Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
5. November 2006

Das himmlische Leben der Heiligen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es gibt viele Dinge, die die katholische Kirche anderen Religionsgemeinschaften voraus hat. Aber eine der schönsten Perlen, die sie besitzt, ist die Heiligenverehrung. Wir verehren die Menschen, die in Gott hineingelebt haben und die in Gott hinein gestorben sind und die jetzt bei Gott in der Himmelsherrlichkeit sich freuen eine Ewigkeit. Wir nennen sie unsere Patrone, und dieses Wort schließt zweierlei ein, einmal, dass sie unsere Vorbilder sind, zum anderen, dass wir sie als unsere Fürsprecher anrufen. Unsere Vorbilder sind sie, wie sie auf Erden gewandelt sind, und wir haben am Fest Allerheiligen über die Heiligen auf Erden nachgedacht. Heute betrachten wir sie, wie sie im Himmel sind. Wir sehen also auf ihre himmlische Herrlichkeit: die Heiligen im Himmel.

Sie sind die ganz nahen und uns verbundenen Menschen, die auch jetzt noch unserer besten Freunde und stärksten Helfer sind. Und das ist merkwürdig, denn sie sind doch von uns gegangen. Sie sind doch in das große Schweigen eingegangen, in das weit entfernte Land des Jenseits, wo alles ganz anders ist, wo Raum und Zeit und unsere Vorstellungen versagen. Im allgemeinen ist es tatsächlich so: Die Gestorbenen sind uns entrückt, sie sind weit von uns entfernt. Und wenn sie auch in diesem Leben groß waren, in der Zeit nach ihrem Tode sind ihre Namen leer und schal geworden. Was bedeuten uns persönlich Männer wie Alexander der Große oder Napoleon oder die vielen, deren Namen in Mausoleen und Museen zu finden sind? Aber bei den Heiligen ist es anders. Sie sind von Gott zu Gott gegangen, von einem gotterfüllten Erdenleben zu einem gottseligen Himmelsleben. Von ihnen wissen wir, dass sie Liebhaber der Brüder sind und viel beten für das Volk und die ganze heilige Stadt und auch für die unheiligen Städte dieser Erde. Sie sind uns näher als selbst lebendige Menschen, so dass wir mit ihnen über Dinge reden, die wir keinem irdischen Menschen anvertrauen mögen, dass wir ihnen Leid und Freude in die Hände legen, die wir vielleicht vor den nächsten Verwandten verheimlichen möchten.

Eine kleine, früh verstorbene Klosterfrau, Theresia von Lisieux, ist für Millionen Menschen eine Freundin und eine liebe Gefährtin geworden. Ein Franziskanermönch, der vor vielen Jahrhunderten gelebt hat, ist zu einem Patron geworden, zu dem hundertmal, tausendmal, millionenfach der Ruf emporsteigt: „Heiliger Antonius, bitte für uns!“ Und was soll ich sagen von jener Frau, die auf dem Höhepunkt ihres Lebens auf Golgotha stand neben dem Kreuz ihres Sohnes? Diese Frau ist nicht nur die Hochgebendeite und die Zierde des ganzen weiblichen Geschlechtes, sie ist nicht nur das hinreißende Vorbild aller fraulichen Schönheit und aller mütterlichen Liebe. Nein, sie ist unsere Mutter geworden, unsere Mutter, Mutter aller Jünger Christi, Mutter der Christenheit. Und in diesem Augenblick, da wir von ihr sprechen, geht millionenfach der Gruß zu ihr empor: „Ave Maria – Sei gegrüßt, Maria“, und zahllose Male wird der Name Mutter mit einer Inbrunst, mit einer Hoffnung, mit einem Vertrauen ihr zugerufen, wie es sonst keine Mutter auf Erden zu hören bekommt.

Das ist das Wunder der Gemeinschaft, das sich da endlich ereignet hat, das Wunder der Gemeinschaft, das wir so heiß ersehnen und doch so selten finden. Da haben wir endlich Menschen, zu denen wir aufsehen, die wir verehren, und zwar neidlos und liebevoll verehren können. Sie sind größer und herrlicher als wir. Sie haben ein Glück gefunden, das wir ihnen gönnen, und wir vertrauen ihnen und rufen zu ihnen um ihr Gebet, um ihren Beistand, um ihre Führung. Wir rufen nicht mit lauten Forderungen, als ob wir ein Recht hätten. Nein, sondern bescheiden und fast schüchtern. Und wenn unsere Bitten einmal nicht wortwörtlich erhört werden, dann wissen wir: Du Heiliger, du weißt besser als ich, was für mich gut ist. Wir wollen diese Menschen auch nicht mit Beschlag belegen, wie wir es sonst mit Menschen machen, die uns ganz gehören sollen und die wir niemand anderem gönnen. Nein, die Liebe der Gottesmutter und die Liebe aller Heiligen ist wie ein weiter Mantel, der die ganze Welt deckt. Wir wissen das, und wir sind einverstanden. Das ist Gemeinschaft. Und sie besteht auch auf seiten der Heiligen, denn sie lieben uns, sie sind für uns tätig, sie sind voll Wohlwollen und voll Selbstlosigkeit für uns besorgt, Freunde, die uns nicht ausnützen wollen. Denn was könnten wir ihnen nützen? Wir sind für sie nutzlose Geschöpfe. Sie sind ganz anders als die Menschen, die uns nur brauchen und verbrauchen wollen. Es gibt also doch schon dieses Wunder der Gemeinschaft, diese Communio Sanctorum, das Zusammensein der Heiligen untereinander und mit uns.

Gemeinschaft ist aber etwas sehr Seltenes, so dass wir in unseren Häusern, in unseren Ehen, in unseren Familien, in unseren Freundschaften, in unserem Volksleben oft vergeblich nach dieser Gemeinschaft suchen und uns sehnen. Und nun ist einmal die Gemeinschaft da. Auf einmal ist die Gemeinschaft da mit Menschen, die wir mit körperlichen Augen nicht mehr sehen können, weil der Tod sich zwischen uns und sie gestellt hat. Ist das vielleicht der Grund, dass es da so eine Gemeinschaft gibt? Muss erst der Tod uns trennen, damit wir Beziehungen, herzliche Beziehungen zwischen uns aufbauen können? Nein, meine lieben Freunde, nicht weil die Heiligen im Jenseits sind, ist eine Gemeinschaft mit ihnen möglich, sondern weil sie in Gott sind. Und darum ist die Gemeinschaft mit ihnen möglich. Weil wir sie in Gott treffen, weil sie von einem gotterfüllten Erdenleben zu einem gottseligen Himmelsleben gegangen sind. Deswegen gibt es Gemeinschaft mit ihnen. Und so ist eine Gemeinschaft möglich mit allen Menschen, die in Gott sind, und die deswegen auch gut und selbstlos sind. Auch unter Ehegatten, auch unter Eltern und Kindern, auch unter Geschwistern, auch unter Freunden ist eine solche Gemeinschaft möglich, wenn sie alle so zueinander sprechen und so übereinander und voneinander denken wollten, wie wir von den Heiligen sprechen und wie wir mit den Heiligen zusammenleben, wenn sie so zueinander sein wollten, wie die Heiligen zu uns sind, nämlich gütig, selbstlos, verstehend, neidlos, verzeihend, nachsichtig, ja wenn das wäre.

Wir wollen nicht trauern, bis dieses Wenn einmal in Erfüllung geht, das wird noch lange dauern, sondern wir wollen uns freuen, dass es doch schon Menschen gibt, die ganz gut sind und die zu uns Menschen ebenfalls ganz gut sind. Es gibt doch schon eine Gemeinschaft, die auf Erden besteht und in den Himmel reicht, einen Kuppelbau, der von der Erde bis in den Himmel hineinragt, und die darunter wohnen, sind ein Herz und eine Seele geworden. Selig, die in deinem Hause wohnen, o Herr. Es ist dein Haus, und in Ewigkeit werden sie dir Dank sagen.

Amen.

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