Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. Mai 2021

Der Apostel Paulus und der Prokurator Felix

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Für diesmal kannst du gehen; wenn ich Zeit finde, werde ich dich wieder rufen lassen.“ Das sind Worte des römischen Prokurators Felix zu dem Apostel Paulus. Der Prokurator Felix traf mit dem Apostel Paulus in Cäsarea am Meer zusammen. Wie kam es zu der Begegnung? Im Jahre 57 oder 58 reiste Paulus über Troas, Korinth, Milet nach Jerusalem, um den dortigen Christen eine reiche Geldspende aus mehr als einjähriger Werbearbeit persönlich zu überbringen. Dort entfesselten seine Feinde einen Krawall gegen ihn; er wurde in römische Schutzhaft genommen, dann zu größerer Sicherheit nach Cäsarea am Meer, dem Sitz des Prokurators Felix, überführt. Dort wurde er zwei Jahre (57-59 oder 58-60) in Haft gehalten. Antonius Felix war von 52 (oder 53) bis 60 (oder 61) Prokurator von Judäa. Er war ein Freigelassener des kaiserlichen Hauses. Felix war dreimal verheiratet. Alle drei Gemahlinnen stammten aus königlichem Geschlecht. Die dritte Frau war die jüdische Prinzessin Drusilla (geb. 38), die Tochter Agrippas I. und Schwester Agrippas II. Sie war zuerst mit Azizus, dem König von Emesa (heute Homs in Syrien), verheiratet. Bald nach ihrer Verheiratung sah Felix die schöne Königin und wusste sie (mit Hilfe eines Magiers aus Cypern) ihrem Gemahl abspenstig zu machen und für sich zu gewinnen (24,24). Der Prokurator Felix fand Gefallen an Paulus, seinem Gefangenen, und führte gern Gespräche mit ihm. Eines Tages lässt er den gefangenen Apostel zu sich kommen, um sich von ihm eine eingehende Belehrung über den Glauben an Jesus als den Messias geben zu lassen. Den Anlass dazu wird seine Gemahlin Drusilla gegeben haben. Als Jüdin war sie ja an diesen Fragen besonders interessiert. Sie wird das Verlangen gehabt haben, diesen Wortführer des neuen Glaubens einmal zu sehen und zu hören.

Wie war die religiöse und sittliche Lage im Römischen Reich, im Mittelmeerraum, als das Christentum entstand? Die Antwort kann nur lauten: sie war nicht günstig. Die alten polytheistischen Volksreligionen und Staatskulte waren zersetzt und in weiten Kreisen um ihren Kredit gekommen. Unter den Gebildeten war völliger Atheismus nicht selten. Als eine Art Ersatz für den Götterglauben kam der Kaiserkult auf, die göttliche Verehrung des verstorbenen und bald auch des lebenden Kaisers bzw. seines Genius. Die orientalischen Religionen und Mysterienkulte übten eine immer stärkere Anziehungskraft auf die Massen aus, so namentlich der Kult der phrygischen Magna Mater Kybele und des Attis, die verschiedenen syrischen Baalim, die ägyptischen Gottheiten Isis und Osiris, der persische Lichtgott Mithras. Daneben blühte jede Art von religiösem Aberglauben: Astrologie, Magie, Theurgie (Götterbearbeitung) und Nekromantie (Totenorakel). Theurgie bezeichnet den manipulativen Umgang mit Gottheiten und den Versuch ihrer Beeinflussung durch den Menschen. Im Neuplatonismus meinte man göttliche Kräfte in ein (in Trance versetztes) Medium überführen zu können. Nekromantie bezeichnet das Totenorakel, das durch direkte Beschwörung Verstorbener, durch das Gebet an eine dem Toten übergeordnete Gottheit oder durch den Tempelschlaf auf Gräbern gesucht wird. Hand in Hand mit dem Verfall der Religion ging, vor allem in den höheren Schichten und in den größeren Städten, eine furchtbare sittliche Verwilderung. Der Apostel Paulus zeichnet ihr düsteres Bild mit scharfen Strichen (Röm 1,24-32). Zu keiner Zeit war das Gefühl der Hilflosigkeit und das Bewusstsein der allgemeinen Verderbtheit verbreiteter und stärker als damals, da Christus in die Welt trat. Fromme Heiden ringen in schmerzlichem Sehnen nach Erleuchtung und Hilfe von oben. Sie erwarten eine Weltenwende und Welterneuerung, einen geschichtlich auftretenden Heiland und Retter.

In dieser schlimmen geistigen und sittlichen Atmosphäre trafen der Apostel Paulus und der römische Prokurator aufeinander. Paulus wird bei diesem Gespräch mit Felix das Evangelium von Christus verkündet haben. Im Mittelpunkt steht das Wort vom Kreuz, d.h. von dem einen und einzigen Heilsmittler Jesus Christus, dem sündenlosen himmlischen Gottessohn, der Mensch geworden ist. Dessen am Fluchholz vergossenes Blut der gesamten sündigen Menschheit prinzipiell und objektiv Sühne für ihre Sünden und damit die Rettung im Endgericht beschafft hat. Dieses Heil bietet Gott allen, Heiden und Juden, unterschiedslos aus reiner, unverdienter Gnade an, und jeder, Jude wie Heide, hat es sich vermittels des Glaubens an Christi Person und Werk subjektiv anzueignen, Dazu trat die Verkündigung des christlichen Sittengesetzes. Wir kennen die Verkündigung des Paulus aus seinen Briefen. „Was immer wahr, was ehrwürdig, was gerecht, was lauter, was irgendeine Tugend und irgendein Lob ist, darauf seid bedacht“ (Phil 4,8). „Gestaltet euch nicht dieser Weltzeit gleich, sondern wandelt euch um durch Erneuerung eures Geistes, dass ihr prüft, was der Wille Gottes ist, das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene“ (Röm 12,2). „Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht“ (Röm 12,17). „Lasst uns, da wir Zeit haben, das Gute an allen tun (besonders aber an den Glaubensgenossen)“ (Gal 6,10). Als treibenden Faktor des neuen Lebens sieht Paulus den (göttlichen) Geist an, der, in der Taufe verliehen, nun selbst dazu drängt, die Werke des Fleisches zu lassen, die bösen Leidenschaften und Begierden zu töten und die Früchte des Geistes hervorzubringen (Gal 5,16-24; Röm 5,12ff.). Damit wird die Schwäche des fleischlichen Menschen überwunden (Röm 8,3), die Tyrannei der Sündenmacht gebrochen und die praktische Unfreiheit unter dem alten Gesetz beseitigt (Röm 7,14-24). So gewinnt der Christ die wahre sittliche Freiheit (Röm 8,2; Gal 5,1, 13), die ein Freisein für das Gute, für den Dienst Gottes (Röm 6,16ff.) bedeutet.

Paulus hat wie kein anderer den inneren Zusammenhang zwischen gnadenhafter Errettung und sittlicher Verpflichtung gesehen. Wir sind durch Christus mit Gott versöhnt, sollen uns aber auch mit Gott versöhnen (2 Kor 5,18ff.). Unser alter Sündenmensch ist (in der Taufe) vernichtet, mit Christus mitgekreuzigt (Röm 6,6); wir sollen ihn aber auch mit seinen Taten ablegen und den neuen anziehen (Eph 4,22ff.; Kol 3,9f.). Wir leben im Geist, sollen nun aber auch im Geist wandeln (Gal 5,25). Damit ist der sittliche Imperativ aufs engste mit dem Indikativ des Heils verknüpft. Sittliches Tun ist nicht ohne das gnadenhaft geschenkte Leben Gottes möglich. Aber dieses ist auch voll und ganz auf die ethische Bewährung hingeordnet.

So oder ähnlich dürfte Paulus vor dem Prokurator Felix bei seinen wiederholten Gesprächen das Evangelium verkündet haben. Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte sprach er von den sittlichen Forderungen des christlichen Glaubens, insbesondere von der Pflicht der Gerechtigkeit und der Enthaltsamkeit (Keuschheit) und betonte die ernste Wahrheit des zukünftigen Gerichtes, bei dem alles Böse seine Strafe und alles Gute seinen Lohn empfangen wird. Gerechtigkeit bedeutet das Verhalten gemäß Gottes Willen (Gn 15,6; Dt 6,25, 24,13; Is 1,27), da die Taten des Menschen dem Urteil des gerechten Gottes unterstehen. Der Gerechte ist der Mensch, der alle sittlichen Pflichten erfüllt. Die Gerechtigkeit fordert auch die korrekte Beziehung der Menschen untereinander. Paulus spricht zum Prokurator Felix und seiner Frau Drusilla auch von der Pflicht zur Enthaltsamkeit. Mit der Enthaltsamkeit ist an erster Stelle der geordnete, Gottes Willen entsprechende Gebrauch der Geschlechtlichkeit gemeint. Es gibt eine voreheliche und eine eheliche Enthaltsamkeit. Keuschheit und Enthaltsamkeit gehören eng zusammen. Die eine kann ohne die andere nicht bestehen. Keuschheit ist das sittlich geordnete Verhalten gegenüber der Geschlechtlichkeit. „Kein Unzüchtiger oder Unreiner… hat Erbteil am Reiche Christi und Gottes“ (Eph 5,5), lehrt Paulus. Zur christlichen und paulinischen Verkündigung gehört auch das Gericht Gottes über die Menschen. Das Gericht ist der Erntetag Gottes, an dem er Unkraut und Weizen scheiden wird, der Tag, an dem die Menschen Rechenschaft ablegen müssen von ihrem Tun und Lassen. Jesus ist der wiederkommende Menschensohn und Richter. Der von den Toten erweckte Herr ist von Gott zum Richter des Erdkreises bestimmt. Alle Menschen müssen vor seinem Richterstuhl erscheinen, um über ihre im Leben vollbrachten Taten Rechenschaft abzulegen und ihren Lohn zu empfangen (1 Kor 3,8), um zu ernten, was sie im Leben gesät haben (2 Kor 9,6; Gal 6,7-10; 1 Kor 10,1-13). Um dem Gericht zu entgehen, ist Umkehr verlangt zu dem allein rettenden Glauben an Christus. Die Zeit zwischen Ostern und Parusie ist die letzte Gnadenfrist zur Absonderung der sich Bekehrenden von der verstockten Welt. Im Schreiben an die Bewohner von Saloniki sprach Paulus von den Feuerflammen des Gerichtes, wenn der Herr Jesus denen die Strafe bringt, die Gott nicht kennen und seinem Evangelium nicht gehorchen (2 Thess 1,7f.).

All das Erwähnte und vieles andere wird Paulus dem Prokurator Felix und seiner Frau Drusilla vorgetragen haben. Er war dafür bekannt, dass er die Wahrheit schonungslos vortrug. Daher beginnt bei Felix das Gewissen sich zu regen. Auch der Drusilla wird es bei diesen Ausführungen nicht ganz wohl gewesen sein. Darum bricht Felix die Unterredung ab. Diese Verkündigung ist ihm unangenehm. Er gedenkt nicht, zu diskutieren und eine Gegenposition zu Paulus abzubauen. Nein, er schneidet dem Apostel das Wort ab. Er gerät in Angst und sagt: „Für diesmal kannst du gehen; wenn ich Zeit finde, werde ich dich wieder rufen lassen.“ Warum gerät der Prokurator in Angst? Vermutlich deswegen, weil ihm vor den hohen Wahrheiten, die Paulus verkündete, und vor den erhabenen sittlichen Forderungen, die er darlegte, das Grauen, das Unbehagen und der Schwindel überfällt. Er dachte und lebte anders, als es nach der Lehre des Paulus von Gott geboten war. Vor allem der Gedanke an das Gericht, das Paulus ankündigte, mag Felix in Schrecken versetzt haben. Davon mochte er nichts hören. Er wollte Ruhe haben. Darum brach er das Anhören der christlichen Lehre ab. Felix hatte ein gewisses Interesse am Christentum. Er war vielleicht von einem unbestimmten Wohlwollen für Paulus erfüllt. Aber zu einem wirklichen Verständnis für den religiös-sittlichen Ernst der christlichen Botschaft war er nicht fähig oder nicht gewillt. „Für jetzt höre auf und gehe.“ So sprechen heute viele Menschen, die ein Gläubiger an Gott, seine Macht und sein Gesetz erinnert. Sie wollen in ihrem Tun und Lassen nicht gestört sein. „Ich will Spaß haben“, sagte der Fußballer Lothar Matthäus, als er auf seinen Umgang mit der Ehe angesprochen wurde. Darauf ist mit dem Buch von der Nachfolge Christi zu antworten: „Siehe, zweifache Freude gibt es nicht für dich. Hier die törichten Freuden der Welt töricht mitgenießen und dort mit Christus herrschen, siehe, das kannst du nicht.“

Amen.

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