Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. April 2007

Die Osterkunde aus dem leeren Grab

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Osterfreude Versammelte!

Das war ein gewaltiger Umschwung in den letzten Tagen, von den Trauermetten angefangen bis zur Auferstehung des Herrn. Es ist, als ob es ein Traum gewesen wäre. Gestern noch der Gottmensch, hingemordet in Schmach und Schande, die Sonne der Menschheit untergegangen, das Licht erloschen, Nacht über der schuldbeladenen Erde. Und jetzt ist es plötzlich Tag geworden. Die Sonne strahlt über dem entsühnten Menschengeschlechte. Untergang ist dem Sieg gewichen, Schmach ist zur Glorie geworden, der Mann der Schmerzen hat sich zum König der Herrlichkeit gewandelt. „Ich bin auferstanden und bin jetzt immer hier.“ So ruft er uns zum Beginn der Festmesse zu. Es ist merkwürdig, dass die Ostergottesdienste zu den kürzesten des ganzen Jahres gehören, und doch ist es verständlich. Die Freude ist so groß, dass man nicht viele Worte braucht. Man muss nur immer wieder Alleluja, Alleluja sagen; der Herr ist erstanden, das Grab ist leer, der Held erwacht, der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.

Kein Menschenauge hat den Vorgang der Auferstehung Jesu beobachtet. Die erste Kunde von seiner Auferweckung ist an Frauen ergangen, an die Frauen, die dem Herrn die Treue gehalten hatten. Unter dem Kreuze, als eine höhnende Menge ihn umstand, da haben sie mit ihm gelitten und geweint. Jetzt sind sie auch wieder die ersten an seinem Grabe. Aber sie haben Bedenken: Wer wird uns den Stein wegwälzen, diesen riesenhaften Stein, der das Grab verschloß? Und der Stein ist weggewälzt, als sie an Grab treten. Sie gehen hinein in die Grabkammer, und da erblicken sie einen Jüngling, eine leuchtende Gestalt, und dieser Jüngling, diese leuchtende Gestalt spricht das befreiende Wort: „Ihr suchet Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht mehr hier. Er ist auferstanden.“ Die erste Osterkunde aus Engelsmund schwingt weiter, von den Frauen zu den Aposteln, von den Aposteln zu den Juden und von den Juden über den ganzen Erdkreis. Er ist auferstanden, er ist nicht mehr hier: das gewaltigste, das erlösendste Wort, das je auf Erden an Menschenherzen gedrungen ist.

Es gibt, meine lieben Freunde, heute Bestrebungen von Theologen, die das Grab des Herrn als unbeachtlich ansehen. Das Grab des Herrn ist aber alles andere als unbeachtlich. Das Ostergrab richtet eine Botschaft an uns, eine Botschaft an die Zweifelnden, an die Sünder und an die Leidenden. Das leere Grab ist eine Tatsache. Es ist keine Erfindung der Jünger. Es ist nicht nachträglich zu den Erscheinungen hinzugefügt worden. Nein, das leere Grab ist eine Tatsache. „Etaphe“ heißt es im griechischen Text bei Paulus im 1. Korintherbrief. Er wurde begraben. Ja, warum wird das gesagt? Damit man weiß, dass er auch mit Sicherheit tot war, und damit man auch mit Sicherheit erkennen kann, dass das Grab leer war. Auch Paulus weiß um das leere Grab. Freilich, das leere Grab konnte verschieden gedeutet werden. Maria Magdalena war der Meinung, man habe den Herrn entfernt, und die feindlichen Juden gaben das Motto aus: Die Jünger sind gekommen und haben ihn gestohlen, obwohl eine Wache vor dem Grabe war. Das leere Grab hat den Glauben allein nicht begründet. Der Glaube an den Auferstandenen wurde zuoberst und zuvorderst begründet durch die Erscheinungen des Herrn. Der Herr ist den Jüngern erschienen, nicht einmal, sondern wiederholt, nicht einem einzelnen, sondern großen Mengen, und jede dieser Erscheinungen hat den Glauben in ihnen begründet: Das Grab ist leer, der Held erwacht, der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht! Sie macht den Tod zuschanden!

Da kommt ein evangelischer Theologe daher und sagt: Ein toter Leib kann nicht wieder lebendig werden. Tja, meine lieben Freunde, das sagen die Fleischer auch. Aber weil das einmal geschehen ist, deswegen gibt es ja das Christentum! Und um den Auferstandenen recht zu erkennen, muss man dazusagen: Er ist aus dem Grabe erstanden, der Leib des Auferstandenen ist nämlich identisch mit dem zertrümmerten Leib des Herrn. Es ist kein Wesensunterschied zwischen dem Auferstandenen und dem Gekreuzigten, und deswegen gehört das leere Grab notwendig zur Osterbotschaft hinzu. Nicht nur die Erscheinungen begründen den Glauben an den Auferstandenen, auch das leere Grab. Es bezeugt uns: Der Herr hat den Tod besiegt. Wer den Tod besiegt, ist stärker als alles. Eine größere Kraft kann niemand entfalten als derjenige, der den Tod überwindet.

Die Kirche hebt die Wirklichkeit der Auferstehung, die leibhaftige Wirklichkeit der Auferstehung deutlich hervor, wenn sie mit Betonung sagt: „Der Herr ist wahrhaft auferstanden:“ Also nicht in der Phantasie, nicht in der Legende, sondern in der Wirklichkeit. Der Tote ist wieder lebendig geworden, freilich nicht, um in dieses irdische Leben zurückzukehren. Das wäre falsch gemeint. Nein, sondern um in verklärter Gestalt seinen Ehrenplatz in der Herrlichkeit des Vaters einzunehmen. Und dann sagt die Kirche auch noch: Er ist auferstanden „secundum carnem“, d.h. nach dem Fleische. Nicht in der Phantasie der Jünger, nicht in Visionen, sondern nach seiner fleischlichen Wirklichkeit, die freilich verklärt ist. Aber sie bleibt eine fleischliche Wirklichkeit. Deswegen kann man die Hand in seine Seitenwunde legen, und deswegen kann man das Mal der Nägel an den Fingern erkennen. Der Herr ist wahrhaft auferstanden, und er ist dem Fleische nach auferstanden.

So kann man also nicht wie Willi Marxsen sagen: Die Sache Jesu geht weiter. O, es gehen viele Sachen weiter. Die Sache von Karl Marx geht auch weiter! Nein, meine lieben Freunde, die Sache Jesu geht weiter, weil der Herr auferstanden ist, weil er lebt, weil er wirkt, weil er die Verkündigung seiner Jünger trägt. Und man kann auch nicht mit Rudolf Bultmann sagen: Der Herr ist ins Kerygma auferstanden. Die Verkündigung des Herrn ist nur deswegen möglich, weil der Inhalt dieser Verkündigung wirklich ist, nämlich die Auferstehung des Herrn.

Eine meiner Schülerinnen schickte mir zu Ostern folgende Verse des deutschen Dichters Novalis: „Berge, jauchzet, Hügel, hüpfet, atme Freude, was da lebt. Christus Jesus ist erstanden aus dem Grabe, Jesus lebt! Christus hat den Tod besieget, der vorher ein Schrecken war, hat die Lehre nun besiegelt, macht sie durch dies Wunder wahr!“ Wahrhaftig, so ist es. Hat die Lehre nun besiegelt, macht sie durch dies Wunder wahr. Er war kein Täuscher, er war kein Getäuschter, er war kein Betrogener, er war kein Betrüger, er war der wahrhaftige Herr und Heiland, das lebendige Wort Gottes. Und das ist bestätigt durch seine wunderbare Auferweckung.

Das Ostergrab ruft die Zweifelnden. Es ruft aber auch die Sünder. Der Herr ist ja um der Sünde willen gestorben, und seine Auferstehung ist nicht nur ein Sieg über den leiblichen Tod, sondern in noch höherem Maße über den geistigen Tod, über die Herrschaft der Sünde. Niemand hat es besser in Worte gefasst als der Apostel Paulus im Römerbrief: „Er wurde dahingegeben um unserer Sünden willen, und er ist auferstanden um unserer Rechtfertigung willen.“ Besser kann man es nicht sagen. Er ist hingegeben um unserer Sünden willen, und er ist auferstanden um unserer Rechtfertigung willen. Dass sein Tod ein Sühnetod war, das wüssten wir nicht ohne die Auferstehung. Erst die Auferstehung ist das Siegel des himmlischen Vaters unter die Worte und das Leben seines Sohnes Jesus Christus.

Ist es nicht tief bedeutungsvoll, dass die erste Frau am Grabe, Maria Magdalena, eine Sünderin war? Sie, die Sünderin, die Büßerin, darf als erste den Herrn schauen. Sie erscheint hier gewissermaßen als die Vertreterin aller bußbereiten Sünder. Ihnen leuchtet das Osterlicht, die Gewissheit der Entsühnung, der geistige Freiheit, der verzeihenden Liebe. Die Auferstehung bezeugt: Der Herr ist nicht nur mächtiger als der Tod, er ist auch mächtiger als der Teufel. Der Überwinder des Teufels lebt. Er ist den Anschlägen des Satans entronnen, er ist in der Kraft Gottes dem Todesgeschick entrissen. Jetzt ist klar: Christus ist der Stärkere, er ist über den Starken gekommen und hat ihm seine Beute genommen. An ihn muss sich anschließen, wer dem Teufel widerstehen will. Seine Kraft muss sich erwerben, wer die Nachstellungen Satans überwinden will. Und, meine lieben Freunde, seien wir nicht pessimistisch. Es ist möglich, es ist möglich, aus dem Schlamme aufzustehen. Im 16. Jahrhundert gab es einmal einen Bischof von Bremen, Christoph mit Namen. In seiner Jugend und leider auch noch in seinen priesterlichen Anfangsjahren hat er sich verfehlt, verfehlt auch gegen das Gebot geschlechtlichen Enthaltsamkeit. Aber Christoph von Bremen hat sich bekehrt. Er ist aus dem Schlamme aufgestanden. Er hat dann jahrzehntelang dem andringenden Protestantismus widerstanden und sein Bistum für die katholische Kirche, für den katholischen Glauben zu retten versucht, und ist eines seligen Todes gestorben. Es gibt eine Auferstehung von den Sünden! So wahr, wie der Herr von den Toten auferstanden ist. Es ist also nicht wahr, wenn man uns sagt, die Menschen sind hilflos und rettungslos dem Niederen, dem Gemeinen, dem Bösen ausgeliefert. Nein, es gibt eine Befreiung, es gibt eine Auferstehung. Man muss sich nur an den Sieger über den Satan anschließen, an Christus Jesus. Dann sind auch wir fähig, dem Bösen zu widerstehen und aus dem Schlamme aufzustehen.

Das Ostergrab ruft die Zweifelnden, das Ostergrab ruft die Sünder. Das Ostergrab ruft die Leidenden. Ja, meine lieben Freunde, es ruft auch die Kreuzträger, alle, die in Leidensnächten ringen, die an Geißelsäulen gekettet sind, die man an das Kreuz schlägt. Aus dem Ostergrabe flutet eine Welle von Licht auch in ihre Herzen und in ihre Leidensstuben. Der verklärte Gottmensch steht vor ihnen und spricht: „Mußte nicht Christus dies alles leiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen?“ Das war der Weg, der ihm vorgezeichnet war, durch Leid zur Freude, durch Schmerz zum Siege, durch Tod zum Leben.

Meine Freunde, die Auferstehung Jesu nimmt uns das Leiden nicht ab, aber es zeigt uns, wie man leiden soll und was auf das richtig getragene Leid folgt. Wir sollen so leiden, wie er gelitten hat, nämlich im Vertrauen und in der Ergebung in den Willen des Vaters. Nicht wie ich will, sondern wie du willst. Und wir sollen hoffen, dass der Vater uns einmal aus dem Leiden herausruft in seine Herrlichkeit. Wenn wir unser Leiden verbinden mit dem Leiden des Meisters, dann wird sich auch unser Leid eines Tages in Freude verwandeln. Auch über das schwerste Leid wirft der Ostertag sein verklärendes Licht. Es gibt keinen sichereren Weg zur ewigen Freude als den Kreuzweg mit Christus. „Christ, flieh doch nicht das Kreuz! Du musst gekreuzigt sein, du gehst sonst nimmermehr ins Himmelreich hinein“, so hat unser schlesischer Dichter Angelus Silesius gedichtet. Christ, flieh doch nicht das Kreuz! Du musst gekreuzigt sein, du gehst sonst nimmermehr ins Himmelreich hinein.

In einem katholischen Krankenhaus, meine lieben Freunde, ging eine Ordensschwester am Ostersonntag den Kreuzweg. Ein Priester sah es und verwies es ihr: Ja, Schwester, wie können Sie denn an Ostern den Kreuzweg beten? „Oh“, sagte die Schwester, „meine Kranken hängen auch am Ostertage am Kreuze, und deswegen bete ich am Ostertage den Kreuzweg.“

Laßt uns Ostern halten, meine lieben Freunde, in starkem Glauben, im Geiste innerer Erneuerung und auch im Geiste tapferer Leidensbereitschaft! Im Geiste der Kirche Christi, die heute ihr Alleluja über eine friedlose, leidvolle, sündendunkle Welt singt. Heute strahlt das Osterlicht über alle Finsternisse hinaus. Auch heute ist Christus der Sieger über den Fürsten der Welt. „Christus erstand wahrhaft vom Tod. Du Sieger, du König, sieh unsere Not!“

Amen.

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