Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Juli 2021

Die heilige Mutter Anna

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Name Anna war in Israel häufig. Die Schriften des Alten Bundes stellen uns manche bedeutende Trägerinnen dieses Namens vor. Anna war die Frau des Ephraimiten Elkana (1 Sm 1,2). Sie war lange kinderlos, aber sie erbat von Gott einen Sohn und wurde die Mutter Samuels (1 Sm 1,5ff.), des großen Priesters, Propheten und Richters. Ihr herrliches Gebetslied (2,1ff.) ist von prophetischem Geist getragen, wie Anna überhaupt ein Vorbild Marias ist. Anna, die Tochter Phanuels, war eine Prophetin. Sie wurde gewürdigt, den Heiland bei seiner Darstellung im Tempel zu schauen. Sie gehört zu den ersten bewussten Zeugen der angebrochenen messianischen Zeit (Lk 2,36ff.). Der Name der heiligen Mutter Anna, deren Fest die Kirche am 26. Juli begeht, wird im Neuen Testament nicht genannt. Er taucht erst in dem legendenhaften Jakobusevangelium auf. Das Protevangelium Jacobi aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts ist der Ausgangspunkt der Legenden über die Eltern Marias. Nach langer Unfruchtbarkeit empfing Anna von Joachim eine Tochter, Maria, die als gottgeweihte Jungfrau im Tempel zu Jerusalem aufgezogen wurde. Die Legende setzte sich trotz Widerspruches durch Augustinus und Hieronymus durch. Eine Legende ist auch ihr Trinubium, wonach Anna eine zweite Ehe mit Kleophas und eine dritte Ehe mit Salomas einging, jede mit Nachkommen (Hl. Sippe). Nach Visionen der Maria von Agreda (+1665) soll Anna zu den beim Tod Christi Erstandenen gehört haben. Eine Reihe phantastischer Annaschriften musste die Kirche verbieten. Wir brauchen uns nicht an unbeglaubigte Erzählungen zu halten, um St. Anna verehren zu können. Die Tatsachen sagen uns genug aus.

Anna heißt „die Begnadete“. Sie hat diesen Namen wahrlich verdient, weil sie von Gott gewürdigt wurde, die Mutter seines Sohnes zu gebären, als in der Fülle der Zeit Gottes Sohn eine menschliche Natur annahm. Es ist viel zu sagen: von ihrem geduldigen Warten, ihrer Ergebung in den Willen Gottes, ihrer tiefen Verbundenheit mit Gott im Gebet, ihrer Wertschätzung des Kindes, ihrem vorbildlichen Familienleben. Maria ist das Meisterwerk Gottes. Aber wir dürfen vermuten, dass Anna als Mutter Maria Anteil hatte am Wachstum und der geistigen Entwicklung Mariens. Wie wird sie mit ihrer Tochter gebetet haben, wie wird sie sorgsam alles ferngehalten haben, was ihr hätte schaden können! St. Anna wusste: Das Kind ist eine Gabe Gottes, ist aber auch eine Aufgabe Gottes. Es besteht kein Zweifel, dass sie ihre Tochter Maria im Glauben an den alttestamentlichen Gott erzogen und sie das Beten gelehrt hat. Das Beten muss das Kind auf dem Schoß der Mutter lernen. Wir können nicht abwarten, ob später das Leben die Kinder zur Religion erzieht. Nein, die Religion muss zum Leben erziehen. St. Anna kann uns eine Lehrmeisterin des Gebetes sein. Was benötigen wir heute mehr als gute katholische Mütter? Wir katholischen Christen brauchen keinen eigenen Muttertag. Wir haben ihn seit Jahrhunderten. Es ist das Fest der heiligen Mutter Anna, der Mutter der Mütter aller Christen. Möge sie durch ihre Fürbitte helfen, dass auch in unserer Gemeinde begnadete Mütter heranwachsen, Mütter voll Annageist und Annagesinnung! Nicht nur Augustinus, auch viele andere müssen sprechen: „Alles, was ich bin, verdanke ich meiner Mutter.“ In der Tat verdanken viele gläubige katholische Christen ihren Glauben ihrer Mutter und ihrer Großmutter. Im Koffer eines Missionars fand man nach dessen Begräbnis ein Myrtenkränzlein mit folgenden Zeilen aus der Hand des verstorbenen Priesters: „Das ist der Hochzeitskranz meiner Mutter. Ich habe ihn immer in den verschiedenen Ländern auf Reisen über Land und Meer mitgenommen, zum Andenken an jenen heiligen Augenblick, wo meine Mutter am Altare nicht nur die Treue, sondern auch Ehrbarkeit gelobt hat. Sie hat den heiligen Schwur gehalten. Sie hatte den Mut, nach dem neunten Kinde auch noch mich zu haben. Ihr verdanke ich nach Gott mein Leben und meinen Priesterberuf. Hätte sie mich nicht haben wollen, wäre ich nicht Priester und Missionar geworden und hätte nicht in neun Sprachen so viel für die unsterblichen Seelen arbeiten können. Legt mir den Hochzeitskranz meiner Mutter ins Grab, darum bitte ich den Finder!“

Anna ist nicht nur die Mutter Mariens; sie ist auch die Großmutter unseres Heilandes. In St. Anna ist die Großmutter auf die Altäre erhoben worden. Der Heiligenschein über dem Haupt der heiligen Anna strahlt auf alle echt christlichen Großmütter aus. Großmutter unseres Herrn und Mutter Mariens zu sein ist eine sehr hohe Auszeichnung, sodass die Liturgie und die Andacht nicht von ihr schweigen dürfen. Was ist es doch Großes um eine gute Großmutter! Sie ist die sicherste Zuflucht in der Familie in allen Ängsten des Daseins. Was hat sie nicht alles erlebt und erduldet! Von ihrer Lebensweisheit teilt sie aus wie von einem unerschöpflichen Schatz. Wie viele Schritte und wie viele Arbeiten macht sie noch, um zu helfen, zu heilen und zu trösten! Wie oft sind es die Großmütter, die den Enkelkindern die christlichen Gebete und die Glaubenswahrheiten lehren! Wo die eigene Tochter oder die Schwiegertochter versagt, da steht oft die Großmutter auf der Wacht, um am Enkelkind gutzumachen, was sie vielleicht selbst an ihren Kindern vernachlässigte. Als ich vor 77 Jahren in einem schlesischen Kinderlandverschickungslager 70 Jungen aus dem Berliner Wedding zu betreuen hatte, lud ich die wenigen katholischen Jungen ein, mit mir den Gottesdienst zu besuchen. Einer von ihnen offenbarte mir: „Meine Oma hat immer darauf gedrungen, dass ich in die Kirche gehe.“ Die Großmutter wollte ihrem Enkel die Religion erhalten, nicht die Mutter. Darum gilt: Ehrt die guten Großmütter; sie sind wie geheimnisvolle Priesterinnen unseres Volkes; sie knien in den Kirchenbänken, in den Händen den Rosenkranz und das Gebetbuch.

Anna ist von Anfang an in der Kirche verehrt worden. Kaiser Justinian ließ noch vor 550 in Konstantinopel eine Annakirche errichten. Die Anna-Verehrung erreichte ihren Höhepunkt im Spätmittelalter. Luther war in seiner katholischen Zeit ein Verehrer der hl. Anna. Während eines schweren Gewitters am 2. Juli 1505 machte der Student der Rechtswissenschaften in Erfurt der hl. Anna das Gelübde, ein Mönch zu werden. Er trat in das Kloster der Augustinereremiten ein. Nach seinem Abfall vom Glauben eiferte er gegen die Verehrung Annas. Der öffentliche, vom Heiligen Stuhle genehmigte Kult der hl. Anna datiert erst vom Jahre 1378, wo Papst Urban VI. ihn den Engländern gestattete. Gregor XIII. bestätigte am 1. Mai 1584 das Fest für den 26. Juli. Gregor XV. erhob den Annentag zum gebotenen Feiertag (1623). Das römische Martyrologium enthält nur den lapidaren Satz am 26. Juli: Heimgang der heiligen Anna, der Mutter der Gottesgebärerin Maria. Das gläubige Volk betet zu Sankt Anna und preist sie mit Liedern. Sankt Anna, voll der Gnaden, du Bild der Heiligkeit, gepriesen sei dein Name jetzt und in Ewigkeit. Wir loben dich, Sankt Anna, heil'ge Mutter Anna, Sankt Anna, bitt' für uns! Ihr Engelein vom Himmel, kommt, helfet uns preisen: Jesus, Maria Joseph, Sankt Joachim und Anna! Die Verehrung der heiligen Mutter Anna ist im gläubigen Volk nicht erloschen. Auch heute noch gibt es Verehrerinnen der hl. Mutter Anna. Auf dem abgelegenen Teil eines Friedhofs traf ein Priester eine Frau an einem Grabe, das wenig gepflegt war. Er sprach sie an, und im Laufe des Gespräches erfuhr er von ihr: „Meine Mutter hatte den schönen Taufnamen Anna. Ihr Grab kann ich wegen der Vertreibung aus der Heimat nicht besuchen. So gehe ich alle Jahre am Annatag auf den Friedhof und suche mir ein Grab, in dem eine Tote ruht, die Anna heißt. Ich bete für sie und meine verstorbene Mutter.“ Der Priester entgegnete der Frau: „Das ist katholisch gedacht. Gott wird Sie auf die Fürbitte der heiligen Mutter Anna dafür segnen.“ Der Annatag ist der Festtag der Frauen und Mütter. Stets werden zu ihr beten die kinderlosen, die hoffenden Frauen und die glücklichen Mütter. Die Ehegatten, die Väter, die Söhne und Töchter können den Annatag ebenfalls mitfeiern, indem sie für ihre Gattin und Mutter beten, ihr an diesem Tag die Arbeit abnehmen und ihr eine Freude machen. Vergessen wir auch nicht die Großmütter! Jeder weiß, was sie für die Familie bedeuten.

Seit Jahrhunderten wird Sankt Anna in unseren Landen hoch verehrt. Annaberge, Annakirchen und -kapellen, Annaaltäre, Bilder, Plastiken und Statuen der Mutter Anna zeugen ebenso von ihrer großen Verehrung wie St. Anna-Bruderschaften und -Prozessionen, Lieder und Gebete. Überall in erzreichen, vor allem silberreichen Gebirgen findet man Annakirchen und -kapellen. Annaberg im westlichen Erzgebirge wurde nach Aufdeckung der stark silberhaltigen Erzgänge 1492 als Bergbauort planmäßig angelegt. 1501 wurde er nach der hl. Anna, der Patronin der Bergleute, St. Annaberg benannt. Die Stadtkirche hatte ebenfalls den Namen St. Annen. Mehrere Wallfahrtsorte tragen den Namen der hl. Anna. Der Annaberg bei Lilienfeld in Niederösterreich ist eine Vorstation vor Mariazell. Der Annaberg bei Sulzbach in der Oberpfalz birgt eine wundertätige Statue Anna Selbdritt. Der Annaberg bei Leschnitz war Hauptheiligtum und religiöses Zentrum Oberschlesiens. Dort stehen die Gnadenkirche der hl. Anna und der Kalvarienberg. Das Gläubige Volk sang das Wallfahrtlied zum Annaberg:

Sankt Anna, hohe Frau,

beschütze und segne uns gnadenreich,

die Kranken und Schwachen

mach kräftig und gesund.

Bewahre uns vor Kummer

und Unglück jede Stund.

O höre der Wallfahrer frommes Gebet,

heilige Mutter vom Annaberg.

Reliquien der heiligen Anna wurden jahrhundertelang vom gläubigen Volk verehrt. Das Haupt der hl. Anna wurde in der Stephanskirche zu Mainz aufbewahrt. Ein Steinmetz entwendete es und brachte es nach Düren (1501). In dem Streit zwischen Mainz und Düren blieb die Reliquie mit päpstlicher Zustimmung in Düren. Sie wurde in der Annakirche aufbewahrt. In Frankreich stand die Verehrung der hl. Anna jahrhundertelang in Blüte. Die Bewohner der Stadt Bern erhielten im Jahre 1518 aus Frankreich eine Reliquie der hl. Anna. Ihre Überbringung gestaltete sich zu einem wahren Triumphzug. Mit großer Ehrfurcht und Andacht zogen Geistlichkeit und Rat dem Überbringer der Reliquie bis zum oberen Tor entgegen. Der Tag war ein Freudenfest für die ganze Stadt. In Beaupré steht das größte Anna-Heiligtum der Erde. In Auray befindet sich das größte Anna-Heiligtum der Bretagne. Die Wallfahrtskirche in München-Harlaching ist der heiligen Mutter Anna geweiht. Dort wird der St.-Anna-Dreißiger gehalten. Es ist dies eine Andachtsübung zu Ehren Annas. Vom 8. September an betet man 30 Tage zur heiligen Anna. An der Stadtpfarrkirche St. Anna in München-Lehel besteht noch heute die St.-Anna-Bruderschaft. Die Anna-Kirche in Rom ist die Pfarrkirche des Vatikans, gleichzeitig die Kapelle der Schweizer Gardisten, die den Papst schützen. Apt im Departement Vaucluse besitzt eine dreischiffige Kathedrale St. Anna aus dem 11./12. Jahrhundert. Angeblich fand man in deren Krypta Ende des 9. Jahrhunderts die Gebeine der hl. Mutter Anna. Seither genoss Anna dort die größte Verehrung. Die Königin Anna von Öster-reich, Gemahlin Ludwigs XIII., ließ für sie eine prunkhafte Kapelle bauen. Ste-Anne-d`Auray ist ein berühmter Wallfahrtsort in der Bretagne seit Anfang des 17. Jahrhunderts. Königin Anna von Österreich schenkte zum Dank für die Geburt ihres Sohnes Ludwig XIV. dem Ort eine Reliquie der hl. Anna, die sie von Apt erhalten hatte.

Das gläubige Volk hat sich vielfältig unter den Schutz der hl. Mutter Anna gestellt. Anna ist Patronin der Bergleute, der Schiffer und anderer werktätiger Stände, der Mütter und der Ehe, der Witwen und der Armen. Sie wird angerufen im Besonderen von Gebärenden und um Kindersegen und gegen Gewitter. Der Dienstag ist Anna geweiht. Der Annatag am 26. Juli ist Merktag für Wachstum und Wetter, mancherorts mit Bräuchen und Volksfesten verbunden. Alte Wetterregeln zeigen die Verbundenheit des Bauern mit ihrem Festtag: „Ist St. Anna erst vorbei, kommt der Morgen kühl herbei.“ – „Wenn an St. Annen die Ameisen aufwerfen, gibt es einen strengen Winter.“ – „Ist St. Anna klar und rein, wird bald das Korn geborgen sein. Ist sie regenreich, wird es sicher nicht sogleich.“ Viele religiöse Genossenschaften und Vereine haben Anna zu ihrer Patronin erkoren. Anna ist Patronin von Neapel, Florenz und Innsbruck. Pius X. erklärte Anna zur Patronin der Bretagne. Anna wird auf Bildern und Statuen häufig dargestellt, meistens als Anna Selbdritt. Anna Selbdrittbilder sind Darstellungen der Mutter Anna als bejahrter Frau, meist sitzend, auf ihren Armen rechts und links oder auf ihrem Schoße bzw. ihren Knien die jugendliche Maria und das Jesuskind haltend. Die heilige Birgitta, deren Ehe Gott mit acht Kindern gesegnet hatte, war eine große Verehrerin der hl. Anna. Ich halte es für undenkbar, dass das Vertrauen, das seit 2000 Jahren der Mutter Mariens und Großmutter Jesu zugewendet wird, grundlos sein könnte. Wenn sich die heilige Anna nicht als wohltätige und milde Helferin ihrer Verehrer erwiesen hätte, wäre ihre Verehrung längst zusammengebrochen. Viele bedeutende Frauen haben den Namen Anna getragen. Vor allem beim Hochadel war er beliebt und gebräuchlich. Anna, Tochter des Königs von Dänemark, heiratete 1589 König Jakob VI. von Schottland, der seit 1603 zugleich König von England war. Schon in der Jugend war sie mit der katholischen Lehre bekannt geworden. In Schottland konvertierte sie zum katholischen Glauben, den sie freilich öffentlich nicht bekunden durfte. Die Landgräfin Anna von Hessen (1836-1918), Tochter des Prinzen Karl von Preußen, war vermählt mit Landgraf Friedrich von Hessen. Seit einer Begegnung mit Bischof Ketteler von Mainz (1866) hegte sie eine starke Neigung zur katholischen Religion. Am 9. Oktober 1901 trat sie zu ihr in Fulda über. König und Kaiser Wilhelm II. schrieb ihr in einem Absagebrief: „Das Haus Hohenzollern stößt Eure Königliche Hoheit aus und hat Ihre Existenz vergessen.“ Sie lebte fortan der Frömmigkeit und dem Wohltun, der Nachfolge des hl. Franziskus beflissen, dessen III. Orden sie angehörte. Der Fuldaer Dom birgt ihr Grab. Schließen wir uns den unabsehbaren Scharen der Verehrer und Verehrerinnen der hl. Anna an und rufen wir: Heilige Anna, Mutter Mariens und Großmutter Jesu, bitte für uns, dass wir dir in einem heiligen Leben folgen und mit dir in der Ewigkeit vereint sein mögen!

Amen.

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