8. Oktober 2017
Unser Gotteshaus
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Zweimal im Text der heutigen heiligen Messe klingt der Jubelruf auf: „Wie freute ich mich, da man mir sagte: Wir ziehen zum Hause des Herrn.“ Katholische Christen lieben ihr Gotteshaus und erfreuen sich an ihm. Deswegen singen sie: Wie freute ich mich, als man mir sagte: Wir ziehen zum Hause des Herrn. Die Kirche ist ein besonderes Haus. Sie ist etwas anderes als ein Maschinenhaus oder ein Geräteschuppen, sie ist auch etwas anderes als ein Kulturhaus oder ein Konzertsaal. Die Kirche ist das Haus der Gottesverehrung, der Anbetung, der Opferdarbringung. Schon ihr Bau folgt einem eigenen Gesetz. Wo immer es möglich ist, sollen die Kirchen nach Osten gerichtet sein. Im Osten geht die Sonne auf, und die Sonne ist ein Symbol für die übernatürliche Sonne Jesus Christus. Also die Ausrichtung nach Osten bedeutet die Ausrichtung auf Christus. Er ist die Sonne der Wahrheit und der Gerechtigkeit. Kirchen werden auch nicht in Benutzung genommen, wie man eine Wohnung oder ein Haus in Benutzung nimmt, nein, Kirchen werden für ihren Zweck geweiht. Es wird eine besondere Segnung über sie gesprochen, eine bleibende Segnung, sie werden durch die Weihung zu einem heiligen Ort, der unter besonderen Gesetzen steht, auch besonders geschützt ist. Jede Kirche hat einen Titel, einen Namen. Er kann hergenommen sein von einem Glaubensgeheimnis, z.B. Fronleichnamskirche, Herz-Jesu-Kirche, oder er kann genommen sein von einem Heiligen. Die alte Budenheimer Kirche ist dem heiligen Pankratius geweiht, einem Märtyrer der frühen Zeit.
Die Kirche ist kein leerer Raum, sie besitzt eine Ausstattung, die sich von ihrer Bestimmung herleitet. Am Eingang befindet sich ein Becken mit Weihwasser. Weihwasser erinnert an die Taufe, und Weihwasser soll den in den Kirchenraum Eintretenden erinnern, dass er in der Taufgnade dieses Haus betreten soll, in der heiligmachenden Gnade. Er soll, wenn er sich besprengt, seine Bereitschaft für den Dienst Gottes erneuern. In der Kirche steht der Taufstein. Hier erfolgt die Christwerdung, die Eingliederung in den Leib Christi. Der dreifaltige Gott bedient sich des Wassers und der Spendeformel, um seine Gnade in die Seele des Täuflings einzugießen, welche die Schuld der Erbsünde und etwaiger persönlicher Sünden tilgt. Der Taufbrunnen erinnert auch an die Verpflichtung, zu leben aus der Kraft der Taufe, aus unserer Eingliederung in den Leib Christi, aus unserer Erfüllung mit dem Heiligen Geiste. In der Kirche steht der Altar. Wir wissen: Das ist der Mittelpunkt der Kirche, das ist die Stätte, an der das heilige Messopfer gefeiert wird, unser größter Schatz, unser größtes Glück. Am Altar begegnen sich der unwandelbare Gott und der wandelbare Mensch. Der Priester, der um diesen Zusammenhang weiß, betet jeden Tag, bevor er zum Altar emporsteigt: Lass deinen Heiligen Geist auf deinem Diener ruhen, auf dass er würdig sei, in der Reinheit des Herzens alle Tage das Opfer deines heiligen Sohnes darzubringen, dir zur Ehre, uns zum Heil. In der Kirche steht der Tabernakel, das Zelt, in dem der eucharistische Heiland seine Wohnstätte hat. Er bleibt nach Beendigung der heiligen Messe in der Kirche. Es kann ja noch einer kommen, der noch nicht kommuniziert hat, es kann ein Kranker, ein Sterbender nach ihm verlangen; darum harrt er aus im Zelt des Tabernakels. Gläubige können kommen und stille Zwiesprache mit ihm halten; darum bleibt er. Im Tabernakel wird das Altarsakrament aufbewahrt, und davor brennt ständig eine Lampe. Jeder weiß: Eine Kirche, in der diese Lampe brennt, ist eine katholische Kirche, hier ist der Herr des Himmels und der Erde gegenwärtig: Kommt und lasst uns ihn anbeten! In der Kirche steht der Beichtstuhl. Hier wird das große heilige Sakrament der Sündenvergebung gespendet. Hier erlebt der Priester das Wunder der Bekehrung und der Umkehr. Kein geringerer als Friedrich Nietzsche hat einmal gesagt: „Es ist die tiefste Nützlichkeit des katholischen Priesters, ein heiliges Ohr, ein verschwiegener Brunnen, ein Grab für Geheimnisse zu sein.“ Den Ort der Verwaltung des Bußsakramentes in der Kirche zu bestimmen, ist heute weitgehend den Bischofskonferenzen überlassen – ich meine zu ihrem Unglück. Beichten ist kein Gesprächsvorgang, Beichten ist ein Gnadengericht, und dazu ziemt es sich, dass man kniet. In der Kirche stehen – bildlich gesprochen – zwei Tische: der Tisch des Sakramentes und der Tisch des Wortes. Das Wort Gottes ist auch eine Speise, eine Speise unserer Seele. Es erhält unsere Seele im Gnadenleben und stärkt sie, so wie das Brot den Körper stärkt. Die Kirche ist der geeignete Ort für die Verkündigung des Evangeliums. Die Kanzel oder der Ambo ist die Stätte, wo die heiligen Texte verlesen werden und wo das Wort Gottes ausgelegt wird. Der Ambo ist eine Bühne – ja so kann man sagen –, eine Art Bühne für die Verlesung der Perikopen und den Vortrag der Predigt. Er ist geschichtlich der Vorläufer der Kanzel. Die Kanzel wurde regelmäßig in der Mitte der Kirche aufgestellt; ihre Entfernung oder ihre Nichtbenutzung ist kein Fortschritt. Von der Kanzel war das Wort Gottes viel besser zu vernehmen als vom Ambo. Kirchen haben in der Regel hohe Wände. An den Wänden der Kirche befinden sich zwölf Kreuze. Sie erinnern an die zwölf Apostel. Unsere Kirche ist die apostolische Kirche, sie geht zurück auf die Apostel und ihre Lehre, und sie ist heute noch an diese Lehre der Apostel gebunden. Das sind die Apostelkreuze, die Sie hier sehen. Bis vor etwa 60 Jahren waren in allen Kirchen die 14 Stationen des Kreuzwegs unseres Heilandes angebracht. Wenige Andachten, meine lieben Freunde, sind so ergreifend und so nützlich für das Seelenleben wie die Kreuzwegandacht. Diese Weise der Verehrung des Kreuzes kam auf, als die Pilger nicht mehr nach Jerusalem pilgern konnten, um dort den historischen Kreuzweg zu gehen; sie sind also eine Nachahmung des historischen Kreuzwegs des Herrn in Jerusalem.
Kirchengebäude sind zuerst und zuoberst Geschenke an Gott. Sie werden ihm als Eigentum und zu seiner Verehrung übergeben. Aus dieser Bestimmung erklären sich die oft riesenhaften Ausmaße der mittelalterlichen Kirchen; die waren ja viel zu groß für die wenigen Menschen. Aber die mittelalterlichen Menschen haben eben beim Kirchbau nicht zuerst an die Gemeinde gedacht, sondern zuerst an Gott. Um ihn zu ehren, haben sie ihre gewaltigen Kirchengebäude errichtet. Sie dachten an die Gott geschuldete Anbetung, als sie sie bauten. Die Kirchengebäude sollten seine Herrlichkeit verkünden und seinen Namen preisen. Gotteshäuser sollen schön sein. Schön ist das Leuchten der Form. Wenn Gotteshäuser prachtvoll geziert sind, kann dies ein Hinweis auf Gottes Schönheit sein. Die Kirche muss so gestaltet werden, dass sie ihrem überirdischen sakralen Zweck dient und ihn deutlich zum Ausdruck bringt. Nur eine feierliche, hoheitsvolle Haltung kann würdigen Eindruck machen und kann geeigneter Ausdruck des Ewigen und Göttlichen sein. Die Erhabenheit und Schönheit des Gotteshauses sollen den Geist des Besuchers über das Alltägliche und Irdische erheben. Die Kinder dieser Welt verfahren ähnlich. Man kann Konzerte veranstalten in Fabrikhallen, in Privathäusern, und dennoch werden überall Häuser und Säle für Konzerte veranstaltet. In Berlin hat man sieben Jahre lang an der Erneuerung des Gebäudes für die Staatsoper gebaut – sieben Jahre für die Erneuerung des Gebäudes der Staatsoper. In Hamburg hat man hunderte Millionen ausgegeben für die Elbphilharmonie. Die Kinder dieser Welt machen uns vor, wie wir mit unseren Kirchenbauten umgehen sollen, nämlich würdig. Kirchengebäude dienen natürlich auch der Gemeinde. Die Gläubigen sollen sich angezogen fühlen, sie sollen sich darin wohlfühlen. Das Innere und das Äußere einer Kirche soll so eingerichtet sein, dass es die Besucher zur Andacht stimmt. Im Strudel der Geschäfte und der Arbeit ist es regelmäßig schwer, sein Gemüt für längere Zeit zu Gott zu erheben. Dazu sollen die Kirchen den Menschen auf ihre Weise helfen. Kirchen sollen vom Geräusch der Welt abgesondert sein, Stätte der Stille, Orte der Zwiesprache mit Gott. Gotteshäuser sind Bethäuser. Hier erheben die Besucher still oder vernehmlich ihre Stimme zu Gott in Anbetung, Dank und Bitte. Der Kirchenbau soll Gemeinschaft stiftende Erscheinungsform der Religion sein. Er ist Versammlungsraum, ja, das ist er auch, Versammlungsraum für den Vollzug des gesamten Gottesdienstes. Und er muss deswegen auch auf die liturgische Handlung bezogen werden, also die Kirche muss liturgiegerecht sein, d.h. sie muss die lebendige Teilnahme am Messopfer ermöglichen: den Anschluss an den zelebrierenden Priester, die Beobachtung seiner Zeremonien, die Vernehmbarkeit seiner Gebete.
Kirchen, Gotteshäuser sind Stätten der Religion, der Gottesverehrung. Sie haben aber darüber hinaus eine enorme kulturelle und soziale Bedeutung. Mit ihren Kirchen hat unsere Kirche einen gewaltigen Beitrag zur Kultur unseres Volkes geleistet. In zahllosen Städten sind die katholischen Kirchen Hauptanziehungspunkte der Besucher. Der Dom von Köln wird jährlich von 6 Millionen besucht. Die Kirchengebäude sind ein wesentlicher Bestandteil des Kulturerbes des deutschen Volkes. Es war in der Zeit des Dritten Reiches, als uns Kindern der Geschichtslehrer erklärte: In den Dörfern gibt es kein kulturell wertvolles Gebäude außer der Kirche. Architektur, Bildhauerkunst und Malerei wurden durch die Errichtung und Ausstattung von Kirchen durch nahezu zweitausend Jahre gefordert und gefördert. Kirchen sind Kulturobjekte, aber auch wirtschaftlich und gesellschaftlich bedeutsame Objekte. Man denke an die soziale Komponente: Kirchbauten geben Hunderttausenden von Menschen Arbeit und Brot. Religiöse Bauten haben seit fast zweitausend Jahren zahllosen Menschen Lebenssinn verschafft. Der Kirchenbau hat sich im Laufe der Geschichte verändert. Baustile prägen ganze Epochen, aber jeder Baustil sagt etwas vom Glauben unserer Kirche aus. Die romanische Baukunst schuf machtvolle turmbewährte Bauten als Gruppenbau mit je drei Türmen in der Ost- und Westpartie, eine herrlich prangende Gottesburg. Denken Sie an die wunderbaren Bauten in Limburg an der Haardt, in Speyer, in Hersfeld, oder ein klassisches Beispiel ist der Dom zu Worms. Die Gotik ist gekennzeichnet durch den starken Zug zum Chor hin, das machtvolle Streben nach oben, das sich nach allen Richtungen durchflutende Leben, die Geschlossenheit, die Zielstrebigkeit und Durchsichtigkeit ihres baulichen Organismus, und besonders die Überwindung und Entmaterialisierung der Massen durch das Spiel von Kräften. Gotische Dome stehen in großer Fülle in Frankreich, in England, aber auch in Deutschland; denken Sie an Straßburg, Köln, Aachen. Die Renaissance bevorzugte den Zentralbau, da die ihm zugrundeliegende Form, der Kreis, als mathematisches Symbol für Gott galt. In dieser Epoche ist unendlich viel an Ausstattung für die Kirchen verwendet worden, vor allem in Italien, in Florenz, in Venedig, in Mailand, in Siena. Denken Sie an Il Gesù in Rom oder an San Giorgio in Venedig. In Deutschland haben wir wenig Renaissancebauten. Ich kenne nur eine, nämlich die Michaelskirche in München. Der Barockstil behielt die antiken Formelemente der Renaissance bei, verschmähte aber ihre Anordnung in klassischer Ruhe und Harmonie. Der Barock suchte Bewegung und Häufung der Formen. Er erlangte vor allem in Süddeutschland und Österreich eine nirgends sonst erreichte Hochblüte. Denken Sie an die barocken Kirchenbauten in Melk, in Weingarten, in Einsiedeln, in St. Gallen. Den Rokokostil charakterisiert die Entspannung von der Monumentalität, von dem Pathos und von der Dramatik. Er liebt die Kleinform, die Leichtigkeit, die Beweglichkeit, die Helligkeit, die Zartfarbigkeit, die Idylle. Für den Rokoko sind die spielerischen Formen der Innendekoration charakteristisch. Denken Sie an Vierzehnheiligen in Franken, an die Wieskirche in Oberbayern und an die Kirche in Birnau am Bodensee. Der klassizistische Baustil lässt das Formale hervortreten, das Irrationale soll gebändigt werden durch das Rationale; streng sachlich wird gebaut. Einfachheit und Ebenmaß aller Verhältnisse wird angestrebt. Aber der Klassizismus hat einen Mangel an Wärme, hat sich deswegen in Deutschland auch nicht durchsetzen können. Dem klassizistischen Stil gehört an: die Kathedrale von Berlin, die St. Hedwigs-Kirche. Der moderne Kirchenbau ist alles andere als einheitlich, es haben sich die Stile abgewechselt: der Jugendstil, der Bauhausstil, der Stil der liturgischen Bewegung, letzterer z.B. etwa in St. Josef in Offenbach. Es kam der frei geformte Betonbau auf und fand vielfach Beifall. Der Beton ermöglicht die Farbverglasung, Helligkeit und gute Sichtbedingungen, er lässt sich sehr gut formen.
Die Heiligkeit des Ortes fordert ein entsprechendes Verhalten. Schon im Alten Testament heißt es: „Ihr sollt Ehrfurcht haben vor meinem Heiligtum.“ Ehrfurcht ist zunächst eine innere Haltung, soll sich aber auch nach außen verbreiten. Überflüssiges Schwätzen, überflüssiges Herumschauen haben in der Kirche keinen Platz. Es ist auch zu fragen, ob das von Papst Franziskus angeordnete gemeinsame Mittagessen in der Kirche zu Bologna mit der Heiligkeit des Ortes zu vereinbaren ist.
Der Schnellzug von Frankfurt nach Basel fuhr einmal an einer Ortschaft vorbei, in der eine neu erbaute Kirche ihren schlanken Turm zum Himmel erhob. Ein Student kommentierte den Bau: „Die Leute da hätten ihr Geld auch für etwas besseres verwenden können als für eine Kirche.“ Brauchen wir Kirchen, meine lieben Freunde? Wir brauchen Kirchen, weil wir Orte der Stille, der Sakralität, des Gebetes brauchen. Wir brauchen Kirchen, damit im Kreischen der Autos und im Brummen der Flugzeuge der Herr der Erde und des Himmels nicht vergessen wird. Wir brauchen Kirchen, damit die Menschen behalten, dass Essen und Trinken, Arbeit und Erholung nicht das Leben ausmachen. Das Gebet gewinnt dann größere Kraft zur Erlangung der göttlichen Hilfe, wenn es öffentlich, beharrlich und einträchtig von vielen verrichtet wird. Ich war etwa 14 Jahre alt, als der Physiklehrer eines Tages zu mir sagte: „Junge, lauf nicht den Pfaffen nach, glaub nicht an den schwarzen Schwindel. Wenn du beten willst, geh in den Wald.“ Man kann im Walde beten, aber im Walde finden wir nicht das Opfer Christi, finden wir nicht das Evangelium. Es ist kein Vergnügen, die heilige Messe an ungeweihter Stelle feiern zu müssen. Ich habe in der Deutschen Demokratischen Republik – wo ich ja fünf Jahre war – die Gottesdienstfeier in Schulen, in evangelischen Kirchen, in Wohnräumen, in einer Küche halten müssen; das ist kein Vergnügen. Die Umstände und die Umgebung machten den Gottesdienst zu einer Qual. Dem katholischen Gläubigen ist die Kirche eine geistige Heimat, hier ist er zu Hause. Der katholische Gläubige hängt an der Kirche, in der er getauft wurde, wo er die Erstkommunion empfing, wo er gefirmt wurde. Die Bindung an die Kirche ist in seinem Gemüt befestigt. Katholische Gläubige spenden und opfern gern für ihre Kirche. Sie möchten das Gotteshaus schön und anziehend finden. Der gläubige Christ geht gern in seine Kirche, in der er zu Hause ist. Als junger Mensch war ich eine Zeitlang in Sachsen. Dort gab es damals ganz wenige katholische Kirchen. Ich war glücklich, wenn ich eine fand und in sie eintreten konnte. „Wie freute ich mich, da man mir sagte: Wir ziehen zum Hause des Herrn.“
Amen.