Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Jesus, Gottes Sohn (Teil 9)

2. Mai 1993

Das Glaubenszeugnis des Johannes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 

Geliebte im Herrn!

Vor kurzem rief mich eine Schülerin, die jetzt Studienrätin am Gymnasium in Kusel in der Pfalz ist, an und berichtete mir von einem Gespräch, das sie mit einem Jungen aus der 11. Klasse gehabt habe. Sie unterrichtet Deutsch und Religion, und der Junge habe ihr seine Unentschiedenheit bekundet, ob er in den Religionsunterricht oder ob er in den Ethikunterricht gehen soll. Diese Unentschiedenheit, so erklärte er ihr, rühre daher, daß er nicht glauben könne, daß Jesus wahrer Gott sei. Diese Schülerin von mir, die jetzt Studienrätin ist, hat sich dann bemüht, den Schüler in einem dreistündigen Gespräch zum Glauben an die Gottheit Jesu Christi zu bewegen. Damit ist tatsächlich der entscheidende Punkt angesprochen in unserem ganzen Glaubensbekenntnis. Wer das glaubt, der glaubt auch alles andere, und wer das nicht glaubt, der glaubt auch alles andere nicht. Wir bemühen uns deswegen seit mehreren Sonntagen, den Glauben an die Gottheit Jesu Christi in uns zu befestigen. Wir haben das Zeugnis der ersten drei Evangelisten vor Augen geführt; wir haben gehört, was Paulus, der Völkerapostel, über die Gottheit Jesu Christi sagt, und wir wollen uns heute damit befassen, welches das Zeugnis des Johannes ist, des Lieblingsjüngers Jesu.

Johannes hat ein eigenes Evangelium verfaßt, in dem er seinen Glauben an Jesus Christus als den wahren Sohn Gottes bekennt. Er ist einer, der mit Jesus Erfahrungen gemacht hat, die ihn vom Tode zum Leben, von der Finsternis zum Licht geführt haben, und von diesen Erfahrungen gibt er in seinem Evangelium Kunde. Die Auswahl, die er trifft, ist von dem Ziel bestimmt, andere zu dem Glauben zu führen, den er selbst gefunden hat. „Diese Wunder sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Christus, der Sohn Gottes, ist und damit ihr in diesem Glauben das Leben habt.“

Im Johannesevangelium ist besonders stark das Selbstzeugnis Jesu, also das, was er von sich selbst sagt. In drei Ansätzen versucht Jesus seinen Hörern und allen, die später zum Glauben an ihn kommen wollen, zu erklären, wessen Wesens er ist. An erster Stelle sagt er: „Ich bin vom Vater ausgegangen.“ Er ist der Gesandte des Vaters, der auf die Erde herabgestiegen ist, um den Willen des Vaters den Menschen zu bringen. Deswegen sagt er: „Meine Worte sind nicht meine Worte, sondern sie sind die Worte des Vaters. Meine Lehre ist nicht meine Lehre, sondern die Lehre des Vaters.“ Er spricht nicht aus Eigenem, sondern er redet das, was er vom Vater gehört hat. Er ist vom Vater ausgegangen, um den Menschen vom Vater Kunde zu bringen. Er ist der Eingeborene vom Vater, der in die Welt gesandt wurde, um der Welt zur Rettung zu verhelfen. Deswegen sucht er nicht seine Ehre, sondern die Ehre des Vaters. Weil er ganz dem Willen des Vaters ergeben ist, hat er kein Interesse daran, für sich selbst etwas zu gewinnen, sondern er lenkt alles auf den Vater. Er ist der Gesandte des Vaters, er ist der Offenbarer des himmlischen Vaters.

Die zweite Aussage ist uns bekannt aus den drei ersten Evangelisten. Er nennt sich den Menschensohn. Diese Bezeichnung stammt aus dem Buche Daniel, dem Buch des Propheten Daniel, und bezeichnet ein himmlisches Wesen, das an der Seite Gottes steht und wirkt. Das Wort Menschensohn ist ein geheimnisvolles Wort. Jesus führt es vermutlich ein, um nicht dem politischen Messiasbegriff, den die Juden hatten, Nahrung zu geben. Er will seine Andersartigkeit kundtun gegenüber den Erwartungen, die die Juden hatten, die rein politisch, weltlich, irdisch waren. Deswegen nennt er sich den Menschensohn. Aber das ist dennoch ein Hoheitstitel, keine Niedrigkeitsaussage.

Bei Johannes gewinnt der Menschensohntitel besonders Tiefenwirkung, weil er ihn als den präexistenten Menschensohn in besonderem Maße schildert. Was heißt präexistent? Nun, dieser Menschensohn hat gelebt, bevor die Welt geschaffen wurde. Dieser Menschensohn hat eine Präexistenz. Bevor er auf Erden existent wurde, hat er schon eine Vorexistenz, ein Vorleben, nämlich im Schoße des Vaters. Er ist also ein Menschensohn ganz eigener Art, ja einzigartiger Herkunft. Weil er aus dem Herzen des Vaters kommt, kann er Kunde vom Vater bringen; und weil er den Vater nie verlassen hat, steht er in Wechselwirkung mit dem Vater, kann er Engel als seine Boten emporsenden mit seinen Bitten und mit seinen Befehlen, und sie kommen zurück und vollführen das, was er dem Vater vorgetragen hat.

Er ist der Menschensohn, und das bedeutet weiter, daß er das Gericht übertragen bekommen hat. Denn der Titel Menschensohn, ich sage es noch einmal, ist ein Hoheitstitel. Er besitzt himmlische Hoheit, und die zeigt sich darin, daß er das Vornehmste ausübt, was Menschen überhaupt übertragen werden kann, nämlich Gerichtsbarkeit. Bevor er freilich das Gericht ausübt, muß er erhöht werden, und das ist es, was seine Zuhörer nicht verstehen, daß der Menschensohn am Kreuze – am Kreuze – erhöht werden muß, bevor er wiederkommt in Herrlichkeit, um die Welt zu richten. Das findet nicht ihr Verständnis, daran zerbrechen seine Zuhörer, daß der Menschensohn nicht immer bleiben soll, sondern durch den Tod hindurchgehen muß, um seine Herrlichkeit zu gewinnen.

Die dritte Aussage, die Jesus im Johannesevangelium von sich macht, ist die, daß er der Sohn ist. Das sagen auch andere neutestamentliche Schriftsteller, aber keiner sagt es so tief und so bedeutsam wie Johannes. Er ist der einzigartige Sohn, er ist Sohn, wie es kein anderer ist. Er ist der Sohn, der von Ewigkeit beim Vater ist, der im Herzen des Vaters ruht. Er ist der Sohn, der alle Geheimnisse mit dem Vater gemein hat, der die Natur des Vaters besitzt, der das Wesen des Vaters besitzt, der im Wesen und im Tun mit dem Vater eins ist. Weil er dieser einzigartige Sohn ist, deswegen hat er auch einen einzigartigen Vater. Niemandem ist Gott so Vater wie diesem Sohn; alle anderen sind ja nur angenommene Söhne Gottes. Er ist der natürliche Sohn Gottes, von Natur aus, aus dem Wesen des Vaters entsprossen. Deswegen unterscheidet er sein Verhältnis zum Vater von dem seiner Jünger. „Ich fahre hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ Da besteht ein Unterschied. Ihm ist Gott in einer ganz anderen Weise Vater, als er es den Menschen ist. Dieser Sohn ist gekommen, nicht um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten. Wer sich im Glauben an ihn anschließt, der wird gerettet, der hat das Leben. Freilich, wer ihm den Glauben versagt, der braucht nicht gerichtet zu werden, der ist schon gerichtet, weil er nicht glaubt an den Namen dessen, den der Vater im Himmel gesandt hat.

Das also,  meine lieben Freunde, ist das Zeugnis des Johannes von Jesus Christus. Er ist der Gesandte des Vaters, er ist der Menschensohn, er ist der Sohn in einzigartiger Weise. Jetzt wird unser Schüler aus Kusel in der Pfalz sagen: Ja, aber haben nicht auch andere solche Ansprüche erhoben? Gibt es nicht auch andere Religionsstifter, die Ähnliches oder vielleicht sogar dasselbe für sich in Anspruch genommen haben? Woher weiß ich denn, daß Jesus der ist, dem man trauen kann? Warum haben die anderen nicht genauso recht oder genausowenig recht wie Jesus von Nazareth? Wer so argumentiert, dem fehlt es an Kenntnissen der Religionsgeschichte. Es ist noch nie einer erschienen, der den gleichen Anspruch erhoben hätte wie Jesus von Nazareth. Alle anderen waren bloß Lehrer, brachten eine Lehre, eine Kunde, eine Botschaft. Aber Jesus ist nicht bloß Verkündiger, sondern er ist der Inhalt der Verkündigung; er ist der Gegenstand des Glaubens; er ist der Gegenstand des Kultes, der Verehrung, der Anbetung. Mohammed hat niemals in Anspruch genommen, daß man ihn wie Gott verehren soll. Im Gegenteil, das hat er streng abgewehrt. Aber Jesus von Nazareth sagt: „Ich und der Vater sind eins.“ Und er sagt: „Ehe Abraham ward, bin ich.“ Einen solchen Menschen hat es noch nie gegeben, der einen derartigen hohen Anspruch erhoben hätte wie Jesus Christus. „Was dünkt euch von Christus?“ Das ist die entscheidende Frage. Und das Christentum ist nichts anderes als die Lehre: Jesus ist der Christus. Er ist der Heilbringer, an dem sich alles entscheidet, Heil und Unheil, Himmel und Hölle, Leben und Tod. Alles entscheidet sich an ihm, während die anderen Weisheitslehrer und Religionsstifter immer nur eine Lehre brachten und niemals sich selbst als den Inhalt ihrer Religion präsentierten. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Man kann freilich sagen: Ja, ist das nicht überzogen? Kann ein geistig gesunder und sittlich einwandfreier Mensch einen solchen Anspruch erheben? Fehlt es bei Jesus vielleicht an der Geistesklarheit oder an der sittlichen Reinheit? Ist er vielleicht in Betrüger gewesen oder ein Geisteskranker? Wenn wir zunächst fragen, ob Jesus geistig gesund war, dann können wir das Evangelium von hinten bis vorn und von vorn bis hinten durchblättern, und wir werden erkennen, der da vor uns steht, ist kein Psychopath, kein Neurotiker, kein Hysteriker, sondern ein gesunder, ein kerngesunder, ein geistig gesunder Mensch. Sein Denken ist von kühler Klarheit und von logischem Scharfsinn erfüllt. Er vermag in seinen Streitgesprächen den Gegner zu überzeugen und abzuweisen. Jesus ist nüchtern schlußfolgernd und rational klar. Da ist nichts Dumpfes und Dunkles in seinem Denken, er ist gerade und hell. In diesem Körper, in diesem gesunden Körper – wer kann schon schlafen bei einem Seesturm, nicht wahr – in diesem gesunden Körper wohnt eine gesunde Seele, wohnt ein frischer, unverbrauchter Geist, wohnt ein klarer, ein geistesheller Verstand. Und wenn wir seine sittliche, seine Charakteranlage betrachten, dann müssen wir sagen: Er war die vollendete Heiligkeit. Er konnte seinen Gegnern sagen: „Wer von euch kann mich einer Sünde beschuldigen?“ Und seine Gegner haben es selbst bekannt: Wir wissen, Herr, daß du wahrhaftig bist und dich vor niemand scheust.

Jesus war kein Betrüger. Jeder Betrüger,  meine lieben Freunde, hat einmal eine schwache Stunde, in der er sich verrät. Im Leben Jesu gibt es keine schwache Stunde. Er hat sein Leben vor den Tausenden scharf beobachtender Gegner verbracht. Er hat seinen Jüngern, die um ihn waren Tag und Nacht, niemals einen Anstoß gegeben, einen Verdacht hochkommen lassen, daß er ein Täuscher, daß er ein Betrüger sein könnte. Nein, er ist die vollendete Heiligkeit. Er ist derjenige, der sittlich völlig einwandfrei ist und deswegen nicht trügen und betrügen kann.

Die Ansprüche, die Jesus erhebt, sind zunächst Behauptungen. Behauptungen müssen bewiesen werden. Jesus hat seine Ansprüche, seine Behauptungen bewiesen. Er hat sie bewiesen durch die Weissagungen und Wunder. Es ist ein vergeblicher Versuch, die Weissagungen und Wunder aus dem Leben Jesu zu entfernen. Dieser Versuch wird gemacht, und das  ist der Unglaube unserer Zeit, und das ist der Unglaube sogenannter katholischer Theologen, daß sie diesen Versuch machen. Und das ist das Schreckliche, daß unsere Kinder mit solchem Unglauben gefüttert werden. Aber dieser Unglaube kann sich vor dem Verstand, vor der Vernunft nicht behaupten. Die Wunder und Weissagungen gehören zum Leben Jesu, so daß jeder, der sie entfernt, das Leben Jesu zerstört.

Im Johannesevangelium wird von dem Blindgeborenen am Teiche Siloe gesagt: „Wie könnte dieser solche Wunder wirken, wenn nicht Gott mit ihm wäre?“ Gott bestätigt in den Wundern den Anspruch Jesu. Aus eigener Kraft kann er sie nicht wirken; sie kommen ihm von Gott zu. Wenn aber Gott ihn diese Wunder wirken läßt, dann nur deswegen, weil er mit Gott eins ist, weil er von Gott ausgegangen ist und seinen Willen auf Erden vollbringt. Das Wunder aller Wunder aber, das den Anspruch Jesu beglaubigt hat, ist die Auferstehung, oder jetzt können wir einmal besser sagen: die Auferweckung Jesu. In der Auferweckung hat der Vater im Himmel sein Ja zu dem Anspruch Jesu gesprochen. Wenn heute jemand kommt und sagt: Ich bin ein Religionsstifter, ich bin ein Sektenführer, ich bin ein von Gott Gesandter, ich bin ein Botschafter des Himmels, dann sagen wir ihm: Laß dich einmal töten und dann wieder auferwecken, und dann werden wir dir glauben. Niemand bisher, kein einziger von all den angeblichen Gottgesandten hat es verstanden, nach dem Tode seinen Jüngern lebendig vor Augen zu treten, mit ihnen zu essen und zu trinken. Das ist einzig und allein bei Jesus von Nazareth der Fall. Deswegen können, ja müssen wir seinem Anspruch glauben.

Am Auferstehungstage waren die Jünger im Saale in Jerusalem versammelt, und der Herr erschien ihnen, aber Thomas war nicht bei ihnen. Und er sagte: „Wenn ich nicht die Wundmale sehe, wenn ich nicht meinen Finger in die Stelle der Nägel lege und meine Hand in seine Seite, dann glaube ich nicht.“ Acht Tage später waren die Jünger wieder versammelt, und der Herr stand plötzlich mitten unter ihnen. Er sprach den Thomas an und sagte: „Thomas, komm her, sieh meine Hände und meine Seite! Lege den Finger in die Wundmalsstellen und die Hand in die Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Das tat Thomas, und dann brach es aus ihm heraus: „Mein Herr und mein Gott!“ Thomas hat für uns gezweifelt, und Thomas ist für uns bekehrt worden. Wir wollen uns ihm anschließen mit dem Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott! Jesus, unser Heiland und Erlöser!“

Amen.

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