Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Dezember 2009

„Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt“

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“ So spricht Johannes zu den Abgesandten aus Jerusalem. „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“ Das ist gesagt zu den führenden Leuten der Zeitgenossen Jesu. Sie waren gläubige und fromme Männer, aber sie verpassten den entscheidenden Augenblick, auf den es ankam, nämlich wo der Messias, der von Gott gesandte Erlöser, zu ihnen kommen wollte. Und deswegen die traurige Feststellung des Johannes: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“

Die Zeitgenossen Jesu meinten ihn zu kennen. „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria? Sind nicht seine Brüder Joses und Jakobus, Judas und Simon unter uns? Und leben nicht seine Schwestern bei uns? Woher hat er dies alles?“ So fragten sie. Sie kannten ihn, aber sie kannten nur seine irdische Gestalt. Sie kannten nicht seine himmlische Wesensart, und deswegen nahmen sie Anstoß an ihm. Der Herr hat die traurige Verblendung seiner Zeitgenossen wiederholt ausgesprochen. „Wenn es Abend wird, dann sagt ihr: Es wird schönes Wetter, denn der Himmel ist rot. Und wenn es Morgen ist, sagt ihr: Heute wird es stürmisch, denn es rötet sich trübe. Das Aussehen des Himmels wißt ihr zu deuten, aber in die Zeichen der Zeit könnt ihr euch nicht finden.“

Immer noch spricht Johannes zu den Juden von heute: „Ihr lest in eurem Talmud, Jesus sei von Maria im Ehebruch mit dem Pandera gezeugt. Das lest ihr in eurem Talmud. Darin lest ihr, Jesus habe Zauber ausgeübt und das Volk Israel aufgehetzt und verführt. Das lest ihr in eurem Talmud. Ihr kennt ihn nicht, der mitten unter euch steht.“ Das müßte Johannes den Juden von heute sagen. Noch immer gilt von ihnen das Wort: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf.“

Und was müßte er zu den Heiden sagen? Als Paulus nach Athen kam und die Stadt durchwanderte, da fand er einen Altar, auf dem stand geschrieben: „Dem unbekannten Gott.“ Die Athener waren gottgläubige Menschen oder besser götzengläubige Menschen. Sie hatten viele Götter. Sie ahnten, dass das Göttliche so reich ist, dass man es schwerlich in einem einzigen Namen ausdrücken kann. Und so hatten sie viele Götter erfunden, und eben auch einen unbekannten Gott, damit keiner ausgelassen würde. Aber auch von ihnen müßte Johannes sagen: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“

Die Atheisten von heute schicken einen Bus aus, auf dem geschrieben steht: „Es gibt wahrscheinlich keinen Gott.“ Aber es ist nicht wahr, dass die Atheisten Gottlose wären. Sie haben ihre Götter; es sind nur falsche Götter. Es sind die Geschlechtlichkeit oder das Geld oder die Macht. Das sind die Götter, hinter denen sie herlaufen. Auch von ihnen gilt das Wort: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“

Die Muslime geben vor, Gott zu kennen. Sie verehren ihn auf ihre Weise. Aber das Bild von Gott, das sie sich machen, ist unzulänglich und einseitig. Es ist eben ein von Menschen gemachtes Bild, und deswegen muss auch von ihnen gesagt werden: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“ In Bosnien leben Katholiken und Muslime zusammen. In Bosnien unterhielten sich ein Muslim und ein Christ über die Religion. Der Muslim spottete über den Christen, dass er die Hostie anbete. Der Christ gab ihm zur Antwort: „Ihr Muslime kennt nur Gottes Macht, ihr kennt nicht seine Liebe.“ Wahrhaftig, von ihnen gilt: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“ Die Muslime wissen von Christus, denn schließlich hat ja Mohammed auch aus christlichen Elementen seine Religion zusammengebastelt. Sie reden von Christus als dem Propheten, aber sie bestreiten seine göttliche Natur, sie leugnen seinen Sühnetod. Am Kreuze habe Simon von Cyrene gehangen, nicht Christus. Wenn Johannes heute käme, müßte er den Muslimen sagen: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“

Aber wie steht es um die Christen, meine lieben Freunde? Wie steht es mit denen, die sich nach Christus benennen? Wie steht es um die berufenen Künder des christlichen Glaubens, um die katholischen und protestantischen Theologen? Was lehren sie von Christus in ihrer Christologie? Immer wieder sind Christen der Versuchung erlegen, sich selbst ein Bild von Christus zu machen. Es kamen die Arianer. Sie sprachen Jesus, dem Gottessohn, das göttliche Wesen und die göttlichen Eigenschaften ab. Sie machten ihn zu einem Geschöpf Gottes, zu einem Hero, zu einer Art Halbgott. Ihnen mußte der römische Bischof sagen: „Ihr kennt den nicht, der mitten unter euch steht.“ Es kamen die Nestorianer. Sie nahmen zwei Personen in Christus an, eine menschliche und eine göttliche. Maria habe einen Menschen geboren, in dem Gott wohnt wie in einem Tempel. Ihnen mußte der römische Bischof sagen: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“

Und heute? Unter den Theologen gibt es eine breite Schicht, die vom geschichtlichen Jesus von Nazareth nichts wissen will. Ihnen ist es, wie sie sagen, nur um das Kerygma zu tun, um die Verkündigung. Die geschichtliche Gestalt Jesu interessiert sie nicht. „Christus dem Fleische nach geht uns nichts an. Wie es im Herzen Jesu ausgesehen hat, weiß ich nicht und will ich nicht wissen,“ sagt einer der berühmtesten evangelischen Theologen. Der amerikanische Theologe Burton Mack wurde gefragt: „Sie sind am historischen Christus nicht interessiert?“ Er antwortete: „Das stimmt. Wichtig ist für mich das frühe Christentum.“ Wir wissen schon, was er damit meint. Herr Mack interessiert sich nicht für den Heiland der Welt, sondern nur für jene Gemeinden, die nach seiner Meinung das Christentum zusammengebastelt haben. Von diesen Theologen gilt wahrlich das Wort: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“

Die Verkündigung von Jesus hängt in der Luft, wenn sie nicht durch das geschichtliche Wesen Jesu gedeckt ist. Die ersten Jünger Jesu, die Evangelisten, legten den größten Wert darauf, dass das, was sie verkündigen, wirklich geschehen ist. Im zweiten Petrusbrief heißt es: „Wir haben uns nicht an ausgeklügelte Fabeln gehalten, als wir euch die machtvolle Ankunft unseres Herrn Jesus verkündeten, sondern wir sind Augenzeugen seiner Herrlichkeit gewesen.“ Und der Apostel Johannes schreibt in seinem ersten Briefe: „Was wir gehört und mit eigenen Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände betastet haben, das bezeugen wir.“ Jesus, sein Leben, Reden und Wirken ist an bestimmtem Ort und zu bestimmter Zeit vor den Augen vieler Menschen geschehen. Geschichtlich sind seine Worte. Er hat am Gestade des Sees Genesareth, in der Synagoge von Nazareth, im Tempel von Jerusalem gelehrt. Geschichtlich sind seine Wunder, alle Wunder, nicht nur die Heilung des Gichtbrüchigen und der blutflüssigen Frau, sondern auch seine Totenerweckungen, auch seine Verwandlung von Wasser in Wein und seine Stillung des Seesturms. Geschichtlich ist das bittere Leiden und Sterben des Herrn, angefangen vom Ringen am Ölberg bis zum letzten Seufzer am Kreuze. Geschichtlich ist seine wunderbare Auferstehung. Der Evangelist Markus hebt mit Nachdruck die Worte hervor, die der Engel an die Frauen im Grabe Jesu richtete: „Erschreckt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden. Er ist nicht hier.“ Mit anderen Worten: Jener Mensch, der vor 48 Stunden am Kreuze gestorben ist, den ihr hier bestattet habt, er ist auferstanden, er ist nicht mehr hier.

Wenn Johannes der Täufer heute käme, müßte er vielen Theologen sagen: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“ Ihr gebt euch als Exegeten, als Erklärer der Heiligen Schrift, aus. Aber ihr versteht die Schrift nicht. Ihr betrachtet sie wie jedes andere Buch, wie einen Herodot oder wie Tacitus. Ihr tut so, als sei es ein Buch wie jedes andere und nicht das irrtumsfreie Zeugnis von dem, was Gott in Christus zu unserem Heil getan hat. Ihr bezeichnet euch als Dogmatiker, also als Lehrer des Glaubens. Aber ihr versteht nicht die Dogmen von Nizäa und von Chalcedon. Ihr behauptet, die Wahrheit sei durch die griechische Philosophie verfälscht worden, statt zu begreifen, dass nach dem Plane Gottes griechische Philosophen die Begriffe bereitgestellt hatten, die geeignet waren, das Wesen Jesu annähernd zu beschreiben, das Unsagbare einigermaßen aussagbar zu machen. Ihr nennt euch Pastoraltheologen, also Lehrer der Seelsorge. Aber ihr kennt nicht den obersten der Seelsorger, den Guten Hirten, der sein Leben gab für seine Schafe. Ihr begreift nicht, dass Seelsorge nur in der Wahrheit, nur im unverfälschten Glauben betrieben werden kann. Auch von ihnen gilt das Wort: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“

Es gibt ein versprengtes Jesuswort, meine lieben Freunde, ein Wort, das höchstwahrscheinlich von Jesus stammt, aber nicht in die Evangelien aufgenommen wurde, und dieses Wort lautet: „Die mit mir sind, haben mich nicht verstanden.“ Die mit mir sind, haben mich nicht verstanden. Nur der kennt Jesus, der sich von der Offenbarung Gottes, wie sie vom Lehramt der Kirche vorgelegt wird, belehren läßt. Man kann in einem richtigen Sinne sagen: Wir glauben an den römischen Christus, an den Christus, den uns der römische Bischof vorlegt.

Die Wahrheit des Christentums besteht darin, dass Jesus, der sich Messias nannte, wirklich der Messias gewesen ist, der Sohn Gottes, geboren vor aller Zeit, Träger des ewigen Lebens, das er jeden mitteilt, der an ihn glaubt. Ohne den Vater zu verlassen, kam Christus zu uns. Er trank an der Mutterbrust und trug das Weltall. Er lag in der Krippe und war die Himmelsspeise der Engel. Er war Gott und Mensch. Er nahm an, was er nicht hatte, und blieb, was er war. Er, der allen Nahrung gibt, hungerte. Er, der alle tränkt, dürstete. Er ward auf seiner Erdenwanderung müde, der sich selbst zum Weg zum Himmel gemacht hat. Die leibliche Geburt hat Jesus nichts von seiner Majestät entzogen, aber auch nichts hinzugefügt. Er blieb, was er war, aber er nahm an, was er nicht hatte. Genau so war es, genau so mußte es sein, denn war er nicht wahrer Gott, so brachte er keine Erlösung. War er nicht wahrer Mensch, so bot er uns kein Beispiel. Wir könnten seiner Gottheit nicht teilhaftig werden, wenn er sich nicht teilhaftig gemacht hätte unserer Sterblichkeit. In seiner sterblichen Schwäche, in seiner leiblichen Schwäche wurde er gekreuzigt, starb er und wurde ins Grab gelegt. In seiner göttlichen Kraft stand er auf am dritten Tage, fuhr gen Himmel und sitzt zur Rechten Gottes.

Es ist nicht wahr, meine lieben Freunde, was man so manchmal hört, dass es nur darauf ankommt, irgendwie religiös zu sein. Es kommt darauf an, richtig religiös zu sein. Es ist auch nicht wahr, dass es genügt, irgendeinen Glauben zu haben; man muss den rechten Glauben haben. Wenn Gott auf Erden erscheint, fallen alle von Menschen gemachten Religionen dahin. Die christliche Religion ist konkurrenzlos. „Fürwahr, kein anderes Volk“, so heißt es in der Nachfolge Christi, „ist so groß, dass es Götter hätte, die ihm so nahe sind, wie uns nahe ist unser Gott.“

Was wir begreifen können, kann nicht Gott sein. Gott muss anders sein, als unser Verstand es fassen kann. Seine Göttlichkeit ist nur gewahrt, wenn er für den Menschen unbegreiflich ist. Gott muss von einer Hülle von Geheimnissen umgeben sein, wenn er seine göttliche Herrlichkeit bewahren will. Und diesen großen, verborgenen Gott beten wir an, ihn verehren wir, diesen unendlichen Gott dürfen wir einst schauen, wie wir überzeugt sind. Die Hüllen werden einmal fallen. Jetzt sehen wir wie durch einen Spiegel in Rätseln, aber dann werden wir ihn von Angesicht zu Angesicht schauen. Jetzt ist unser Erkennen Stückwerk, dann aber werden wir ihn erkennen, wie auch wir von ihm erkannt sind.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt