Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Oktober 2013

Der Glaube und das Heil

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Gott will, dass alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ So lehrt uns Paulus in seinem ersten Brief an seinen Schüler Timotheus. Gott will, dass alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Das ist nicht nur ein schwacher göttlicher Wunsch, sondern eine wirksame Kraft, die sich auf jeden einzelnen richtet und ihre Grenze nur am widersprechenden freien Willen hat. Gott will, dass alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Der Mensch kommt zur Erkenntnis der Wahrheit und wird selig, wenn er glaubt. Der auferstandene Herr sagt es seinen Jüngern: „Wer glaubt, wird selig werden.“ Johannes schreibt von dem menschgewordenen Gottessohn: „Die ihn aufnahmen, denen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, die glauben an seinen Namen.“ Und Paulus drückt es auf seine Weise aus: „Wer mit dem Munde bekennt ‚Jesus der Herr‘, und im Herzen glaubt, dass Gott ihn auferweckt hat, wird gerettet werden.“

Der Glaube ist der Weg und das Mittel zur ewigen Seligkeit. Der Mensch hat dem sich offenbarenden Gott den Gehorsam des Glaubens zu leisten. Im Glauben überantwortet sich der Mensch an Gott in freier Entscheidung. Die Kirche drückt es aus mit dem Worte: „Der Glaube ist heilsnotwendig.“ Nun unterscheidet die Theologie eine doppelte Notwendigkeit: die Gebotsnotwendigkeit und die Mittelnotwendigkeit. Die Gebotsnotwendigkeit besteht darin, dass Gott etwas befohlen hat und dass wir es tun müssen. Sie ist eine sittliche Nötigung, die jeder Pflicht anhaftet. Von der Gebotsnotwendigkeit verschieden ist die Mittelnotwendigkeit. Hier wird eine Pflicht statuiert, die sich aus der Natur der Sache ergibt. Eine Notwendigkeit, die aus der notwendigen Beziehung zwischen Mittel und Ziel sich ergibt. Das Müssen, das hier vorliegt, ist kein bloßes Sollen, sondern eine innere Notwendigkeit. Und deswegen gilt es auch für diejenigen, die des Vernunftgebrauchs nicht fähig sind. Der Glaube ist ein solches innerlich notwendiges Mittel zum Heile. Es gibt eine Mittelnotwendigkeit des Glaubens. Die Heilige Schrift schreibt den Glauben vor nicht nur in der Form eines Gebotes, sondern sie stellt ihn dar als eine notwendige Bedingung für den Gnadenstand. Vor allem bei Paulus geht aus zahlreichen Stellen in seinen Briefen hervor, dass der Glaube die Grundlage des Heiles ist. Die Rechtfertigung, also die Befreiung von der Sünde, entsteht aus dem Glauben, mittels des Glaubens. Sie ruht auf dem Glauben. Im Hebräerbrief steht der bedeutsame Satz: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ Die Notwendigkeit ist eine solche der unbedingten Pflicht. Die Väter der Kirche haben diese Lehre aus dem Neuen Testament aufgenommen. Die Christen nannten sich die „Gläubigen“ – fideles, weil sie eben den Glauben als Grundlage ihrer Existenz ansahen. Und das Wort „Glaube“ bezeichnet auch nicht nur die Tugend des Glaubens oder den Akt des Glaubens, sondern auch den Inhalt. Der Glaube ist auch die inhaltliche Fassung dessen, was die Offenbarung enthält. Der Glaube ist also innerlich notwendig, nicht nur weil Gott ihn geboten hat, sondern weil durch die übernatürliche Zielbestimmung der Mensch dieses Mittel ergreifen muss, wenn er zum Ziele gelangen will. Deswegen hat auch das Konzil von Trient erklärt: „Der Glaube ist der Anfang des menschlichen Heiles, Grundlage und Wurzel jeglicher Rechtfertigung. Ohne ihn ist es unmöglich, Gott zu gefallen und zur Gemeinschaft seiner Söhne zu gelangen.“ Das Erste Vatikanische Konzil hat diese Definition aufgenommen und hinzugefügt: „Da es ohne Glauben unmöglich ist, Gott zu gefallen und zur Gemeinschaft seiner Söhne zu gelangen, so fand keiner jemals ohne diesen Glauben die Rechtfertigung. Und keiner wird je das ewige Leben erreichen, wenn er nicht in diesem Glauben ausharrt bis zum Ende.“ Die Berufung zum Heil muss eben vom Menschen dankbar anerkannt und gewürdigt werden. Er muss das Heil im Glauben ergreifen. Ohne den Glauben fehlt die notwendige Bedingung für die Zueignung des Heiles.

Nun stellt sich die Frage: Ja, wieviel muss man denn glauben? Was muss man denn glauben? Welches ist der Umfang des heilsnotwendigen Glaubens? Die Antwort lautet: Man muss, wenn man das Heil erreichen will, wenigstens glauben, dass Gott der Herr und Seligmacher ist. Im Hebräerbrief steht es eindeutig: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Wer zu Gott hinzutritt, muss glauben, dass er „ist“ und dass er denen, die ihn suchen, Belohner wird.“ Zwei entscheidende Wahrheiten: Existenz Gottes und richterliche Funktion Gottes; Gott als Urgrund und Ziel des Menschen. Die Heiden, die vor Christus gelebt haben, wurden – nach dem heiligen Thomas – nur gerettet, wenn sie den Glauben hatten. Aber welchen Glauben? Sie kannten ja den Erlöser nicht; er war ja noch nicht gekommen. Sie wurden, so sagt Thomas, „nicht gerettet, ohne den Glauben an den Mittler“. Sie hatten zwar keinen ausdrücklichen Glauben, aber sie hatten einschlussweise einen Glauben an die göttliche Vorsehung. Dieser einschlussweise Glaube an die göttliche Vorsehung hat, wenn sie überhaupt gerettet wurden, sie gerettet. Diese Wahrheit, meine lieben Freunde, wird bekräftigt durch das Wesen Jesu Christi. Gott will das Heil aller Menschen. Und so schickt er seinen Sohn als den Heiland der Welt, also der Gesamtheit der Wirklichkeit, außer Gott. Er ist das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt. Er ist das Licht der Welt.

Aber da erhebt sich die Frage: Was ist mit den Menschen, die Christus nicht kennen? Die sich also nicht im Glauben an ihn richten können? Können Menschen, die keine Kenntnis von Christus und der Offenbarung hatten, können auch sie durch den Glauben gerettet werden? Was ist das für ein Glaube? Eines ist sicher: Gott schenkt den ungetauften, noch nicht von der christlichen Verkündigung erreichten Erwachsenen die wahrhaft hinreichende Gnade – die wahrhaft hinreichende Gnade –, die also ausreicht, dass sie das Heil gewinnen. Sie sind nicht ohne Gnade. Gott lässt keinen Menschen ohne Gnade. Und er gibt auch den Menschen ohne Christus die hinreichende Gnade. Wozu? Dazu, dass sie gerettet werden. Aber wie? Wie werden diese, von der Glaubensbotschaft nicht erreichten Menschen gerettet, wenn zur Rettung der Glaube unerlässlich ist? Das entzieht sich unserer Kenntnis. Aber auch für sie geht der Weg über Christus zum Vater. Christus ist ja das Haupt des Alls, und wir feiern ihn heute als den „König des Alls“. Er ist auch ihr Haupt. Wenn immer sie das Heil erlangen, gewinnen auch sie es durch Christus. Denn in keinem anderen ist Heil. Das Zweite Vatikanische Konzil hat versucht, in dieses Dunkel Licht zu bringen. Es spricht davon, dass Gott Menschen, die das Evangelium ohne ihre Schuld nicht kennen, auf Wegen, die ihm bekannt sind – auf Wegen, die ihm (Gott) bekannt sind –, zum Glauben führen kann, ohne den es unmöglich ist, ihm zu gefallen. Das Konzil hält fest: „Es ist ohne Glauben unmöglich ist, Gott zu gefallen.“ Aber es ist überzeugt, dass auch die Menschen ohne Christus in irgendeiner Weise zum Glauben geführt werden. An einer anderen Stelle wird dasselbe noch einmal gelehrt: „Wer das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen.“ – Jetzt ist das Stichwort gefallen: das Gewissen. – Wer ohne Kenntnis Christi und der Offenbarung nach seinem Gewissen handelt, nach der Stimme Gottes in seinem Innern, der kann gerettet werden. Wenn sich die gutwilligen Ungetauften von ihrem Gewissen leiten lassen, werden sie durch Christus des Heiles teilhaftig. Das hat schon im 19. Jahrhundert Papst Pius IX gelehrt. Er erklärte: „Die schuldlos Irrenden, d.h. jene, die sich in einem unüberwindlichen Irrtum befinden, werden des Heiles nicht verlustig gehen.“ Sie haben zwar nicht den christlichen Glauben, aber sie haben einen Ersatz. Und ich möchte ihn nennen: den „Begierdeglauben“ oder den „Sehnsuchtsglauben“. An die Stelle des Glaubens tritt bei ihnen das Verlangen nach diesem Glauben, der in dem Gehorsam gegen den Spruch des Gewissens eingeschlossen ist. Und das ist in der Kirche ein bekannter Topos. Wir kennen die Begierdetaufe: Wer nicht zur Taufe kommen kann, aus irgendwelchen Gründen, aber die Sehnsucht danach hat, der wird durch die Begierdetaufe gerechtfertigt. Wir kennen die Bluttaufe: Taufbewerber, die das Martyrium erleiden, werden durch das Martyrium gerechtfertigt. Und so ist es also auch beim Glauben: Es gibt einen Begierde-, einen Sehnsuchtsglauben; einen Glauben dem Verlangen nach, der sich in dem Gehorsam gegen das von Gott geleitete Gewissen kundtut. Und dieser Glaube verschafft ihnen das Heil.

Aber jetzt gibt es noch eine weitere Frage: Wir sprachen von denen, die die Offenbarung nicht kennen. Wie ist es um die Menschen bestellt, die Gott nicht kennen? Können die Menschen, die in Unkenntnis Gottes leben, durch den Glauben gerettet werden? Auch hier geht die theologische Überlegung vom allgemeinen Heilswillen Gottes aus. Sie erklärt: Die Anhänger der großen Sittlichkeitssysteme Asiens: Buddhismus, Hinduismus, Schintoismus – diese Systeme sind höchstwahrscheinlich atheistisch; der Buddhismus ist keine Religion, die einen persönlichen Gott kennt – also die Anhänger dieser großen Sittlichkeitssysteme Asiens darf man von der Möglichkeit des rechtfertigen Glaubens nicht ausschließen. Wenn sie die Macht des ihrer Verfügung entzogenen Gewissens anerkennen, erkennen sie den im Gewissen sich ankündigenden Gott an. Ich wiederhole diesen wichtigen Satz: Wenn sie die Macht des ihrer Verfügung entzogenen Gewissens anerkennen, erkennen sie den im Gewissen sich ankündigenden Gott an. Sie leben zwar im Irrtum bezüglich der Wirklichkeit Gottes, aber sie haben eine gläubige Gesinnung gegenüber dem Heiligen, das nichts anderes ist als der persönliche Gott. Und deswegen erklärt das Zweite Vatikanische Konzil mit Recht: „Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum Heil Notwendige nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, jedoch, nicht ohne die Hilfe der göttlichen Gnade, das rechte Leben zu erreichen suchen.“ Auch hier tritt also für den tatsächlich fehlenden Glauben das Gewissen – oder besser – der Gehorsam gegen das Gewissen ein. Meine lieben Freunde, diese Aussagen über die Heilsmöglichkeit der Nichtglaubenden sind keine verbindliche Lehren. Sie sind kein Dogma. Sondern das theologische Nachdenken hat sich damit befasst und aus dem allgemeinen Heilswillen Gottes und in Analogie zur Begierdetaufe und in Analogie auch zur Zugehörigkeit zur Kirche dem Verlangen nach diese Vorstellung entwickelt. Ich nenne diese Erscheinung „Begierdeglaube“ – ich habe den Ausdruck noch nirgends gefunden, er ist eine Erfindung von mir. Ich hoffe, dass er nicht falsch ist. Begierdetaufe gibt es, Kirchengliedschaft dem Verlangen nach gibt es, daher – so scheint mir – muss es auch einen „Begierdeglauben“ geben. Die für denkbar gehaltene Heilsmöglichkeit ist natürlich nicht zu verwechseln mit der Verwirklichung des Heils. Ob Nichtglaubende gerettet werden, wie viele es sind, ist uns verschlossen. Wir haben darüber keine irgendwie geartete Offenbarung. Also über die Heilswirklichkeit ist für diese Menschen, die die Offenbarung nicht kennen, die Gott nicht kennen, nichts ausgesagt. Wir wissen aber sicher – und das ist ein Dogma: Wer glaubt, wer getauft wird, wer der Kirche angehört, wer im Glauben verharrt bis zum Ende, der wird gerettet werden.

Nun ist immer wieder gefragt worden: Wieviel muss man denn (als Christ) glauben, um der positiven Verpflichtung zum Glauben Genüge zu leisten? Welches Maß des Glaubens ist denn für die Gebotsnotwendigkeit des Glaubens erforderlich? Zunächst einmal ist sicher: Wenn Gott sich offenbart, wenn er seinen Heiland auf die Erde schickt, dann will er, dass diese Offenbarung angenommen wird, dass die Menschen sich dem Heiland zuwenden. In der Offenbarung selbst liegt das Gebot, sie anzunehmen. Aber wieviel von dieser Offenbarung muss man kennen, um zum Heil zu gelangen? Wie weit reicht die notwendige Kenntnis der Glaubenslehre? Nun, die Theologen, die sich damit befasst haben, sagen im Allgemeinen: Man wird nicht mehr verlangen können als die Kenntnis des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Wer dieses Bekenntnis kennt und die darin enthaltenen Wahrheiten annimmt, der besitzt das Minimum dessen, was ein Christ für sein Heil an Glaubenswissen besitzen muss. Manche fügen dazu noch die Zehn Gebote, das Vaterunser und die von allen zu empfangenden Sakramente, also Taufe, Buße, Eucharistie und die Heilige Messe. Niemand sollte sich mit dem Minimum begnügen. Wenn Menschen von uns Rechenschaft über unseren Glauben fordern, müssen wir imstande sein, sie abzulegen. Wir sind aber dazu nur fähig, wenn wir genügendes Glaubenswissen haben. Deswegen bitte ich Sie immer wieder, meine lieben Freunde, suchen Sie Ihren Glauben zu erweitern, zu vertiefen, zu durchdringen. Es gibt genügend Hilfsmittel, vor allem den großen Weltkatechismus, es gibt genügend Hilfsmittel, um in diesen Glauben einzudringen und sich das Wissen zu verschaffen, dem unsere Feinde nicht widerstehen können. Wir müssen auch immer wieder den Glaubensakt in uns erwecken. „O Herr, ich glaube alles, was du geoffenbart hast und durch deine Kirche mir zu glauben vorstellst, weil du der wahrhaftige Gott bist. Vermehre, o Gott, meinen Glauben.“ Das nennt man den Glauben erwecken. Also in sich immer wieder die Glaubensbereitschaft, die Glaubenswilligkeit und die Glaubensfreude erwecken.

Einmal kam zu Jesus ein Mann und sagte zu ihm: „Meister, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht. Er ist besessen von einem stummen Geist. Wenn er ihn überfällt, wirft er ihn hin und her, dann schäumt er, knirscht mit den Zähnen und fällt in Erstarrung. Ich sagte zu deinen Jüngern, sie sollten ihn austreiben, aber sie vermochten es nicht.“ Da antwortete Jesus: „O Du ungläubiges Geschlecht. Wie lange noch soll ich bei euch sein, wie lange noch euch ertragen?“ Dann befahl er: „Bringt ihn her zu mir!“ Und sie brachten ihn zu ihm. Sogleich, bei seinem Anblick, schüttelte ihn der Geist – vermutlich eine Art Epilepsie würden wir sagen – schüttelte ihn der Geist, riss ihn auf die Erde, der Kranke schäumte und wälzte sich. Da fragte Jesus den Vater: „Wie lange ist es her, dass ihm das widerfährt?“ Da sagte der Vater: „Seit seiner Kindheit. Wenn du etwas vermagst, so habe Erbarmen mit mir und mit ihm und hilf uns.“ Da wurde Jesus fast erzürnt: „Was soll das heißen ‚Wenn du etwas vermagst‘? Alles ist möglich dem, der glaubt!“ Gleich stöhnte der Vater des besessenen Knaben auf und rief: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Das ist ein Gebet für uns, meine lieben Freunde: Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Wir sind gläubig, und wir wollen es sein, aber wir spüren auch das Ungenügen. Wir spüren, dass unser Glauben auch gefährdet ist, dass er bedroht ist, dass uns Dunkelheiten bleiben. Deswegen empfehle ich Ihnen, meine lieben Freunde: Beten Sie oft und oft wie der Vater des besessenen Knaben: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.“

Amen.

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