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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Heilsbedeutung Mariens (Teil 9)

14. April 1996

Die Verlobung und die Ehe Mariens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Jungfräulichkeit Mariens ist eine Tatsache. Maria war Jungfrau vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt. Es stellt sich die Frage, wie Maria selbst ihre Jungfräulichkeit beurteilt hat. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Zeit ihrer Verlobung und der Zeit ihrer Ehe.

1. Die Zeit ihrer Verlobung. Ein jüdisches Mädchen wurde mit zwölfeinhalb bis dreizehn Jahren verlobt. Die Verlobung ist nach jüdischem Recht gleichbedeutend mit Verheiratung. Wer verlobt ist, ist verheiratet. Maria war also (als Verlobte) mit Josef verheiratet; sie war die Ehefrau Josefs. Freilich mußte zu der Verlobung noch die Heimführung kommen, also die Überführung in das Haus des Ehemannes, und erst dann durfte die eheliche Gemeinschaft aufgenommen werden.

Nun fragt es sich, was es bedeutet, wenn Maria zu dem Engel sagt, als er ihr die Botschaft brachte: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Diese Frage kann in zweifacher Weise gedeutet werden. Sie kann besagen, daß Maria in dem Augenblick, wo der Engel ihr die Botschaft brachte, keine eheliche Gemeinschaft hat, weil sie eben noch nicht heimgeführt ist in das Haus des Josef. Sie kann aber auch bedeuten, daß sie überhaupt nicht einen Mann erkennen will, daß sie also ein Gelübde oder einen Vorsatz der Jungfräulichkeit abgelegt bzw. gefaßt hat. Der heilige Augustinus und – kraft seiner Autorität – das ganze Mittelalter bis in die Neuzeit war der Ansicht, daß Maria ein Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt hat. Einen Beweis für diese Behauptung zu führen, ist nicht leicht. Denn im Bereich des alttestamentlichen Glaubens und der alttestamentlichen Frömmigkeit war die Jungfräulichkeit unbekannt. Jede israelitische Frau war darauf bedacht, eine Ehe zu schließen, um dadurch mitzubauen an der Generationenkette, aus der einmal der Messias hervorgehen sollte. Kinderlosigkeit galt als ein Unglück, ja als eine Strafe Gottes. In dieser alttestamentlichen Sichtweise lebte Maria. Es ist also schwer zu erklären, wie sie aus ihr herausgetreten sein sollte, indem sie ein Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt hat. Es müßte das durch eine besondere Einwirkung Gottes geschehen sein. Aus dem Bereich der alttestamentlichen Frömmigkeit konnte sie diesen Entschluß nicht gewinnen.

Eine zweite Schwierigkeit für die Gelübdetheorie liegt darin, daß Maria mit Josef verlobt war und daß sie sich von ihm heimführen ließ. Sie wollte also offensichtlich eine Ehe wie andere Ehefrauen eingehen. Ein etwa abgelegtes Gelübde der Jungfräulichkeit wäre für die jüdische Anschauungsweise unbeachtlich gewesen, denn die Frau hat nach jüdischem Recht keine Macht über ihren Leib, sondern nur der Mann. Ein Gelübde, das dem entgegenstünde, wäre wirkungslos. Angesichts dieser Schwierigkeiten gibt es einen anderen Strang des theologischen Denkens, der folgendermaßen aussieht. Nach diesen Theologen, zu ihnen gehört z.B. der bedeutende Kardinal Cajetan, hat Maria von Anfang an eine Ehe wie andere Ehen beabsichtigt. Sie hat sich verheiratet (wir sagten schon, die Verlobung ist gleichbedeutend mit Verheiratung) in der Absicht, an der Geschlechterreihe mitzubauen, aus der einmal der Messias hervorgehen sollte. Da traf sie die Botschaft des Engels. Der Bote Gottes erklärte ihr, daß sie die Mutter des Messias sein solle. Und sie gab die Antwort, die eben eine Frau in ihren Verhältnissen allein zu geben berechtigt war: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Das heißt: Ich bin ja noch gar nicht heimgeführt. Ich bin zwar verlobt, das heißt verheiratet, aber ich bin noch nicht in das Haus des Josef eingeführt; wir haben die intime eheliche Gemeinschaft noch nicht aufgenommen. Da belehrt sie der Engel, daß der Messias nicht auf die Weise von ihr empfangen werden soll, wie das sonst bei Menschen geschieht, sondern auf eine andere Weise, nämlich durch die schöpferische Macht Gottes. In diesem Augenblick wurde Maria von Gott erleuchtet, daß sie, anders als andere Frauen, jungfräulich bleiben sollte. Sie hat diese Erleuchtung aufgenommen und im Gehorsam gegen Gott den Entschluß gefaßt, jungfräulich zu bleiben. Die Empfängnis Jesu ist also die Geburtsstunde der Jungfräulichkeit Mariens und im Christentum. Die Jungfräulichkeit Mariens ist nur christologisch, im Hinblick auf den Messias, auf ihre Würde als Messiasmutter, zu verstehen. Sie hat also, um es noch einmal zusammenzufassen, am Anfang eine Ehe wie andere Frauen führen wollen. Aber belehrt von Gott und eingedenk ihrer Berufung hat sie auf die Vollziehung der Ehe von vornherein verzichtet und ist jungfräulich geblieben wegen ihrer besonderen Stellung in der Heilsgeschichte.

2. Die Ehe Mariens. Der Messias sollte in einer Ehe geboren werden. Denn die Geburt Jesu fällt in die Zeit nach der Heimführung Mariens in das Haus des Josef. Die Empfängnis geschah vorher, aber die Geburt geschah nach der Heimführung Mariens. Warum sollte der Messias in einer Ehe, in einer Familie heranwachsen? Sicher, um zu vermeiden, daß Elend und Schande über die Mutter kam. Elend wäre über sie gekommen, wenn sie alleingeblieben wäre, wenn kein Mann ihr den Lebensunterhalt verdient hätte. Schande wäre über sie gekommen, weil sie als eine unenthaltsame Frau erschienen wäre, die ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hätte. Also um Elend und Schande zu vermeiden, sollte der Messias in einer Ehe, in einer Familie heranwachsen. Wir dürfen annehmen, daß Maria und Josef eine Ehe führten, die diesen Namen verdient. Das heißt: Auch, wenn sie auf die leibliche Erfüllung verzichteten, waren sie einander in bräutlicher Liebe zugetan. Es gibt die Möglichkeit, und es gibt sie zumindest seit dieser Ehe, daß Mann und Frau sich lieben, ohne an erotische und sexuelle Dinge zu denken. Die Ehe Marias und Josefs war eine solche Verbindung, in der Erotik und Sexualität keine Stelle hatten. Aber die dienende und die selbstlose Liebe, wie sie jeder Ehegatte auch in sich tragen sollte, war in ihnen in einem besonderen, ja in einem gesteigerten Maße. Der Verzicht auf die leibliche Erfüllung hat die Personalität ihrer Liebe vermehrt. Die Liebe Marias und Josefs wurde gesteigert durch die Abwesenheit des körperlichen Momentes.

Josef war nicht nur der Mann Mariens, er war auch der Vater, der gesetzliche Vater Jesu. Er war gewiß der Pflegevater, er war gewiß der Nährvater Jesu, aber seine Aufgabe beschränkte sich nicht auf die Sorge für das Materielle. Er war vielmehr bevollmächtigt und beauftragt, seinen Beitrag zur Erziehung Jesu zu leisten. Jesus nach seiner menschlichen Natur wurde von seinen Eltern erzogen, und an dieser Erziehung hatten Mutter und Vater Anteil. Jesus in seiner menschlichen Gestalt trägt nicht nur die Eigenart seiner Mutter an sich, sondern auch die Art seines Pflegevaters. Das ergibt sich beispielsweise aus dem Wort Mariens nach der Auffindung des Zwölfjährigen im Tempel: „Dein Vater und ich, wir haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Beide waren beteiligt an der Suche, denn auch Josef hatte Aufgaben an seinem Kind zu erfüllen, und es waren nicht nur jene, es zu nähren und zu unterhalten.

Seit dieser Ehe, meine lieben Freunde, trägt jede christliche Ehe, die diesen Namen verdienen will, etwas von den Zügen von Nazareth an sich. Seitdem hat auch jede christliche Ehe, die diesen Namen verdienen will, ein Moment des Jungfräulichen an sich. Ich will Ihnen ein Beispiel erzählen, das ich im Dezember vorigen Jahres erlebt habe. Ich hielt einen Vortrag an der Universität Bamberg. Nachher saßen eine Reihe von Laien und Priestern noch zusammen mit mir. Einer nahm mich beiseite, ein Priester, und erzählte mir seine Lebensgeschichte. „Ich war evangelischer Pfarrer. Meine Frau und ich, wir sind aus Überzeugung katholisch geworden. Ich habe die Priesterweihe empfangen und besitze die Erlaubnis, wie ein normaler Ehemann mit meiner Frau umzugehen. Aber wir beide sind unabhängig voneinander zu der Überzeugung gekommen, daß einem Priester der eheliche Umgang nicht geziemt. Wir haben uns daher entschlossen, jeder für sich, ein Gelübde abzulegen, auf die intime eheliche Gemeinschaft zu verzichten.“ Das habe ich im Dezember vorigen Jahres in Bamberg erlebt. Dieses Beispiel zeigt, meine lieben Freunde, daß Ehe und Priestertum sich zwar nicht notwendig ausschließen, aber grundsätzlich voneinander getrennt gehalten werden sollten. Das Beispiel zeigt aber auch, daß die Jungfräulichkeit von keinem Ehegatten prinzipiell abgelehnt werden darf, wenn immer er eine christliche Ehe nach dem Beispiel von Nazareth führen will. Es sei einem jeden das zugestanden, was einer Ehe nun einmal inhäriert, auch die körperliche Komponente. Aber bei all diesem muß das existentielle und personale Element die Herrschaft behalten. Es muß eine jede Ehe etwas vom Vorbild der nazarethanischen Ehe an sich tragen, wenn sie gelingen will.

Amen.

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