Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Oktober 2022

Die Welt kommt von Gott und führt zu Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Welt ist nicht Gott, das haben wir am vergangenen Sonntag betrachtet. Aber sie kommt von Gott, und sie führt zu Gott.

I. Die Welt kommt von Gott

Die ganze Welt, das Weltall, alle Geschöpfe stammen von Gott. Daher haben sie auch alle etwas Göttliches, etwas Schönes, etwas Ergreifendes, etwas Liebenswürdiges an sich. So können wir an den Menschen, an allen Menschen etwas Lobenswertes finden, wenn sie uns auch noch so weh tun und kränken. Man muss sich in die Menschen hineindenken, das Gute an ihnen suchen und entdecken. In jedem ist etwas Schönes, etwas Göttliches, das man anerkennen muss, das man gelten lassen muss. Weil alles von Gott ist, darum ist auch alles in der Hand Gottes. Er trägt alles in seiner Hand, auch das, was scheinbar ganz herausgefallen ist – es gibt nichts, was ganz herausfällt. Auch das nicht, was so weit entfernt scheint wie der Zufall oder das Schicksal. Zufall meint das Zustandekommen eines Ereignisses, auf dessen Wirkfaktoren weder von Natur aus noch durch eigene bewusste Absicht etwas ausgerichtet ist. Zufall ist das, was ohne erkennbaren Grund und ohne Absicht geschieht, das Mögliche, das eintreten kann, aber nicht eintreten muss. Für den Menschen ist der Zufall im kosmischen Werden und im individuellen Leben ein höchst realer Index der Kontingenz und Geschöpflichkeit, eine „Vorform des Schicksals“ (W. v. Scholz). Es gibt Zufälle, die kein Mensch erklären kann, lächerlicher Art manchmal, tragischer Art zuweilen. An einem Zufall kann ein Leben, ein Lebensglück, eine Berufung, eine Stellung scheitern. Man kommt zu spät zu einer entscheidenden Besprechung, weil ausgerechnet die Straßenbahn stecken bleibt: Einer versäumt die Gelegenheit, sein ganzes Leben wird wegen dieses Zufalls in eine andere Bahn geworfen. Mancher ist bitter geworden, weil es ihn traf. Aber auch das Zufällige ist in Gottes Hand. Gott trägt es, hat es eingerechnet. Er weiß, wie weit es jemand bringen kann, er kann ihm seine Bahn vorschreiben. Vor Gott gibt es keinen Zufall; bei ihm ist es das Wissen und die Bestimmung der Liebe. Alles, was dem Menschen begegnet, manifestiert sich als ein wirkendes Sinngeschehen, durch das er in seinem Handeln und seiner Selbstdeutung herausgefordert ist.

Und dann das Schicksal! Es ist die allgemeine Erfahrung des Menschen, dass er in dem ihm Widerfahrenden von einer höheren Gewalt abhängig ist. Immer nur ein Teil im Leben entspringt unserem zielstrebigen Planen und Handeln; vielfältig sind wir von außer uns liegenden Faktoren abhängig, über die wir keine Macht haben. Der Spielraum des Willens ist eingebettet in das Unvorhersehbare und Unabwendbare. Neben der zerstörerischen Sinnlosigkeit glaubt man oft eine höhere, der kleinen Menschenvernunft überlegene Weisheit des Schicksals zu erkennen. Jedenfalls gilt: Eine Summe von Notwendigkeiten steht über jedem Menschenleben, oft Bedrängnisse furchtbarer Art. Was ist an uns Notwendigkeit, die unausweichlich ist? Was ist von fernen Geschlechtern auf uns gekommen? Es geht nichts verloren von den Keimanlagen; es ist auf einmal wieder aufgewacht, nachdem es Generationen lang geschlummert hatte. Und so steht über manchem Menschen etwas Furchtbares in Gestalt einer Vererbung, einer Neigung, einer Charakterart, die er tragen muss, die ihm sein Leben zu einem Kreuz machen, zu einer Qual, zu einer Nacht ohne Ende. Wie unser Leib ist, unser Charakter, unser Gefühlsvermögen, unsere Empfindungskraft, das ist uns mitgegeben. Und dann die Notwendigkeiten, die von der Umgebung auf uns einwirken; von den Menschen, von den Verhältnissen, in die wir hineingeboren wurden. Wie viele Talente werden nicht entwickelt, weil die Umgebung kein Verständnis hat. Man zwingt das Kind in einen Beruf, der ihm verhasst ist; das Beste in ihm kommt nicht zur Entwicklung. So mancher ist für ein gesundes Eheleben verdorben worden durch das, was er in der Ehe seiner Eltern erleben musste. Entsetzliche Schicksale können über einem Menschen stehen und sein Leben scheinbar auf ein totes Geleise schieben. Doch auch das ist in der Hand Gottes. Die Welt ist von Gott. Wir müssen ernst machen mit diesem Glaubensbekenntnis. Auch die Schicksale sind in Gottes Hand. Es gibt den Ausweg, vielleicht nicht in diesem Dasein, aber einst im ewigen Leben. Er kann die Schicksale zu einem positiven Ziel führen.

Alles ist von Gott – darum auch alles im Dienste Gottes. Alle Geschöpfe sind Boten Gottes, die etwas zu melden haben, einen Dienst als Knecht oder Magd zu leisten haben. Sie haben uns etwas zu sagen, haben einen Auftrag an uns zu erfüllen. „Über Nacht, über Nacht kommt Glück und Leid, und eh du gedacht, verlassen dich beid` und gehen zu Gott, um zu sagen, wie du sie getragen.“ Glück und Leid sind Boten Gottes. Menschen und Verhältnisse kommen herab von ihm, kommen zu uns, gehen wieder hinauf und melden, was wir damit getan, wie wir sie getragen.

II. Die Welt führt zu Gott

Wie sollen wir uns zu den Geschöpfen, die uns umgeben, stellen? Was sollen wir mit ihnen machen, damit sie uns zu Gott führen? Zunächst gilt: Wir sollen sie nicht verachten. Wie könnten wir uns herausnehmen, etwas, was Gott gemacht hat, geringzuschätzen und zu sagen: Das ist nichts! Wir dürfen nichts verachten. Hinter der Verachtung steht oft, ja meist ein Ressentiment. Weil sie nichts von der Welt haben, was sie gern hätten, sagen sie, sie wollen nichts von der Welt. Frühling, Blumen, Liebe, Schönheit, Glück – nicht der Mühe wert, lauter saure Trauben. In Wirklichkeit sie ihnen zu hoch hängen. Es ist immer verdächtig, wenn ein Mensch an nichts etwas findet, auch an großen, wertvollen Dingen.

Wir sollen nichts fürchten. Weil alles von Gott ist und zu Gott führen soll, ist nichts zu fürchten an den Dingen dieser Welt, nicht einmal im Leid, auch nicht im Tode. Auch der Tod ist ein Bote Gottes; ein lieber Bote Gottes, der zu uns kommen und sagen wird: „Du hast genug gearbeitet, lass den Spaten stehen! Komm, lass uns heimwärts gehen, es ist schon spät.“ Wozu Angst und Furcht vor dem Tode? Ein hoher Offizier sagte einmal, gläubige Flieger seien im Allgemeinen zaghafter als ungläubige; er wunderte sich darüber. Aber es ist wohl begreiflich. Ein Mensch, bei dem mit dem Tod alles aus ist, braucht nichts zu fürchten. Wir sollen nichts missbrauchen von den Dingen dieser Welt. Wir sind nicht Herren, sondern nur Verwalter. Wer ein Geschöpf im Herrensinne gebrauchen wollte, missbraucht es schon. Das Wichtigste ist die Ehrfurcht; ohne Ehrfurcht missbrauchen wir die Geschöpfe. Die höchste Ehrfurcht schulden wir den Menschen. Wie manche fühlen sich als Herren! Gerade die, welche von anderen getreten werden, treten mit Vorliebe auch andere. Menschen, die kein Herz, keine Großzügigkeit, kein Wohlwollen haben, legen es darauf an, andere zu drükken, andere zu kommandieren, andere ihre Übermacht fühlen zu lassen. Das ist immer Missbrauch.

Weil die Dinge von Gott sind, sollen wir uns auch an ihnen freuen, denn sie haben etwas Schönes an sich. Die Aufforderung, sich abzutöten, selbst zu verleugnen, ist der Freude nicht entgegengesetzt. Wir müssen uns beständig vorsehen und kontrollieren, dürfen uns niemals ganz gehen lassen, müssen uns immer in der Gewalt haben. Aber das heißt nicht, dass wir uns jede Freude versagen müssten, absichtlich und künstlich. Es ist ein Dienst Gottes, eine Ehrfurcht und Dankbarkeit gegen Gott, wenn wir anerkennen, dass Gott etwas Gutes tut mit seinen Geschöpfen. Wir dürfen, ja, wir sollen uns freuen. Dann sollen wir die Dinge gebrauchen, weil sie uns von Gott als Mittel zu Gott gegeben sind. Man kann alle gebrauchen, auch die unsympathischen, minderwertigen. Wenigstens kann man an ihnen wachsen, an ihnen lernen; man gewinnt an Erfahrung, an Weite des Lebens, man wird gewandter. Der Reibungswiderstand im Stofflichen bedeutet Steigerung der Energien. Aller Fortschritt würde zum Stillstand kommen, es würde sich keine Fähigkeit entwickeln, wenn die Reibung nicht wäre. Das gilt auch im geistigen Leben. Kinder, die reibungslos erzogen wurden, gelten als lebensunfähig; sie sitzen wie auf einer glatten Eisfläche und können nicht vorankommen. Die Reibung ist sehr wichtig, wir benützen sie nur zu wenig. Das Wort der alten Griechen, dass der Krieg der Vater aller Dinge ist, hat, richtig verstanden, eine Berechtigung.

Endlich sollen wir den Dingen helfen, weil sie zu Gott wollen. Es gibt kein Geschöpf, das allein zu Gott kommt. Jedes Geschöpf bringt eine große Schar anderer Geschöpfe mit sich. Es gibt keinen Menschen, der für sich allein auskommt. Ohne die Hilfe anderer Menschen wären wir wie kleine wilde Tiere, der Verstand in uns würde sich nicht entwickeln. Und wie wir selbst nicht ohne andere auskommen, so kommen die anderen nicht ohne uns aus. Wir sind alle aufeinander angewiesen. Darum ist es ebenso ein Gebot der Klugheit wie der Liebe, dass man anderen hilft. Der Mensch, der sich absondern wollte, würde nicht vorankommen, würde zugrunde gehen, wäre schon verloren. Hier sehen wir das Prinzip des Apostolates schon in der Natur vorgebildet. In bin für die anderen da. Ich bin dafür da, anderen zu dienen. Das ist mein Beruf. Dadurch erfülle ich den Auftrag, den Gott mir als Knecht oder Magd gegeben hat. Ich kann Gott nicht unmittelbar dienen, sondern nur in den Geschöpfen. Ihnen muss ich helfen, ihnen das Dasein erleichtern, ihnen das Leben aufhellen. Sie muss ich befreien, aufwärts führen, ihnen ein Licht schenken. Je mehr ich das tue, desto vollkommener ist die Erfüllung meines eigenen Lebensberufes und Lebenszweckes. Es ist eine verkehrte Ansicht zu meinen, die Weltdinge hielten uns von der wichtigsten Beschäftigung ab. Gerade die wichtigste Beschäftigung sind die Weltdinge, die Menschen, die uns brauchen, denen wir etwas zu sagen und zu geben haben. Durch sie erfüllen wir den Auftrag Gottes. So ist es wirklich wahr, dass der Mitmensch der Weg zu Gott ist und dass niemand zu Gott kommt, außer er ist durch den Menschen hindurchgegangen. So wahr, dass auch im Christentum der Weg zu Gott durch einen Menschen führt: den Gottmenschen. Durch ihn gehen wir zu Gott. So können wir zu jedem Menschen sagen, der uns begegnet: Siehe, das ist dein Mensch, dein Weg zu Gott. Gerade die Menschen, die am meisten von uns fordern, die am meisten von uns empfangen können, sind für uns die besten Wege zu Gott.

Amen.

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