Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Was ist der Mensch? (Teil 9)

10. März 2002

Die Möglichkeit des Aufstiegs nach dem Sündenfall

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Jede Sünde wirkt Zerstörung. Die Sünde ist immer Ursache von Zerstörung. Aber die Sünde kann Anlaß sein zum Ruin, zum Zusammenbruch, zum Untergang, und das haben wir an Judas Iskariot erkannt. Aber die Sünde kann auch Anlaß zum Aufstieg sein, und das wollen wir heute am Beispiel des Petrus uns vor Augen führen. Wir wollen diese historische Sünde betrachten, die Verleugnung des Petrus, und wollen fragen: Was ist es um seinen Fall, was ist es um die Wurzeln dieses Falles und was ist es um seinen Aufstieg aus dem Fall? Wir wollen also den Fall, die Wurzeln des Falles und den Aufstieg betrachten.

Petrus hat Jesus im Vorhofe des Hohenpriesters verleugnet. Wer war das, der ihn hier verleugnet hat? Ein Apostel, den Jesus auserwählt hatte, ein Apostel, den er zum Ersten seiner Apostelschar gemacht hatte, ein Apostel, dem er wunderbare Verheißungen gegeben hatte. Da möchte man irre werden an der Auswahl Jesu, an der Gnade und an den heiligsten Gelübden. Schon als Petrus, Simon mit Namen, zu ihm kam, da gab er ihm einen anderen Namen. Er sagte: „Du sollst Kephas heißen.“ Kephas, das heißt Fels. Wenn irgend etwas zu erledigen war, wurde Petrus, Kephas, damit beauftragt. Er mußte die Steuer bezahlen für den Herrn. Wenn Jesus sich mit ganz wenigen Jüngern zurückzog bei der Erweckung des Töchterleins des Jairus, auf dem Berge Tabor, am Ölberg, da nahm er Petrus und zwei andere Jünger mit sich. Petrus hatte sich auch Verdienste erworben. Er sagte zum Herrn: „Sieh, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.“ Und Jesus bestätigt das; er gibt ihm recht: „Jawohl, du hast alles verlassen.“ Petrus war von Gott erleuchtet. Als Jesus bei Cäsarea Philippi die Jünger fragte, für wen die Leute den Menschensohn halten, und sie die verschiedenen Meinungen vor ihm ausbreiteten, da fragte er: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Da gab Petrus voll Begeisterung und voll Liebe die Antwort: „Du bist der Messias.“ Und Jesus bestätigte ihm: „Das hat dir nicht Fleisch und Blut geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist.“ Und als es zu der großen Krise kam, als viele Jünger nicht mehr mit ihm wanderten, als sie sich zurückzogen von ihm beim großen galiläischen Abfall, da war es Petrus, der sagte: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du allein hast Worte des ewigen Lebens. Wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist.“

Und jetzt, im Vorhofe des Hohenpriesters, verleugnet er den Herrn! „Ich kenne diesen Menschen nicht.“ „Ich weiß nicht, wovon du redest“, sagt er, und fängt an zu schwören: „Ich kenne diesen Menschen nicht!“ Denselben Menschen, den er als den Messias bekannt hatte, denselben Menschen, der ihm die Verheißung als Felsenmann gegeben hatte, denselben Menschen, von dem er eben die erste heilige Kommunion empfangen hatte, den kennt er nicht mehr! Ja, meine lieben Freunde, wenn das möglich ist, wenn der Mensch zu so etwas fähig ist, dann möchten wir fragen: Wie soll denn das weitergehen mit der Kirche, wenn das am Anfang schon so ist? Muß nicht diese Kirche, wenn der Felsenmann wankt, sich taumelnd von Abgrund zu Abgrund bewegen? Was wird aus dieser Kirche werden?

Wenn wir die Wurzeln dieses Falles betrachten, sieht die Sache weniger schlimm aus; denn Petrus war eine einfache Natur. Er war ein Augenblicksmensch, ein Stimmungsmensch, ein Gefühlsmensch. Er gab immer gleich der ersten Regung nach. Bevor der Verstand einsetzte, hatte er sich schon entschieden. Als Jesus über den See wandelte, schrien die Jünger auf, und dann freuten sie sich, weil sie den Herrn erkannten. Aber Petrus überfreute sich. Er wollte aus dem Schiff steigen und dem Herrn entgegengehen. „Herr, laß mich zu dir kommen!“ Er muß immer etwas besonderes haben, und er gibt gleich der ersten Regung nach. Und der Herr, wahrscheinlich mit einem feinen Lächeln auf den Lippen, sagt: „Komm!“ Er steigt aus dem Schiffe, er geht über das Wasser, aber da kommt eine Woge, und da ergreift ihn das Entsetzen und die Angst: „Herr, ich gehe zugrunde.“ Wieder gleich eine Stimmung, der er nachgibt. So schlimm wird’s nicht gewesen sein mit dem Untergehen im Wasser. Aber Jesus läßt ihn auflaufen. Er muß seine Erfahrungen machen.

Als Jesus beim Letzten Abendmahl den Jüngern andeutet, daß einer ihn verraten werde, da beteuert Petrus: „Das kommt für mich niemals in Frage. Ich gehe mit dir ins Gefängnis und in den Tod.“ Als im Ölgarten die Häscher sich nahen, da ist es wieder Petrus, der auffällt. „Herr, sollen wir mit dem Schwerte dreinschlagen?“ sagt er, und ohne eine Antwort abzuwarten, zieht er schon das Schwert und schlägt auf den Knecht des Hohenpriesters ein; wieder hat ihn das Gefühl übermannt.

Und erst recht im Vorhofe des Hohenpriesters. Da hat ihn die Liebe getrieben, um zu sehen, wie es weitergeht mit seinem Herrn und Meister. Er geht hinein und begibt sich damit in die Gefahr, denn hier ist alles so anders. Da sind wüste Gesellen, die zechen, und die spielen, und die fluchen, und die haben Waffen in den Händen oder an die Seite gelehnt. Da ergreift ihn wieder die Angst. Die Angst ist unberechtigt, denn man tut ihm nichts. Die Verfolger haben es nur auf Jesus abgesehen, nicht auf seine Anhänger. Da kommt eine Magd und sieht ihn: „Du warst auch bei ihm.“ „Mensch“, sagt er, „ich weiß nicht, was du sagst.“ Und da wird er zum zweitenmal erkannt. „Du bist doch einer von ihnen.“ „Mensch, ich weiß nicht, was du sagst. Ich kenne diesen Menschen nicht.“ Und beim drittenmal, da fängt er an zu fluchen und zu verwünschen: „Zum Donnerwetter, ich habe nichts mit ihm zu tun!“ Das ist sein Fall. Er läßt sich nichts sagen; er hat seine Natur beibehalten; er hat sich nicht geändert. Er ist so, wie er immer gewesen ist, rasch, unüberlegt, und so kommt es zu diesem Fall. Das sind die psychischen Wurzeln dieses Falles des Petrus.

Aber er ist nicht im Fall geblieben. Er ist aus dem Fall aufgestiegen. Der Fall wurde ihm zum Anlaß, ein reifer, ein weiser, ein heiliger Mann zu werden, und zwar geschah das in drei Stufen. Die erste Stufe kann er nicht allein gehen, die muß ihn Jesus emporführen. Ein einziger Evangelist berichtet, wie das geschah, nämlich Lukas. Als Petrus die Verleugnung begangen hatte, da wurde Jesus vorbeigeführt, „und er schaute ihn an.“ Und er schaute ihn an. Er hat ihm einen Blick geschenkt, einen Blick nicht der Anklage, nicht des Vorwurfs, nicht der Verwunderung, sondern einen Blick voll Güte und Liebe. So, Petrus, da bist du ja; hab nur Mut, es wird schon wieder aufwärts gehen! So, meine ich, ist der Blick des Herrn zu deuten: kein Vorwurf, keine Klage, keine Verwunderung. Und dieser Blick hat den Petrus getroffen. Jetzt erst sieht er, was er angestellt hat. Ich glaube, wir gehen mit Menschen, die gefallen sind, häufig in der falschen Weise um; wir schimpfen und toben. Wir sollten sie lieb haben. Wir sollten es so machen, wie Jesus es mit Petrus gemacht hat. Ich habe einmal gelesen von einem Studenten, die in die Universitätsstadt ging und dort unter die Räder kam. Sein Vater hörte davon und machte sich auf und kam unvermutet an und ertappte ihn in der verfänglichsten Situation. Aber der Vater setzte sich und sagte zu ihm: „Franz, ich habe den Eindruck, es ist gut für dich, wenn du in eine andere Universitätsstadt gehst. Welche ist dir angenehm?“ Kein Wort des Vorwurfs, keine Beschimpfung, nur eine grenzenlose Liebe, und das hat diesen Studenten in der Seele getroffen.

Die erste Stufe hat Jesus den Petrus emporgeführt. Die zweite Stufe muß er selbst besteigen, und die besteht darin, daß die Evangelisten übereinstimmend berichten: „Er ging hinaus und weinte bitterlich.“ Jetzt endlich geht er hinaus. Vorher ist er hineingegangen, hat sich in die Gefahr begeben. Jetzt geht er hinaus und weint bitterlich. Wenn ein Mann, ein schlichter Mann, ein Mann aus dem Volke, der nicht gewohnt ist, sein Inneres nach außen zu tragen, wenn ein solcher Mann weint, dann ist das etwas Ergreifendes und etwas Erschütterndes. Er hätte es auch anders machen können. Er  hätte trotzig sein können: Ich weiß schon, du siehst mich jetzt an und so weiter, aber ich will das alles jetzt auf mich nehmen, und ich kann nichts dafür, es ist eben passiert. Er entschuldigt sich nicht; er erklärt nichts – er geht hinaus und weint bitterlich.

Die dritte Stufe ist am schwersten zu nehmen, denn jetzt hätte Petrus sagen können: Nun ja, ich sehe, es ist nichts mit mir. Ich bin nicht geeignet als Apostel, schon gar nicht als Felsenmann. Ich muß diesen Posten wieder abgeben, ich muß mich zurückziehen, muß büßen für meine Sünden. Nein, so hat er nicht gesagt, sondern er ist bei dem Herrn geblieben. Als Maria Magdalena die Kunde bringt: „Der Herr ist auferstanden!“, da geht er mit Johannes zum Grabe. Und zum erstenmal läßt er den Johannes vorangehen. Er geht hinterdrein. Zum erstenmal ist er still geworden und ist er ruhig geworden und ist er nachdenklich geworden. Zum erstenmal will er nicht an der Spitze stehen. Wir wissen nicht, was Petrus auf diesem Gang gedacht hat, aber wir können es uns vielleicht vorstellen. Wir können es vielleicht ahnen: Ja, ich muß zum Grabe, ich muß den Herrn sehen, ich muß mit ihm wieder sprechen. Aber wird er mich annehmen? Was wird er zu mir sagen? Das wird er bald darauf erfahren, was der Herr zu ihm sagt. Am See Genesareth fanden sie den Herrn, der ihnen ein Feuer bereitet hatte und eine Mahlzeit. Nach dem Essen fragte der Herr den Petrus: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?“ Petrus gibt zur Antwort, sachlich und wahrhaftig: „Herr, du weißt, daß ich dich liebe.“ Kurze Zeit darauf fragt der Herr zum zweitenmal: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?“ Da fällt ein Schatten über die Seele; da wird Petrus nachdenklich. „Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebe.“ Und dann kommt zum drittenmal die Frage: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?“ „Herr, du weißt alles, du weißt auch, daß ich dich liebe.“ Jetzt ist er traurig geworden, denn er weiß: Der Herr erinnert ihn an seine Verleugnung: „Dreimal wirst du mich verleugnen, ehe der Hahn kräht.“ Und das ist seine Buße. Aber er hat diese Buße auf sich genommen. Er ist nicht stolz oder verletzt. Er sagt nicht: Ich weiß, du kannst mir nicht mehr trauen, du kannst mich nicht mehr achten, du weißt, daß ich nicht zuverlässig bin. Nein, so sagt er nicht, sondern er überläßt das Urteil dem Herrn. Er sagt auch nicht: Ich tue das, was du willst, sondern nur: Du weißt es. Er appelliert an das Wissen des Herrn. Er überläßt ihm die Antwort: Du weißt es, daß ich dich liebe. Er ist ganz still, ganz nachdenklich und ganz bescheiden geworden. Jetzt, meine lieben Freunde, ist er der rechte Apostel, ist er der rechte Felsenmann geworden. Jetzt ist er das gefügige Werkzeug in der Hand des Herrn. Jetzt ist nichts mehr von Eigenwillen und Eigensucht, von Einbildung und Hochmut, von Rechthaberei und von Entschuldigung in ihm, nein, jetzt ist er nur noch anspruchslos, selbstlos, vertrauend auf den Herrn und seine Allwissenheit.

So muß jeder werden, der ein Petrus werden will. Und alle, die Menschen annehmen wollen, die für Menschen sorgen müssen, die Menschen betreuen sollen, die für Menschen da sein müssen, die Menschen führen müssen, die müssen Petrusnaturen werden, d.h. ganz selbstlos, ganz anspruchslos und ganz vertrauend auf die Allwissenheit des allbarmherzigen Gottes.

Amen.

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