Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 2016

Die Gemeinschaft der Heiligen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Seligen des Himmels Versammelte!

Eltern und Kinder bilden eine Gemeinschaft. Die Kinder in einer normalen Familie haben gemeinsame Eltern und sind dadurch zur Familie zusammengeschlossen. Aber nicht nur im kleinen Familienkreis gibt es eine Gemeinschaft, sondern auch darüber hinaus sind alle Menschen zusammengeschlossen durch die gemeinsame Abstammung von Gott. Gott ist ihr gemeinsamer Vater. Gott ist der Schöpfer aller Dinge, also auch aller Menschen. Und so gibt es eine Menschheitsfamilie; das ist schon etwas Großes, sie beruht auf der gemeinsamen Schöpfung. Aber darüber hinaus gibt es auch eine Erlösungsfamilie. Das sind alle diejenigen, die sich zu Christus bekannt haben und in ihm das Heil ihrer Seele gefunden haben. Es gibt eine Gemeinschaft der Heiligen. Die Heiligen in diesem Sinne sind nicht die im Himmel befindlichen Menschen nur, nein, die Heiligen in diesem Sinne sind alle, die sich durch Glaube und Taufe Christus ergeben haben. Das ist die große, umspannende Gemeinschaft der Heiligen. Diese Gemeinschaft der Heiligen ist freilich gegliedert. Sie ist in drei Teile geteilt, die aber zusammengehören und eben zusammen diese Gemeinschaft der Heiligen bilden. An erster Stelle stehen die Heiligen, also die Menschen, die in die Seligkeit des Himmels eingegangen sind. Wir nennen sie die triumphierende Kirche. Sie triumphieren, d.h. sie jauchzen und jubeln, weil sie das Ziel erlangt haben, weil sie gerettet sind. Sie sind die Siegreichen, die den Lebenskampf bestanden haben. Sie dürfen sich des Anblicks und der Liebe Gottes erfreuen. Es ist ein unbeschreibliches Glück, meine lieben Freunde, ein Heer von heiligen Menschen im Himmel zu wissen, die wir verehren und anrufen können. Das sind nämlich die beiden Zielpunkte: Wir dürfen sie verehren, also ihr Beispiel preisen und nachahmen, und wir dürfen sie anrufen, denn sie sind geneigt, für uns bei Gott einzutreten. Die Kirche hat diese unermessliche Schar der Heiligen des Himmels aufgeteilt gleichsam in verschiedene Gruppen. Denken Sie an die vierzehn heiligen Nothelfer: am Anfang steht Georg, am Schluss steht Katharina. Denken Sie an die heiligen Apostel und Martyrer, an die Bekenner, an die Jungfrauen, an die Frauen. Sie alle, die zum Ziel gelangt sind, sehnen sich nach uns, erwarten uns und treten bei Gott für uns ein. Vor allem denken wir an die Königin aller Heiligen, die Jungfrau und Gottesmutter Maria, die wir anrufen in unerschütterlichem Vertrauen, zu der unser unstillbares Weinen geht. „Gedenke, o gütigste Jungfrau, es ist noch nie gehört worden, dass jemand, der zu dir seine Zuflucht genommen, deine Hilfe angerufen, um deine Fürsprache gefleht, von dir sei verlassen worden. Von solchem Vertrauen bewegt, nehme ich meine Zuflucht zu dir, o Mutter des Himmels.“

Die zweite Gruppe aus der Gemeinschaft der Heiligen sind die Angehörigen der leidenden Kirche. Es sind die Menschen, die bei ihrem Scheiden von dieser Erde noch nicht würdig waren, Gott in seiner Herrlichkeit zu schauen. Sie hatten noch Fehler und Schwächen, die gebüßt und gebessert werden müssen. Werden wir auch einmal zu ihnen gehören? Wir nennen sie die armen Seelen, und das ist ja in gewisser Hinsicht berechtigt, weil sie leiden müssen. Sie müssen sich rein leiden, sie müssen sich würdig leiden, um eben zur Gottes Anschauung gelangen zu können. Aber in gewisser Hinsicht sind sie auch reiche Seelen, denn sie haben es geschafft. Sie wissen: Wir sind gerettet. Wir dürfen zwar Gott noch nicht schauen, aber er hat uns vor dem ewigen Verderben bewahrt. Wie tröstlich ist es, meine lieben Freunde, dass wir die heimgegangenen Menschen nicht abschreiben, nicht aufgeben, nicht vergessen. Wir denken an sie, wir erinnern uns an sie, nein, wir beten für sie. Gott hört unser Gebet. Wie tröstlich, dass wir den abgeschiedenen Menschen, die durch schmerzliche Leiden geläutert werden, in ihrer Lage helfen können, damit sie die Pein willig und geduldig tragen, damit Gott vielleicht die Zeit ihrer Läuterung abkürzt. „Lieber Heiland, sei so gut, lasse doch dein teures Blut in das Fegefeuer fließen, wo die armen Seelen büßen. Ach, sie leiden bittere Pein, wollest ihnen gnädig sein. Höre das Gebet der Deinen, die mit dir sich heut vereinen. Nimm die armen Seelen doch heute in den Himmel noch.“ Die Abgeschiedenen im Fegfeuer können auch uns zu Hilfe kommen. Sie können für uns beten, und sie tun es auch. Mir sagte einmal ein Priester: „Wenn Sie ein Leiden oder ein besonderes Anliegen haben, tragen Sie es denjenigen im Fegfeuer befindlichen Seelen vor, die zu ihren Lebzeiten das gleiche Leiden wie Sie getragen haben, oder die gleiche Sehnsucht wie Sie empfunden haben.“ „Sie können“, so sagte er, „mit Erhörung rechnen.“ Vielleicht machen wir einmal das Experiment, dass wir unsere Anliegen, unsere Schmerzen den im Fegfeuer befindlichen Seelen vortragen, die das Gleiche wie wir gelitten haben. Das Fegfeuer, der Reinigungszustand, meine lieben Freunde, darf keine vergessene Wahrheit bleiben.

Schließlich die dritte Gruppe in der Gemeinschaft der Heiligen; das ist die streitende Kirche. Nicht, weil sie untereinander Streit hat, sondern weil sie gegen den bösen Feind streitet. Sie kämpft gegen die Dämonen, gegen die Fürsten der Finsternis, sie kämpft gegen Satan. Dabei können wir einander helfen. Es ist unerlässlich, meine lieben Freunde, dass wir, die wir in diesem Tal der Tränen leben, füreinander eintreten. Unaufhörlich muss unser Gebet zum Himmel emporsteigen für alle, die uns nahe stehen, die uns anvertraut sind, für die niemand betet. Wir müssen eintreten für die Verunglückten, für die Gefährdeten, für die Problemgruppen: die Journalisten, die Politiker, die Künstler, die Theologen. Viele, vielleicht die meisten Menschen sind dankbar, wenn wir ihnen glaubwürdig versichern: „Ich werde für Sie beten.“ In dem Kampf hier auf Erden stehen wir nicht allein. Die Glieder der triumphierenden und der leidenden Kirche treten für uns ein. Sie begleiten unser Ringen mit ihren Gebeten. Der katholische Glaubenssatz von der Gemeinschaft der Heiligen beinhaltet, dass wir nie mehr ganz verlassen und alleinstehend sind. Lebend oder tot sind wir von der Liebe der Gemeinschaft getragen. Die Gemeinschaft der Heiligen lässt sich vergleichen gewissermaßen mit einem Blutstrom, der ja alle Glieder unseres Leibes durchströmt und dadurch lebendig erhält. Die Gemeinschaft der Heiligen lässt sich auch vergleichen mit einem Baum. Jedes Blättlein wird vom Baum, von seinen Säften versorgt. Die Gemeinschaft der Heiligen lässt sich vergleichen mit einem Stromkreis. Alles, was in dem Stromkreis angeschlossen ist, bereitet Licht oder Wärme. Wahrlich, es gibt eine ideale Verwirklichung des Gemeinschaftsgeistes in der Gemeinschaft der Heiligen.

Die Kirche hat noch eine besondere Form und Weise geschaffen, wie wir den Leidenden in der Pein des Fegfeuers zu Hilfe kommen können: es ist der Ablass. Der Ablass ist der Nachlass zeitlicher Sündenstrafen, also jener Sündenstrafen, die einen Zeitlauf haben, die in einem bestimmten Zeitlauf eingespannt sind. Dieser Ablass kann vor allem morgen gewonnen werden und die ganzen folgenden Tage. Die Kirche nimmt aus dem Schatze Christi, d.h. aus seinen Verdiensten, aus seinen heiligen Verdiensten die Kraft, die sie uns schenkt, wenn wir sie für die Heiligen des Fegfeuers verwenden. Die Gemeinschaft der Heiligen begründet freilich auch eine Verantwortung füreinander. Der innere Zusammenhang aller Glieder besagt, dass jede gute Tat, jeder Akt der Gottesliebe oder der Menschenliebe eine Bereicherung der ganzen Gemeinschaft der Heiligen mit sich bringt. Was immer wir an Gutem tun, das kommt allen Gliedern des Leibes Christi und darüber hinaus der Gemeinschaft der Heiligen zugute. Diese Gemeinschaft gibt echten Halt und Ansporn, sich für das Wachstum verantwortlich zu wissen. Und da steht natürlich die Frage vor uns auf: Was tust du für die Gemeinschaft der Heiligen? Welchen Beitrag leistest du? Welchen Nutzen haben die zur Gemeinschaft der Heiligen Gehörenden, welchen Nutzen haben meine Mitchristen von mir, von meinem Wirken? Bin ich ein nützliches Glied der Gemeinschaft der Heiligen? Freilich gilt auch das Gegenteil. Jede Sünde schadet nicht nur mir, betrübt nicht nur den Heiland, jede Sünde schwächt das geistliche Leben der Gemeinschaft der Heiligen. Wir sind solidarisch im Guten wie im Bösen. Es muss uns schmerzen, wenn wir an unsere Sünden denken. Sie haben nicht nur uns selbst geschadet, nein, sie haben unseren Nächsten, ja, allen Menschen Schaden gebracht, wir haben die Heiligkeit der Kirche gemindert. Wenn diese irdische Pilgerschaft einmal zu Ende geht, dann wird auch über uns der Schicksalsspruch Gottes verhängt werden. Wir hoffen und beten und wir sehnen uns danach, dass wir der triumphierenden Kirche zugezählt werden. Einer meiner begeistertsten Lehrer der Theologie, Friedrich Wilhelm Maier hieß er, hat uns das Evangelium erschlossen, sodass unser Herz brannte, denn er war begeistert und begeisternd. Aber auch er – daran erinnere ich mich – sagte einmal in einer Vorlesung: „Wenn Sie das predigen, was ich Ihnen vortrage, werde ich mich freuen, wenn ich im Himmel bin. Aber wahrscheinlich“, sagte er, „bin ich noch im Fegefeuer.“ In diese Gemeinschaft der Heiligen, in diese Kirche, in diese dreifache Kirche – wenn wir so sagen dürfen – werden wir durch Taufe hineingeboren. Unser Leben verbringen wir als Glieder der streitenden, also der kämpfenden Kirche. Aber wir strecken uns aus nach der Aufnahme in die triumphierende Kirche. „Das hab ich mir vorgenommen: In den Himmel will ich kommen. Mag es kosten, was es will, für den Himmel ist nichts zu viel.“

Amen.    

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