Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die heiligen und gefallenen Engel (Teil 1)

29. September 1996

Die biblische Bedeutung der Engel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In Altersbach in Niederbayern steht eine herrliche Zisterzienserkirche. Was sie von anderen Barockkirchen unterscheidet – es ist ja eine Asamkirche –, das sind die vielen, vielen Engeldarstellungen. Am Hochachltar dieser Kirche befinden sich 88 Engeldarstellungen, und an den ersten Seitenaltären sind es noch je 40. Wie groß und stark, wie lebendig und machtvoll muß doch die Engelverehrung jenes 18. Jahrhunderts gewesen sein, in dem die Kirche entstanden ist! Uns soll sie ein Anlaß sein, uns heute und an den kommenden Sonntagen die Engel vor Augen zu führen, die himmlischen Wächter und Begleiter, die Gott den Menschen an die Seite gestellt hat. Sie heißen im Buch der Heiligen Schrift Gesandte Gottes, Söhne Gottes, Wächter und Boten, himmlische Heerscharen, das himmlische Heerlager. Das Alte Testament ist voll von Zeugnissen über die Existenz von Engeln. Schon am Anfang der menschlichen Geschichte ist die Rede von einem Engel.

Als die Stammeltern aus dem Paradies verwiesen wurden, stellte Gott einen Engel an das Tor mit einem zuckenden Flammenschwert, auf daß sie den Weg zum Leben, den sie verspielt hatten, nicht wieder gehen könnten. Als Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte, fiel ihm ein Engel in den Arm und hinderte ihn daran. Als das Volk Israel aus Ägypten auszog, sandte Gott seinen Engel, der vor dem Volke herzog.

Im Leben der Propheten spielen Engel ebenfalls eine große Rolle. Ich erinnere etwa an Elias. Er war auf der Flucht vor der feindseligen Königin Jezabel. In Trauer und Verzagtheit ließ er sich unter einer Ginsterstaude nieder und wollte sterben; aber ein Engel des Herrn rührte ihn an, bereitete ihm ein Mahl und hieß ihn sich ausschlafen und dann zum Berge Gottes schreiten. Auch Daniel hatte in der Babylonischen Gefangenschaft eine Vision eines Engels. Die drei Jünglinge im Feuerofen wurden durch eine Engelserscheinung gerettet. Der Engel, der ihnen erschien, trieb die Feuerflammen aus dem Ofen hinaus, so daß sie unversehrt innerhalb des Feuers verblieben. Der Prophet Isaias sah in einer packenden Vision die Engel um den Thron Gottes stehen. Sie sangen das Lied, das wir in jeder heiligen Messe singen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen“, und der Laut ihrer Stimmen war so gewaltig, daß die Türschwellen bebten.

Im makkabäischen Freiheitskampfe wurden die Heere der Israeliten von Engeln geleitet. Judas Makkabäus, der große Held, wurde von Engeln in die Mitte genommen, damit er im Kampfe geschützt war, und Reiter, himmlische Reiter auf goldgezäumten Pferden griffen in den Kampf ein zugunsten der Israeliten.

Die Engelerscheinungen im Alten Testamente sind außerordentlich zahlreich. Nun ist zu beobachten, daß in den Büchern des AltenTestamentes, die nach der Babylonischen Gefangenschaft entstanden sind, häufiger von Engeln die Rede ist als in jenen Büchern, die davor entstanden sind. Da kommen die Religionswissenschaftler und sagen: Aha, da sieht man es. Die Engelvorstellungen sind aus der babylonischen und der persischen Mythologie bezogen. Was ist zu diesem Einwand, der uns die Engellehre und den Engelglauben zerstören will, zu sagen? Einmal gibt es Engelerscheinungen auch in den Büchern, die vor dem Exil entstanden waren. Also sie sind kein Erzeugnis der Begegnung mit der babylonischen und mit der persischen Kultur. Nein, schon vorher ist von Engeln, von Cheruben und von vielen anderen Engeln die Rede. Daß der Engelglaube im Exil durch die Berührung mit der persischen und babylonischen Religion einen gewissen Auftrieb erfahren haben  mag, das kann zugegeben werden. In der persischen und babylonischen Religion war eben ein Erbe der Uroffenbarung lebendig. Diesen Engelglauben haben sich die Perser und die Babylonier nicht aus den Fingern gesogen, sondern er ist einmal in alter Zeit geoffenbart worden, und sie haben ihn, wenn auch verschüttet durch mythologische und phantastische Vorstellungen, bewahrt. Und selbstverständlich mag er dann auf den biblischen Engelglauben zurückgewirkt haben. Aber die Offenbarungsgläubigen waren imstande, kraft ihres biblischen Glaubens die richtigen Elemente aus dem babylonischen und persischen Engelglauben herauszulösen und ihren eigenen Glauben damit zu befruchten.

Die Engel des Alten Bundes sind auch total verschieden von den Engeln in den mythologischen Vorstellungen, denn sie sind keine gottgleichen oder gottähnlichen Wesen, sondern sie sind Geschöpfe Gottes. Das unterscheidet sie fundamental von den außerbiblischen Engelvorstellungen.

Im Neuen Testament ist uns bekannt, wie oft Engel in das Heilsgeschehen eingreifen, wie sie an der Heilsgeschichte mitbauen. Die Verkündigung an das Elternpaar des Johannes geschieht durch einen Engel. Es ist Gabriel, der ihnen die Botschaft bringt, derselbe Engel, der Maria die Botschaft von der Menschwerdung des Logos bringt. Engel haben Josef beruhigt über das, was an Maria geschehen ist, und ihn nach Ägypten geführt und aus Ägypten zurückgerufen. Als der Messias geboren ward, wurde den Hirten diese Kunde zuteil durch einen Engel, und auf den Fluren von Bethlehem waren Scharen von Engeln, die das Lied sangen, das wir in jeder heiligen Messe mit ihnen singen: „Ehre Gott in der Höhe und Friede den Menschen seiner Huld!“

Auch im Leben Jesu spielen Engel eine Rolle. Er war zur Vorbereitung seines öffentlichen Wirkens in der Wüste, und nach 40 Tagen hungerte ihn, nach 40 Tagen des Fastens. Engel kamen herzu und dienten ihm, d.h. sie bereiteten ihm Speise. In seinem Leiden erinnerte der Herr daran, daß er, wenn er wollte, den Vater bitten könnte und daß der Vater ihm zwölf Legionen Engel schicken würde – das sind 72.000. Ein Engel kam und tröstete ihn. In manchen bayerischen Kirchen ist am Eingang diese Szene abgebildet. Christus kniet am Ölberg, und ein Engel naht sich mit einem Kelche und stärkt ihn. Eine sehr schöne, ergreifende Darstellung. Als Jesus auferstanden war, kündeten Engel den Besuchern des Grabes, daß der gekreuzigte Messias vom Vater in die himmlische Herrlichkeit entrückt ist. Und als er in den Himmel aufgefahren war, waren wieder zwei Männer in weißen Gewändern zur Stelle, um den Jüngern das Geschehnis zu deuten: „Der, der jetzt vor euch aufgefahren ist, wird wiederkehren in Herrlichkeit!“

Auch in die Geschichte der jungen Kirche griffen Engel ein. Mehrfach stärkten sie die Jünger in Versuchungen und in Heimsuchungen. Als die Apostel gefangen waren, befreite sie ein Engel. Petrus wurde, als er im Gefängnis saß, durch eine englische Erscheinung herausgeführt, und als Paulus Schiffbruch erlitt bei Kreta und alles verloren schien, da hat ihn ein Engel beruhigt: „Nein, du mußt vor den Kaiser treten.“ Er würde also nicht im Schiffbruch zugrundegehen. Der heidnische Hauptmann Cornelius wurde durch einen Engel zu Petrus gerufen.

Voll von Engeln und von Engelerscheinungen ist das letzte Buch der Heiligen Schrift, die Apokalypse des Johannes. In den Visionen, die Johannes auf Patmos schaute, kommt auch ein Buch vor, das voller Geheimnisse ist, das innen und außen beschrieben und mit sieben Siegeln versiegelt ist. Ein mächtiger Engel ruft mit lauter Stimme: „Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen?“ Und es fand sich niemand, der dazu imstande war. Um den Thron Gottes sah Johannes unzählbare Scharen von Engeln; er gibt das an mit dem Wort „Tausend mal tausend“. Diese Engel um den Thron Gottes singen das große Lied: „Würdig ist das Lamm, zu empfangen Macht und Weisheit, Reichtum und Ehre, Kraft und Herrlichkeit!“ Die Engel im Buch der Apokalypse haben gewaltige Ausmaße. Sie kämpfen mit den Feinden Gottes; vor allem Michael, dessen Fest wir heute feiern, wird als der Kämpfer gegen den Drachen, die alte Schlange, den Teufel beschrieben. Es gab eine große Schlacht. Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen; auch der Drache mit seinen Engeln kämpfte. Sie richteten aber nichts aus, und ihr Platz im Himmel ging verloren. „Und geworfen wurde der große Drache, die alte Schlange, die Teufel heißt und Satan, die alle Welt verführt. Geworfen wurde er herab zur Erde, und mit ihm gestürzt wurden seine Engel.“

Aus diesen wenigen Beispielen, die ich anführen konnte, ersehen Sie, daß der Glaube an die Engel fest in der Heiligen Schrift begründet ist und daß das IV. Laterankonzil und das I. Vatikanische Konzil recht haben, wenn sie sagen: „Es ist ein Glaubenssatz der katholischen Kirche, daß es Engel, unzählbare Scharen von Engeln gibt.“ Es sind personale Wesen, nicht nur Emanationen, Ausstrahlungen Gottes, nein, es sind personale Wesen, die also einen Verstand und einen Willen, einen gewaltigen Verstand und einen mächtigen Willen besitzen. Die Schöpfung wäre unvollständig, wenn es keine Engel gäbe; denn die Schöpfung ist in Stufen aufgebaut: das stoffliche Sein (Steine, Pflanzen), dann das geistig-stoffliche Sein (Menschen mit Leib und Seele) und darüber das rein geistige Sein, die Engel. Wenn es keine Engel gäbe, wäre die Struktur der Welt anders.

Wir wollen unseren Engelglauben erneuern, heute, am Fest des Michael, am Mittwoch, am Schutzengelfest. Der Oktober gilt ja allgemein als Engelmonat. Wir wollen in der heiligen Messe uns erinnern, daß wir in die Lobgesänge der Engel einstimmen. Immer wenn wir im Gloria singen: „Ehre Gott in der Höhe und Friede den Menschen seiner Huld“, dann stimmen wir ein in das Lied, das die Engel auf den Fluren von Bethlehem sangen. Und wenn wir nach der Präfation das Sanctus singen, dann wissen wir, daß wir hier denselben Lobgesang singen, den Isaias die himmlischen Heerscharen im Himmel singen hörte und sah. Die Engel sollen unsere treuen Begleiter in unserem Leben sein.

Amen.

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