Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
4. Februar 2018

Das Wort Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der heilige Evangelist Johannes eröffnet sein Evangelium mit den Worten: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Mit dem „Wort“ ist Christus gemeint. Dieser trägt im Johannesevangelium den Namen „das Wort“, der LOGOS. Von diesem personhaften Wort wird dreierlei ausgesagt:

1.      dass es im Anfang, also vor aller Schöpfung, existierte,

2.      dass es unterschieden von Gott, aber bei Gott war, und

3.      dass es selbst göttlichen Wesens war.

Aus diesem Zusammenhang ergibt sich: Christus als das Wort kann nur in Verbindung mit dem dreifaltigen Gott verstanden werden. Die erste Person in Gott, der Vater, spricht das eigene Wesen aus, das Wort, das er selber ist, und dieses Wort ist personhaft und wird wegen seines Hervorganges aus dem Vater Sohn, Sohn Gottes genannt. Der Hervorgang des LOGOS, also des personhaften Wortes aus dem Vater, ist ein ewiger Vorgang in Gott, der sich immerfort, auch heute noch, vollzieht. Aber damit hat es nicht sein Bewenden. Der innergöttliche Ablauf hat sich fortgesetzt in die Schöpfung Gottes. Durch das Wort, den LOGOS, die zweite Person in Gott, ist alles, was existiert, geworden. Er ist der Schöpfungsmittler. Durch ihn, durch! ihn ist alles geworden. Aber auch damit noch nicht genug. Denn das Wort ist Fleisch geworden. Es hat eine menschliche Natur angenommen, es hat unter uns gelebt, gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen. Christus ist das an die Welt gerichtete, in die Welt hineingesprochene Wort des ewigen Vaters. Er ist die Erscheinung und das Werk des Vaters. „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ Das menschgewordene Wort ist das lauteste und das umfassendste, aber auch das letzte Wort, das Gott in die Welt hineinspricht. Früher, vor alten Zeiten, hat er durch seine Propheten gesprochen, in der letzten Zeit spricht er durch seinen Sohn. Christus, der LOGOS, ist das in der Welt erschienene Gottesleben. In ihm ist Gott sichtbar geworden. Das und nichts anderes ist die Botschaft der christlichen Lehre. Er ist das Bild des Vaters. Wer ihn sieht, der sieht den Vater. In ihm wendet Gott der Welt sein Angesicht zu. Er ist daher der Offenbarer des Vaters, der Offenbarer Gottes durch sein Dasein, durch sein Tun, aber auch durch sein Wort. In diesem Sinne nennt er sich die Wahrheit. Wahrheit bedeutet im Johannesevangelium die sichtbar gewordene Wirklichkeit Gottes. Christus ist die Wahrheit, sofern in ihm die uns unzugängliche Wirklichkeit Gottes aufgetan, geoffenbart wird. In dem menschgewordenen Wort Gottes klingt das Wort, das der Vater in lebendiger Aussprache im innergöttlichen Leben spricht, in die Welt hinein. Es ist gewissermaßen die Übersetzung dessen, was Gott in sich selbst sagt, in die Sprache der Welt. Das kann natürlich nur in analoger Weise geschehen. Christus selbst ist die Erscheinung des ewigen Gottes. Seine Erscheinung, sein Tun, sein Wort; das ist es, was der Vater zur Menschheit spricht. Er ist das Urwort und das Urbild.

Dieses Wort und Bild wird heilsmächtig und verbindlich ausgelegt und erklärt in dem Worte, das Jesus spricht in seiner Verkündigung. Was er sagt, ist gute Botschaft, Frohbotschaft, Heilsbotschaft, Euangelion. Es ist die Botschaft von dem Reiche Gottes und dem darin begründeten Heil der Völker. Sein Wort ist wirksam, es ist ein wirksames Wort. Es ist nicht nur Heilsbotschaft, sondern Heilswirklichkeit. In ihm ist das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes angebrochen. Das haben die Menschen gespürt. Als er einmal einen Besessenen heilte, was bisher noch niemand vollbracht hatte, da sagten die Leute: Was ist denn das? Das ist ja eine Lehre von Macht! Der Teufel ist stark, aber der Stärkere ist über ihn gekommen und hat ihn entmächtigt. Die Gottesoffenbarung geschieht in Christi Erscheinung, Werk und Wort. Sie ist nicht bloß Mitteilung in der Weise der Belehrung, sondern sie ist Mitteilung in der Weise der Teilhabe. Gottes Wort ist nicht ohnmächtige Wortweisheit, sondern göttliche Geistesmacht. Es dringt in den Menschen ein, um ihn umzuwandeln, um den Geist zu erhellen und um das Herz neu zu erschaffen. „Sende aus deinen Geist, und alles wird neu geschaffen.“ Dieses Wort hat sakramentale Kraft. Christus, das Urwort, ist auch das Ursakrament, und die Gotteskraft, die er verleiht, ist der Heilige Geist.

Durch Gottes Wort wird niemand gewaltsam in das dreipersönliche Gottesleben hineingezogen. Es ist zunächst ein gnadenvoller Anruf, eine Einladung, eine Aufforderung, eine Anrede, die Aufforderung, sich in das göttliche Leben hineinzubegeben. Das Wort Gottes wendet sich an das Ohr und an den Geist und an das ganze menschliche Ich, um es in die Pflicht zu nehmen. In Christus spricht Gott der Herr zu uns, d.h. sein Wort ist von höchster Verbindlichkeit. Man kann es nicht bloß zur Kenntnis nehmen. Das Hören des Wortes muss zur personalen Begegnung mit Christus führen. Diesem Wort muss man gehorchen in der Tat des Glaubens; Glaube ist Gehorsam, Gehorsam gegen das Wort Gottes. Nach diesem Wort muss man handeln, durch dieses Wort muss man sich umwandeln lassen, von ihm muss man Zeugnis ablegen. Wer nicht in der Wahrheit lebt, der lebt in der Lüge. Es ist dem Menschen nur die Wahl gelassen entweder in der Wahrheit Gottes, in der durch Christus uns erschienenen Wirklichkeit zu leben oder in der Lüge, in der Welt des Teufels zu wandeln.

Weil in Christus Gott der Herr zu uns spricht, deshalb ist Christi Wort verpflichtend für alle Menschen. Das Christentum ist keine partikuläre Religion, das Christentum ist die Universalreligion. Christus redet wie einer, der gesehen und gehört hat beim Vater, deshalb ist er der maßgebliche Lehrer. Seine Jünger haben nur seine Botschaft auszurichten. Sie haben nicht eigene Weisheit zu verkündigen, sondern das Wort weiterzugeben, das ihnen aufgetragen ist. Paulus sagt: „Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Christus Jesus als den Herrn, uns aber als eure Diener um Christi willen!“ Christus hat durch alle seine Handlungen und Worte die Erlösung des ganzen Menschengeschlechtes vollzogen. Die Gesamtheit seines Lebens hat erlöserische Qualität und Kraft, weil es ein Menschenleben ist, dessen Selbststand die zweite göttliche Person, der LOGOS, ist. In seinem Wirken kommt eine besondere Bedeutung seiner Verkündigung zu. Sein Wort ist das Wort der Wahrheit. Vor Pilatus bekennt Jesus, dass er dazu gesandt ist, von Gott gesandt, um der Wahrheit Zeugnis zu geben. Man kann sagen, dass er durch das Wort der Offenbarung auch eine Erlösung von dem Irrtum bewirkt. Er hat vor allem den religiösen Irrtum abgeschafft. Und heute? Es gibt Menschen, auch Theologen, die sagen, man solle die Anhänger der nichtchristlichen Religionen in Ruhe lassen, man solle sie bei ihrem Glauben, bei ihrem falschen Glauben belassen. Diese Meinung vertritt niemand, der in der Wahrheit steht. Diese Meinung lässt sich mit dem Anspruch der Wahrheit, die in Christus erschienen ist, nicht vereinbaren. Die Anhänger anderer Religionen sollen zum Christentum finden; sie verlieren nichts. Die Körner der Wahrheit, die auch bei ihnen sind, finden sich im Christentum wieder, und viel mehr. Sie verlieren nichts und gewinnen alles.

Das Wort Gottes, das Wort der Wahrheit ergeht an die Menschen. Sein erster und oberster Verkündiger ist Jesus Christus. „Dazu bin ich in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe.“ Aber er ist nicht allein. Er beruft Helfer und Mitarbeiter am Wort: zunächst die Apostel, dann deren Nachfolger. Den Menschen, allen Menschen ist aufgetragen, sie zu hören. Doch was geschieht? Es geschieht das Unheimliche, das Unglaubliche: Der LOGOS war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht worden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf. Das ist dem Herrn, das ist dem Verkündiger des Wortes, das ist dem Heiland der Menschen widerfahren. Aber es hat sich fortgesetzt in seinen Nachfolgern, in den von ihm beauftragten Verkündigern. Dazu ist einschlägig das Evangelium, das wir heute gehört haben. Der Herr spricht hier von vier verschiedenen Gruppen von Menschen in Bezug auf das Hören des Wortes Gottes. Die erste Gruppe sind die Leichtfertigen und Oberflächlichen. Sie hören das Wort Gottes, aber sie hören es gleichsam nur mit einem Ohr. Sie nehmen es nicht mit ihrem Geist, in ihrem Herzen auf. Sie sind beschäftigt mit den Dingen dieser Welt: mit Erwerb und Unterhaltung, mit Spiel und Sport, mit Essen und Trinken, sie haben angeblich keine Zeit für Religion und Kirche. So hat es der Satan leicht, das Wort aus ihrem Herzen zu stehlen; es bleibt unfruchtbar. Die zweite Gruppe sind die schnell Begeisterten und Sprunghaften. Sie sind für alles Neue und Unerhörte aufgeschlossen, so auch für das Evangelium. Aber ihre Begeisterung hält nicht an. Das Wort Gottes treibt keine Wurzeln in ihrer Seele, sie sind Menschen des Augenblicks. Das Wort Gottes wird nicht ihr innerer Besitz. Sie sind nicht existentiell mit der Religion verbunden. „Man hat nichts von der Religion“, sagte mir einmal eine Dame in Österreich. Sie verlangt auch zu viel von den Menschen, und deswegen passen sie sich den Umständen an. Trübsal oder gar Verfolgung um des Wortes willen halten sie nicht aus. Sie fallen ab; das Wort Gottes ist vergeblich für sie gesät. Die dritte Gruppe sind die Weltmenschen, die Genießer. Auch sie hören das Wort, aber es bleibt ihnen fremd. Es interessiert sie nicht, sie erwarten nichts von ihm, es bringt für ihren Lebensstil nichts ein. Es fördert nicht ihre Geschäfte und dient nicht ihren Vergnügungen, darum wird es für sie uninteressant. In der Flut des Gewinnstrebens und des Genießens geht das Wort unter und bringt keine Frucht.

Das Ergebnis dieses Überblicks ist niederschmetternd. Von vier Gruppen sind es drei, die dem Worte Gottes nicht dauerhaft anhangen. Erst und nur die vierte Gruppe nimmt das Wort Gottes ehrlich und ernsthaft auf, hält an ihm fest und macht es zur Grundlage ihres Lebens. Diese Menschen erkennen den überragenden Wert des Wortes Gottes. Ihnen liegt etwas an diesem Wort, es wird zur Richtschnur ihres Lebens. Es sind jene, die Frucht bringen. Frucht sind ihre Tugenden, ihre guten Taten: Menschenliebe, Gottesliebe, Treue, Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit. Der Herr hat das Wirken der Verkündiger des Evangeliums realistisch beschrieben. Jeder Seelsorger wird seine Darstellung bestätigen. Der Sämann Gottes scheint überwiegend vergeblich zu arbeiten. Die Masse der Menschen ist nicht willig, sich ernsthaft auf die Religion einzulassen. Die Beschäftigung mit Gott und den göttlichen Dingen ist ihnen zu anspruchsvoll. Sie halten sich an das, was sie sehen und hören, was sie essen und schmecken; das genügt ihnen. Sie haben kein Verlangen, ihren Geist zu übersinnlichen Dingen, zum verborgenen Gott zu erheben. Sehr viele Menschen meiden die Religion, weil sie nichts wissen wollen vom Dienste Gottes. Sie sind beschäftigt, ihrer Bequemlichkeit, ihren Ansprüchen, ihren Bedürfnissen zu dienen, aber nicht dem unsichtbaren Gott. Sie lachen über die Antwort, die der Katechismus auf die Frage: „Wozu sind wir auf Erden?“ gibt: „Wir sind auf Erden, um Gott zu dienen, ihn zu lieben und dadurch in den Himmel zu kommen.“ Darüber lachen sie. Viele von ihnen gehören nominell der katholischen Kirche an, weil sie einmal getauft wurden, aber sie machen von ihrer Kirchenzugehörigkeit keinen Gebrauch. Sie haben den Glauben über Bord geworfen und entziehen sich der Autorität des gottgesetzten Lehr- und Hirtenamtes. Das Gebot, jeden Sonntag am Messopfer teilzunehmen, erachten sie als unzumutbar. Erst recht stört sie die kirchliche Lehre von der Ehe und vom Gebrauch der Ehe. Sie meinen, die Zweisamkeit von Mann und Frau sei dafür da, dass man Spaß miteinander habe. Es war nicht immer so, meine lieben Freunde. Ich habe in den letzten Wochen das zweibändige Werk von Helmut Moll „Zeugen für Christus“ gelesen. In diesem Buche werden alle die Priester vorgestellt, die unter dem Nationalsozialismus ihr Leben für Christus geopfert haben. Sie stammten fast alle aus kinderreichen Familien. Sie hatten sechs, acht, elf, sechzehn Geschwister, fast ohne Ausnahme. Ihre Eltern waren meistens kleine Leute: Maurer, Postboten, Bergarbeiter (im Saarland), Bauern. Sie alle wussten, dass man mit zwei Kindern bequemer lebt als mit neun, aber sie haben dem Gesetze Gottes nachgelebt und vielen Kindern das Leben geschenkt, darunter vielen Priestern. Vor einiger Zeit war ich in einem kleinen Wallfahrtsort. Neben der Kirche steht das Priesterhaus. Ich fragte eine alte Dame: „Wohnt hier ein Priester?“ „Nein“, sagte sie, „schon lange nicht mehr. Wie soll es denn Priester geben, wenn es keine Kinder gibt?“ Die Erfahrungen im Nationalsozialismus und Kommunismus haben uns die vielen Menschen kennen lernen lassen, die ihre Zugehörigkeit zur Kirche verleugnen und aufgeben, wenn sie dadurch Nachteile oder Gefahren zu erdulden haben. Millionen von Christen sind abgeglitten vom Glauben, haben die Kirche verlassen, haben ihr ewiges Erbe verspielt. Als die Gefahren und Bedrückungen vorüber waren, also 1945, da dachten wir, jetzt kommt ein Aufschwung, jetzt kommt wieder Leben in die Gemeinden, jetzt blüht alles wieder auf. Es scheint tatsächlich eine gewisse Scheinblüte gegeben zu haben, aber nicht lange. Dann kam der Konsumrausch und es kam das Bedürfnis, sich auszuleben, und der Abfall ging weiter. Heute verliert die katholische Kirche in Deutschland jedes Jahr eine Großstadt von hunderttausend Seelen durch Abfall.

Für den Menschen, der Christus und seine Kirche liebt, ist es bitter, das ungleiche Schicksal der Aussaat des Wortes Gottes zu beobachten. Wie viel Arbeit, wie viel Mühe wenden die Sämänner auf. Mit brennenden Augen harren sie auf das Aufgehen der Saat und das Wachstum. Wehen Herzens müssen sie sehen, wie der kaum ausgesäte Samen zertreten wird oder nach dem Keimen eingeht und selbst nach dem Heranwachsen nicht bis zur Frucht gedeiht. Besonders betrüblich ist der Abfall von Christen, die Gott in besonderer Weise berufen hat, also die Priester. Ich war ja mehrere Jahre in der DDR, in der Ostzone tätig, und da waren mir die Ministranten anvertraut. Ich habe viel Kraft und Zeit in sie investiert. Einer von ihnen, ein geweckter Junge aus einer armen Familie, kam auf die höhere Schule, hat das Abitur gemacht und wurde Priester. Vor vierzehn Tagen schaffte ich mir ein Buch an über die DDR. Darin steht geschrieben, dass dieser Priester informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit war. Er ist abgefallen. Er bezeichnete die Kirche als „Idiotenclub“. Sämann, hast du nicht guten Samen gesät? Wie wird es weitergehen, meine lieben Freunde? Nach menschlichem Ermessen wird es weitergehen wie bisher. Die Gottesvergessenheit nimmt zu, der Abfall steigt, der Nachwuchs an Sämännern bleibt aus. Gibt es gar keinen Trost? Ich weiß nur einen: dem Verkünder des Wortes Gottes zuzurufen: „Sämann Gottes, verzage nicht! Gott hat dich ausgesandt, zu säen, nicht zu ernten. Tu deine Arbeit und überlass das Aufgehen des Samens dem Herrn. Er hat den Lohn der Arbeit und der Mühe, nicht dem Erfolg verheißen.“

Amen.  

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt