Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Zehn Gebote (Teil 12)

6. Oktober 2002

Die begehrende Liebe (6.)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor einigen Wochen haben wir das 4. und das 5. Gebot Gottes betrachtet. Das 4. Gebot schützt die Familiengemeinschaft, das 5. Gebot die Volksgemeinschaft.

Das 6. Gebot schützt die Ehegemeinschaft. Familiengemeinschaft und Volksgemeinschaft sind ja nur Auswirkungen der Ehegemeinschaft. Diese ist die tiefste und innigste, die geheimnisvollste und fruchtbarste Gemeinschaft, die es unter Menschen gibt. Darum hat Gott ein schützendes Gebot vor sie gestellt, und das lautet: „Du sollst die Ehe nicht brechen!“ Weil aber die Ehe etwas so Tiefes und Geheimnisvolles ist, deswegen wird die Ehe nach dem Worte Jesu schon gebrochen durch das unrechte Begehren. Der Sinn des Gebotes ist also positiv: Du sollst die Ehe wahren und pflegen! Du sollst sie hegen und umsorgen mit einer zärtlichen und kostbaren Liebe! Jede kleine Trübung bedingt schon eine Unordnung.

Nun sprechen heute alle Psychologen, Seelsorger und Volksmänner von einer Krise der Ehe. Diese Rede ist berechtigt, denn die Krise ist da. Man verweist auf die wirtschaftlichen, auf die sozialen, auf die psychologischen Verhältnisse und sucht damit die Wurzeln der Krise aufzudecken. Aber das sind nicht die tiefsten Wurzeln der Krise. Denn die Ehe ist eine Liebesangelegenheit, und die Krise der Ehe ist deswegen gekommen, weil die Liebe in vielen erkaltet ist. Die Natur selbst zeigt, daß die Ehe eine Liebesangelegenheit ist. Sie drängt den Mann zur Frau und die Frau zum Manne. Aber weit darüber hinaus liegt das Zeugnis der Offenbarung. Der Herr selbst hat die Ehe als eine Liebesangelegenheit bezeichnet, indem er sie als ein Abbild, als ein Gleichnis der Verbindung Christi mit der Kirche bezeichnete. Die Verbindung Christi mit der Kirche aber ist eine Liebesverbindung, und deswegen mahnt der Apostel Paulus: „Ihr Männer, liebet eure Frauen, so wie Christus die Kirche geliebt hat!“ Die Ehe ist zutiefst eine Liebesangelegenheit. Aber diese eheliche Liebe ist nicht die flüchtige Laune und die flüchtige Lust, die heute oft als Liebe bezeichnet wird, sondern die Liebe der Ehe ist etwas ganz Tiefes und Innerliches, etwas Erhabenes und Großes.

 Diese Liebe hat drei Dimensi0nen, und im Schnittpunkt dieser drei Dimensionen liegt die vollkommene Ehe. Wir können diese drei Dimensionen der ehelichen Liebe bezeichnen als begehrende, als schenkende und als dienende Liebe. Wir müssen also an drei Sonntagen von der ehelichen Liebe sprechen, von der begehrenden, von der schenkenden und von der dienenden Liebe. Heute denken wir nach über die begehrende Liebe.

Die begehrende Liebe ist ein Lusttrieb. Sie geht zwar über das eigene Ich hinaus auf einen anderen Menschen, aber sie zieht den anderen Menschen in sich hinein, um eine Erfüllung für sich selbst zu haben. Sie ist also im tiefsten Wesen egoistisch. Sie benutzt den anderen als Mittel zur eigenen Erfüllung. Das ist an sich etwas Furchtbares, und man muß fragen, ob das überhaupt menschlich und sittlich zu rechtfertigen ist. Dazu kommt, daß die begehrende Liebe etwas Wildes und Unbändiges an sich hat. Es gibt Menschen, entartete oder krankhafte Menschen, bei denen der Geschlechtstrieb alles andere überflutet und alle anderen Seelenkräfte gleichsam erstickt. Auch künstlich kann dieser Trieb zum Wuchern gebracht werden, und wir wissen, daß die Menschen es allezeit verstanden haben, durch Wort und Bild, durch Reden und durch Handeln, durch die gesellschaftlichen Lebensformen die Wucherung dieses Triebes zu befördern.

Der Trieb der begehrenden Liebe ist aber von Gott selbst mit Ordnungslinien ausgestattet worden; denn nach Gottes Willen ist der Trieb, ist die begehrende Liebe, ist das sexuelle Begehren an den Weg zur Erhaltung des Menschengeschlechtes gestellt worden. Die sexuelle Liebe zeigt den Weg zum Kinde. Weil der Weg zum Kinde aber über die Ehe führt, über das dauernde, unauflösliche Zusammensein zweier Menschen, deswegen ist die begehrende Liebe allein zulässig in der gültigen Ehe. Wer die begehrende Liebe aus der Ehe herausreißen wollte, der würde sie ihres Rechtes, ihres Daseinsrechtes, ihres Lebensrechtes berauben. Wer die begehrende Liebe außerhalb der Ehe oder vor der Ehe praktizieren wollte, der würde sie ihrer Würde und ihrer Größe und ihrer Schönheit und ihres Sinnes berauben. Die begehrende Liebe hat einen Lebenswert, nicht einen bloßen Genußwert.

Der Strom des Lebens darf nicht ausgelöscht oder unterbunden werden; er darf nicht abgelenkt oder umgeleitet werden. Der Weg der begehrenden Liebe führt zur Ehe. Jede Unordnung entfernt von der gottgewollten Zielrichtung der ehelichen Liebe. Diese Unordnung ist deswegen so tief, weil eben die geschlechtliche Potenz im Menschen von solcher Kraft und bis in die letzten Tiefen reichend ist. Jede Unordnung ist gefährlich, reißt einen schützenden Damm ein, ruft den Dämon, der häufig nicht zu bannen ist. Meine lieben Freunde, der Weg der geschlechtlichen Unordnung geht meist nur in eine Richtung: abwärts, immer nur abwärts. Der Weg zurück ist von verzweifelter Schwierigkeit.

Nun gibt es Ordnungslinien der Ehe, die Gott vorgezeichnet hat und welche die Kirche verkündet. Diese Ordnungslinien der Ehe lassen sich wiedergeben mit den Worten Einheit der Ehe, also Verbindung eines Mannes mit einer Frau, Unauflöslichkeit der Ehe, also Untrennbarkeit des Ehebandes, und Keuschheit der ehelichen Liebe. Diese Ordnungslinien werden heute mehr denn je angefochten. Die Menschen wollen nicht begreifen, daß das Wohl des Kindes allein in der einen und einheitlichen und unauflöslichen Ehe gesichert ist. Sie stellen immer dringender die Frage: Wie soll ich denn ausharren bei einem Menschen, der mir fremd, der mir gleichgültig, der mir verhaßt worden ist? Furchtbar erhebt sich der Schrei nach Befreiung von einem solchen Joch. Und immer mehr fragen auch: Warum soll denn der Strom der ehelichen Liebe nicht abgeleitet werden, wenn soziale Not, wenn Wohnungsnot, wenn Nahrungsnot den Verzicht auf Kinder erzwingen? Warum soll man nicht die begehrende Liebe herauslösen aus dem Weg zum Kinde? Auf diese Fragen, meine lieben Freunde, müssen wir eine Antwort geben.

Die Verschiebung des Liebesproblems in der Ehe hat ihre Wurzel in einer Übertreibung des Imperativs des begehrenden Eros. Es herrscht weithin die Auffassung, daß die geschlechtliche Erfüllung für jeden Menschen in jeder Lage unausweichlich und unentbehrlich sei. Die Hypertrophie des geschlechtlichen Eros ist die Wurzel der Krankheit unserer Ehe. Die begehrende Liebe wird sogar als der innerste Sinn, als die höchste Erfüllung des ehelichen Lebens dargestellt. In Wirklichkeit ist es ganz anders. Die begehrende Liebe ist nur ein Wegweiser, auf den Gipfel der ehelichen Liebe steht sie nicht. Sie ist ein Wegweiser zum ehelichen Gemeinschaftsleben, aber nicht sein Höhepunkt. Die begehrende Liebe beruht auf einer Spannung, die zwischen zwei Menschen besteht. Diese Spannung kann stärker oder schwächer sein; sie ist auch im einzelnen Menschen variabel. Aber wie stark sie auch sein mag: diese Spannung erschöpft sich, sie gleicht sich aus, und je hemmungsloser sich die beiden Menschen ausgegeben haben, je öfter sie das geschlechtliche Vergnügen gesucht haben, um so eher ist die Spannung zu Ende. Dann ist der Mann oder die Frau leergeliebt, dann kommt es, wenn keine andere Beziehung zwischen ihnen bestand als das geschlechtliche Begehren, zur Leere, zur Öde und Gleichgültigkeit. Wenn aber zwei Menschen, die leer geworden sind, in räumlicher Nähe zusammenleben müssen, dann steigt aus ihnen furchtbar auf der Schrei nach Befreiung von einem so verhaßten Joch, dann macht sich Überdruß, Haß und Ablehnung breit. Der begehrende Trieb ist auf die Dauer nicht verbindend, sondern trennend. Deswegen hat die Natur selbst Zeiten völliger Enthaltsamkeit vorgesehen. Wir alle wissen, daß die Frau zu bestimmten Zeiten sexuell nicht ansprechbar ist und nicht angesprochen werden darf. Aber nicht nur die Natur redet von Enthaltsamkeit, sondern auch die Gesetze der Liebe und die Gesetze des Geistes. Die Enthaltsamkeit ist notwendig, damit der Vorrat nicht allzu schnell aufgebraucht wird, manchmal schon in den Flitterwochen. Die Enthaltsamkeit ist eine Zeit des Aufsparens, des Aufsammelns, und je sparsamer Ehegatten in der Erfüllung der begehrenden Liebe sind, um so länger reicht ihr Vorrat. Mir sagte einmal ein Mainzer Schulrektor von 75 Jahren, der um diesen Zusammenhang wußte: „Mir ist meine Frau auch heute noch begehrenswert.“

Das vorhandene Potential muß also sparsam aufgebraucht werden. Wer es vergeudet, der steht bald vor dem Nichts, der erniedrigt den anderen und sich selbst, der enttäuscht den anderen und sich selbst, der verliert den anderen und sich selbst. Im Paradies der Ehe ist gerade die begehrende Liebe häufig die Schlange, welche das Paradies zerstört. So bekommt also die Kirche, die von den Unverehelichten ein ganzes Leben lang und von den Verehelichten wenigstens von Zeit zu Zeit, manchmal sogar auch ein Leben lang, Enthaltsamkeit verlangt, recht. Die Kirche bekommt recht von der Natur, und sie bekommt recht von dem schaffenden Gott. Nur der Mann kann auf die Dauer seiner Frau das gewähren und geben, worauf sie im tiefsten wartet, der sie auch unberührt lassen kann. Und nur die Frau ist eine Insel des Glückes und des Lebens Seligkeit für den Mann, die ihm anderes und Besseres zu bieten hat als den rasch verfliegenden Zauber der Sinne.

Amen.

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