Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Oktober 2016

Der Christ und die Obrigkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der zweiundzwanzigste Sonntag nach Pfingsten ist der Tag der Steuerfrage, näherhin des Verhältnisses des Christen zu der weltlichen, der staatlichen Macht. Der Herr hat, wie das eben vorgelesene Evangelium bezeugt, die Grenze zwischen dem Bereich Gottes und dem Bereich der irdischen Gewalt festgelegt, aber nur im Grundsatz. Daraus müssen Folgerungen gezogen und Regeln abgeleitet werden. Diese Arbeit haben die Schriftsteller des Neuen Testamentes im Ansatz geleistet. Der Apostel Paulus hat in gewisser Hinsicht die katholische Staatslehre begründet, als er an die Gemeinde in Rom schrieb: „Jedermann unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt, denn es gibt keine Gewalt, außer von Gott. Die bestehenden Gewalten aber sind von Gott angeordnet.“ Mit diesen Sätzen wird das sittliche Naturgesetz bestätigt. Es muss doch so sein, dass jede menschliche Gemeinschaft ein Oberhaupt hat. Es muss Führer und Geführte geben, es muss eine Obrigkeit und Untergeordnete geben, sonst zerfällt die Gemeinschaft. Nur wenn die Kräfte einer Gemeinschaft zusammengeführt werden, kann das Wohl der Gesamtheit geschafft und erhalten werden. Und diese Zusammenführung geschieht durch Überordnung und Unterordnung. Die Obrigkeit hat das Recht, Gehorsam zu fordern, und die Untergeordneten haben die Pflicht, Gehorsam zu leisten. „Wer sich der staatlichen Gewalt widersetzt, der widersetzt sich der Anordnung Gottes“, sagt der Apostel Paulus. „Jedermann unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt“, schreibt Paulus. Petrus bestätigt es: „Unterwerfet euch um des Herrn willen jeglicher menschlichen Ordnung.“ Wer in den Besitz der staatlichen Macht gelangt ist, hat Anspruch auf Achtung und Gehorsam der Bürger. Selbst einem Regime, das unrechtmäßig zur Herrschaft gekommen ist, ist um des Gemeinwohls willlen Gehorsam zu leisten, und wenn es Bestand hat, ist es auch anzuerkennen. Der Besitzer der staatlichen Gewalt verliert den Anspruch auf Achtung und Gehorsam nicht, wenn er Unrecht verübt. Die Urchristenheit hat es uns gezeigt. Die Regenten des Römischen Reiches haben Jahrhunderte lang, allerdings in Abständen, das Christentum verfolgt, die Christen inhaftiert, bestraft, hingerichtet, aber die Christen haben nicht daran gedacht, diesem Reich den Gehorsam zu verweigern in allen Dingen, die nicht vom christlichen Sittengesetz verboten sind. Es ist dieses Reich, von dem Paulus schreibt: „Jedermann unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt.“

Es ist übrigens zu fragen, ob es überhaupt je ein politisches System gegeben hat, das frei von jedem Unrecht war. Solange die Obrigkeit nicht zum Verderben des von ihr regierten Volkes wird, muss ihr Gehorsam geleistet werden. Wenn eine Staatsgewalt überwiegend ungerecht wirkt, gibt es Mittel dagegen. Zunächst: Passiver Widerstand, d.h. man verweigert den Gehorsam für alle sündhaften Anordnungen. Dann: Gebrauch aller verfassungsmäßigen Mittel zur Abwehr von Unrecht und Sünde. Weiter: Persönliche Notwehr, wenn diese geboten ist. Und schließlich und letztlich: Aktiver Widerstand, wodurch das schwere Unrecht beseitigt und das Gemeinwohl nicht noch mehr geschädigt wird. Die höchste Not des Volkes, die heillose Zerrüttung des öffentlichen Wohles, die Erschöpfung aller gesetzlichen Mittel gestatten den Sturz eines ungerechten Regimes. In diesem Falle der Notwehr ist gemeinsamer aktiver Widerstand erlaubt. Allerdings dürfen die zu erwartenden Übel nicht größer sein als die gegenwärtigen; es muss eine Besserung eintreten können. Diese Bedingungen waren in Deutschland im Jahre 1944 erfüllt. Es war sicher erlaubt, das Regime Hitlers zu stürzen. Seine Verbrechen waren exorbitant, die von ihm angerichteten Schäden ungeheuerlich; das Regime Hitlers hatte seine Existenzberechtigung verwirkt. Eine andere Frage war, ob ein Umsturzversuch Aussicht auf Erfolg hatte. Unter Berücksichtigung aller Fakten, Kräfte und Umstände wird man sagen müssen: Ein solcher Versuch war aussichtslos. Das Regime war jeder inneren Bedrohung gewachsen. Hätten also die Geschehnisse des 20. Juli 1944 unterbleiben sollen? Nein. Die Tatsache, dass das Gewissen führender deutscher Männer und Frauen gegen das Unrechtregime Hitlers aufstand, diese Tatsache war von höchstem sittlichem Wert. Der uneigennützige Versuch, Unrecht zu beseitigen und Schaden zu beenden, gab dem deutschen Volke das Beispiel des Vorrangs des Rechtes und der Gerechtigkeit vor der Gewalt und vor dem Nutzen. Es war wirklich das andere Deutschland, das am 20. Juli 1944 zur Tat schritt und den Befreiungsschlag versuchte. Wie die Verhältnisse lagen, konnte eine Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes nur erfolgen, wenn dessen oberster Träger ausgeschaltet wurde. Manche dachten an eine Festnahme und einen Prozess gegen Hitler; das war aussichtslos. Es war völlig unmöglich, Hitler vor ein deutsches Gericht zu stellen; es blieb nur seine Entfernung durch Tötung. Das gemeinsame Urteil aller rechtlich Denkenden, die die Verhältnisse überblickten und die verbrecherische Persönlichkeit des Führers durchschauten, konnte nur dahingehen: Der Mann hat sein Leben verwirkt, er muss beseitigt werden.

Nun ist es seit längerer Zeit üblich geworden, unsere Kirche der Komplizenschaft mit dem Dritten Reich zu bezichtigen oder ihr wenigsten vorzuwerfen, nicht mit dem Regime gebrochen zu haben. Was ist dazu zu sagen? Man kann zu den Inhabern der staatlichen Macht gute oder schlechte Beziehungen unterhalten, aber man kann nicht gar keine Beziehungen unterhalten. Denn das Leben, die pure Existenz fordert, dass man mit ihnen Beziehungen unterhält. Weil das Volk – und natürlich auch die Kirche – in mancher Hinsicht vom Staat abhängig ist, muss das Volk, muss die Kirche Verbindung zur staatlichen Macht aufnehmen und bewahren, dabei kann es auf die Rechtmäßigkeit und Qualität der Regierung nicht ankommen. Das Land, das von Hitler und seinen Anhängern regiert wurde, war Deutschland und blieb das Vaterland der Deutschen. Die Regierung, an deren Spitze Hitler stand, versah bis zum Ende viele wichtige und unerlässliche Funktionen einer rechtmäßigen Regierung. Sie sorgte für Nahrung, Kleidung und Wohnung der Bürger, sie schützte sie vor gemeinen Verbrechen, sie erhielt den Verkehr und die Post aufrecht, sie gab Millionen Menschen Arbeit. Auch Einrichtungen wie die Militärseelsorge, der Religionsunterricht und die Kirchensteuer blieben bis zum Ende des Dritten Reiches erhalten. Die Seelsorge war gewährleistet, der Gottesdienst konnte gehalten werden. Und deswegen versteht es sich, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Breslauer Erzbischof Adolf Kardinal Bertram, an jedem 20. April Glückwünsche zum Geburtstag des Führers und Reichskanzlers darbrachte. Er war davon überzeugt, dass dieser Mann die staatliche Gewalt verkörperte, der er in allen Dingen, ausgenommen das Böse, Gehorsam zu leisten hatte. Die Gepflogenheiten und die Höflichkeit geboten, den Geburtstag des ersten Mannes im Staate nicht zu übersehen. Das Gegenteil wäre übel vermerkt worden und hätte das Klima der Feindseligkeit gegen die Kirche noch verschärft. Wenn man wissen will, wie korrekt und einwandfrei der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz gehandelt hat, braucht man nur sein Verhalten zu vergleichen mit dem Patriarchen der orthodoxen Kirche in Russland – dort bestanden ja ähnliche Verhältnisse wie in Deutschland. An der Spitze des Staates stand Josef Stalin, der Millionen seiner Untertanen in den Tod befördert und die russischen Christen grausam verfolgt hat. Was tat der Patriarch? Er rief die Gläubigen – ich zitiere jetzt wörtlich – „zu Gebeten für die göttlich beschütze russische Macht und für ihre Behörden unter der Leitung des weisen Führers Stalin“ auf, „den der Wille Gottes erwählt und eingesetzt hat“. Es wurde gebetet um Gottes Beistand für ein langes Leben des großen Führers. So hat kein katholischer Bischof von Hitler gesprochen wie der orthodoxe Patriarch von Stalin. Das Deutsche Reich und der Heilige Stuhl unterhielten diplomatische Beziehungen. In Rom residierte der deutsche Botschafter, in Berlin der päpstliche Nuntius. Der Apostolische Stuhl hielt die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland auch unter der nationalsozialistischen Diktatur aufrecht, und diese selbst hat sie ebenfalls nicht abgebrochen. Diplomatische Beziehungen sind kein Werturteil über ein politisches System, sie sind ein Mittel, über kontroverse Gegenstände sprechen zu können. Wenn man keine Vertreter hat, kann man sich nicht an die entsprechende Regierung wenden. Die Aufnahme und die Unterhaltung diplomatischer Beziehungen sind keine unzulässige Kollaboration mit einem ungerechten Regime. Sie sind die übliche Weise, wie Mächte miteinander verkehren. Auf dem Weg diplomatischer Beziehungen konnte die Kirche, konnte der Apostolische Stuhl Hitler und seiner Regierung seine Forderungen, seine Beschwerden vorbringen; und das ist getan worden. Der Heilige Stuhl hat nichts falsch gemacht und sich nichts vergeben. Er hat weder gegen Grundsätze des Glaubens noch gegen Prinzipien der katholischen Soziallehre verstoßen. Die Kirche ist eben keine Partei. Dass die Kommunisten den Nazismus mit Bausch und Bogen ablehnten, ist verständlich, denn die Bewegung Hitlers und ihre Gefolgsleute waren Konkurrenten der Kommunisten. Aber eine derartige Einstellung ist der Kirche unmöglich. Sie weiß sich mit ihrer Sendung an alle Menschen gewiesen, auch an diejenigen, die sich politisch verirrt haben, die Unrecht tun, die ein ungerechtes System aufrechterhalten. Wo ethische Prinzipien im Spiel sind, müssen parteipolitische Erwägungen schweigen. Wer vom Staat etwas erreichen und wer die Lebensmöglichkeit der Kirche erhalten will, der muss mit den Machthabern Verbindung aufnehmen. Die Kirche muss, wenn sie ihrer Sendung nachkommen will, mit den Mächtigen sprechen und versuchen, den Freiraum ihrer Tätigkeit zu erhalten.

Gespräche zwischen Kirche und Staat sind notwendig. und sie können zu Vereinbarungen führen, zu Verträgen, zu Abkommen. Nur Häme und Hass können Verhandlungen und Verträge, welche die Kirche mit Diktatoren führt und abschließt, als sittlich unzulässig ablehnen. Die göttliche Vorsehung kann sich auch ungerecht Regierender bedienen, um Segen für die Regierten zu erreichen. Papst Pius XI. hat mit dem faschistischen Diktator Benito Mussolini die römische Frage gelöst. Alle vorhergehenden Regierungen waren unfähig, die Konflikte zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Italien auszuräumen. Benito Mussolini hat in jahrelangen Verhandlungen eine zufriedenstellende Lösung der römischen Frage herbeigeführt. In der Zeit der Weimarer Republik, also von 1919 bis 1933, waren in Deutschland mehrere Anläufe genommen worden, einen Vertrag, ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl abzuschließen. Diese Anläufe waren allesamt an der Katholikenfeindschaft der überwiegenden Zahl der politischen Kräfte gescheitert. Jetzt bot die Regierung Hitler dem Heiligen Stuhl den Abschluss eines Reichskonkordates an – Hitler bot es an, nicht die Kirche hat darauf gedrungen. Die Ablehnung des Angebotes wäre eine unbegreifliche Torheit und gleichzeitig eine unerhörte Brüskierung der deutschen Regierung, ja, der deutschen Nation gewesen. Die Nationalsoziallisten hätten darüber triumphiert: Die Kirche will ja nicht. Die Kirche will ja keinen Ausgleich. Vernunft und Moral, internationale Gepflogenheiten und das Wohl der deutschen Katholiken sprachen für die Annahme des Angebotes. Im Konkordat versprach die staatliche Seite die Gewährleistung und Sicherung der wesentlichen kirchlichen Belange: Gottesdienst, Seelsorge, Religionsunterricht, theologische Fakultäten; das alles wurde in diesem Vertrage verbürgt. Das Reichskonkordat diente fortan als unabweisbare Rechtsgrundlage für die Eingaben und Beschwerden des Heiligen Stuhles. Bei allen Unrechtsmaßnahmen konnte der Heilige Stuhl das Regime hinweisen: Ihr habt uns ja versprochen, das zu gewährleisten, was ihr jetzt nicht wahrhaben wollt. Wenn das Konkordat auch von Seiten der Regierung vielfach unbeachtet blieb oder durchlöchert wurde, so blieb es doch bis zum Ende des Dritten Reiches bestehen und besteht heute noch. Die Behauptung, das Reichskonkordat habe die Regierung Hitler gefestigt und ihr internationale Reputation verschafft, trifft nicht zu. Die Regierung benötigte keine Festigung als das Reichskonkordat abgeschlossen wurde; sie saß fest im Sattel. Alle Parteien hatten sich aufgelöst, viele politische Gegner saßen im Gefängnis. In der Staatenwelt wurde das Ansehen Hitlers nicht vermehrt durch das Reichskonkordat, weil die Mehrzahl der Regierungen von Gegnern der katholischen Kirche beherrscht war. Ein Vertrag mit dem Heiligen Stuhl vermochte die deutsche Regierung nicht mit mehr Ansehen auszustatten, sondern sie gab sie dem Gespött preis. Auch in der Folgezeit ließen die deutschen Bischöfe den dünnen Faden zu dem Regime nicht abreißen. In zähen Verhandlungen erreichten sie immer wieder die Einstellung oder die Abmilderung kirchenfeindlicher Maßnahmen. Es ist bekannt, dass Hitler selbst das Vorgehen von Regierung und Partei gegen die Kirche in manchen Fällen gestoppt hat. Durch Gespräche mit den Machthabern des Dritten Reiches gelang es den deutschen Bischöfen zu erreichen, dass Hunderte katholischer Priester, die sich in den Konzentrationslagern befanden, im Block 26 des Konzentrationslagers Dachau zusammengefasst wurden und die Möglichkeit bekamen, dort jeden Tag die heilige Messe zu feiern. Man spottete damals, das sei ein kleines Konkordat, aber immerhin, es war ein kleines Konkordat und hatte Nutzen gebracht. Nein, meine lieben Freunde, ich habe diese ganze Zeit bewusst erlebt und kann nur sagen: Die deutschen Bischöfe haben in dieser Zeit nicht versagt, sie haben sich nichts vergeben. Sie haben sich an die katholische Sozialethik und Staatslehre gehalten und sind auf diesem Gebiet treu dem Gesetze Gottes geblieben. Und dieses Gesetz lautet: Jedermann unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt. Man muss ihr untertan sein, nicht nur um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. „Gebet ihr also, was ihr schuldig seid: Steuer, wem Steuer, Zoll, wem Zoll, Ehrfurcht, wem Ehrfurcht, Ehre, wem Ehre gebührt.“

Amen.

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