11. Juli 2010
Das Gesetz des Neuen Bundes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Der Alte Bund ist vergangen. Der Neue Bund ist heraufgezogen. Mit dem Alten Bund ist das alte Gesetz abgeschafft, ausgenommen die Moralgesetze. Sie bleiben bestehen. Der Neue Bund hat ein neues Gesetz, und dieses Gesetz ist grundlegend unterschieden vom alten Gesetz. Das neue Gesetz ist nämlich ein inneres Gesetz. Es ist ein Gesetz, das in der heiligmachenden Gnade liegt, sofern diese durch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe die Norm und die Triebkraft des Handelns wird.
Der heilige Augustinus hat den Unterschied oder, wenn Sie wollen, den Gegensatz von Altem und Neuem Bund in folgende Worte gefaßt: „Das Gesetz der Werke schrieb der Finger Gottes auf steinerne Tafeln. Das Gesetz des Glaubens aber in die Herzen. Dort war das Gesetz von außen aufgerichtet, um die Ungerechten zu schrecken, hier ist es in das Innere als Gabe gesenkt, um gerecht zu machen.“ Also da ist der große, der gewaltige Unterschied zwischen Buchstabe und Geist. Das neue Gesetz war schon im Alten Bunde angekündigt. Beim Propheten Jeremias heißt es: „Ich will mein Gesetz in ihr Inneres legen, in ihre Herzen schreiben, und dann werde ich ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.“
Der heilige Paulus spricht mehrfach von dem Gesetz des Neuen Bundes. Es ist das Gesetz des Glaubens, es ist das Gesetz der Gnade, es ist das Gesetz des Geistes – Gesetz des Glaubens, Gesetz der Gnade, Gesetz des Geistes. Und der heilige Johannes drückt denselben Sachverhalt anders aus. Er sagt: „Ihr habt die Salbung – vom Heiligen Geist – in euch, die euch alles lehrt und die euch zu allem Guten anhält. Die Salbung, die ihr von ihm empfanget, bleibt in euch. Diese Salbung belehrt euch über alles.“
Die Kirchenväter haben diese Lehre aufgenommen, vor allem der heilige Chrysostomus, der ja dem heiligen Paulus besonders nahestand. Er sagt: „Das Gesetz des Geistes im Neuen Bunde, das Gesetz des Geistes ist der Geist selbst. Und der heilige Thomas, der ja die gesamte Theologie der Vorzeit zusammenfaßt, erklärt: „Das neue Gesetz ist ein Gesetz des Inneren, eine innere, sittliche Lebenskraft.“
Freilich, da könnte jemand sagen: Ja, wie ist das möglich? Wie kann eine innere, geschenkte Wirklichkeit, wie es die Gnade ist, wie es der Heilige Geist ist, wie kann eine solche Wirklichkeit als Gesetz bezeichnet werden? Die Antwort lautet: Die Gnade ist insofern Gesetz, als sie uns vorlegt, was zu tun und zu unterlassen ist, weil sie uns dazu anhält, das Gute zu tun, und weil sie zum Vollbringen uns verhilft. Der Heilige Geist, der uns geschenkt ist, arbeitet in uns, er wirkt in uns, er rät uns, er empfiehlt uns, er treibt uns an, den Willen Gottes zu tun, die Nachfolge Christi anzutreten. Diese Impulse, Eingebungen, Anregungen, die sind es, die das Gesetz Christi ausmachen, das neue Gesetz, das Gesetz des Neuen Bundes. Das ist eigentlich einfach zu verstehen. Wer tatsächlich im Heiligen Geiste lebt, der tut wie selbstverständlich das, was der Geist ihm eingibt. Er bedarf keine Mahnung und keiner Warnung von außen, sondern er folgt einfach den Eingebungen des Geistes. Die Erfüllung des Willens Gottes quillt gleichsam aus seinem Inneren hervor. Sie können das leicht verstehen, wenn Sie sich an das Gebet erinnern, das wir ja häufig beten: „Atme in mir, du Heiliger Geist, dass ich Heiliges denke. Treibe mich, du Heiliger Geist, dass ich Heiliges tue. Locke mich, du Heiliger Geist, dass ich Heiliges liebe. Stärke mich, du Heiliger Geist, dass ich Heiliges hüte. Hüte mich, du Heiliger Geist, dass ich es nimmer verliere.“
Die Gesetze Gottes, die das sittliche Leben bestimmen, kennen wir aus dem sittlichen Naturgesetz und aus der alttestamentlichen Offenbarung. Diese Gesetze bleiben selbstverständlich bestehen. An ihnen muss sich orientieren, wer den Geist besitzt, und der Rückgriff auf das sittliche Naturgesetz, auf die mündlichen Lehren Christi und auf die Weisungen der Kirche bleibt auch im neuen Gesetz unverzichtbar. Warum? Die Impulse, die Anregungen, die Antriebe des Geistes und der Gnade können nämlich mißverstanden und mißbraucht werden. Der erbsündige Mensch steht immer in der Gefahr, das, was er wünscht, für das von Gott Gewollte zu halten. Bekannt ist der Mißbrauch, der mit dem Worte des heiligen Augustinus getrieben wird: „Habe die Liebe, dann tue, was du willst.“ Habe die Liebe, dann tue, was du willst. Damit wollte Augustinus nicht sagen, das Motiv der Liebe berechtigt zu jeglichem Tun. Nein, sondern das Wort bedeutet: Wer wahrhaft von der Liebe bewegt ist, der tut nur das, was Gott will.
Neben diesem ins Innere gesenkten Gesetz gibt es auch im Neuen Bunde Gesetze, die von außen an uns herantreten. Das sind die Gebote Christi. Christus hat ja auch äußere Gesetze gegeben. Die Menschen sollen den von ihm gesandten Sendboten Gehorsam leisten: „Wer euch hört, hört mich!“ Sie sollen sich taufen lassen; wer sich nicht taufen läßt, der wird verdammt werden. Sie sollen sich um Vergebung der Sünden bemühen. Ist das keine Gesetzgebung, wenn der Herr erklärt: „Wer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch an ihr. Und wenn sie ihren Mann entläßt und einen anderen heiratet, so bricht sie die Ehe“? Das sind Gesetze, Gesetze, die der Herr gegeben hat. Deswegen müssen wir Luther zurückweisen, wenn er erklärt, Christus sei nur Lehrer und Erlöser. Nein, Christus ist auch Gesetzgeber.
Der heilige Paulus hat diese tiefe Wahrheit in seinen Schriften wiederholt lichtvoll dargestellt. Er spricht vom Gesetz Christi im 1. Korintherbrief und im Galaterbrief, vom Gesetz Christi. Was meint er damit? Nun, zunächst einmal meint er damit, dass damit die Nächstenliebe gemeint ist. Das ist das Gesetz Christi, wie wir aus dem Schriftgut des Johannes wissen, die Nächstenliebe. „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe.“ Denn wer den Nächsten liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Die Gebote „Du sollst nicht ehebrechen“, „Du sollst nicht stehlen“, „Du sollst nicht töten“ und alle anderen Gebote sind enthalten in der Vorschrift: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Die Liebe ist also die Erfüllung des Gesetzes. Aber nicht genug damit. Paulus erwähnt auch die vielen anderen Imperative, die von Christus herkommen, die Gebote und Verbote, die eben das moralische Leben des Christen bestimmen sollen. Das ist das Gesetz Christi, und dieses Gesetz lebt in der Kirche weiter. In Christus haben die Christen die Kraft, die Gebote, das Gesetz, zu erfüllen.
Diese Wahrheit ist von großer Aktualität. In der jüngsten Zeit wird von interessierter Seite immer wieder die Behauptung aufgestellt, jeder Mensch müsse sich notwendig sexuell betätigen. Es sei falsch, ja unmöglich, von Männern und Frauen den Verzicht auf geschlechtliche Betätigung zu verlangen. Diese Behauptung ist grundfalsch. Der Mensch ist kein Triebwesen, der von dem Geschlechtstrieb gleichsam überwältigt wird. Der Mensch ist fähig, die Sexualität zu beherrschen. Es hängt von seinem Willen und von seiner Einsicht ab, ob er der geschlechtlichen Anlage Raum gibt oder nicht. Die geschlechtliche Enthaltsamkeit ist ein Gebot Gottes. Der einzige legitime Ort geschlechtlicher Betätigung ist die gültige Ehe. Alle Menschen, die nicht in einer gültigen Ehe leben, sind von Gott her verpflichtet, sich der geschlechtlichen Betätigung zu enthalten, also vor der Ehe, außerhalb der Ehe, nach der Ehe. und was Gott gebietet, das ist möglich. Gott gebietet nichts Unmögliches. Die tausendfache Mißachtung des Gesetzes Gottes beweist nichts gegen die Gültigkeit dieses Gesetzes Gottes. Gesetze werden nicht dadurch falsch, dass sie nicht beachtet werden. Und der Verzicht auf sexuelle Betätigung ist nicht nur möglich, er ist auch tatsächlich. Viele haben es gekonnt und können es heute noch. Es ist eine Lüge, wenn uns die Pansexualisten weismachen wollen, jeder betreibe notwendig sexuelle Aktivitäten. Sie verdächtigen jeden, der die ehelose Lebensform gewählt hat, der heimlichen sexuellen Befriedigung. Dieser Verdacht kommt aus dem eigenen schlechten Gewissen. Was sie selbst nicht fertigbringen, nämlich sich zu beherrschen, das wollen sie auch keinem anderen zugestehen. Wir haben Jugendliche, die nach dem Worte leben: „Wahre Liebe kann warten.“ Wir haben Eheleute, die sich durch Gelübde zur Enthaltsamkeit verpflichtet haben. Wir haben Männer und Frauen, die sich aus dem geschlechtlichern Sumpf herausgearbeitet haben und enthaltsam leben. Seien Sie also vorsichtig, meine Herrn Pansexualisten, mit Ihren Behauptungen. Wir haben Jungfrauen von Cäcilia bis Maria Goretti, die lieber gestorben sind, als dass sie ihre Reinheit geopfert hätten. Wir haben Büßer vom Zöllner Matthäus bis Chesterton, die den Trieb besiegt haben und das Gesetz der Enthaltsamkeit bis zum Tode befolgt haben.
Viele gehen heute gegen die enthaltsame Lebensform des Priesters an. Der Herr Bundespräsident reiht sich in diese Leute ein, der Herr Bundespräsident, der selber geschieden und wieder verheiratet ist. Gewiß, wir Zölibatäre sind schwach wie alle Menschen. Aber wir lassen nicht wegen der Schwäche des Fleisches Gottes Gesetz fallen. Wir erheben nicht unsere Schwäche zum Gesetz. Wir sind keine Heuchler. Wir wissen um die Schwäche des Fleisches, und wir gehen beichten. Aber wir wissen auch um die heilige Verpflichtung, nach jedem Falle wieder aufzustehen. Wir sind keine Betrüger; wir führen kein Doppelleben. Wir betrügen nicht Gott und die Menschen, aber wir sind Jünger des Apostels, der von sich sagt: „Ich vermag alles in dem, der mich stärkt.“
Warum haben so viele Menschen Interesse an der Aufhebung des Zölibats, der sie ja gar nicht betrifft? Es sind drei Gründe:
1. Sie wollen den Zölibat aufgehoben sehen, weil es dann noch bequemer wird in der Kirche, als es jetzt schon ist. Was für ein Evangelium werden die Geistlichen verkünden, die sich vor der Ehe geschlechtlich betätigen, die in der Ehe Empfängnisverhütung betreiben, die sich nach Bedarf scheiden lassen und, wenn möglich, von neuem heiraten? Ist von solchen Priestern zu erwarten, dass sie das Gesetz Gottes über der Geschlechtlichkeit mutig und ohne Verkürzungen verkünden?
2. Sie wollen den Zölibat aufgehoben haben, damit der Unterschied zwischen dem katholischen Priester und dem nichtkatholischen Religionsdiener eingeebnet wird. Sie sind ja Ökumeniker, sie wollen alles gleichmachen. Um es kurz zu sagen: Sie wollen die Kirche weiter protestantisieren. Der protestantische Religionsdiener braucht den Zölibat nicht, denn er ist nicht ein durch heilige Weihen Christus angenäherter Stellvertreter. Der katholische Priester benötigt ihn, um seine Bindung an Christus deutlich zu machen.
3. Sie wollen den Zölibat aufgehoben sehen, weil er ein ständiger Vorwurf für ihr Lotterleben und ein Beweis für die Möglichkeit der Enthaltsamkeit ist. Um Gottes willen auf geschlechtliche Befriedigung verzichten ist der Sieg des Geistes über das Fleisch, ist der Triumph der Gnade über den Trieb. Das paßt ihnen nicht. Dadurch fühlen sie sich in ihren Ausschweifungen gestört.
Meine lieben Freunde, wir müssen dankbar und glücklich sein, dass uns das neue Gesetz geschenkt wurde, dass wir in ihm leben dürfen. Was geschrieben ist, das ist zu unserer Belehrung geschrieben, aber auch zu unserer Warnung. Es bleibt wahr: Gott läßt seiner nicht spotten! Was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf das Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten. Wer aber auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten.
Amen.