Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. Oktober 2017

Die lateinische Kultsprache I

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!                                                                                                       

Die katholische Kirche war bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil erkennbar an der lateinischen Kultsprache. Gegen die Glaubensneuerer des 16. Jahrhunderts hatte das Konzil von Trient entschieden: „Wer sagt, man dürfe die Messe nur in der Volkssprache feiern, der sei ausgeschlossen.“ In den folgenden Jahrhunderten war die lateinische Liturgiesprache im Wesentlichen unangefochten. Die Päpste wiesen immer wieder auf ihren unersetzlichen Wert hin. Papst Pius XII. erklärte am 22. September 1956, dass die Kirche aus schwerwiegenden Gründen an der unbedingten Verpflichtung des Zelebranten zum Gebrauch des Lateinischen unbeirrbar festhält. Papst Johannes XXIII. – also der Vater des Konzils – erklärte am 8. Dezember 1961, die lateinische Sprache sei die Muttersprache für die Söhne der Kirche und müsse auch in Zukunft den ersten Platz einnehmen. Die Gläubigen standen einmütig zu der lateinischen Kultsprache. Sie waren stolz darauf, denn sie begriffen ihre Notwendigkeit und ihre Nützlichkeit und vollzogen auch mit der lateinischen Kultsprache ihren Gottesdienst in innerer und äußerer Beteiligung, wie wir es ja in unserem Hochamt heute noch tun. Die Bekämpfung der lateinischen Sprache begann mit dem Konzil. Aber die Feinde dieser Sprache drangen nicht durch. Das Zweite Vatikanische Konzil legte fest: „Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist zu erhalten.“ Ich wiederhole noch einmal diesen Satz aus dem Konzil: Der Gebrauch – nicht bloß das Andenken – der lateinischen Sprache ist zu erhalten. Das Konzil hat nichts davon verlauten lassen, dass diese Sprache verschwinden soll. Gleichzeitig forderte es auf, dass die Gläubigen die ihnen zukommenden Teile des Messordinariums auch lateinisch miteinander sprechen und singen können. Das waren die gesetzlichen Bestimmungen. Sie alle wissen, dass die Entwicklung nach dem Konzil sich gegen das Konzil für den ausschließlichen Gebrauch der Volkssprache im Gottesdienst entschieden hat. Der Unterschied der alten und der neuen Messe liegt nicht darin, dass die alte Messe lateinisch und die neue in der Volkssprache gefeiert wird, nein, nein, die neue Messe kann ebenso in der lateinischen Sprache gefeiert werden wie die alte Messe. Die vorbildliche neue Messe ist lateinisch konzipiert. Die Bücher, nach denen die Übersetzungen angefertigt sind, sind lateinisch. Dennoch, der gesamte oder fast der gesamte Klerus hat die lateinische Sprache verabschiedet und zelebriert lediglich in der Volkssprache. Der Widerspruch zum Konzil ist offensichtlich. Wir, wir sitzen im Konzil, nicht diejenigen, die die lateinische Sprache abgeschafft haben.

Die Kirche hat ihre Gründe, weshalb sie fast 2000 Jahre lang ihren Gottesdienst in lateinischer Sprache vollzogen hat. Die lateinische Sprache hat ihre Eigenschaften und ihre Vorzüge, die sie vor der Volkssprache auszeichnen. Ich will sie Ihnen nennen. Erstens: Die lateinische Sprache ist ehrwürdig durch ihren Ursprung und durch ihr Alter. Der Titel auf dem Kreuze, der die Schuld Jesu angab, war auch in lateinischer Sprache gehalten. Die lateinische Sprache war die Sprache des römischen Weltreiches, in dem das Christentum entstand. Sie ist die Sprache des antiken Rom. Die lateinische Sprache verbindet also unser Gotteslob mit den Gebeten der Martyrer in den Christenverfolgungen des Altertums und vermittelt uns dadurch die Gewissheit der Kontinuität, der bleibenden Verbindung mit ihnen. Die lateinische Sprache ist die Muttersprache aller romanischen Sprachen: des Italienischen, des Spanischen, des Französischen, ja sogar des Rumänischen. Alle diese Sprachen gehen auf das Lateinische zurück. Und auch die englische Sprache hat viele lateinische Ausdrücke übernommen. Zweitens: Gottesdienst ist etwas anderes als Berufsarbeit oder Unterhaltung. Gottesdienst ist Verbindung mit Gott, Anbetung Gottes, Darbringung des Opfers, Vereinigung mit Christus. Die Andersartigkeit und die Erhabenheit dieses Geschehens verlangen nach einem äußeren Ausdruck. Es geziemt sich, dass die Sprache, welche das Höchste des menschlichen Geistes auszudrücken sucht, eine ausgewählte, nicht die gewöhnliche, nicht die Alltagssprache ist. Dem Alltagsgeschehen entrückt, unterstützt die lateinische Sprache den sakralen Charakter der Liturgie. Gottesdienstraum und eigene gottesdienstliche Gewandung zeigen an, dass hier etwas anderes vor sich geht als im Alltag. Und die lateinische Kultsprache trägt zu ihrem Teil dazu bei, die Gottesdienstbesucher innerlich und äußerlich für den Eintritt und den Vollzug des Mysteriums zu bereiten. Die eigene Kultsprache ist Symbol für das Mysterium der Religion. Hier geht etwas vor sich, was menschliches Begreifen übersteigt. Hier geschieht etwas, was im Alltag nicht zu erkennen ist. Die Sakralsprache Latein ist Symbol der unsichtbaren, aber realen Gegenwart Gottes im heiligen Messopfer. Sie macht das Messopfer transparent, durchsichtig für das innerliche und innere Geschehen. Drittens: Die lateinische Sprache ist eine geheimnisvolle Sprache. Es ist wahr: Die große Mehrheit der Bevölkerung versteht sie nicht; sie hat sie nicht gelernt in der Schule wie wir. Durch ihren Gebrauch wird den Menschen zu verstehen gegeben: Hier am Altar geschieht etwas nicht Alltägliches, etwas Geheimnisvolles, was man nicht begreifen kann. Wir sind, wenn wir die lateinische Sprache gebrauchen, in guter Gesellschaft. Sowohl Juden wie Heiden bedienen sich beim gottesdienstlichen Geschehen einer Sprache, die nicht die Alltagssprache ist. Wenn Jesus in der Synagoge oder im Tempel war, hat er nicht das Aramäische, die Umgangssprache, gehört, sondern das Althebräische. Christus und die Apostel wohnten dem Gottesdienst in der althebräischen Sprache bei. So ist es noch heute überall im Osten. Die Griechen haben bis heute beim Gottesdienst die altgriechische Sprache, nicht die Umgangssprache, das Neugriechisch. In der russischen Kirche ist es ebenso. Die orientalischen Riten benutzen ältere Sprachformen im Gottesdienst, die nicht mehr gesprochen werden. Die Syrer, die Ägypter, die Georgier, die Armenier; sie alle benutzen eine Sprache, die nicht die Umgangssprache ist, und denken nicht daran, diese alten Sprachen aufzugeben.

Viertens: Die Kirche ist eine Einrichtung, die nicht nur in der Zeit, sondern auch über der Zeit steht. Sie benötigt eine Sprache, die ihrer zeitüberhobenen Beschaffenheit entspricht. Diesem Bedürfnis kommt die lateinische Sprache entgegen. Sie ist keiner Entwicklung aus sich selbst heraus unterworfen und darum besonders geeignet, die ewigen und unveränderlichen göttlichen Wahrheiten mit menschlichen Mitteln auszudrücken. Sie ist dem Wandel der Zeit enthoben und wahrt so das ehrwürdige Alter und den ewig gültigen Gehalt der liturgischen Texte. Sie ist, weil sie keiner Veränderung unterworfen ist, auch ein Schutz gegen jede Entstellung und Verfälschung. Der Sinn der Worte bleibt sich durch die Jahrhunderte gleich. Das ist bei den Nationalsprachen nicht der Fall. Viele Worte ändern ihre Bedeutung. Denken Sie etwa an die Worte Kerl, Weib, Dirne; das waren früher ganz normale Ausdrücke. Heute haben bei uns einen pejorativen, also ins Schlechte gewendeten Sinn. Oder denken Sie an das Wort Leichnam; Fronleichnam, Leib des Herrn. Leichnam bedeutete früher Leib, heute ist es der tote Leib. Fünftens: Die lateinische Sprache ist Sinnbild und Schutz der Einheit im Glauben. Ihr allgemeiner Gebrauch in allen Regionen der Erde garantiert zu ihrem Teil die allgemeine Übereinstimmung im Bekenntnis der christlichen Wahrheit. Man kann nicht vom Inhalt der katholischen Religion abgehen, wenn überall in derselben Sprachgewalt gebetet und verkündet wird. Die lateinische Sprache gestattet auch die leichtere Überwachung der Liturgie und der darin zum Ausdruck kommender Lehre der Kirche vor Verderbnis. Sie schützt die heiligen Handlungen und Gebete auf ihre Weise vor Entweihung. Die Einheit und Reinheit des Glaubens kann durch die Verschiedenheit der Volkssprachen gefährdet werden. In der Abschaffung der lateinischen Sprache ist eine die Einheit des Glaubens sichernde Regel zerbrochen. Wenn Landessprachen gottesdienstliche Sprachen werden, können sich leicht Irrlehren einschleichen. Die vorliegende Übersetzung des lateinischen Messbuches ins Deutsche ist keine reine Übersetzung, sie ist eine Anpassung an die Denkstruktur und Sprachgestalt des Deutschen. Es ist eine Zumutung, meine lieben Freunde, es ist eine Zumutung, die lateinischen Wandlungsworte „pro multis“ mit „für alle“ zu übersetzen; das ist eine Zumutung. Die lateinische Sprache verbindet die einzelnen Kirchen miteinander und mit der Kirche von Rom. Sie gestattet keine Absonderung und keine Trennung. Der Primas der polnischen Kirche hat in der 1. Sitzung des Vatikanischen Konzils gesagt: „Die lateinische Sprache ist das stärkste Band der Einheit der Kirche.“ Durch ihre übernationale Gestalt vermag die Kirche auch die Gegensätze zwischen den Nationen auszugleichen. Was machen denn die Katalanen jetzt, die sich von Spanien loslösen wollen? Sie erheben das Katalanische zur Waffe gegen die Einheit in Spanien. Und die Kirche hilft ihnen dabei, indem sie die katalanische Sprache im Gottesdienst zugelassen hat. Die Sprache wird zum Kampfmittel für Separatisten. Durch die lateinische Sprache fühlten sich die katholischen Christen aller Nationen miteinander verbunden und geeint. In der Fremde hörte der katholische Christ im Gottesdienst die heimatlichen Töne seines Glaubens. Der unvergessliche Kardinal Faulhaber hat einmal ausgeführt: Die Auswanderer aus Deutschland sagen uns, wenn sie in der Fremde fremde Laute hören und fremde Menschen um sich sehen, da fühlen sie sich heimatlos. Aber wenn sie in der Kirche das „Dominus vobiscum“ hören, da fühlen sie sich wieder beheimatet. Der vorkonziliare katholische Christ war glücklich und stolz überall, in der Heimat und in der Fremde, die gleiche heilige Messe in der gleichen lateinischen Sprache zu finden. Diese Empfindung war richtig. Die Botschaft Jesu sucht eine Sprache, die am Sambesi, am Amazonas und am Jangtsekiang verstanden wird. Im Konzentrationslager Dachau beteten Geistliche aus 21 Nationen die lateinische Messe. Ich selbst habe diese Form der Messfeier mit Überzeugung angenommen und immer beibehalten. Von Papst Johannes XXIII. stammt die Aussage: „Die lateinische Sprache ist in hohem Maße dazu geeignet, bei allen Völkern die Kultur der Menschlichkeit zu fördern. Sie erregt nämlich keine Eifersucht, bietet sich den einzelnen Nationen unterschiedslos an und bevorzugt keine Seite.“ Ganz anders ist es seit Einführung der Nationalsprachen. Im Zeitalter des Nationalismus, der Vertreibungen und der Umsiedlungen wäre gerade eine einheitliche Liturgie dringend notwendig. Die Tschechen, die sich ja vom österreichischen Reich lösen wollten und gelöst haben, haben die tschechische Kultsprache zu ihrer Forderung erhoben, auf ihre Fahnen geschrieben. Als sie nach 1918 ihr Ziel erreicht hatten, da zeigte sich, dass sie mit der lateinischen Kultsprache auch die katholische Religion aufgegeben haben; sie wandten sich nämlich dem Hussitismus zu. Und ich sage noch einmal: Der Gebrauch der Volkssprache im Gottesdienst verschärft die nationalen und regionalen Gegensätze. In Katalonien werden die übrigen Spanier dazu gezwungen, eine Sprache im Gottesdienst anzuhören, die sie gar nicht verstehen; und in Katalonien leben Hunderttausende, wenn nicht Millionen nicht katalanischer Spanier.

Der polnische Kardinal Wyszyński – und das ist der sechste Punkt, den ich vorführen möchte – erklärte einmal: „Die lateinische Liturgiesprache ist ein Teil unserer Kultur.“ Kultur ist die geistige Verfasstheit eines Volkes; und die lateinische Sprache war eben in diese Kultur eingegangen. Der Klerus betete sein Brevier in lateinischer Sprache, er feierte die Messe in dieser Sprache, er spendete die Sakramente auf Latein, und so war er gehalten, sich gute Kenntnisse in dieser Sprache zu verschaffen. Die lateinische Sprache befähigte die vorkonziliaren Priester, die großen Kirchenlehrer in ihrem Urtext zu lesen: Augustinus, Thomas von Aquin. Im Priesterseminar lernten sie Hymnen und Gebete auf lateinisch auswendig. Die Verständigung mit Geistlichen fremder Länder geschah auf Latein. Als ich das erste Mal in Rom war, verstand ich noch kein Italienisch. Ich habe mich mit den italienischen Geistlichen auf Latein unterhalten. Und das gläubige Volk hatte Anteil an der Kultur des Lateinischen. Die Messdiener eigneten sich die Antworten in lateinischer Sprache an. Sie waren stolz darauf, dass sie diese lateinischen Texte auswendig konnten. Viele lateinische Worte und Begriffe sind vom Volke aufgegriffen worden. Jedermann weiß, was „Dominus vobiscum“ heißt, was „Ite, Missa est“ heißt. Jedermann weiß, was „Pax“ ist, was „Agnus dei“ heißt. Die lateinische Kultsprache hat zu ihrem Teil dafür gesorgt, dass das Lateinische im Bildungskanon der Völker erhalten blieb, auf den Universitäten gelehrt wurde und wird und in den Gymnasien unterrichtet wurde und wird, freilich immer mehr im Rückgang. Die Gebildeten lernten in der höheren Schule die lateinische Sprache und sie war ihnen in vielerlei Hinsicht nützlich oder gar notwendig. Wer Latein gelernt hat, der tut sich beim Erlernen der romanischen Sprachen viel leichter als derjenige, dem Lateinkenntnisse abgehen. Für den Lateinkundigen ist Italienisch zu lernen ein Kinderspiel. In Ungarn war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Latein die Amts- und Unterrichtssprache. So wurden die verschiedenen Völkerschaften in Ungarn geeint durch diese Sprache. Noch im 19. Jahrhundert unterhielten sich der Chefarzt einer Klinik und seine Assistenten am Krankenbett in lateinischer Sprache. Die lateinische Kultsprache ist restlos der räsonierenden Alltagssprache erlegen. Mit der lateinischen Sprache ist auch die lateinisch konzipierte Kirchenmusik von der Gregorianik über Palestrina bis hin zu Anton Bruckner beerdigt worden. Ich kann nicht finden, meine lieben Freunde, dass die Abschaffung der lateinischen Sprache ein Gewinn für die Kirche war.

Amen.

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