Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
7. Juni 1992

Zeugnis für den Geist Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Pfingstfreude Versammelte!

Die Erhöhung des Herrn in Auferstehung und Himmelfahrt zielt auf die Sendung des Heiligen Geistes. An Pfingsten wird erfüllt, was am Ostertage begann. Der in den Himmel aufgenommene Jesus sendet den Heiligen Geist. Die Geistsendung ist die Frucht der Erhöhung, und die Himmelfahrt ist die Voraussetzung der Geistsendung. In Christus ist ja das Haupt des Alls verklärt worden. Christus ist nicht irgend einer, sondern er ist der Anfang und das Ende, er ist der Mittelpunkt, er ist der Schöpfer und Erlöser. Er ist das Haupt des Alls. An dem Haupte des Alls ist nun die Verklärung geschehen. In Auferstehung und Himmelfahrt ist seine menschliche Natur vom Heiligen Geist durchwaltet und durchherrscht worden. Was am Haupte geschieht, das muß auch an seinem Leibe, das muß auch am All geschehen. Es kann erst geschehen, wenn es am Haupte vollzogen ist, aber dann soll auch sein Geschehen nicht mehr länger aufgeschoben werden.

Da verstehen wir, was es heißt, wenn der Herr im Johannesevangelium sagt: „Wenn ich nicht hingehe, kann der Heilige Geist nicht zu euch kommen.“ Warum kann er das nicht? Er kann es nicht, weil Christus erst durch sein Hingehen, d.h. durch seinen Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt, den Zustand der Verklärung gewonnen hat. Und erst der verklärte Christus, nicht der auf Erden wandelnde Jesus von Nazareth, ist in der Lage, den Geist zu senden, weil er aus seinem verklärten Leibe, aus seiner verklärten Natur hervorgeht. Die Verklärung Christi ist die unerläßliche Voraussetzung für die Sendung des Heiligen Geistes. Wenn aber das Haupt verklärt ist, dann darf das All nicht mehr in einem nichtverklärten Zustand verharren, dann muß es seiner Seinsweise angeglichen werden. Und das eben, diese Umgestaltung, diese Neuschöpfung des Alls bewirkt der Heilige Geist. Die verklärte Natur Christi ist die Quelle, aus welcher der Heilige Geist zu den Menschen überströmt. Die verklärte Natur Christi ist der Ausgangspunkt für die Ströme und Bächlein des Heiligen Geistes, die in die Menschheit, in das Volk Gottes, in den Leib Christi überströmen. Deswegen ist die Verklärung der Natur Christi die unerläßliche Voraussetzung für die Sendung des Heiligen Geistes.

Der Herr hat dieses Ereignis mehrfach angekündigt. Er hat von dem Parakleen gesprochen, von dem Tröster, den er senden wird. Er hat von dem Wiederkommen geredet, und was er angekündigt hat, das hat er erfüllt. Fünfzig Tage nach Ostern ist der Geist unter ungewöhnlichen Erscheinungen, die auch äußerlich wahrnehmbar waren, auf die Jünger herabgekommen. Es sind Erscheinungen, die auf die Mächtigkeit, auf die Kraft des Geistes hindeuten: Sturm und Feuer. Die äußerlich sichtbaren Phänomene bezeugen: Der Geist ist nicht ein sanftes Säuseln, sondern ein Sturmwind. Der Geist ist eine Kraft und nicht eine Einbildung. Der Geist ist eine Macht und nicht eine Illusion. Der Geist wirkt in denen, die von ihm erfüllt werden. Er wirkt drei Dinge.

Erstens wirkt er das Zeugnis. Noch vor wenigen Wochen hatten sich die Jünger furchtsam verborgen, hatten die Fenster geschlossen und die Türen verriegelt, damit niemand sie kontrollieren, aufsuchen, zur Rechenschaft ziehen konnte. Aber jetzt auf einmal treten sie hinaus aus ihren Häusern. Da bekennt Petrus vor der Menge, daß dieser Jesus von Nazareth, den sie vor wenigen Wochen ans Kreuz gehängt haben, lebendig geworden ist. Aus ihrer Furcht wurde Kraft und Mut, aus ihrer Verzagtheit Freude im Geiste, aus ihrer Ehrsucht Mündigkeit und Verantwortung. Und wie an Petrus, so ist es auch an den anderen geschehen. Jetzt erfüllt sich, was der Herr sagte, daß sie bis an die Grenzen der Erde gehen werden, um Zeugnis abzulegen. Die Kraft dieses Zeugnisses ist der Heilige Geist. In der Beeinflussung, in der Durchtränkung mit dem Heiligen Geiste werden sie fähig, ihre Scheu, ihre Ängstlichkeit, ihre Bedürftigkeit zu überwinden und überzeugend und lichtvoll von Christus Zeugnis abzulegen. In ihnen verherrlicht der Geist Christus. Denn der da in ihnen Zeugnis ablegt, ist der Geist.

Es waren nicht bloße Worte, die aus dem Munde der Apostel flossen. Es waren geisterfüllte Worte. An Worten fehlt es ja nie, meine lieben Freunde, an Worten fehlt es auch in unserer Kirche nicht. Aber es müssen die rechten Worte sein. Es müssen die Worte sein, die die magnalia dei verkünden, die Großtaten Gottes. In der Kirche muß man zuerst und zuletzt immer von Gott sprechen, denn die Kirche ist dazu da, um Gott Zeugnis zu geben, um Christus Zeugnis zu geben, um seiner Auferstehung Zeugnis zu geben, um von Gott her zu denken und zu reden. Das ist die Aufgabe der Kirche. Das heißt Zeugnis geben von der Erfüllung, von der Kraft des Heiligen Geistes.

Dieses Zeugnis führt zweitens zur Entscheidung. Denn an diesem Zeugnis scheiden sich die Geister. Den einen wird es zum Heil, den anderen zum Unheil. Wer dieses Zeugnis aufnimmt in einem guten Herzen, in dem bringt es Frucht. Wer aber das Zeugnis abweist, dem wird es zur Verdammung. „Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet werden. Wer nicht glaubt, wird verdammt werden.“ Ein drittes gibt es nicht. Es gibt nur entweder Rettung oder Verlorensein. Der Geist wird in denen, die ihn aufnehmen, zum Quell, der ins ewige Leben sprudelt. Diejenigen, die das Wort der Verkündigung, die das Zeugnis der Apostel annehmen, werden vom Heiligen Geiste erfüllt. Das ist nicht bloß eine Redeweise für eine Begeisterung, die aus irgendwelchen Quellen entspringt; nein, diese Erfüllung mit dem Geiste, diese Begeisterung, ist wörtlich zu nehmen. Es ist eine Erfüllung mit der Person des Heiligen Geistes. Es ist nicht nur ein Mitteilen von Gaben des Geistes, so wertvoll diese sind, es ist auch nicht nur ein Empfangen der Früchte des Geistes, so hoch diese zu stellen sind. Nein, Christus erklärt: „Wir werden kommen und bei ihm Wohnung nehmen.“ Das ist wörtlich zu nehmen. Der Christ, der Getaufte, der in der heiligmachenden Gnade Befindliche ist ein Geistträger. In ihm ist der Heilige Geist wahrhaft und wirklich zugegen, er wohnt in ihm gleichsam wie in einem Tempel.

Christus ist ganz und gar vom Geist erfüllt. Er hat den Geist ungeteilt. Aber wir haben Anteil an diesem Geiste. Wir sind keine natürlichen Söhne Gottes, keine natürlichen Töchter Gottes, wohl aber Adoptivsöhne Gottes, Adoptivtöchter Gottes. Und derjenige, der uns adoptiert hat, das ist Christus in seinem Heiligen Geist. Die Heiligung ist das Werk des Geistes.

Und die dritte Wirkung, die er hervorbringt, ist die Gemeinschaft. Der Geist wurde ja am Pfingsttage der jungen Kirche verliehen, die damals nur aus wenigen Gliedern bestand. Der ganzen Kirche wurde er verliehen, und das ist ein Zeichen, daß der Geist Gemeinschaft wirkt. Er ist die kirchenbildende Kraft. Er ist die Kraft, welche die Kirche zusammenhält. Er ist die Kraft, welche die Kirche eint. Ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller. Da begreift man, meine lieben Freunde, daß nicht in der Gemeinschaft der Kirche verbleiben kann, wer diesen Glauben nicht mehr teilt. Der Glaube ist ein Konstitutiv der kirchlichen Gemeinschaft. Wer aus diesem Glauben herausfällt, der fällt aus der kirchlichen Gemeinschaft heraus. Es ist immer eine Wirkung des Heiligen Geistes, wenn einer im Glauben der Kirche ruht und aus diesem Glauben lebt, wenn er für diesen Glauben zeugt und diesen Glauben verkündet. Die Einheit des Glaubens ist eine besondere Eigenschaft dieser Wirkung des Heiligen Geistes, die Einheit im Glauben. Im Glauben kann es, meine lieben Freunde, keinen Pluralismus geben. Der Pluralismus ist auf Dinge beschränkt, in denen verschiedene Meinungen möglich sind. Aber im Glauben gibt es keine Meinungen, sondern eine verbindliche Lehre. Und wer aus dieser verbindlichen Lehre herausfällt, der fällt aus dem Glauben heraus.

Die Gemeinschaft im Glauben ist ein hohes Gut. Sie zu wahren ist uns allen aufgetragen. Wir wollen diese Gemeinschaft nicht preisgeben, indem wir Irrlichtern nachlaufen. Diese Gemeinschaft ist vor allem gewährt in der Übereinstimmung mit der ungebrochenen, verbindlichen Lehre unserer heiligen Kirche. Die Kirche hat sich immer auf das Traditionsprinzip gestützt. Was immer und von allen geglaubt worden ist, das ist festzuhalten, und immer in demselben Sinne. Es ist nicht möglich, daß eine Glaubenslehre heute in einem Sinne, der von dem Sinne, den man gestern damit verbunden hat, völlig verschieden ist, geglaubt würde. Man kann das Verständnis der Wahrheit vertiefen, man kann tiefer in es eindringen, aber man kann es nicht preisgeben. Deswegen gilt es, in der Verbindung mit diesem verbindlichen Glauben der Kirche zu verharren. Und wenn wir das fertigbringen, dann zeigt sich in uns die Wirkung des Heiligen Geistes.

Natürlich kann man regelmäßig nicht mit letzter Eindeutigkeit feststellen, wer im Heiligen Geiste lebt, wer sich, wie Paulus sagt, „vom Geiste treiben läßt“. Aber immerhin, es gibt Kriterien, es gibt Unterscheidungsmerkmale. Und eines dieser Unterscheidungsmerkmale besteht eben darin, daß man in Übereinstimmung mit dem Glauben der Kirche, wie er vor allem vom Heiligen Vater vorgetragen wird, verbleibt.

Der Apostel Paulus führt im Epheserbrief Früchte des Heiligen Geistes an, also Haltungen, Tugenden, welche aus dem Heiligen Geist hervorgehen. Die Früchte des Geistes sind Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Mäßigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit. Diese Früchte des Heiligen Geistes lassen sich auch in der Erfahrung feststellen. Deswegen kann man mit einer hinreichenden Gewißheit, freilich nicht mit einer unfehlbaren Sicherheit feststellen, wer vom Heiligen Geist erfüllt ist oder wer nicht. Wo das Gegenteil von dem allem, wo also Streit und Zank und Haß und Feindschaft und Unmäßigkeit ist, da ist nicht der Heilige Geist. Selbstverständlich mischen sich im Menschen Wirkung des Geistes und Einfluß des Gegengeistes. Wenn der Weihbischof Gutting von Speyer erklärt, der Zölibat solle fallen, dann ist sicher nicht der Geist mit ihm gewesen. Und wenn er verkündet, man könne auch Frauen zu Priestern weihen, dann ist der Geist auch nicht mit ihm gewesen. Wir wollen deswegen nicht annehmen, daß er ganz vom Geiste verlassen ist. Aber diese Äußerungen lassen sich sicher nicht mit dem Geist der Wahrheit, der der Kirche verheißen ist, in Übereinstimmung bringen.

Wir wollen uns, meine lieben Freunde, um die Früchte des Geistes bemühen, wollen in diesen Pfingsttagen und in der ganzen Pfingstwoche um die Gaben des Heiligen Geistes flehen, wollen auf den Geist vertrauen, wollen allerdings auch darauf gefaßt sein, daß der Geist diejenigen, die ihm vertrauen, nicht vor Leiden, Martyrien und Untergang bewahrt. Denn das ist nun einmal die Eigenart des Geistes, daß er den Seinen kein leichtes, kein bequemes Leben verheißt. „Der Geist selbst“, sagt Paulus im Römerbrief, „gibt Zeugnis, daß wir Kinder Gottes sind. Wenn aber Kinder, so auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir nämlich mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.“ Es führt also auch für die Geistbegabten kein anderer Weg zur Verklärung als der Weg über die Leiden. „Wenn wir nämlich mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.“ Und für diese Leiden, so schmerzlich sie sein können, gilt: „Ich halte dafür, daß die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der künftigen Herrlichkeit, die an uns sich offenbaren wird.“ Die Leiden dieser Zeit halten keinen Vergleich aus mit der Verklärung, die denen verheißen ist, welche sich vom Geiste treiben lassen. Denn die sich vom Geiste treiben lassen, das sind Kinder Gottes. Und wenn sie Kinder sind, dann sind sie Erben, Erben Gottes und Miterben Christi.

Amen.

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