Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Gebote Gottes (Teil 6)

3. August 1986

Die Bedeutung des Eides

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn ein Mensch Schwierigkeiten hat, Glauben zu finden, dann nimmt er einen anderen als Zeugen. Und wenn der andere bezeugt: „Was jener Mensch sagt, das habe ich auch gesehen“, dann nehmen wir die Aussage des Menschen als glaubwürdig an. Wenn man sich nun für die Wahrheit, für die Wahrhaftigkeit seiner Rede Gott als Zeugen nimmt, dann spricht man vom Eid oder vom Schwören. Schwören oder einen Eid ablegen heißt Gott zum Zeugen anrufen, daß eine Aussage wahr oder ein Versprechen aufrichtig ist.

Aus dieser Definition ergeben sich also zwei Arten von Eid, den Aussageeid und den Versprechenseid. Der Aussageeid besteht eben darin, daß Gott zum Zeugen für die Wahrheit dessen, was da ausgesagt wird, angerufen wird. Einen solchen Aussageeid hat Jesus selbst geleistet. Als der Hohepriester ihn bei Gott beschwor, zu sagen, ob er der Messias sei, antwortete er: „Ja, du sagst es!“ Und einen Versprechenseid hat der unglückselige Esau geleistet, als er seine Erstgeburt für ein Linsengericht zu verkaufen versprach.

Der Eid muß in einer Form geleistet werden, daß die Anrufung Gottes erkennbar wird. Man gebraucht gewöhnlich die Formel: „Bei Gott!“ „So wahr mir Gott helfe!“ „So wahr ein Gott lebt!“ Wenn der Eid nicht Gott selbst erwähnt, sondern das Kreuz, das Evangelium oder den Himmel, dann ist selbstverständlich mit diesen Gegenständen Gott gemeint, denn das Kreuz und das Evangelium und der Himmel können ja nicht eintreten für die Wahrheit einer Aussage und können auch die Verfehlung gegen die Wahrheit nicht strafen. Wenn man also sagt, man schwört bei den heiligen Evangelien, dann meint man damit, bei dem Urheber der heiligen Evangelien, nämlich bei Gott.

Es gibt einen einfachen und einen feierlichen Eid. Der einfache Eid wird im täglichen Leben geleistet: „Ich beschwöre es!“ „Bei Gott!“ Der feierliche Eid wird von der Obrigkeit abgefordert, z. B. vor Gericht, oder wenn man in den Staatsdienst eingestellt wird, oder auch, wenn die Kirche einem Pfarrer eine Pfarrei überträgt. Er besteht darin, daß vor dem Kreuz, zu dessen beiden Seiten Kerzen brennen, der Eidleistende sich aufstellt, die Hand, drei Finger der rechten Hand in die Höhe hebt und aussagt: „So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium!“ So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium. Das heißt: Wenn meine Aussage nicht wahr ist, dann verzichte ich auf den Schutz Gottes und seiner evangelischen Verheißungen. Drei Finger hebt man empor, weil Gott dreifaltig ist. Die drei Finger deuten also auf den dreifaltigen Gott, bei dem der Schwur geleistet wird.

Nun steht allerdings im Neuen Testament in der Bergpredigt eine Reihe von Sätzen, die den Eid zu verbieten scheinen. Der Herr sagt im 5. Kapitel bei Matthäus: „Ihr habt gehört, daß den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht falsch schwören! Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören! Nicht bei dem Himmel, denn er ist der Thron Gottes, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch bei deinem Haupte sollst du nicht schwören, weil du nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz machen kannst. Euere Rede sei ein Ja für ein Ja, ein Nein für ein Nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen.“

Ihr sollt überhaupt nicht schwören! Das klingt wie ein Eidesverbot, und so haben es manche Sekten verstanden, z.B. die Mennoniten. Sie lehnen den Eid radikal ab. Ebenso die Zeugen Jehovas. Die katholische Kirche hat die Stelle nicht so verstanden. Und das ist wieder ein Beispiel, meine lieben Freunde, wie die Schrift allein nicht genügt, um Gottes Willen zu erkennen. Zur Schrift muß die amtliche, authentische Auslegung durch die Kirche treten. Der Heilige Geist übergibt sein Buch nicht dem Einzelmenschen, daß er nun auf gut Glück versuche, zu verstehen, was da geschrieben steht, der Heilige Geist übergibt sein Buch der Kirche, die mit göttlicher Vollmacht dieses Buch auslegt. Und so hat die Kirche diese Stelle von Anfang an nicht als ein absolutes Eidesverbot verstanden, sondern als die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit.

Der Eid ist nicht verboten, aber er soll unnötig sein. Wenn sich alle an die Pflicht zur Wahrhaftigkeit halten, dann braucht es keinen Eid, denn dann nimmt man dem, der etwas sagt, das, was er sagt, als wahr ab. Also erst die menschliche Unwahrhaftigkeit, die menschliche Unaufrichtigkeit, die menschliche Verlogenheit hat den Eid nötig gemacht. Und weil das eben der Zustand der gefallenen Menschheit ist, deswegen ist der Eid nicht verboten. Er ist erlaubt. Wenn er nicht erlaubt wäre, hätte Jesus keinen Eid geschworen vor dem Hohenpriester. Wenn er nicht erlaubt wäre, hätte Gott nicht geschworen schon im Alten Bunde. Er hat dem Moses nach dem Erlebnis auf dem Berg Moriah geschworen, daß die Nachkommenschaft zahlreich wie der Sand am Meere werden solle. Wenn der Eid nicht erlaubt wäre, hätte Paulus nicht geschworen. In seinen Briefen, etwa im 2. Korintherbrief und im Römerbrief, kommen mehrfach Eide vor: „Bei Gott!“ „Ich sage die Wahrheit in Christus!“

In der Tat ist der Eid erlaubt, wenn ein vernünftiger Grund dafür vorliegt. Ja, er ist sogar Gott wohlgefällig, denn er ist eine Form der Gottesverehrung. Deswegen auch das heutige Thema der Predigt: der Eid. Wir stehen ja in Überlegungen zum 1. Gebot. Das 1. Gebot gebietet, Gott zu ehren. Der Eid ist eine Ehrung Gottes, denn wer schwört, nimmt Gottes Eigenschaften der Allmacht, der Allwissenheit und der Gerechtigkeit, ernst. Er ist überzeugt davon, daß Gott denjenigen, der einen Meineid leistet oder Eidbruch begeht, strafen kann. Er rechnet also mit Gottes Allmacht und mit Gottes Allwissenheit. Darum ist der Eid nicht nur erlaubt, sondern Gott wohlgefällig, eine Form der Gottesverehrung.

Freilich dürfen wir nur schwören, wenn ein vernünftiger, ein gewichtiger Grund vorliegt. Hausierer, die, um ihre Ware anzupreisen, Schwüre leisten, verfehlen sich gegen diese Forderung. Es muß ein gewichtiger, ein schwerwiegender Anlaß vorliegen, damit wir einen Eid leisten; nicht wegen geringfügiger Dinge dürfen wir Gott zum Zeugen anrufen. Wenn wir aber einen solchen gewichtigen Anlaß haben, dann muß der Eid geleistet werden wahr, überlegt und gerecht. Der Eid muß wahr sein, d.h. unsere Aussage muß der Wirklichkeit entsprechen, und unser Versprechen muß aufrichtig gemeint sein. Einen wahren Eid leistete der römische Feldherr Regulus im Jahre 250 v.Chr. Er wurde in einem Krieg von den Karthagern gefangengenommen. Die Karthager sandten ihn dann nach Rom, in seine Heimat also, damit er dort um Frieden bitte. Aber bevor er abreiste, mußte er versprechen, wenn es nicht zum Frieden komme, müsse er zurückkehren. Regulus leistete diesen Eid. Er kam nach Rom, er trat im Senat auf, er erzählte von der Schwäche der Karthager; Rom solle ja keinen Frieden schließen. Die Römer beschworen ihn, nicht mehr zurückzukehren nach Karthago. Der Oberpriester wollte ihn mit Gewalt festhalten, aber Regulus stand zu seinem Eid. Er kehrte zurück und wurde von den Karthagern hingerichtet. Dieser Mann hatte einen wahren Eid geleistet, und er stand zu seinem Eid. Anders als der erste Papst, Petrus. Der hat einen falschen Eid geleistet. „Ich kenne diesen Menschen nicht!“ So hatte er gesagt und dabei geschworen. Der heilige Thomas Morus hat es nicht nur abgelehnt, einen falschen Eid zu leisten, sondern auch eine Zweideutigkeit beim Schwören zuzulassen. Er wurde ins Gefängnis geworfen, weil er den König Heinrich VIII. von England nicht als das Oberhaupt der englischen Kirche anerkennen wollte. Man legte ihm eine Formel vor, die er beeiden sollte: 'Ich erkenne alle Bestimmungen meines Herrn und Königs an!' Da traten Freunde zu ihm und sagten: „Thomas, du kannst doch unter deinem Herrn und König Gott verstehen! Wenn du diesen Satz aussprichst: Ich erkenne alle Bestimmungen, alle Vorschriften meines Herrn und Königs an, kannst du an Gott denken!“ „Nein,“ erwiderte Thomas Morus, „das wäre nicht ehrlich, das wäre nicht eindeutig!“ Und so ist Thomas aus Treue zu seiner Wahrhaftigkeit hingerichtet worden.

Der Eid muß wahr geleistet werden. Er muß auch überlegt geleistet werden, d.h. wir müssen uns vorher darüber Gewißheit verschaffen, daß das, was wir aussagen, wahr ist und daß wir das, was wir versprechen, ehrlich meinen. Es gibt unüberlegte Eide. Einen solchen unüberlegten Eid leistete Herodes. Als seine Tochter Salome bei dem Geburtstagsfest auftrat und tanzte, da war er so hingerissen, daß er sagte: „Ich will dir alles geben, und wäre es die Hälfte meines Reiches!“ Das war unüberlegt, denn dann kam das Mädchen, beraten von der Mutter, und sagte: „Ich will, daß du mir auf einer Schüssel das Haupt Johannes' des Täufers gibst.“ Da wurde der König plötzlich nüchtern, aber er hielt sich aus Menschenfurcht an seinen schlechten, unüberlegten Eid gebunden und überlieferte dem Mädchen das Haupt des Vorläufers Jesu.

Der Eid muß wahr, er muß überlegt, er muß gerecht sein, d.h. der Inhalt des Eides muß mit dem Sittengesetz übereinstimmen. Wir dürfen nur das aussagen, was auch tatsächlich mitteilbar ist, und wir dürfen nur das versprechen, was auch sittlich zulässig ist. Die 40 Männer, die einen Eid ablegten, daß sie nicht eher essen und trinken würden, bevor sie den Apostel Paulus umgebracht hätten, hatten nicht bedacht, daß sie einen schlechten Inhalt ihres Eides gewählt hatten (Apg 23,13f.).

Die Eidesvergehen sind der Meineid und der Eidbruch. Meineid ist der falsche Eid. Wenn also jemand etwas beschwört, von dem er weiß, daß es nicht wahr ist, oder wenn jemand etwas beschwört, von dem er nicht will, daß er es hält. Der Meineid ist ein furchtbares Verbrechen, eine Herausforderung Gottes, eine wahre Provokation gegen Gott. Und auch der Eidbruch ist schlimm; wenn man zwar ehrlich geschworen hat, aber dann das Geschworene nicht hält. Solche Eidbrüche sind im Laufe der Geschichte häufig vorgekommen. Der König Sedezias von Juda hatte dem Großkönig Nabuchodonosor geschworen, er werde sein Vasall sein, ihm die Treue halten, aber er hat dies Versprechen gebrochen. Dann kam der König, ließ ihm die Augen ausstechen und ihn nach Babylon fortführen. Oder aus jüngerer Zeit: Der König Ladislaus von Ungarn hatte dem türkischen Herrscher Murad II. Frieden versprochen, aber er griff doch wieder zum Schwert. Bei Warna kam es zur Schlacht. Der König fiel mit den meisten seiner Großen.

Eidbruch und Meineid sind schwere Verfehlungen. Karl der Große hat einmal die Todesstrafe für diese Verfehlungen festgesetzt. Später wurden dann jenem die drei Schwurfinger der rechten Hand abgehackt, der einen Meineid geleistet hatte. Es gibt freilich, meine lieben Freunde, die Möglichkeit, daß ein Eid hinfällig wird. Man kann in aller Redlichkeit geschworen haben, einem Menschen, einem Mann, einem Herrscher die Treue zu halten, aber wenn der Herrscher die Treue seinem Volke nicht hält, wie der Mann namens Adolf Hitler es getan hat, dann wird der Eid hinfällig, dann ist der Eid nicht mehr verbindlich, dann braucht sich der Eidleistende an seinen Eid nicht mehr gebunden zu halten. So haben mit Recht die Männer, gläubige Männer, um Stauffenberg argumentiert und gehandelt.

Wir wollen uns merken: Wir haben eine Pflicht zur Wahrhaftigkeit. Der Eid soll unter uns nicht notwendig sein. Wenn er geleistet wird, dann muß ein begründeter Anlaß vorliegen, und dann sollen wir ihn leisten in Wahrheit, mit Überlegung und in Gerechtigkeit, denn auch mit dem Eid erfüllen wir das 1. Gebot: Du sollst den Herrn, deinen Gott, ehren und du sollst keine fremden Götter neben mir haben!

Amen.

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