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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Eigenschaften Gottes (Teil 11)

25. März 1990

Die Güte und Langmut Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es war unser Vorsatz und unsere Absicht, Gott zu erkennen, sein Wesen und seine Eigenschaften. Wir haben an den vergangenen Sonntagen uns viele dieser Eigenschaften vor Augen geführt. Heute wollen wir darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn wir sagen: Gott ist gütig und Gott ist langmütig.

Erstens also: Gott ist gütig. Dies besagt, daß Gott den Menschen Gutes wünscht und ihnen Wohltaten erweist. Gottes Güte ist ein Ausfluß seiner Liebe. Und von dieser Liebe sagt der Evangelist Johannes: „Gott ist die Liebe!“ Von einem Menschen kann höchstens gesagt werden: Er hat die Liebe, oder er erweist die Liebe. Aber von Gott muß man sagen: Er ist die Liebe. Sein Wesen ist es, Liebe zu sein. Und die Liebe will sich verströmen, und sie verströmt sich in der Güte. Gott liebt alles, was er geschaffen hat, und erweist allen Geschöpfen seine Güte. Nicht einmal die unvernüftigen Tiere sind von dieser Güte ausgeschlossen. Unser Heiland sagt von den Sperlingen, daß keiner von ihnen vergessen ist bei Gott.

Besondere Güte erweist Gott den Menschen. Der Leib des Menschen ist ein Wunderwerk der Schöpfermacht und Weisheit Gottes. Wie hat er uns doch schrecklich herrlich ausgestattet! Die Sinne, die Sprache, die Glieder, die vielen Fähigkeiten und Kräfte des Körpers. Alle Werkzeuge, die der Mensch geschaffen hat, der Hammer, die Säge, die Feile, was immer es sein mag, sind von der Hand des Menschen abgeleitet. Die Hand ist gewissermaßen das Universalwerkzeug des Menschen. Und unser Geist, wie wunderbar ist er geschaffen, mit Verstand, mit Willen, mit Gedächtnis, mit Reichtum an Gefühlen! Gott hat für den Körper und für die Seele viele Dinge geschaffen, die unser Entzücken und unsere Dankbarkeit erregen. Wie ist die Erde doch eingerichtet in zweckmäßiger Weise als Wohnsitz des Menschen. Gott sorgt für Nahrung, für Kleidung, für Wohnung. Er hat eine Mannigfaltigkeit von Steinen, von Erden, von Sänden geschaffen, aber darüberhinaus natürlich die Pflanzen, die ungeheure Mannigfaltigkeit von Gewächsen, Gräsern, Sträuchern und Bäumen, und schließlich diesen Reichtum an Tieren. Wunderbar ist Gottes Name wahrhaftig auf dieser Erde. Und all das hat er für den Menschen geschaffen. Denn sein Ziel war es, den Menschen über all diese Geschöpfe zu setzen. Und wie hat er die Erde ausgestattet mit Kräften! Die Atomkraft oder die Wasserkraft, die Kraft des Windes und die Elektrizität, was sind das für gewaltige Kräfte, die auf der Erde vorhanden sind und die der Mensch gewissermaßen nur zu erwecken braucht! In der Erde hat Gott Schätze angelegt, die wir benutzen dürfen, um unser Leben zu erhalten und angenehm zu gestalten. Die Steinkohlenlager, das Erdöl, das Erdgas – was sind das für nützliche Schätze! Die Salinen, die uns zur Ernährung dienen, und die Edelmetalle, die im Schoß der Erde ruhen! Dann die Mannigfaltigkeit der Zeiten, der Wechsel der Jahreszeiten, die Abwechslung zwischen Tag und Nacht, die verschiedenen Witterungen, Regen und Sonnenschein und Wind.

Wahrhaftig, Gott hat in seiner Güte prächtig für den Menschen gesorgt in der Natur, aber auch und erst recht in der Übernatur. Er hat uns seinen Sohn gesandt. Er hat uns seinen Sohn nicht nur als Lehrer und als Meister gegeben, sondern auch als Erlöser, der durch sein stellvertretendes Sühnopfer uns von der Sünde, vom Tod und von der Herrschaft des Teufels freigekauft hat.

Wenn man Gottes Liebe verstehen will, dann muß man den gekreuzigten Heiland anschauen. Der heilige Augustinus sagt einmal in ergreifenden Worten: „Sein Haupt hat er geneigt, um uns zu küssen. Seine Arme hat er ausgebreitet, um uns zu umarmen. Sein Herz hat er geöffnet, um uns zu lieben.“ Wahrhaftig, Gott konnte nicht mehr tun als er getan hat. „Niemand hat eine größere Liebe, als wer sein Leben hingibt für die Seinen.“ So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingab für die Menschen, um sie zu erlösen. Abraham hat einst seinen Sohn Gott zum Opfer darbringen wollen. Er war bereit, dieses Opfer zu vollziehen. Gott hat es ihm erspart. Das Anerbieten seines eingeborenen Sohnes, sich zu opfern, hat er nicht ausgeschlagen. Er hat seinen Sohn hingegeben, damit wir von ihm leben.

Besonders liebt Gott die Gerechten. Er kehrt in ihnen ein mit der heiligmachenden Gnade. Und das ist ein Erweis seiner Liebe, wenn der Vater und der Sohn und der Heilige Geist Wohnung nehmen im Menschen. Der Mensch wird ein Tempel Gottes! Gott erhört die Gebete der Gerechten, Gott lohnt ihre Treue. Hunderfachen Lohn gibt er ihnen, mehr als sie verdient haben. Gott liebt auch die Sünder. Aber da prallt er häufig gegen eine Wand. Ein Magnet vermag Eisenstäbe anzuziehen, aber wenn zwischen dem Magneten und den Eisenstäben eine Wand ist, dann vermögen die Stäbe nicht zum Magneten zu gelangen. Ähnlich ist es auch mit der Liebe Gottes. Wo ein Herz nicht empfänglich ist, da hat die Liebe Gottes ihre Macht über den Menschen verloren. Gott liebt alle Menschen, auch die Sünder; und das ist nicht der geringste, vielleicht der größte Schmerz der Verlorengegangenen, der Verdammten, daß sie sich sagen müssen, wie der heilige Pfarrer von Ars uns belehrt: „O, wie ist es schrecklich, so geliebt worden zu sein! O hätte Gott uns weniger geliebt, dann wäre die Qual der Hölle erträglich. Aber so geliebt worden zu sein, o welche Qual!“

Diese Güte Gottes müssen wir zu beantworten versuchen, indem wir Gott wiederlieben, indem wir seine Geschöpfe lieben, auch die Tiere und alles, was er geschaffen hat. So hat uns Gott die Gebote der Gottesliebe, der Nächstenliebe und der Feindesliebe gegeben. Das ist die Antwort, die wir auf Gottes Güte geben müssen: dankbar sein für seine Güte und werktätige Nächstenliebe erweisen. Ein Priester ging einmal über reife Fruchtfelder. Da traf er einen Bauern. Dieser Bauer trug seinen Hut in der Hand. Er fragte ihn: „Warum gehen Sie barhäuptig?“ Da antwortete der Bauer: „Wenn man durch diese reichen Fruchtfelder geht, muß man unbedeckten Hauptes gehen aus Dankbarkeit gegen Gott.“ Wahrhaftig, Dankbarkeit ziemt uns ob der großen Güte Gottes, die er uns in der Natur und in der Übernatur erwiesen hat.

Ein Ausfluß der Güte Gottes ist dann zweitens die Langmut. Gott ist langmütig. Was bedeutet das? Das besagt: Gott läßt dem Sünder Zeit zur Bekehrung. Er sieht der Empörung des Menschen gegen Gott und sein Gebot lange zu. Er straft nicht sogleich wie die Menschen, die sofort Strafe verhängen oder verhängen möchten. Gott läßt dem Sünder Zeit. Er macht es, wie es einmal der Heiland in einem Gleichnis geschildert hat: Jemand hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt. Er kam und suchte Frucht an ihm, fand aber keine. Da sprach er zu dem Winzer: „Siehe, schon drei Jahre komme ich nun und suche Frucht an diesem Feigenbaum, finde aber keine. Haue ihn um! Wozu saugt er noch den Boden aus?“ Der aber erwiderte ihm: „Herr, laß ihn noch dieses Jahr stehen! Ich will rings um ihn aufgraben und Dünger einlegen. Vielleicht bringt er künftig doch Frucht. Wenn nicht, dann magst du ihn später umhauen lassen.“ Dieses Gleichnis ist ein Beispiel für das Verfahren Gottes mit dem Sünder. Jeder Sünder bleibt längere oder kürzere Zeit in der Sünde. Aber nicht gleich wird er hinweggerafft. Nicht sogleich wird der Baum umgehauen, sondern Gott läßt dem Sünder Zeit, weil er Mitleid hat mit der Schwäche des Menschen und weil er ihm Gelegenheit bieten will, sich zu bekehren. Gott weiß, wie der Mensch zum Bösen geneigt ist. Er weiß, wie er immer wieder der Verführung zu erliegen droht. Er weiß, welches Erbe er von den Urvätern empfangen hat. Und deswegen läßt er dem Menschen Zeit zur Bekehrung, dem einen längere, dem anderen weniger lange Zeit, aber er läßt ihm Zeit. Dafür gibt es in der Heiligen Schrift manche Beispiele. Die Bevölkerung von Ninive erhielt vierzig Tage Zeit, sich zu bekehren. Jonas durchzog die Stadt und rief zur Buße auf: „Noch vierzig Tage, dann geht Ninive zugrunde!“ Und siehe da, die Menschen bekehrten sich. Der König zog seine Prachtgewänder aus und legte einen Sack als Kleid an. Die ganze Bevölkerung tat Buße, und so ging das Verhängnis an ihr vorüber.

Auch den Juden ließ Gott Zeit, nachdem sie den Herrn und Heiland, den Messias Gottes dem Tode ausgeliefert hatten. Es vergingen noch weit über dreißig Jahre, ehe die Heere des römischen Kaisers die Stadt Jerusalem einschlossen und schließlich erstürmten, den Tempel und die Häuser vernichteten und die Bevölkerung fortführten. So war es auch in der Zeit des Noe. Als die Menschen schlecht geworden waren, da ließ ihnen Gott Zeit, sich zu bekehren. Und erst, als die von ihm festgelegte Zeitspanne abgelaufen war, brach die Sintflut über die Menschen herein und vernichtete sie bis auf wenige Auserwählte, die gerettet wurden.

Das sind Beispiele, die auch uns etwas zu sagen haben, meine lieben Freunde. Gott läßt auch uns Zeit, aber wir wissen nicht, wie lange. Und das ist der Grund, weswegen wir unsere Bekehrung nicht aufschieben sollen. Wir dürfen nicht sagen: Gott ist langmütig, Gott ist geduldig, Gott ist barmherzig, Gott ist gütig, um das zum Anlaß zu nehmen, in der Sünde zu verharren. Ein junger Mann lebte in schwerer Sünde. Und er dachte nicht daran, sich zu bekehren. Wenn ihm einmal der Gedanke kam, dann schlug er ihn aus und sagte: „O, ich bin noch jung. Für die Frömmigkeit ist die Zeit des Alters gut. Wenn ich einmal alt bin, dann kann ich fromm werden.“ Eines Tages hatte dieser junge Mann einen Traum. In diesem Traum sah er die Hölle vor sich und wie in dieser Hölle eine neue Behausung errichtet wurde, die fast fertig war. Er erkundigte sich, für wen diese Behausung sei. Er bekam zur Antwort: „Es fehlt nur noch ein Stein, dann wird es deine Behausung sein.“ Als der Mann aufwachte, war er wie umgewandelt. Er eilte zu einem Priester und bekannte seine Sünden. Er begann ein neues Leben. Die schreckliche Erfahrung, verloren zu sein, die Langmut Gottes zu mißbrauchen, hatte ihn bekehrt, und er sagte zu dem Priester: „Hochwürden, erzählen Sie, sooft Sie können, die Geschichte meiner Bekehrung! Vielleicht, daß sich auch ein anderer deswegen bekehrt!“

Die Langmut Gottes also ermuntert uns nicht, zu sündigen, sondern treibt uns an zur Bekehrung. Und viele haben diese Langmut Gottes benutzt, die heilige Maria Magdalena, die heilige Maria von Ägypten, der heilige Augustinus und die anderen Büßer der Kirchengeschichte. Sie wußten, daß die Güte Gottes sie zur Bekehrung einlädt. Es hat freilich auch Sünder gegeben, die durch die Langmut Gottes noch mehr verhärtet wurden, die gehöhnt haben: „Ich habe gesündigt, und was ist mir passiert? Nichts.“ Es ist wie mit der Sonne. Die Sonne hat verschiedene Wirkungen, je nachdem, ob sie auf Lehm trifft oder auf Wachs. Das Wachs wird von der Sonne erweicht, der Lehm wird von ihr gehärtet. Ähnlich ist es mit der Langmut Gottes.

Wir, meine lieben Freunde, wollen Gott nicht versuchen. Wir wollen uns daran erinnern, daß Gottes Langmut uns zur Buße und Bekehrung treibt. Wir wollen die Bekehrung nicht aufschieben, sondern sie so rasch und so gründlich wie möglich vollziehen, damit es uns nicht geht wie dem unfruchtbaren Feigenbaum. Wenn die Zeit verstrichen ist, die Gott festgesetzt hat zur Bekehrung, dann wird der Baum umgehauen und ins Feuer geworfen.

Amen.

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