Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Dezember 2014

Zu richten die Lebenden und die Toten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Apostel Paulus wurde in Palästina gefangen gehalten. Sein Vorgesetzter war der Prokurator (Landpfleger) Felix. Felix unterhielt sich gern mit ihm über religiöse Gegenstände. Als aber Paulus anfing, vom Gericht zu sprechen, da begann Felix zu zittern und sagte: „Wir wollen dich ein andermal hören.“ Vom Gericht wollen viele Menschen nichts wissen. Aber das Gericht darf vom christlichen Verkündiger nicht verschwiegen werden, denn die Wahrheit vom Gericht ist von Gott geoffenbart. Sie ist geoffenbart zu unserem Heile. Sie ist ein unaufgebbarer Bestandteil der Frohen Botschaft. Und die Kirche hat in ihr Glaubensbekenntnis den Satz aufgenommen: „Von dannen er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Wir wollen am heutigen 3. Adventssonntag fünf Gegenstände betrachten.

Der erste lautet: Jesus wird wiederkommen. Christus hat durch sein Leben und Wirken auf Erden bereits begonnen, die Welt zu verwandeln. Aber die Welt hat noch nicht ihre letzte Gestalt erhalten. Er wird wiederkommen, um zu vollenden, was er begonnen hat. In seiner Pfingstpredigt kommt Petrus auf diesen Gegenstand zurück und sagt: „Gott wird den für euch vorausbestimmten Christus Jesus senden. Diesen muss der Himmel behalten, bis alles wieder hergestellt ist, wie es Gott von alters her durch den Mund seiner Propheten verkündigt hat.“ Die Wiederkehr Christi wird anders sein als seine erste Ankunft. Er kam verborgen; er wird wiederkehren vor aller Menschen Angesicht. Er wird offen kommen, um selbst zu richten. Die Wiederkunft Christi wird im Angesicht der ganzen Schöpfung geschehen, sie wird unübersehbar sein. „Wie der Blitzstrahl im Osten aufleuchtet und bis zum Westen leuchtet, so wird es mit der Wiederkunft des Menschensohnes sein.“ Die Wiederkunft geschieht nicht allein. Christus kommt mit seiner himmlischen Begleitschaft. Es ist von Engeln, von vielen Engeln die Rede, die mit ihm durch die Welt ziehen und das Gericht vorbereiten und vollziehen. Der Tag der Wiederkehr ist unberechenbar. Der Herr kommt unversehens und plötzlich wie der Dieb in der Nacht. „Der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr es nicht vermutet.“ Es ist Jesus ein Anliegen, das Menschenleben – jedes Menschenleben – in das ungewisse Dämmerlicht des Jüngsten Tages zu stellen. Da gilt das Wort: Bereit sein ist alles. Nicht mit Schlummer und Träumen dürfen wir die uns geschenkte Zeit vollbringen, sondern wir müssen wach und nüchtern sein, denn der Tag des Herrn kommt plötzlich. Und er wird so rasch und unversehens kommen, dass, wer sich entkleidet hat, nicht die Zeit finden wird, sich anzukleiden und so vor aller Welt im buchstäblichen Sinne bloßgestellt wird.  

Zweitens: Die Wiederkunft Christi bringt den Untergang der widerchristlichen Mächte. Am Ende der Welt erscheint Christus nicht als Knecht, sondern als Herr, ja, als Richter. Der Widerchrist wird noch einmal alle seine Verführungskünste aufbieten, um die Menschen für sich zu gewinnen. Aber die irdisch Gesinnten werden ein großes Klagegeschrei anstimmen, wenn sie den wiederkommenden Herrn sehen werden. Die Lasterstadt Babylon – das ist der Inbegriff des Bösen in der Welt – die Lasterstadt Babylon wird untergehen, und damit verlieren die Bösen alles das, woran ihr Herz hing. In einer Stunde wird alles dahin sein, wie wenn es nicht gewesen wäre. Die von Gottes gewaltigen Boten angekündigten Untergänge der widerchristlichen Mächte werden herbeigeführt durch den Widerchristen selbst. Der Widerchrist und seine Mächte zerstören sich selbst. Sie fallen im Wechselmord. Der Widerchristus entbrennt in Eifersucht gegen die böse, lasterhafte Stadt – als Weib dargestellt in der Apokalypse. Er raubt sie bis zur Nacktheit und verzehrt sie – was immer das heißen mag. Der Sturz der Welthauptstadt wird so geschehen, dass der Widerchrist in diesen Sturz hineingezogen wird. Er schien sich als den Weltheiland auszugeben; jetzt offenbart er sich als den Weltzerstörer. Er meinte, wenn er die Lasterstadt umbringt, werde ein Machtzuwachs für ihn daraus erwachsen. Aber keineswegs. Es wird die ganze politische und militärische Macht, die der Widerchrist in sich ansammelt, von Christus niedergemacht werden. Der Apokalyptiker sieht Jesus auf einem weißen Pferde an der Spitze einer unermesslichen Heerschar einziehen und die widerchristlichen Mächte zu Boden werfen.

Drittens: Das Schicksal der Menschen angesichts des wiederkommenden Christus wird unterschiedlich sein. Den Hassern wird die Ankunft Christi maßlosen Schrecken einflößen. Hier, auf dieser Erde in der Geschichte, war ihnen Macht über den Menschensohn gegeben. Er war hilflos und ohnmächtig. In jener Stunde aber wird sich zeigen, dass er mächtig ist und der Herr der Geschichte. Da wird sich das erfüllen, was er dem Hohenpriester bei seinem Gerichtsverfahren gesagt hat: „Ihr werdet den Menschensohn kommen sehen auf den Wolken des Himmels, mit großer Macht und Herrlichkeit.“ Diese Voraussage wird sich bei der Wiederkunft Christi erfüllen. Christus kommt als Triumphator, als der Sieger. Die treuen Anhänger Christi werden seine Ankunft begrüßen. Sie werden jubeln, sie werden die Aufforderung hören: Erhebet eure Häupter, denn es naht eure Erlösung! Auf diesen Tag haben sie gewartet: jahrelang, jahrhundertelang, jahrtausendelang. Sie haben den Spott der Feinde ertragen, die ihnen vorhielten: „Wo bleibt denn der vorausgesagte Herr? Wo ist denn seine Wiederkehr?“ Sie haben die Horizonte abgespäht nach dem ersten Schimmern seines Lichtes und auf ihn geharrt. Jetzt löst der Herr seine Verheißung ein.

Er kommt – viertens – zum Gericht. Der Richter über Lebende und Tote zieht in sein Reich ein. Die Menschen haben auf Erden das Gericht Gottes verspottet: „Wir haben gesündigt, und was ist uns geschehen? Nichts.“ Jetzt wird es anders. Jetzt kommt das Weltgericht mit seinen drei Eigenschaften: Es wird ein allgemeines Gericht sein; es wird ein umfassendes Gericht sein; es wird ein gerechtes Gericht sein. Ein allgemeines Gericht, d.h. es ergeht vor der Gesamtheit der Menschen. Jeder wird von jedem erfahren, was er getan und versäumt, wie er gekämpft und gelitten hat. Es ist ein umfassendes Gericht: Das gesamte Leben und Streben des Menschen wird gerichtet. Es wird nichts ausgelassen und nichts vergessen. Jetzt wird nicht nur jedes Handeln und jedes Unterlassen gerichtet, sondern auch jedes Motiv, mit dem der Mensch sein Handeln begründet hat. Es ist ein gerechtes Gericht, d.h. es wird jedem das zuteil, was er verdient hat. Auf Erden sind die Gerichte oft ungerecht. Aber was innerhalb der Weltzeit nicht zustande kam, nämlich die Verwirklichung der Gerechtigkeit, das wird beim Endgericht einem jeden zuteil. Das Weltgericht wird abgehalten, um Gottes Weisheit, um Gottes Allmacht, um Gottes Gerechtigkeit allen Geschöpfen spürbar vor Augen zu führen. Man hat ihm ja vorgeworfen: Er zeigt jetzt nicht seine Weisheit. Dann wird seine Weisheit offenbar werden. Man hat ihm vorgeworfen: Er tut ja nichts, um das Unrecht zu strafen. Jetzt wird es gestraft. Man hat ihn angeklagt: Er unternimmt ja nichts, um seine Macht zu zeigen. Jetzt wird diese Macht allen offenbar. Da kann man natürlich fragen, meine lieben Freunde: Ja, ist der Mensch nicht bereits gerichtet im Gericht nach dem Tode? Im besonderen Gericht? Im Einzelgericht? Ja, das Gericht nach dem Tode, das besondere Gericht, ist geschehen, wenn das allgemeine Gericht abgehalten wird, aber es besteht ein Unterschied. Nämlich in dem besonderen Gericht wird jeder nach seinem Gewissen gerichtet, wird er gefragt, ob er das Gewissen gebildet und auf das Gewissen gehört hat. Beim allgemeinen Gericht wird der Mensch als Glied der Gesellschaft gerichtet. Da wird er gefragt, wie er sich in den Gemeinschaften, in denen er stand, verhalten hat, wie er auf sie gewirkt hat und wie er sich hat von ihnen bestimmen lassen, und sein Tun und Lassen wird jetzt vor allen übrigen Menschen offenbar gemacht. Noch ein weiterer Unterschied besteht zwischen dem besonderen und dem allgemeinen Gericht. Das besondere Gericht wird nur über die Seele abgehalten; das allgemeine Gericht auch über den Leib, denn ihm geht ja die allgemeine Auferstehung der Toten voraus. Die Ausdehnung auf den erweckten Leib vervollständigt das Gericht. Schließlich ergeht das Weltgericht nicht nur über den Einzelmenschen, sondern auch über die Gemeinschaften, über die Institutionen: ihre Entstehung, ihr Verhalten, ihren Sinn. Beim Weltgericht ist das Entscheidende die Frage der Richtigkeit oder der Verkehrtheit, der geschichtlichen Tragweite des Geschehens innerhalb der Weltzeit. Der objektive Wert für die Ordnung des Ganzen, die wird sich beim letzten Gericht zeigen – der objektive Wert. Deshalb wird das Gewicht und der Wert der von den Menschen hervorgebrachten kulturellen, geistigen, nationalen, industriellen Errungenschaften und Einrichtungen und Maßnahmen enthüllt werden. Da wird sich Recht und Unrecht, Wirkmächtigkeit und Ohnmacht geistlicher, sittlicher, nationaler Bestrebungen zeigen vor aller Augen. Da wird die Tragweite der Begegnung zwischen den Mächten dieser Erde offenbaren: der Sinn des Kampfes zwischen Staat und Kirche – vom Investiturstreit angefangen bis zum Kulturkampf. Da wird aufgedeckt, welchen Sinn und welches Ziel, welchen Erfolg und welchen Misserfolg das Kämpfen innerhalb der Kirche hatte zwischen Liberalen und Rechtgläubigen. Da wird sich zeigen, ob die Lobredner der jetzigen Bischofssynode Recht bekommen oder ihre Kritiker. Da wird sich zeigen, was die Demokratie wert war und was uns der Parlamentarismus gebracht hat: die Herrschaft des Volkes oder die Herrschaft der Parteien, die Achtung vor dem Willen Gottes oder die Missachtung dieses Willens: in der Homoehe, in der Geschlechtsumwandlung, in der straflosen Tötung der menschlichen Leibesfrucht. Da wird sich zeigen, was es bedeutet, dass man an die Stelle der Wahrheit die Mehrheit gesetzt hat. Die Parlamente gebärden sich, als ob sie allmächtig wären, setzen sich über Gottes Willen hinweg. Das wird sich dann alles zeigen.

Fünftens: Das Endgericht scheidet endgültig die Bösen von den Guten. Altes wie Neues Testament lehren die endliche Vergeltung. Gott wird volle Gerechtigkeit bringen. Da wird der Wert oder Unwert der menschlichen Entscheidungen, Gedanken, Einrichtungen zutage treten. Bei dieser Enthüllung wird es ein großes Verwundern geben. Was auf Erden groß und mächtig schien, das wird sich als klein und erbärmlich zeigen. Was wertlos und unbedeutend, gefährlich und verhängnisvoll erschien, das wird sich als machtvoll und weitreichend erweisen, als heilsam und förderlich. Es wird sich zeigen, was die von Gott zugelassene Sünde, was der von ihm nicht verhinderte Irrtum bedeutet. Da werden vor den Blicken aller die Sinnlosigkeiten, die den Glauben an Gott so sehr belasten, verschwinden. Das heißt: Wie immer ein Leben verlaufen ist: Vor der Prüfung durch Gottes Wahrheit kann es nur bestehen, wenn es in Gemeinschaft mit Christus gelebt wurde. Nur durch Christus kommt der Mensch zum Vater. Natürliche Anständigkeit und Humanität werden nicht genügen, um der Verurteilung zu entgehen. Denn ohne Christus bleibt der Mensch in der Finsternis. Das Verhältnis zu einer lebendigen Person, nämlich zu dem gekreuzigten und erhöhten Herrn, wird über das letzte Schicksal entscheiden. Die Liebe zu Christus ist der Maßstab des Gerichtes. Diese Liebe aber verwirklicht sich in der Liebe zum Bruder und versagt sich in der Abweisung des Bruders. Umgekehrt meint jede helfende Liebe – wenn sie lauter ist – meint jede helfende Liebe gegen einen Menschen letztlich Christus, meint aber auch jede Hilfeverweigerung gegen einen Menschen letztlich den Herrn. Es wird sich dann zeigen, meine Freunde, dass nicht jeder nach seiner Fasson selig werden kann. Es wird offenbar werden, dass es in keinem anderen Namen Heil gibt als im Namen Jesu Christi. Da erfüllt sich die Ankündigung des Propheten Isaias: „Die Hoffart der Gewaltigen beuge ich nieder. Dem Hochmut der Stolzen mache ich ein Ende.“ Da erfüllt sich das furchtbare Urteil des Herrn: „Fort von mir, ihr Verfluchten, in das höllische Feuer!“ Der Heilige Gottes, Christus, bricht im Gericht über den Menschen herein. Vor diesem Ausbruch kann der Unheilige nicht bestehen. Während der Erdenzeit hat Gott an sich gehalten, sodass der unheilige Mensch trotz seines Widerspruches zu ihm existieren konnte. Aber im Endgericht kommt die Heiligkeit Gottes unverhüllt über den Menschen, und der ganz Unheilige wird verbannt. Dann wird sich zeigen, dass nicht alles Böse in der Welt auf Veranlagung, Erziehung, Umwelt zurückgeht, sondern dass es Schuld gibt. Der Mensch wird alles vorbringen können, was ihm an Entschuldigungsgründen und Ein- und Ausreden einfällt. Gott wird ihn ausreden lassen. Aber das eigene Gewissen wird ihn anklagen und gegen ihn aufstehen, wie es seit der Ursünde gegen den Menschen aufgestanden ist: „Was hast du getan?“ Die Guten werden den Lohn ihrer Treue zu Gott und seinem Willen empfangen. Sie werden die beseligenden Worte hören: „Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmt in Besitz das Reich, das euch bereitet war seit Anbeginn der Welt.“ Dann finden die Güte, die Geduld, die Reinheit ihren Lohn. Hier auf Erden erschienen ja die Christen immer irgendwie als die Dummen. Weil sie sich an Gottes Gebote hielten, ist ihnen vieles entgangen, ist ihnen vieles versagt geblieben. Im Magazin „Stern“ erschien vor Jahren einmal ein Aufsatz mit dem Titel: „Sind die katholischen Christen dümmer?“ In den Augen der Weltgläubigen sind sie dümmer, weil sie auf Gott hören und es sich nicht bequem machen. Aber das Endgericht bringt die Umkehr, zeigt, dass die Christen wahrhaft die Klugen waren. Jetzt erhält die Treue ihren Lohn. Jetzt wird die Hoffnung gekrönt. Jetzt wird die Zuversicht erfüllt. Jetzt endlich wird den Guten und Gläubigen Gerechtigkeit vor aller Welt. Die Frommen und Heiligen werden die ihnen immer entzogene Ehre zurückerhalten. In Karthago wurden im 3. Jahrhundert viele Christen hingerichtet in der Arena, im Amphitheater: Felicitas, Perpetua, Saturninus und ihre Gefährten. Als sie das Theater betraten und viele tausend Augen auf sie blickten, die Augen der Gaffer, da riefen sie ihnen zu: „Ja, schaut uns nur gut an, dass ihr uns wiedererkennen mögt am Tage des Gerichtes!“ An diesem Tage werden die Sünder beim Anblick der Gerechten sagen: „Das sind jene, die wir einst verlachten und mit schimpflichen Worten verhöhnten. Wir Toren hielten ihr Leben für Unsinn und ihr Ende für schimpflich. Siehe, wie sie jetzt unter die Kinder Gottes gezählt werden, und ihr Los ist bei den Heiligen.“

                                                                                                

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