Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. April 2004

Zeugen der Auferstehung – Zeugnis des Glaubens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Osterfreude Versammelte!

Die Glocken klingen zu Ostern anders. Sie rufen den Jubel der Christenheit über den Auferstehungssieg des Herrn in die Welt hinaus.

Aber nicht an alle Ohren dringen die Osterglocken. Der Herr ist auferstanden, aber viele, die sich Christen nennen, bleiben nicht nur in ihrem Bett, sondern auch in ihren Sünden liegen. Die Osterbotschaft kommt nicht an ihr Ohr und schon gar nicht in ihr Herz. Es wiederholt sich an ihnen, was Goethe in seinem „Faust“ gesprochen hat: „Die Botschaft hör‘ ich wohl, doch allein mir fehlt der Glaube.“ Ostern ist ein Fest des Glaubens, und wer nicht glaubt, kann nicht Ostern feiern. Wenn es so ist, wie der evangelische Theologe Rudolf Bultmann sagt, daß alles mythologisch ist, die Erschaffung der Welt, die Wunder im Leben der Heiligen, die Auferstehung Jesu, wenn das alles mythologisch ist, das heißt erdichtet und erfunden, dann kann Osterfreude im Herzen der Christen nicht aufkommen. Und doch kommt alles auf die Wirklichkeit zu Ostern an.

Der Apostel Paulus wird nicht müde zu erklären, daß im Herzpunkt des Christentums der Osterglaube steht. Mit ihm steht und fällt das Christentum. Wenn Ostern nicht Wirklichkeit ist, wenn Christus nicht wahrhaft als Lebendiger das Grab verlassen hat, dann ist nichtig unsere Verkündigung, und dann ist leer unser Glaube. Der Apostel Paulus stützt seinen Osterglauben nicht zuerst auf das Gesicht, das ihm zuteil wurde. Gewiß, er hat den Herrn gesehen vor Damaskus. Es war das kein flüchtiger Anblick, sondern es war eine wirklichkeitserfüllte Erscheinung. Gewiß, der Herr hat ihn, der die Christen bisher verfolgt hatte, zum opferbereiten Jünger bekehrt, aber Paulus gibt sich damit nicht zufrieden. Das war ein subjektives, persönliches Erlebnis und lag geraume Zeit nach der Auferstehung Jesu. Worauf er seinen Glauben an die Auferstehung gründet, das sind die Zeugnisse der Altapostel. Er beruft sich auf das Zeugnis der vielen, der verlässigen Augenzeugen. Er beruft sich auf Kephas (Petrus), die Zwölf, die fünfhundert Brüder, die den Herrn gesehen haben, auf Jakobus, auf alle Apostel. Sie haben den Herrn gesehen, und das ist ihr Beruf, Zeugen der Auferstehung zu sein. Sie haben keinen anderen, sie haben nur diesen Beruf, Zeugen der Auferstehung des Herrn zu sein.

Als ein Ersatzapostel für den abtrünnigen Judas gewählt wird, da muß es einer sein, der von Anfang an dabei war, mit Jesus zusammen war, von der Taufe des Johannes angefangen bis zu der Himmelfahrt. Ein anderer kommt überhaupt nicht in Frage. Und dieser Mann hat wie die Apostel keine andere Aufgabe als die, Zeuge der Auferstehung Jesu zu sein.

Petrus und die Zwölf waren Zeugen der Auferstehung, nicht aus Willkür oder durch einen historischen Zufall. Nein, sie waren Augenzeugen, weil der auferstandene Herr sie berufen hatte, weil er ihnen Kraft vom Heiligen Geist verhieß, seine Zeugen zu sein in Jerusalem und in Judäa und in Samaria und bis an die Grenzen der Erde. Sie waren die von Gott zuvor verordneten Zeugen, um von dem Zeugnis zu geben, was kein anderer Mensch wissen und bezeugen konnte, nämlich daß Jesus am dritten Tage vom Vater auferweckt worden war. Auf der Zuverlässigkeit ihres Zeugnisses, auf der Verlässigkeit ihrer Sinne ruht der Glaube der Kirche aller Zeiten.

Nun hatten die Erscheinungen, die den Osterglauben in den Aposteln anbahnten, eine Eigenart: Sie geschahen nicht vor der Öffentlichkeit, nicht vor dem richtenden Forum der Schriftgelehrten und des Synedriums, nein, sie geschahen in aller Heimlichkeit – in einem Garten, im Garten Gethsemane, auf dem Wege nach Emmaus, auf verschwiegener Bergeshöhe in Galiläa, am verlassenen Seegestade, hinter verschlossenen Türen. Die Erscheinungen des Auferstandenen sollten nicht ein unwiderlegliches, alle Welt überführendes Mirakel sein. Die Erscheinungen sollten nicht den menschlichen Geist überwältigen und zum Glauben zwingen; sie sollten ihnen nicht den Glauben aufnötigen. Der Schimmer des Geheimnisvollen und Rätselhaften, der dem Zweifel Raum läßt und zur persönlichen Entscheidung aufruft, sollte ihnen bleiben. Darum geschahen die Erscheinungen im engen Jüngerkreis. Sie geschahen nur vor jenen, die in Jesus einen Propheten gesehen hatten, einen Propheten, gewaltig in Tat und Wort, und die in der Hoffnung lebten, daß er es sei, der Israel erlösen werde. Ihnen erschien der Herr, um ihnen den erschütterten Glauben neu zu beleben, um ihnen die frohe Gewißheit zu geben, daß sie von Gott zu Zeugen der Auferstehung berufen seien.

Sie hatten Jesus schon während seines Erdenlebens Glaube und Liebe entgegengebracht. An diesen Glauben und an diese Liebe knüpften die Erscheinungen des Auferstandenen an. Von den Kräften des Glaubens und der Liebe war ihr Glaube an den Auferstandenen getragen. Das war kein Glaube für jedermann. Das war ein Glaube nur für jene, die sich dem Herrn glaubend und liebend zu erschließen bereit waren.

Das ist die Lehre, meine lieben Freunde, die wir von den Osterereignissen ziehen müssen. Kein äußerer Zwang, keine mirakulöse Vergewaltigung führt zum Glauben an den Auferstandenen, sondern nur die freie Entscheidung. Nur in dem wird der Glaube an den Auferstandenen lebendig, der in der Treue, der in der Liebe, der im Glauben an Jesus lebt. Die sinnliche Wahrnehmung des Auferstandenen vor den Aposteln steht außer Zweifel. Aber das bloße Wahrnehmen überzeugte sie noch nicht von der Gegenwart des Herrn. Erst als der Auferstandene die ratlose Maria mit ihrem Namen anrief, ging ihr auf, daß der Herr – und nicht ein Gärtner – vor ihr stand. Erst als Jesus das Brot nahm und brach, da wurden den Emmausjüngern die Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Auch als Jesus am Ufer des Sees Gennesaret stand, erkannten ihn die Jünger nicht. Erst am Wunder des reichen Fischfanges erkannte ihn jener Jünger, den Jesus lieb hatte. Als sich ihnen der Auferstandene auf dem Berge in Galiläa offenbarte, da zweifelten anfänglich einige, und selbst als Jesus in ihrer Mitte stand, stiegen Zweifel in ihren Herzen auf. Denselben Zweifel, ja den Unglauben sprach Thomas sogar aus, als er von den Jüngern den Bericht erhielt, daß der Herr ihnen erschienen war. Die Erscheinungen waren zu geheimnisvoll, zu rätselhaft. Die Gestalt Jesu tauchte plötzlich auf und verschwand wieder: Bei verschlossenen Türen kam er und ging er. Es schien den Jüngern, als habe Jesus, weil er nicht mehr an die Gesetze des Raumes gebunden war, keine wahre Leiblichkeit, als handle es sich um einen Spuk, um ein Gespenst. Jesus mußte deswegen seine Leiblichkeit beweisen. Der Jünger durfte seine Hand in die Seite des Herrn legen und seinen Finger in die Stellen, wo die Nägel durch den Arm des Herrn gedrungen waren. Das Grab war leer, der Leib war fort, die Jünger aßen und tranken mit dem Auferstandenen, und so bewies er ihnen die Wahrhaftigkeit seiner Leiblichkeit und seiner Auferstehung. Die Jünger haben die Gestalt des Herrn gesehen.

Aber das Wunder der Erscheinungen teilt die Eigenart aller Wunder. Der heilige Thomas sagt einmal: „Ein Wunder ist eine causa exterius inducens“; also das Wunder ist eine Ursache, die von außen auf den Menschen einwirkt, eine Causa exterius (von außen) inducens. Das heißt, das Wunder allein vermag den Osterglauben nicht zu erzeugen, es vermag ihn nur anzubahnen und vorzubereiten. Durch die Erscheinungen hindurch drang eine viel tiefergreifende, unsichtbare, göttliche Wirklichkeitsmacht auf die Jünger ein. Die personalen Kräfte des göttlichen Logos überzeugten sie von der Gegenwart des Christus. Die persönliche Berührung des Christus unter dem Eindruck der Erscheinungen ließ sie seine wirkliche Gegenwart erleben. Vierzig Tage lang standen sie unter der Wucht dieses Erlebnisses, und der Apostel Thomas konnte nicht anders als in die Worte ausbrechen: „Mein Herr und mein Gott.“

Vor dieser Wirklichkeit verblaßten die zeitbedingten Bezüge des irdischen Lebens. Den Aposteln war deswegen relativ wenig an dem historischen Lebensbild des Herrn gelegen. Sie hatten ihn als den Auferstandenen, als den Sieger von Golgotha erlebt. Und an dem Auferstandenen war ihnen wichtig, daß sie ihm Aug in Aug gegenübergestanden haben. Er hatte mit ihnen gegessen und getrunken, sie hatten seine himmlische, göttliche Wirklichkeit vierzig Tage lang erleben dürfen, und deswegen werden sie nicht müde zu bekennen: Der Herr ist auferstanden, des sind wir Zeugen. Die tiefste Wurzel des Auferstehungsglaubens der Apostel ist also der Herr selbst. Der Glaube der Jünger ist im eigentlichen Sinne die Tat Christi selbst. Der Glaube der Jünger ist Gnade. Was Thomas von Aquin von der Gnade aussagt, daß sie nämlich die eigentliche und vornehmste Ursache des Glaubens sei, erfüllt sich im Glauben der Apostel. Dieser Glaube trägt das ganze Christentum. Aus dem Gnadenwillen des Herrn, aus dem Gnadenwillen des Auferstandenen ist das Christentum geboren. Das ist die unsichtbare, übernatürliche, wirkliche Wurzel des Glaubens an den Auferstandenen, der Lebensodem des Auferweckten, den die Jünger gesehen haben und mit dem sie vierzig Tage lang im Verkehr gewesen sind.

Amen.

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