mit diktatorisch regierten Staaten besagt keine wie immer beschaffene Anerkennung eines Unrechtssystems. Der Abschluss des Reichskonkordats war keine Zustimmung zum Nationalsozialismus. Bevor es abgeschlossen wurde, war Deutschland dutzende andere Verträge eingegangen. Der Heilige Stuhl verhandelt mit jeder Regierung, wenn es darum geht, den Menschen zu helfen und die Lage der Kirche zu verbessern. So hat die vatikanische Diplomatie jahrelang versucht, mit den Staaten des bolschewistischen Ostblocks in Kontakt zu kommen, um der Kirche das Überleben zu ermöglichen. Pius XII. legte sich – wie die Kirche es stets tat – nicht auf eine bestimmte Staatsform oder ein bestimmtes politisches System fest, forderte aber Recht und Gerechtigkeit von allen ein.

Der Papst ist in erster Linie universaler Lehrer der Kirche. Pius XII. erfüllte diese Aufgabe in hervorragendem Maße. Mit seinen 40 Enzykliken entwickelte er eine gewaltige lehramtliche Produktivität. Es gibt kaum eine religiöse Grundsatzfrage, die er nicht in seinen Reden und Schreiben behandelt hätte. Wer in einer Schwierigkeit der Glaubens- oder Sittenlehre nach Rom ausschaute, bekam mit Gewissheit eine präzise und gültige Antwort. In seinem Pontifikat gab es keine Unsicherheit in der Lehre. Aus der überaus reichen lehramtlichen Tätigkeit seien einige Gegenstände erwähnt. Die Enzyklika „Divino afflante spiritu“ vom 30. September 1949 legte die Aufgaben der Bibelwissenschaft dar. Der Papst drängte auf die Erforschung des Literalsinnes und die Darlegung des theologischen Gehaltes der Texte. Die Eigenart der biblischen Schriftsteller und die literarischen Gattungen sind zu berücksichtigen. Pius XII. vertiefte die Lehre von der Kirche (in der Enzyklika „Mystici Corporis Christi“ vom 29. Juni 1943). Die Kirche wird gleichgesetzt mit dem mystischen Leib Christi im Sinne von Kol 1,18 und Röm 12,5. Christus ist der Stifter des Leibes der Kirche. Dies geschah durch die Predigt des Evangeliums, durch das Leiden am Kreuz und durch die Geistsendung am Pfingsttag. Christus ist auch das Haupt des Leibes aufgrund seiner Vorrangstellung, aufgrund seiner Regierung der Kirche, aufgrund seiner Fülle und aufgrund seines Einflusses (Erleuchtung und Heiligung). Dieselbe ist einzig, unteilbar und sichtbar. Sie ist organisch, hierarchisch verbunden und mit lebensspendenden Heiligungsmitteln ausgestattet. Sie besteht aus klar bestimmten Gliedern. Wirkliche Glieder der Kirche sind nur die Getauften, die den wahren Glauben bekennen, sich nicht durch Häresie oder Schisma von ihr getrennt haben oder von ihr ausgeschlossen worden sind.

Häufig und tief eingreifend befasste sich Pius XII. mit dem Gottesdienst der Kirche, und zwar sowohl durch die Lehre als auch durch gesetzliche Regelungen. In der Enzyklika „Mediator Dei“ vom 20. November 1947 beschrieb er die Liturgie als öffentliche sowie äußere und innere Gottesverehrung, wobei das Hauptgewicht auf der inneren Gottesverehrung liegt. Entschieden trat er für die Notwendigkeit der persönlichen Frömmigkeit ein. Die Liturgie hängt von der kirchlichen Hierarchie ab, allein schon deswegen, weil sie in engem Zusammenhang mit der Glaubenslehre steht. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist ein allen erkennbares Zeichen der Einheit und eine wirksame Wehr gegen jegliche Verderbnis der wahren Lehre. Das Messopfer ist kein bloßes Gedenken des Leidens und des Todes Christi, sondern eine wahre und eigentliche Opferhandlung. Der göttliche Hohepriester tut hier durch seine unblutige Hinopferung das, was er schon am Kreuze tat, sich selbst dem ewigen Vater als Opfergabe darbringend. Es ist der gleiche Priester, Jesus Christus, dessen Person sein berufener menschlicher Priester vertritt; dieser handelt in der Kraft und an Stelle der Person Christi selbst. Es ist auch die gleiche Opfergabe, nämlich der göttliche Erlöser nach seiner menschlichen Natur und in der Wirklichkeit seines Leibes und Blutes. Verschieden ist jedoch die Art des Opfers. Am Kreuz geschah die Hinopferung durch den blutigen Tod. Auf dem Altar wird die Hinopferung des Erlösers durch äußere Zeichen, die Sinnbilder des Todes sind, deutlich gemacht. Die eucharistischen Gestalten versinnbilden die blutige Trennung des Leibes und des Blutes Christi. Gleich sind auch die Opferzwecke, die Ehrung des himmlischen Vaters, die Gott geschuldete Danksagung, Sühne, Genugtuung und Versöhnung sowie Bittflehen. Im Begriff der Liturgie wird der Anteil der Gläubigen betont, die das Opfer mit dem Priester darbringen. Dem Papst entgingen gewisse bedenkliche Strömungen in der Theologie nicht. Er warnte vor eigenmächtigen Änderungen an der vorgeschriebenen Ordnung, vor der Geringschätzung der Privatmessen und der eucharistischen Anbetung. Der Papst verwarf Missbräuche. Er nannte die Ablehnung der privaten Messfeier und die Behauptung, die Priester dürften nicht gleichzeitig an mehreren Altären das Messopfer feiern. Der Papst begrüßte und förderte die Liturgische Bewegung. Er bejahte die aktive und bewusste Teilnahme der Gläubigen an den liturgischen Handlungen. Die Kirche habe jedoch schwerwiegende Gründe, unerschütterlich an der lateinischen Sprache festzuhalten (Ansprache 22. September 1956 in Assisi). Der Papst verwarf die Entfernung des gegenwärtigen Herrn im Tabernakel vom Hochaltar. „Den Tabernakel vom Altar trennen bedeutet zwei Dinge trennen, die nach Ursprung und Natur vereint bleiben müssen“ (22. September 1956).

Pius XII. war die überragende Bedeutung Mariens für die Kirche, die Lehre und die Frömmigkeit zutiefst bewusst. Dafür wurde die Dogmatisierung der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (am 1. November 1950) bedeutsam. In der Apostolischen Konstitution Munificentissimus Deus“ vom 1. November 1950 formulierte der Papst exakt die Glaubenswahrheit. „Nachdem Wir immer und immer wieder inständig zu Gott gefleht und den Geist der Wahrheit angerufen haben, verkündigen, erklären und definieren Wir zur Verherrlichung des Allmächtigen Gottes, zur Ehre seines Sohnes, zur Mehrung der Herrlichkeit der erhabenen Gottesmutter in Kraft der Vollmacht unseres Herrn Jesus Christus, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und Unserer eigenen Vollmacht als von Gott geoffenbarten Glaubenssatz: Die unbefleckte, immerwährend jungfräuliche Gottesmutter Maria ist, nachdem sie ihren irdischen Lebenslauf vollendet hatte, mit Leib und Seele zur himmlischen Herrlichkeit aufgenommen worden.“ Schrittweise gestattete Pius XII. die Zelebration der Messe nach 13 Uhr und schließlich die Abendmesse (29. März 1947). Er erleichterte das Gebot der eucharistischen Nüchternheit und ordnete die Feier der Karwoche neu. Er stellte die nächtliche Osterfeier wieder her. Er schuf die Möglichkeit zur Spendung des Firmsakramentes durch Priester. Er veranlasste eine neue (lateinische) Übersetzung der Psalmen, die ja ein Wesensbestandteil des priesterlichen Gebetbuches, des Breviers, sind. Er nahm 33 Heiligsprechungen vor, darunter die seines Vorgängers Pius X. Es gibt keinen Punkt des christlichen Frömmigkeitslebens, zu dem Pius XII. nichts Förderliches gesagt hatte. Seine Verkündigung der katholischen Sittenlehre war umfassend und eindeutig. Die Fragen der Geschlechtlichkeit, insbesondere der Empfängnisverhütung, behandelte er mit der Offenheit und Klarheit, die für seine gesamte Lehrtätigkeit charakteristisch war.

Mit äußerster Gewissenhaftigkeit wachte Pius XII. über die Reinerhaltung des katholischen Glaubens. Es war ihm bewusst dass, wenn der Glaube fällt, alles andere danach stürzt. Er hat all die Abweichungen, Umbiegungen, Abirrungen und Zerstörungen im Glauben, die sich nach seinem Tode zeigen sollten, in ihren Wurzeln vorausgesehen. Der Papst wusste: Wenn man den Anfängen nicht wehrt, ist ein späteres Anhalten von verzweifelter Schwierigkeit. Pius XII. war außerordentlich wachsam, was Abweichungen von der Lehre der Kirche betrifft. Zeugnis dieser Haltung war die Enzyklika „Humani generis“ vom 12. August 1950. Sie knüpfte an den Kampf Pius X. gegen den Modernismus an. Es war dem Papst bewusst, dass die Zersetzung des Glaubens, die unter diesem Begriff zusammengefasst wurde, eine ständige Gefahr ist. Der Zweck der Enzyklika ist in ihrem Titel angedeutet: „Über einige falsche Ansichten, welche die Grundlage der katholischen Lehre zu untergraben drohen“. Der Papst nennt die Gefahren. Erstens. In der Theologie ist es der Relativismus. Dieser unterschätzt nicht nur die kirchlich anerkannte Begrifflichkeit, sondern sieht auch in den theologischen Begriffen, ihrem Sachinhalt nach, nur Annäherungsversuche ohne dauernden Wert. Ferner verkennt er das kirchliche Lehramt als entscheidende Instanz in der Erklärung der Glaubensquellen. Zweitens. In der Erklärung der Heiligen Schrift bewertet der Modernismus diese als ein profanes Buch ohne Rücksucht auf die Analogie des Glaubens, die Überlieferung und das Lehramt. Ebenso falsch ist das Zurückgreifen auf eine symbolische Exegese, die den Literalsinn unterschätzt. Hier werden Irrtümer über Gotteserkenntnis, Schöpfung, das Übernatürliche, die Engel, die Erbsünde, die Kirche und den Glauben als Folge einer falschen Exegese genannt. Drittens. In der Philosophie wird die Vernunft gegenüber dem Willen abgewertet. Die großen metaphysischen Grundsätze werden abgeschwächt. Die traditionelle Philosophie wird missbilligt. Im letzten Teil der Enzyklika „Humani generis“ ist die Rede vom Verhältnis des Glaubens zur Natur- und Geschichtswissenschaft. Abgelehnt werden eine Entwicklungslehre, die den Wesensunterschied von Geist und Materie leugnet, und Hypothesen, die sich direkt oder indirekt gegen die Offenbarung wenden, wie z.B. die Leugnung des Monogenismus (alle Menschen stammen von einem einzigen Menschenpaar ab). Der Papst sprach von Theologen, die sich der Leitung des kirchlichen Lehramtes entziehen und damit Gefahr laufen, von der gottgeoffenbarten Wahrheit abzuirren und andere in den Irrtum hineinzuziehen. Was die einen noch verschleiert vorlegen, lehren andere offen und hemmungslos. Sie schwächen den Sinn der Dogmen ab. Sie ersetzen die von der Kirche gebrauchten Begriffe durch andere. Sie vernachlässigen oder verachten gar das kirchliche Lehramt. Sie schwächen die Autorität der Heiligen Schrift. Die Enzyklika „Humani generis“ ist keine vollständige Auflistung aller grassierenden Irrtümer. Die Verirrungen beispielsweise in der Moraltheologie und in der Soziologie werden nicht behandelt. Dennoch ist sie ein säkulares Dokument. Die Wachsamkeit des Papstes gegen Abweichungen und Verirrungen ließ niemals nach. In mehreren Ansprachen 1941 (AAS 1941, 504-512) und 1946 (AAS 1946, 381-385, 385-390) wandte er sich erneut gegen bedenkliche Aufstellungen von Theologen. Unter diesem Papst konnte Unsicherheit über das, was galt und verpflichtend war, nicht aufkommen.

Pius XII. war unermüdlich in seiner Sorge um die Priester der Kirche. In zahlreichen Schreiben und Ansprachen stellte er ihnen die Höhe der Berufung und den Ernst ihrer Verpflichtung vor Augen. Am 23. September 1950 erließ er das apostolische Mahnwort „Menti Nostrae“ über die erforderliche Heiligkeit des Priesterlebens und Priesterwirkens. Der Priester, der gleichsam ein zweiter Christus ist, muss, was auf dem Altare geschieht, auf sich anzuwenden bestrebt sein. Wie Christus sich selber aufopfert, muss auch sein Diener mit ihm sich aufopfern. Ebenso große Aufmerksamkeit wie dem Priestertum widmete der Papst dem gottgeweihten Leben. Am 21. November 1950 erließ er mit einer Apostolischen Konstitution neue Statuten für die Nonnenklöster. Die Enzyklika „Provida mater“ vom 2. Februar 1947 brachte die Ordnung der Säkularinstitute. Es sind dies Genossenschaften von Klerikern oder von Laien, deren Mitglieder zur Erreichung der christlichen Vollkommenheit und zur vollen Ausübung ihres Apostolats die evangelischen Räte in der Welt bekennen. Damit wurde eine eigenständige Form des Lebens der evangelischen Räte eingeführt. Die Angehörigen verpflichten sich zur Befolgung der ev. Räte, verbleiben aber normalerweise in ihrer weltlichen, beruflichen oder auch familiären Umgebung. Sie wirken ohne jede Kennzeichnung nach außen.

Die innere und äußere Einheit aller, die den christlichen Namen tragen, war Pius XII. ein Anliegen von höchstem Gewicht. Die einzige Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, sah er mit der Kirche aller Zeiten in der Rückkehr der getrennten Christen zur katholischen Kirche. Am 20. Dezember 1949 erließ der Papst durch die Glaubensbehörde (das Heilige Offizium) einlässliche Richtlinien für den Umgang mit der sog. ökumenischen Bewegung. Die Instruktion ging davon aus, dass die Kirche die Bemühungen mit Anteilnahme verfolgt und durch ihr Gebet fördert, die dem Ziele zustreben, dass alle, die an Christus glauben, eins seien. Sie nehme alle mit mütterlicher Liebe auf, die zu ihr als der einzig wahren Kirche Christi zurückkehren. Die zum Zweck der Wiedervereinigung der Außenstehenden mit der katholischen Kirche unternommenen Bestrebungen müssen jedoch von den rechten Grundsätzen geleitet werden. Durch den Vorwand, man müsse mehr Gewicht legen auf das Verbindende als auf das Trennende, könne ein gefährlicher Indifferentismus, d.h. Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit, gefördert werden. Die katholische Lehre dürfe nicht den Meinungen der Außenstehenden angepasst und dadurch verdunkelt werden. In der Darstellung der Reformationsgeschichte dürfe man die Schwächen der Katholiken nicht übertreiben und die Schuld der Reformatoren nicht abschwächen oder gar den Abfall vom Glauben unterschlagen. Die katholische Lehre müsse in ihrem ganzen Umfang und in ihrer ganzen Reinheit dargelegt und erklärt werden, etwa die Rückkehr der Getrennten zu der einen wahren Kirche als den einzigen Weg zur echten Glaubenseinheit. Gemischte Zusammenkünfte und Gespräche von Katholiken und Nichtkatholiken dürfen nur von solchen Gläubigen besucht werden, die im Glauben gut unterrichtet und gefestigt sind. Jede Gemeinschaft im Gottesdienst sei zu vermeiden. Es ist bekannt, dass diese Grundsätze und Weisungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil missachtet und ins Gegenteil verkehrt werden. Das Ergebnis ist, jedenfalls für Deutschland, die Protestantisierung der allermeisten katholischen Christen. Der sog. Ökumenismus, wie er heute betrieben wird, ist die Fortführung der sog. Reformation mit anderen Mitteln.

Pius XII. war alles andere als unbeweglich. Er nahm Risiken auf sich, wenn er meinte, sie eingehen zu können. Er war für Vorschläge und Änderungen nicht unzugänglich. Allerdings prüfte er sorgfältig, wohin die Reise gehen sollte. So erwog er den Gedanken der Einberufung eines Allgemeinen Konzils als Fortsetzung des Ersten Vatikanischen Konzils und verwarf ihn. Er vermochte eine Notwendigkeit eines solchen Vorhabens nicht zu erkennen, ahnte wohl auch die Gefahren, die darin beschlossen sind. Grundsätzlich zog er gremialen Beratungen mit Beschlussfassung die Einzelentscheidung des gut unterrichteten und beratenen Verantwortungsträger vor. Wer will, kann dieses Verhalten autoritär nennen. Er schuf ein neues Gesetz der Papstwahl (8. Dezember 1945). Gewählt ist, wer ⅔ der Stimmen der Wähler auf sich vereinigt plus einer weiteren Stimme. Dadurch sollte jedem Zweifel vorgebeugt werden, es könnte in der Zweidrittelmehrheit die Stimme des Gewählten selbst mitgezählt werden (Selbstwahl unzulässig). Zu welchem Wagnis er bereit war, dafür ist die Lebensgeschichte des Franziskanerpaters Gereon Goldmann, der zu dieser Zeit Soldat der deutschen Wehrmacht war, ein Beispiel. Auf einem Zettel gab er jedem katholischen Bischof die Befugnis, ihn zum Priester zu weihen. Als Goldmann diesen Zettel im afrikanischen Gefangenenlager vorwies, hielt man ihn für unglaubwürdig. Erst durch Nachfrage in Rom wurde die Echtheit bewiesen und Goldmann konnte in der Gefangenschaft die Priesterweihe empfangen. Der Papst unterstützte die Umsturzpläne hoher deutscher Militärs gegen das Hitler-Regime und unterbreitete sie dem britischen Geschäftsträger Francis D’Arcy Osborne. Damit ging er ein sehr hohes Risiko ein. Wenn sein Verhalten der deutschen Regierung bekannt geworden wäre, hätte es verheerende Folgen gehabt. Als Rom am 10. September 1943 von deutschen Truppen besetzt wurde, machte er den Vatikanstaat zur Asylstätte für unzählige Flüchtlinge. Damit gefährdete er die Exterritorialität des Vatikanstaates. Es ist bekannt, dass Hitler mit dem Gedanken spielte, den Papst gefangenzusetzen und die Römische Kirche aufzuheben. Für diesen Fall hatte Pius XII. eine Entschließung vorbereitet, dass er sein Amt aufgebe und die Häscher nicht mehr den Papst, sondern Eugenio Pacelli festsetzen.

Pius XII. hat Deutschland in seinen Jahren als Nuntius gründlich kennengelernt. Er durchreiste das Land von West bis Ost. Er fuhr in den Untertagebau eines Steinkohlebergwerks ein. Er nahm an den Passionsspielen in Oberammergau teil. Er besuchte den Katholikentag in Breslau. Er beherrschte die deutsche Sprache meisterhaft. Der Papst war ein Freund Deutschlands und der Deutschen, was ihm in manchen Ländern verdacht wurde. Seine engsten Mitarbeiter waren deutsche Priester. Sein Haushalt wurde von deutschen Ordensschwestern geführt. Sein Beichtvater war ein deutscher Priester. Seine wohlwollende Menschlichkeit und seine liebevolle Anteilnahme erfuhren die unzähligen Soldaten, die ihn während des Krieges in Rom besuchten, sehr zum Ärger der nationalsozialistischen Regierung. Die deutschen Katholiken haben ihn geliebt und waren stolz auf ihn. Als Pacelli im Jahre 1929 seine Tätigkeit in Deutschland beendete, stand die Berliner katholische Jugend mit Fackeln Spalier von seiner Wohnung in der Rauchstraße bis zum Bahnhof. Seine Zuneigung zu Deutschland war von Mut geprägt. Am 18. Februar 1946 ernannte er neue Kardinäle; darunter waren drei deutsche Bischöfe: Frings, Preysing und Galen. Es war eine kühne Tat, die deutschen Katholiken und das deutsche Volk, das soeben noch gegen die ganze Welt gestanden hatte, auf diese Weise auszuzeichnen.

Pius XII. war eine wohlgeordnete, beherrschte und gebildete Persönlichkeit. Er besaß scharfen Verstand, ausgezeichnetes Gedächtnis, große Sprachgewandtheit und starken Arbeitswillen. Sein Leben und jeder Tag war von strengster Disziplin geprägt. Er verlangte sich selbst unaufhörlich Höchstleistungen ab. Entspannung und Erholung kamen zu kurz. Am Ende seines Lebens wurde von sachkundiger Seite festgestellt: Der Papst ist nicht krank, aber er ist verbraucht, erschöpft. Pius XII. war theologisch und kanonistisch bestens geschult. Es bestätigte sich in ihm die Erfahrung der Kirchengeschichte, dass ein juristisch qualifizierter Papst in der Regel einem anderweitig gebildeten überlegen ist. Pius XII. war ein Meister der Diplomatie. Eine Institution wie die Kirche, die über keine äußeren Machtmittel verfügt, ist darauf angewiesen, sich mit den Mächtigen der Erde zu verständigen. Dazu braucht es Gespräche und Verhandlungen. Pius XII. war diesen Anforderungen gewachsen. Pius XII. war ein im Glauben tief verwurzelter, überzeugter, froher Christ, der aus dem Glauben lebte. Pius XII. war ein zuverlässiger und frommer Priester, der die Pflichten seines Standes mit äußerster Gewissenhaftigkeit erfüllte. Er feierte täglich das heilige Messopfer und empfing jede Woche das Bußsakrament. Pius XII. war eine autoritäre Persönlichkeit. Er wollte beraten sein und ließ sich beraten. Die Entscheidung traf er selbst. Die Verantwortung, die er trug, lastete als eine schwere Bürde auf ihm. Das Charisma des asketischen Aristokraten, seine große, würdevolle und vergeistigte Erscheinung und sein päpstliches Selbstverständnis übten weit über katholische Kreise hinaus eine Faszination aus, boten aber auch Angriffsflächen. Durch seine Ausstrahlungskraft erlangte das Papsttum hohe internationale Wertschätzung. Als Pius XII. starb, waren Ansehen und Autorität des päpstlichen Stuhles auf einem Höhepunkt angelangt. Doch damit war der Zenit überschritten. Die Schmähschrift eines einzigen Mannes zerstörte bei ungezählten Zeitgenossen die verdiente Reputation Pius XII. Darüber wollen wir, so Gott will, am kommenden Sonntag nachdenken.

Amen.

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