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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Wunder

Predigtreihe: Die Wundertaten des Herrn (Teil 1)

25. August 1991

Die Leugnung der Wunder Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Leben Jesu war ein wunderbares Leben. Vom Stern der Magier bis zu dem Erdbeben bei seinem Tode reiht sich Wunder an Wunder. Die Evangelien sprechen an 20 Stellen in allgemeiner Weise davon, daß Jesus Wunder gewirkt hat. Im einzelnen werden 35 Wundertaten von ihm berichtet. Ein Wunder wird von allen vier Evangelien verzeichnet, nämlich die Brotvermehrung, 12 von drei, 6 von zwei Evangelien, die übrigen nur von einem Evangelium. Unter den Wundertaten des Herrn befinden sich drei Totenerweckungen, sechs Naturwunder, die übrigen sind Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen.

Gegen die Wunder im Leben Jesu sind von Anfang an bis zur heutigen Stunde Einwände erhoben worden. Im katholischen Bereich haben bis etwa zum Zweiten Vatikanischen Konzil die Theologen, soweit ich sehe ohne Ausnahme, an der Wirklichkeit der Wunder Jesu festgehalten. Darin hat sich ein grundstürzender Wandel vollzogen. Heute wird im katholischen Bereich ein Buch kolportiert von einem Herrn Weiser mit dem Titel: „Was die Bibel Wunder nennt“, in vierfacher Auflage vertrieben, in dem die meisten Wunder Jesu als Legenden bezeichnet werden. Vor kurzem wurde ein Mann auf einen Bischofsstuhl befördert, der, als er Professor war, jedenfalls die Naturwunder Jesu rundweg abgelehnt hat. Er heißt Kasper und ist jetzt Bischof von Rottenburg. Die Leugnung der Wunder Jesu kommt aus einem Dogma, aus einem Rationalistendogma, und dieses Rationalistendogma lautet: Wunder kann es nicht geben. Es gibt einen geschlossenen Naturablauf, und der duldet keine Ausnahme.

Die Wunder, die in den Evangelien berichtet werden, sind keine äußerliche Zutaten, sind nicht Einsprengsel in die Evangelien, die man auch herausnehmen könnte, sondern wer die Wunder aus den Evangelien entfernt, der zerstört die Evangelien. Sie sind mit dem Aufbau und dem Zweck und dem Charakter der Evangelien untrennbar verknüpft. Sie lassen sich nicht einmal von den Worten Jesu trennen. Die Worte Jesu sind mit seinen Wundern verbunden. Zum Beispiel benutzt er den wunderbaren Fischfang, um den Aposteln ihre Aufgabe, ihre Apostelaufgabe zu erklären. Johannes der Täufer, der anfragt, ob Jesus der Erwartete sei, bekommt nicht die Antwort: Hört auf meine Worte, sagt ihm von meiner Lehre, sondern Jesus sagt den beiden Abgesandten: „Meldet dem Johannes, was ihr seht und hört: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird Frohbotschaft verkündet.“ Und als der Herr über die beiden Städte Chorazin und Bethsaida das „Wehe!“ herabruft, da sagt er nicht: Diese beiden Städte haben meine Botschaft nicht angenommen, das ist bedauerlich, sondern er ruft das „Wehe!“ über sie herab, weil in diesen Städten so viele Wunder geschehen sind. „Weh euch, Chorazin, weh euch, Bethsaida. Wären in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen, die bei euch geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche Buße getan.“ Der Herr selbst also legt entscheidenden Wert auf seine Wundertaten. Sein Leben wird unverständlich, wenn man die Wunder aus ihm entfernt. Die Begeisterung seiner Jünger, die treue Anhänglichkeit an den Meister erklärt sich nicht bloß aus seinen wunderbaren Reden, sondern ihr Glaube entzündete sich, wurde angeregt und bekräftigt durch seine Machttaten. Die Ergriffenheit und das Staunen des Volkes lassen sich ohne die Wunder überhaupt nicht erklären. Nicht die Worte haben sie hingerissen, sondern seine machtvollen Taten. Der Haß der Gegner, das verlegene Zögern, gegen ihn vorzugehen, wird nur verständlich, wenn er im Besitz einer wunderbaren Gewalt war. Und seine Gegner haben ja auch seine Wunder gar nicht geleugnet, sie haben sie nur auf den Teufel zurückgeführt.

Die Besseren unter den Leugnern der Wunder versuchen einige zu retten, und das versucht auch Kasper. Sie sagen, Krankenheilungen hat Jesus vorgenommen, aber natürlich keine Naturwunder. Nun, meine lieben Freunde, die Naturwunder im Evangelium sind genauso beglaubigt wie die Krankenheilungen. Es besteht historisch und philologisch gesehen überhaupt kein Grund, die einen anzunehmen und die anderen abzuweisen. Wenn man nicht der vorgefaßten Meinung ist, daß solche Dinge nicht möglich sind, dann muß man sagen, entweder ist beides geschehen oder gar nichts. Man behauptet dann, um die Wundertaten Jesu möglichst zu eliminieren, es lasse sich in der Tradition ein Wachsen, ein Zunehmen, eine Vermehrung der Wunderberichte feststellen. Zunächst seien wenige Wunderberichte dagewesen, aber dann habe man sie vermehrt, neue dazu erfunden, bisherige ausgeschmückt. Meine lieben Freunde, diese These scheitert daran, daß das älteste Evangelium am meisten Wunder enthält. Das älteste Evangelium ist jenes nach Markus; es ist geradezu das Evangelium der Wunder, und das jüngste Evangelium, nämlich das des Johannes, enthält am wenigsten Wunder, nur fünf. Also das führt nun diese These wirklich ad absurdum. Nicht ein Wachsen in der Zahl der Wunderberichterstattung ist zu beobachten, sondern ein Abnehmen.

Die Wunderberichte der Evangelien sind von einer Nüchternheit und Klarheit, wie sie allen Legenden fehlen. Hier wird auf ganz diskrete Art geschildert, was vorgegangen ist. Die Legende malt aus, vergröbert. Wir haben ja solche Legenden, auch Legenden von Jesus in den apokryphen Evangelien. Da wird erzählt, daß der Knabe Jesus aus Lehm Vögel gebildet habe, sie in die Luft geworfen habe, und dann seien sie lebendig geworden. Das sind Mätzchen, nicht wahr, das sind Legenden. Und diese Legenden hat die Kirche abgewiesen. Sie hat diese Evangelien als apokryph, das heißt als verworren, als unecht, abgelehnt. Dagegen in den echten Evangelien, da wird alles in einer ganz schlichten, einfachen Sprache dargeboten, so, wie eben Erzähler berichten, die Augenzeugen gewesen sind. Denken Sie nur an die Geschichte von dem Kranken, der nicht zu Jesus kommen konnte, weil die Menge ihn umdrängte, die dann eben auf den Ausweg verfiel, das Dach abzudecken und ihn vom Dach herunterzulassen.

Alle Berichte über Jesus sprechen von seinen Wundertaten. Die Predigten des Petrus sind älter als die Evangelien. Bevor Evangelien geschrieben wurden, haben die Apostel gepredigt, und in den Petrus-Predigten, die uns in der Apostelgeschichte aufbewahrt werden, wird der Erweis der göttlichen Sendung Jesu nicht mit der Wahrheit seiner Lehre begründet, sondern mit seinen Machttaten. Gott hat ihn beglaubigt, indem er ihn mit Macht ausgerüstet hat. Sogar die jüdischen Quellen müssen zugeben, daß Jesus ein Wundertäter war. Nur sagen sie, er habe sie durch Zauberei vollbracht. So steht es im Talmud. Auch die nachapostolischen Schriften bezeugen die wunderwirkende Tätigkeit Jesu, z. B. die Schrift des Quadratus, und selbst die Heiden haben an der Wundertätigkeit Jesu nicht gerüttelt. Einer der Hauptgegner des Christentums, der Heide Celsus, bestreitet keineswegs, daß Jesus Wunder gewirkt hat, aber er verfällt auf denselben Ausweg wie die Juden; er sagt, sie seien durch Zauber gewirkt worden.

Die Wunder Jesu lassen sich aus seinem Leben nicht herausnehmen. Wer das tut, zerstört die Evangelien in ihrem Kern. Es ist auch nicht möglich, die einen Wunder beizubehalten und die anderen fallenzulassen. Entweder man behält alle Wunder bei, oder man gibt sie alle preis. Denn die Krankenheilungen, die von manchen zugegeben werden, lassen sich durch natürliche Kräfte erklären. Man sagt, durch Suggestion, also durch seelische Beeinflussung hat Jesus wie andere, z.B. der Kaiser Vespasian oder Appolonius von Tyana, Kranke geheilt. Meine lieben Freunde, es mag ja sein, daß Leiden, die auf seelische Ursachen zurückgehen, auch durch seelische Kräfte geheilt werden können. Das mag sein, obwohl wir heute glücklich wären, wenn wir solche Heiler hätten, die allein mit der Kraft der Seele auf seelische Leiden zurückgehende körperliche Leiden heilen können. Aber damit wird man immer nur funktionelle Störungen heilen können, also Krankheiten, die in der Funktionsschwäche eines Organs begründet sind, niemals organische Leiden. Welche Krankheiten aber hat Jesus geheilt? Die verkrümmte Frau, die seit vielen Jahren einen Buckel hatte, das ist keine funktionelle Störung, das ist eine organische Krankheit. Der Mann mit der verdorrten Hand, dem die Sehnen eingetrocknet oder zerstört waren, die Aussätzigen mit vorgeschrittenem Aussatz, der Mann mit der Wassersucht, der wahrscheinlich schwer Tuberkulöse am Bethesta-Teiche in Jerusalem, die gewaltsame Verletzung wie jene des Knechtes des Hohenpriesters, das sind keine funktionellen Störungen, das sind organische Krankheiten, und Jesus hat sie geheilt, augenblicklich, dauernd, ohne Vorbereitung, durch einen bloßen Willensentschluß. Er hat sie geheilt auf Entfernung hin, wie die Tochter der Syrophönizierin oder den Knecht des Hauptmanns von Kapharnaum.

Der Herr hat Wundertaten vollbracht, die sich nicht bestreiten lassen. Besonders sperrig sind die Dämonenaustreibungen. Man will die Dämonenaustreibungen auf Krankheitsfälle zurückführen. Man sagt, damals habe man bestimmte Krankheiten, wie manisches Irresein, Epilepsie, Melancholie auf dämonische Einflüsse zurückgeführt. Ja, aber wenn es Krankheiten waren, die nicht auf dämonische Einflüsse zurückgehen, dann hat der Herr sie eben als Wunderheiler beseitigt, dann hat er zwar nicht Dämonen ausgetrieben, sondern Wunder gewirkt, nämlich weitere Heilungswunder. Aber in der Tat lassen sich nicht alle Dämonenaustreibungen auf diese Weise erklären. Es gibt Dämonen, widergöttliche Mächte, es gibt die Möglichkeit, daß diese widergöttlichen Mächte Einfluß gewinnen auf den Körper des Menschen, und es gibt auch die Möglichkeit, daß die Macht des Namens Jesu diesen widergöttlichen Mächten Einhalt gebietet. Wer die Dämonenaustreibungen aus dem Leben Jesu entfernt, der nimmt ihm eine entscheidende Funktion seiner messianischen Tätigkeit, denn er ist gekommen, die Bollwerke des Teufels zu zerstören, und diese Zerstörung war nirgends wirksamer als da, wo er unmittelbar im Angriff gegen die Dämonen tätig war.

Es ist auch nicht wahr, wenn man sagt, Jesus habe nur da Wunder wirken können, wo er Glauben fand, Glauben gewissermaßen als die Bereitschaft, sich suggestiven Einflüssen auszusetzen. Der Glaube, den Jesus fordert, ist nicht die Suggestionsbereitschaft, sondern die Willigkeit, die Botschaft von Gott, von seinem Reiche anzunehmen und sich dessen Kundgebungen zu beugen. Die Suggestionsbereitschaft fand er in Nazareth auch, aber er fand nicht den Glauben, und deswegen hat er dort auch nur wenige Wunder gewirkt.

Es muß also,  meine lieben Freunde, dabei bleiben: Das Leben Jesu war ein wunderbares Leben. Er war ein Mann, bezeugt durch Machttaten und Zeichen, die er vor allem Volke gewirkt hat. Und diese Machttaten und Zeichen lassen sich nicht durch natürliche Kräfte erklären. Hier ist ein anderer als Vespasian oder als Appollonius von Tyana. Hier ist der menschgewordene Gottessohn, den der Vater mit der Kraft der Allmacht ausgerüstet hat.

Als einmal seine Gegner sein Wunderwirken auf den Teufel zurückführen, da sagt Jesus: „Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Ja, wahrhaftig, das Reich Gottes ist zu uns gekommen in Jesus, unserem Heiland, in seiner Lehre und in seiner Wahrheit, aber auch in seinen Machttaten und in seinen Wundern.

Amen.

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