Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 2021

Hirten erst kundgemacht

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die ersten Worte des heutigen Evangeliums lauten: „In jenen Tagen“. Damit knüpft es an die Geburt Johannes des Täufers an (Lk 1,57-80). Er ist sechs Monate vor Jesus in einer Gebirgsstadt von Juda geboren. Dieser Johannes ist es, der „dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten wird“, wie der Engel Gabriel verkündete. Sein Beruf wird es sein, Vorläufer und Wegbereiter des Messias zu sein. Der Unglaube versucht, Johannes und Jesus auseinander zu dividieren. Dieser Absicht wehrt der Täufer: „In eurer Mitte steht der, den ihr nicht kennt, der nach mit kommt, dessen Schuhriemen aufzubinden ich nicht würdig bin.“ Johannes und Jesus gehören zusammen; sie lassen sich nicht trennen. Dann ist die Rede von Kaiser Augustus. Das war Caesar Octavius Augustus. Er stand als erster römischer Kaiser seit 27 vor Christus an der Spitze des Römischen Reiches und starb 14 nach Christus. er gab dem Augusteischen Zeitalter, einer Blütezeit des Römischen Reiches, den Namen. Er stellte Ruhe und Ordnung durch den „Kaiserfrieden“, die Pax Augusta, wieder her und brachte Wohlstand für Italien und die Provinzen. Augustus genoss göttliche Verehrung. Das Römische Reich erstreckte sich von Britannien, Gallien und dem Niederrhein mit dem 50 nach Christus zur Stadt erhobenen heutigen Köln über Spanien, Italien, den Balkan, Anatolien und Nordafrika bis zu dem 30 vor Christus eroberten Ägypten. Seit 63 vor Christus, seit der Eroberung Jerusalems durch Pompejus, gehörte Palästina zum Römischen Reich. Das Land Judäa mit der Hauptstadt Jerusalem genoss unter König Herodes dem Großen ein gewisses Maß von Selbstständigkeit als ein von Rom abhängiges Königreich. Im Norden grenzte an Judäa die römische Provinz Syrien, von der Judaä abhängig war. Lukas nennt den römischen Statthalter: Publius Sulpicius Quirinius. Weihnachten ist keine Geschichtsstunde. Warum nennt Lukas die Namen des Kaisers Augustus und des Statthalters Quirinius? Weil sich hier Weltgeschichte – die Geschichte des Römischen Reiches – und Heilsgeschichte – die Geschichte des Wirkens Gottes mit den Menschen – verbinden. Das Kind Jesus, das nach der Verkündigung des Engels an Maria Sohn Gottes genannt wird (Lk 1,32), ist nicht irgendwo geboren, schon gar nicht in den Mythen, den Hirngespinsten von Menschen. Er ist keine Ausgeburt der Phantasie. Nein, er wird in einer konkreten, politisch eindeutigen Situation der Weltgeschichte geboren, eben zu der Zeit des Kaisers Augustus und des Statthalters Quirinius in Syrien.

Lukas spricht von dem Gebot des Kaisers, wonach alle sich in Steuerlisten eintragen mussten. Das war der römische Reichszensus. Dazu gehörten ein Personenstandsregister, die Bemessung des Grundeigentums und die Steuerveranlagung. Der erste Reichszensus seit dem Herrschaftsantritt des Augustus ging zwischen 8 vor Christus und 6 nach Christus vor sich. Der Zensus fand auch im Herrschaftsbereich Herodes des Großen statt. Dieser Herrscher war von Rom abhängig und musste die Erhebung dulden wie die relativ selbständigen Reiche der Nabatäer in Petra und des syrischen Stadtstaates Apameia. Maßgeblich war nicht der Wohnort des Steuerpflichtigen, sondern der Herkunftsort der Familie. So ging Joseph aus seinem Heimatort Nazareth in Galiläa nach Bethlehem in Judäa, weil er ein Nachkomme Davids war und Bethlehem als die Stadt Davids galt. Joseph wurde begleitet von Maria, seiner Braut. Sie war hochschwanger. Während des Aufenthaltes in Bethlehem kam ihre Niederkunft. Die Herbergen waren überfüllt. So fanden Joseph und Maria nur eine behelfsmäßige Unterkunft. Das Neugeborene wurde in eine Futterkrippe gelegt.

Im Mittelmeerraum kannte man die Transhumanz, die Wanderweide großer Herden vom Anfang des Frühlings bis zum Beginn des Winters. Transhumanz ist die spezifische Form der halbnomadischen Fernweidewirtschaft. Viehherden, besonders Schafe und Ziegen, wechseln zwischen weit voneinander entfernten Gebieten im jahreszeitlichen Klimarhythmus, z. B. im Sommer im Gebirge, im Winter in den Ebenen. Die Hirten waren nicht die Besitzer der Herden; sie beaufsichtigten sie, lebten bei ihnen im Freien, in Zelten oder Laubhütten, wachten vor Räubern und wilden Tieren, die ihre Herden gefährden konnten. Gottes Vorsehung hat sich im Laufe der Heilsgeschichte wiederholt der Hirten bedient. Die Hirten von Bethlehem erinnern daran, dass Moses in Ägypten vor seiner Berufung durch Gott Hirte war und die Schafe seines Schwiegervaters Jethro hütete (Ex 3,1). Auch David, der spätere König Israels, war Hirte und hütete die Schafe (1 Sam 16,11). Das Hirtentum war in Palästina eine bekannte Erscheinung. Der Hirt war dem israelitischen Volk Abbild des Königs, des Führers des Volkes, aber auch der Propheten und Lehrer. Gott selbst erscheint dem Israeliten als Hirt, der sein Volk an Wasserquellen tränkt und vor Gefahren schirmt. Und Jesus sagt von sich: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11). Er bezeichnet sich als den guten Hirten, der seine Schafe kennt, das verlorene aufsucht und zurückbringt, sie vor Wölfen schützt. Hirten sind etwas Besonderes. Aber sie sind immer einfache Leute: die kleinen, nicht die großen, die schwachen, nicht die mächtigen, die armen, nicht die reichen, die unbekannten, nicht die prominenten.

Hirten wird die Weihnachtsbotschaft verkündet: „Fürchtet euch nicht. Heute ist euch der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.“ In diesem Wort des Engels ist der gesamte Inhalt des Weihnachtsgeschehens enthalten. Ein Kind ist zur Welt gekommen. Dieses Kind ist erwählt und berufen zu einer einzigartigen und einmaligen Sendung. Es ist Retter – nicht vor irdischen Gefahren, sondern vor dem ewigen Tode. Er ist Messias – der ersehnte Heilbringer, die Erwartung der Jahrhunderte ist erfüllt. Er ist der Herr – er ist gottgleich, denn Herr, Kyrios, ist der Name Gottes. Das israelitische Volk erwartete einen bloßen Menschen als Messias. Der Messias kam, aber er war kein bloßer Mensch, sondern Gott in Menschengestalt. Gott erfüllte nicht nur seine Verheißung, er übererfüllte sie.

Was hat das zu bedeuten? Gott lässt seinen Sohn Mensch werden. Gott wird Mensch. Ein Mensch hatte Unheil über die gesamte Menschheit gebracht. Ein Mensch sollte die Menschheit von seinem Unheil befreien. Freilich ein Mensch besonderer Art: Ein Mensch, in den Gott hinabgestiegen war, in den Gott eingegangen war, dessen Natur sich Gott zugeeignet hatte. Nur ein Mensch mit der Doppelnatur war geeignet, das Werk des Mittlers der Erlösung zu vollbringen. Die Heimholung des Menschen zu Gott setzt einen Heimholenden voraus, der immer schon in der Gemeinschaft mit Gott gelebt hat. Der Mittler muss zu Gott und zu den Menschen gehören. Nach Joh 1,14 beruht die Mittlerstellung Christi auf der Vereinigung der göttlichen Natur mit der menschlichen in seiner Person. Das Mittlertum Christi ist ontologisch begründet durch die Tatsache der zwei Naturen. Durch sie ist Christus ganz Mensch und ganz Gott in einem. So ist in seiner Person der unendliche Abgrund von Schöpfer und Geschöpf überbrückt und eines dem anderen verbunden. Das Mittlertum ist ethisch-geschichtlich vollzogen durch Übernahme der ganzen Passion des Menschseins und der mit ihm verflochtenen Kreaturwelt. In der Niedrigkeit und im Gehorsam des Menschgewordenen (Phil 2,6-11) wird die Hybris überwunden, in der das Unheil der Menschen gründet. In das Menschsein eingehen, heißt, in eine von der Hybris zerrüttete Natur eingehen, die nur im Vollzug der letzten Erniedrigung aufgearbeitet und zu Gott hin zurückvermittelt werden kann.

Hirten empfangen die Botschaft des Heils, die unerhörte, aufwühlende Botschaft. Warum sie? Gott weiß, wer fähig und gewillt ist, sie aufzunehmen. Die Hirten sind es. Die Hirten sind Repräsentanten. Sie stehen für das ganze Volk, ja für alle Völker. „Große Freude“ wird ihnen verkündet, „die dem ganzen Volk zuteil werden soll“. Angekündigt wird die Geburt des Retters, des Messias, des Herrn. Aber angekündigt wird sie den Hirten. Für die Menschwerdung bedient sich Gott der armen Leute. Die Mutter Gottes ist ein unbekanntes Mädchen aus dem bedeutungslosen Nest Nazareth, nicht eine Königstochter aus Jerusalem. Ihr Bräutigam. Joseph, ist ein einfacher Handwerker (Mt 13,55). Die Empfänger der Botschaft von der Geburt des Retters, des Christus und des Herrn sind Hirten, arme Leute. Gott kommt zu den Armen. Und er kommt durch die Armen. Gott ist in besonderer Weise der Gott der Armen, der Unterdrückten, der Zurückgesetzten, der Vernachlässigten, der Menschen am Rande der Gesellschaft, überhaupt der einfachen Leute. Das gehört zum Kern der christlichen Botschaft. Deshalb ist Gott und deshalb ist Weihnachten eher bei den Armen, den Kranken, den Obdachlosen, den Verlassenen zu finden als bei den Mächtigen, den Erfolgreichen, den Wohlhabenden, den Reichen, die sich das Weihnachtsdinner im Luxushotel leisten. Das sagt uns die alle Jahre wieder anrührende Weihnachtsgeschichte. Und was sagt der heranwachsende Jesus? „Den Armen wird die Heilsbotschaft verkündet“ (Mt 11,5). Und: „Gott hat mich gesandt, damit ich den Armen das Evangelium verkünde“ (Lk 4,18). So wird er durch das Leben gehen. Als Sohn des Handwerkers, als Handarbeiter, als Wanderprediger, der von sich sagt: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels haben Nester; aber der Menschensohn hat nicht, wohin er sein Haupt legen könnte.“ Nicht das ist das Christentum, dass ein Reicher die Armen erlöst, sondern dass der Ärmste von allen sie befreit. Nicht das ist das Christentum, dass ein Mächtiger die Ohnmächtigen stützt, sondern dass der Machtloseste ihnen Hilfe bringt.

Eingetroffen ist an Weihnachten, was der Prophet Isaias im 8. Jahrhundert vor Christus verkündigt hat: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht. Über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“ Das ist die Ankündigung von Gottes Eingreifen in die Geschichte. Ein Heilskönig wird kommen: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter.“ Das ist die Verheißung des Messias, ist die Ankündigung des Geschehens der Weihnacht. Die Verheißung ist nun erfüllt, die Ankündigung ist eingetroffen. „Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten“, heißt es im Brief an Titus, „das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus“. Dieses Geschehen feiern wir heute. Heute ist Weihnachten. Das Weihnachtsfest ist ein Freudenfest. Aber nur für jene, welche die Botschaft des Engels aufnehmen und sich mit den Hirten aufmachen nach Bethlehem, um zu sehen, was geschehen ist und was der Herr uns kundgetan hat.

Auf, gläubige Seelen, singet Jubellieder, und kommet, kommt alle nach Bethlehem.

Christus, der Heiland, stieg zu uns hernieder.

O sehet, die Hirten eilen von den Herden und suchen das Kind nach des Engels Wort.

Gehn wir mit ihnen, Friede soll uns werden.

Der Abglanz des Vaters, Herr der Herren alle, ist heute erschienen in unserm Fleisch:

Gott, der in Windeln liegt im kalten Stalle.

Schaut, wie er in Armut liegt auf Stroh gebettet, o schenken wir Liebe für Liebe ihm!

Jesus, das Kindlein, das uns all errettet. Kommt, lasset uns anbeten. Kommt, lasset uns

anbeten. Kommt, lasset uns anbeten unseren Herrn. Amen.

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