Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Juli 2013

Todesstrafe, Notwehr und Krieg

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der chinesische Eisenbahnminister ist zum Tode verurteilt worden. Er hat sich in seiner Amtsführung bestechen lassen, hat Ämter verkauft, hat ein unbeschreibliches Wohlleben geführt. Vierunddreißig Wohnungen, achtzehn Konkubinen, ein eigenes Hotel. Das alles hat er sich während seiner Amtszeit angeschafft. Acht Millionen Euro umgerechnet sind in seinen Besitz übergegangen. Dieses Todesurteil, das auf Bewährung ausgesetzt wurde, ruft in uns den Entschluß wach, über das Gebot „Du sollst nicht töten“ nachzudenken. Die Frage lautet: Ist die Todesstrafe erlaubt? Darf der Staat Menschen vom Leben in den Tod befördern?

Was ist eine Strafe? Eine Strafe ist ein Übel, das jemandem auferlegt wird, weil er eine mißbilligte Handlung gesetzt hat. Strafen entziehen dem Menschen einen Gut, die lustvolle Bewegung bei der Freiheitsstrafe, Besitz bei der Geldstrafe. Die Bewegung und die Ernährung werden eingeschränkt. In manchen Ländern waren und sind vielleicht noch verstümmelnde Strafen üblich. Bis vor einiger Zeit war es in Saudi-Arabien Gesetz, dass einem Dieb die rechte Hand abgehackt wurde. Wir fragen: „Ist die Todesstrafe erlaubt?“ Nun, wenn wir in die Heilige Schrift schauen, finden wir Judizialvorschriften im Alten Bunde, die auf mannigfache Vergehen die Todesstrafe setzen: Mord, Gotteslästerei, Abgötterei, schwere Unzucht. Vor allem wird grundsätzlich für Mord die Todesstrafe festgesetzt. Wer das Blut eines Menschen vergießt, dessen Blut muss vergossen werden. Die Todesstrafe diente im Alten Bund dazu, das Volk Gottes rein zu halten, indem der Missetäter ausgegrenzt wurde, beseitigt wurde. Es sollte das heilige Volk als solches bewahrt, vor dem göttlichen Zorne bewahrt werden. Das Neue Testament schätzt Liebe und Milde hoch. Aber im Neuen Testament steht auch: „Die Obrigkeit besitzt das Schwert“, und das Schwert ist die Waffe, mit der Menschen hingerichtet werden. Die Kirche hat Bedenken gegen die Todesstrafe bei einzelnen Kirchenvätern hingenommen. Aber im Ganzen bezeugen hervorragende Lehrer der Kirche die Erlaubtheit der Todesstrafe. Um nur zwei der Heiligen zu nennen: Augustinus und Thomas von Aquin. Die Erlaubtheit der Todesstrafe besagt nicht, dass sie festgelegt werden muß. Sie besagt auch nicht, dass sie, wenn sie festgelegt ist, tatsächlich verhängt werden muss. Und sie besagt schließlich auch nicht, dass die verhängte Todesstrafe vollstreckt werden muss. In der staatlichen Rechtspflege nimmt seit ältester Zeit die Todesstrafe eine unbestrittene und wichtige Stellung ein. Die ältere Rechtsphilosophie ist einmütig in der Anerkennung der Notwendigkeit dieser Strafe. Erst in der Aufklärungszeit mit ihrer individualistischen Ethik, mit ihrer Diesseitsethik tauchten Einsprüche gegen die Todesstrafe auf. Im Jahre 1764 hat der italienische Rechtsphilosoph Beccaria ein Buch geschrieben, in dem er die Todesstrafe grundsätzlich ablehnt. Er hat viele Nachfolger gefunden. Aber die beiden, die man als die größten deutschen Philosophen ansieht, Hegel und Kant, sind ohne Zögern immer für die Todesstrafe eingetreten. Kant ging nicht von dem Grundsatz ab: „Wer gemordet hat, muss sterben.“ Er schreibt einmal: „Selbst wenn die bürgerliche Gesellschaft sich auflöste, müsste der letzte im Gefängnis befindliche Verbrecher vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat.“ Nun, im Artikel 102 unseres Grundgesetzes steht der Satz: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ In anderen Ländern besteht sie noch. Nach einer Umfrage bejahen Zweidrittel der Amerikaner die Todesstrafe.

Die Strafe hat mehrere Zwecke. Man nennt die Vergeltung für das angetane Unrecht, die Sicherung der Bevölkerung vor dem Täter, die Abschreckung und die Besserung. Der Rechtsgrund für die Todesstrafe liegt in der sittlichen Notwendigkeit, der öffentlichen Wohlfahrt. Nach dem Urteil vieler Staatsmänner, vieler Völker, vieler Rechtsordnungen ist die Todesstrafe notwendig als Ultima Ratio, als letztes Mittel zur Ausschaltung von Verbrechern. Die Todesstrafe kann nur ein letztes und furchtbares Mittel sein, eine Waffe gegen äußerste Verbrechen. Es muss deswegen immer ernstlich geprüft werden, ob die öffentliche Sicherheit tatsächlich die Todesstrafe verlangt oder ob sie nicht ersetzt werden kann durch andere Strafmittel. Aber das ändert nichts daran, dass die Kirche die Todesstrafe nach wie vor grundsätzlich für erlaubt hält. Dem Reichspräsidenten Hindenburg hielt jemand vor, ob er schon einmal bei einer Hinrichtung dabeigewesen sei. Hindenburg fragte den Betreffenden: „Ja waren Sie schon einmal dabei, als einer ermordet wurde?“

In Wien hat dieser Tage ein Juwelier einen Räuber erschossen. Drei Männer drangen in sein Geschäft ein und bedrohten ihn und seine Frau. Er richtete die Waffe auf einen, traf ihn und dieser brach tot zusammen. Das nennt man „Notwehr“. Notwehr ist die Anwendung von Gewalt bis zur Verletzung von Leib und Leben aufgrund einer durch den Angriff geschaffenen Notlage. Der Angriff muss widerrechtlich und gegenwärtig sein. Und die Gegenwehr muss sich auf die Verteidigung der eigenen Person und ihres Rechts beschränken. Sie darf nur solche Mittel anwenden, die im Verhältnis stehen zu der Größe der Gefahr und die zu ihrer Beseitigung notwendig sind. Die Notwehr ist auch gestattet zur Verteidigung eines Dritten. Eine schwere Verletzung oder eine Tötung des Angreifers ist nur erlaubt, wenn hohe Güter auf dem Spiel stehen, also das Leben, die geschlechtliche Integrität, ein großes Vermögensgut. Wenn wir die Heilige Schrift befragen, erhalten wir im Alten Testament die Antwort: „Wird der Dieb (des Nachts) beim Einbruch ertappt und totgeschlagen, so entsteht gegenüber ihm keine Blutschuld.“ Hier wird also die Notwehr gerechtfertigt bei einem nächtlichen Diebstahl. Das Neue Testament spricht anders. „Reiche dem, der dir auf die linke Wange schlägt, die rechte hin.“ Diese Äußerung des Herrn will besagen, dass wir großmütig und verzeihend sein und lieber Unrecht erleiden als Unrecht selber verrichten sollen. Aber die Kirche hat immer anerkannt, dass diese Aufforderung des Herrn die Ausübung der natürlichen Rechte der Selbstliebe und der Selbstverteidigung nicht zur Sünde stempelt. Die Kirche hat also die Notwehr allgemein anerkannt. Der Mensch darf sich selbst behaupten, er darf sich in berechtigter Selbstliebe wehren, eventuell bis zur Tötung des Angreifers. Dieser tritt aus der Rechtsordnung heraus, er schafft einen Konflikt, und in diesem Konflikt darf das eigene Leben vor das Leben des anderen gesetzt werden. Freilich wird man zur Begründung der berechtigten Notwehr die Wohlfahrt und die Sicherheit der Gesellschaft heranziehen müssen. Wenn der Einbrecher unverletzt bliebe, wenn man sich darauf verlassen könnte, es geschieht mir nichts, dann würden vermutlich Einbrecher und Mörder noch mehr Freiraum haben als sie jetzt schon besitzen. Es muss eine naturrechtliche Bevollmächtigung geben, um sich gegen Angreifer zu wehren. Im Jahre 1532 wurde das erste deutsche Strafgesetzbuch veröffentlicht, in Regensburg unter Karl V., die sogenannte Carolina. In diesem Gesetzbuch heißt es im Artikel 140: „Und so er also den Benötiger entleibt, er ist darum nicht schuldig.“ Hier wird die Tötung in Notwehr als berechtigt anerkannt. In unserem Bürgerlichen Gesetzbuch sagt es der Paragraph 227: „Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht widerrechtlich. Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren.“ Das Strafgesetzbuch wiederholt das noch einmal im Paragraphen 32: „Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.“ Wir müssen allerdings hier bemerken, dass Notwehr erlaubt, nicht pflichtmäßig ist. Man kann auch auf Notwehr verzichten. In jedem Falle hat die Kirche unveränderlich daran festgehalten, dass Notwehr gestattet ist und dass sie, wenn es erforderlich scheint, bis zur Tötung des Angreifers schreiten kann.

Den schärfsten Gegensatz gegen das 5. Gebot scheint der Krieg zu bieten. Unter Krieg versteht man den blutigen Machtkampf zweier oder mehrerer Staaten. Nur Staaten, nur Gemeinwesen können Krieg führen. Die Kirche hat die Lehre vom gerechten Krieg entwickelt. Der hl. Thomas von Aquin fordert für den gerechten Krieg drei Elemente: 1. die rechtmäßige Autorität, 2. den gerechten Grund und 3. die rechte Absicht. Aber die Kirche sagt auch immer: Selbst der gerechte Krieg ist nur ein notwendiges Übel, eine Wunde der christlichen Weltordnung. Er darf nur Mittel der Selbstverteidigung gegen schweres Unrecht und für lebenswichtige Güter sein. Er darf nur als letztes Mittel angewendet werden, wenn alle friedlichen Mittel erschöpft sind und wenn keine übergeordnete Instanz vorhanden ist, die das Unrecht aus der Welt schaffen kann. Es ist auch immer das erfahrene Unrecht gegen die durch den Krieg verursachten Schäden abzuwägen. Heute ist die Frage, ob es angesichts der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen überhaupt noch einen gerechten Krieg geben kann. Man unterscheidet den Verteidigungskrieg und den Angriffskrieg. Der Verteidigungskrieg ist Notwehr, Notwehr eines Volkes gegen einen ungerechten Angriff. Verteidigung seiner Existenz, seiner Güter und seiner Rechte gegen einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriffskrieg. Der Angriffskrieg kann die physische Selbsthilfe eines Staates zur Erzwingung begründeter Rechte und Forderungen oder auch zur Bestrafung geschehener Rechtsverletzungen sein. Sie alle haben einen solchen Angriffskrieg vor einigen Jahren erlebt, nämlich den Angriffskrieg der Engländer auf die Falklandinseln, die von Argentinien besetzt waren. Manche propagieren den Pazifismus. Pazifismus ist die grundsätzliche Ablehnung des Waffengebrauches durch eine Nation. Das ist nicht die Lehre der Kirche. Die Kirche weiß, dass die Wehrlosigkeit die Erpressung ermutigt und die Überwältigung provoziert. Der Pazifismus kann in den Frieden durch absolute Gewalt umschlagen. Ausnahmsweise könnte man hier mit Lenin sagen: „Pazifismus ist Unsinn.“ Der Verteidigungskrieg gründet, wie gesagt, in dem Recht der Notwehr. Dieses Recht steht nicht nur den Individuen zu, sondern auch den Staaten. So lange keine ordentliche Rechtspflege durch übergeordnete Institutionen vorhanden ist, so lange muss es möglich sein, einen Angreifer zurückzuschlagen. Freilich darf die Verteidigung in Absicht und angewandten Mitteln nicht über das zur Abwehr Notwendige hinausgehen. Ihr Ziel kann nur Friede und Gerechtigkeit sein, aber niemals Rache, Bestrafung oder gar totale Vernichtung des Gegners. Angriffskrieg kann gerechtfertigt sein durch verweigerte Erfüllung der Rechtsforderung. Die Engländer waren der Meinung, dass ihr Falklandkrieg gerechtfertigt sei, weil Argentinien die angeblich ihnen gehörenden Inseln besetzt hatte.

Meine lieben Freunde, „Du sollst nicht töten“, so heißt das Gebot im Dekalog. Todesstrafe, Notwehr, Krieg stehen scheinbar diesem Prinzip entgegen, aber ich habe versucht, Ihnen klarzumachen, dass sie von dem Gebot nicht erfasst werden, dass das Gebot „Du sollst nicht töten“ weder die Notwehr noch die Todesstrafe noch den gerechten Abwehrkrieg ausschließt. Die Grundsätze sind von christlichen Denkern entwickelt worden. Sie haben sich dabei, soweit es möglich war, auf die Heilige Schrift berufen. Sie haben aber auch das sittliche Naturgesetz angerufen. Man darf annehmen, dass der Heilige Geist in den zweitausend Jahren der Kirchengeschichte die Kirche bei ihrem Bemühen um ein gottgewolltes Verständnis des Gebotes „Du sollst nicht töten“ nicht im Stich gelassen hat. Wir dürfen uns auf die von der Kirche anerkannten Grundsätze über Todesstrafe, Notwehr und Krieg verlassen. Dabei erinnern wir uns daran, dass die Anwendung von Gewalt in vielen Fällen nicht pflichtmäßig, sondern nur erlaubt ist. Wir denken auch an die Frage, die Paulus an die Korinther richtet: „Es ist überhaupt schon ein Makel für euch, dass ihr untereinander Händel habt. Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun?“

Amen.

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