Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. August 2000

Die Vorbereitung auf die Rechtfertigung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott hat den Menschen in Freiheit erschaffen. Die Freiheit ist ein Teil der Würde des Menschen. In seinem Freisein hat der Mensch Anteil an der Würde Gottes. Die Freiheit macht ein Stück seiner Gottebenbildlichkeit aus. Diese Freiheit tastet Gott niemals an. Er beeinträchtigt die Freiheit auch nicht in seinem Gnadenwirken. Das Gnadenwirken schafft im Gegenteil die menschliche Freiheit. Der Mensch handelt frei in der Kraft der Gnade. Die Gnade hebt die Freiheit nicht auf, sondern gewährleistet ihren Vollzug.

Das ist ganz besonders deutlich, wenn der Mensch eingeladen und aufgerufen wird, sich von der Sünde abzuwenden und sich Gott zuzuwenden. Diesen Vorgang nennt man Umkehr, Bekehrung. Die Umkehr ist notwendig, wenn der Mensch mit der heiligmachenden Gnade beschenkt werden will. Die Umkehr ist erforderlich, wenn er sich von Gott rechtfertigen lassen will. Rechtfertigen heißt ja einen Menschen aus dem Zustand der Sünde in den Zustand der Gnade versetzen, und um diesen Zustand der Gnade zu erreichen, bedarf der Mensch der Vorbereitung. Es ist ein Glaubenssatz der Kirche: Der Erwachsene muß sich auf die Rechtfertigung vorbereiten.

Die Rechtfertigung wird dem Menschen geschenkt, aber in der Vorbereitung muß der Mensch etwas tun. Er tut es in der Kraft der Gnade. Die Vorbereitung auf die Rechtfertigung ist ganz Gottes Werk, sie ist aber auch ganz Tat des Menschen. Ist das kein Widerspruch? Nein. Denn in der Vorbereitung auf die Rechtfertigung handelt Gott als Gott, d. h. als Schöpfer; der Mensch aber handelt als Geschöpf, d. h. als Abhängiger. Die gesamte Tätigkeit des Menschen wird von Gott geschaffen, und doch bleibt der Mensch verantwortlich, bleibt er frei in diesem Tun der Vorbereitung. Die Bereitung des Herzens schafft in dem Menschen die Empfänglichkeit zur Aufnahme der Gnade. Die Vorbereitung gibt dem Menschen eine Hinrichtung auf die Gnade; er wird disponiert für die Gnade; er empfängt eine Fähigkeit, die Gnade in sich aufzunehmen. Diese Vorbereitung schafft die göttliche Gnade, aber so, daß der Mensch dabei mitwirkt, daß er dafür verantwortlich bleibt.

Diese Wahrheit ist vom Konzil von Trient deswegen so deutlich herausgehoben worden, weil Luther die Vorbereitung geleugnet hat. Er sagte: Der Mensch ist total verderbt. Alles, was er tut, ist nur Sünde und kann nur Sünde sein. Er kann deswegen bei der Rechtfertigung nicht mitwirken, er kann sich nicht vorbereiten; Gott tut alles, und der Mensch tut nichts. Gegen diese offenkundigen Irrlehren hat sich das Konzil von Trient in entscheidender Weise gewandt. Bei den Erwachsenen, sagt das Konzil, muß der Anfang der Rechtfertigung von der zuvorkommenden Gnade Gottes ausgehen, d. h. von seinem Ruf, „durch den sie (die Menschen) ohne irgendein eigenes Verdienst gerufen werden. So werden sie, die durch Sünden von Gott abgewandt waren, durch seine weckende und helfende Gnade bereitet. Sie werden durch seine weckende und helfende Gnade bereitet, sich ihrer eigenen Rechtfertigung zuzuwenden in freier Zustimmung zu dieser Gnade und in freier Mitwirkung mit ihr.“ Der Mensch könnte nämlich die Gnade auch ablehnen. Wenn er zustimmt, dann tut er etwas, er tut es in der Kraft der Gnade, aber er tut es so, daß er verantwortlich bleibt – in freier Zustimmung zu dieser Gnade und in freier Mitwirkung mit ihr – bei dieser Berührung, in der Gott das Herz des Menschen trifft durch das Licht des Heiligen Geistes, denn er nimmt jene Eingebung auf, die er auch ablehnen könnte. Andererseits kann er sich doch nicht aus freiem Willen heraus ohne Gnade Gottes zur Gerechtigkeit vor ihm erheben. Jetzt führt das Konzil zwei Schriftstellen an, die das belegen, was es eben gelehrt hat: „Wenn es in der Heiligen Schrift heißt: Kehrt euch zu mir, und ich will mich zu euch kehren, dann werden wir an unsere Freiheit gemahnt. Wenn wir aber antworten: Kehre uns, Herr, zu dir, und wir werden uns bekehren, dann bekennen wir, daß die Gnade Gottes uns zuvorkommt.“

Hier hat das Konzil die Wahrheit ausgesagt, daß die Vorbereitung auf die Rechtfertigung notwendig ist, daß sie von der Gnade angestoßen wird, aber daß der Mensch in der Kraft der Gnade dabei tätig bleibt, ja daß er dafür verantwortlich ist. Man erinnere sich an das Gleichnis von dem Hochzeitsmahl. Da kamen die Geladenen nicht zu dem Fest. Es wurden andere eingeladen, aber damit sie fähig waren, an der Hochzeit teilzunehmen, mußten sie unterwiesen werden und ein hochzeitliches Gewand empfangen. So ähnlich-unähnlich ist es mit der Vorbereitung auf die Rechtfertigung. Um diese Wahrheit noch deutlich auszudrücken, hat das Konzil einige Lehrsätze aufgestellt:

„Wer behauptet, der freie Wille des Menschen sei nach der Sünde Adams verloren und ausgelöscht worden, der sei ausgeschlossen.“

„Wer behauptet, es liege nicht in der Gewalt des Menschen, seine Wege schlecht zu machen, sondern die schlechten sowohl wie die guten Werke wirke Gott, der sei ausgeschlossen."

„Wer behauptet, daß alle Werke, die vor der Rechtfertigung getan werden, in Wirklichkeit Sünden seien oder Gottes Haß verdienen, oder man sündige um so schwerer, je mehr man sich bemühe, sich für die Gnade zu bereiten, der sei ausgeschlossen.“

„Wer behauptet, daß der sündige Mensch durch den Glauben allein gerechtfertigt werde und darunter versteht, daß nichts anderes als Mitwirkung zur Erlangung der Rechtfertigungsgnade gefordert werde und daß es in keiner Weise notwendig sei, sich durch eigene Willenstätigkeit zuzurüsten und zu bereiten, der sei ausgeschlossen.“

Diese Wahrheiten, die das Konzil von Trient lichtvoll uns vorlegt und die immer gültig bleiben, sind nichts anderes als der Widerhall dessen, was in der Heiligen Schrift uns durch göttliche Offenbarung vorgelegt wird. In der Heiligen Schrift Alten und Neuen Bundes ist ja immer wieder von der Aufforderung zur Umkehr, zur Bekehrung, zur Buße die Rede. Im Alten Testament sind es die Propheten Hoseas und Amos, Isaias und Ezechiel, die die Menschen auffordern, nicht auf die Abstammung von Abraham zu vertrauen, sondern sich durch eigenen Willensentschluß zu Gott zu kehren und die Sünde zu verlassen. An der Schwelle des Neuen Bundes steht der letzte der Propheten, Johannes der Täufer, der mit gewaltigem Nachdruck die Bekehrung fordert, denn jetzt ist letzte Zeit, jetzt ist die heilsgeschichtliche Situation anders als früher, denn jetzt ist der Messias da, jetzt muß man sich bereiten. Wer diese Stunde verpaßt, der verpaßt sein Heil. Deswgen tritt Johannes der Täufer auf und predigt in der Wüste: „Bekehret euch, denn das Himmelreich ist nahe!“ Er sieht, daß viele Pharisäer und Sadduzäer zu seiner Bußtaufe kommen, und da sagt er zu ihnen: „Ihr Schlangenbrut! Wer hat euch gelehrt, dem kommenden Zorn zu entgehen? Bringet würdige Früchte der Bekehrung!“ Also keine Worte bloß, mit denen man sagt: Ich bekehre mich, sondern Taten, Taten, an denen man sehen kann: Hier liegt tatsächlich ein Abwendung von der Sünde und eine Zuwendung zu Gott vor. „Maßet euch nicht an, bei euch zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater! Ich sage euch, Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen hier Kinder erwecken. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt. Ein jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“ Aus diesen Worten ersieht man den ganzen Ernst der Aufforderung des Johannes zur Bekehrung.

Unser Herr und Heiland Jesus Christus nimmt diesen Ruf auf. Auch er beginnt seine Predigt mit einem Worte, in dem seine ganze Sendung eingeschlossen ist. Er predigte die Frohe Botschaft und sprach: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes hat sich genaht. Bekehret euch und glaubet an das Evangelium!“ Der Herr hat diesen Ruf zur Bekehrung oft erneuert, und es ist deswegen ein unbegreifliches Versagen, wenn die Menschen den Ruf Gottes nicht hören. „Die Männer von Ninive werden im Gerichtstage gegen dieses Geschlecht auftreten und es verdammen, denn sie haben auf die Predigt des Jonas Buße getan, und siehe, hier ist mehr als Jonas.“ Die Menschen, die trotz der Machttaten, die Jesus wirkt, nicht umkehren, sind unentschuldbar. Der Herr hat über die Städte, in denen er die meisten Wunder gewirkt hat, seinen Wehe-Ruf ausgesprochen: „Wehe dir, Korazin! Wehe dir, Bethsaida! Denn wenn in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die bei euch geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche Buße getan. Doch ich sage euch: Tyrus und Sidon wird es erträglicher ergehen am Tage des Gerichtes als euch. Und du, Kapharnaum? Bist du nicht bis in den Himmel erhoben worden? Du wirst bis in die Hölle hinabfahren; denn wenn zu Sodoma die Wunder geschehen wären, die in dir geschehen sind, es stünde noch heute. Doch ich sage euch: Dem Lande Sodoma wird es am Tage des Gerichtes erträglicher ergehen als euch.“

Der Bußruf Jesu, die Aufforderung zur Bekehrung richtet sich an alle Menschen. Niemand ist davon ausgenommen. Alle Menschen sind Sünder und bedürfen der Umkehr. Eines Tages kommen einige Männer zu Jesus und erzählen ihm, daß Pilatus ein Blutbad unter den Galiläern angerichtet hat, während diese eben opferten. Da erwidert Jesus ihnen: „Glaubt ihr, daß diese Galiläer größere Sünder gewesen seien als alle anderen Galiläer, weil sie solches erleiden mußten? Nein, sage ich euch, aber wenn ihr euch nicht bekehrt, werdet ihr alle gleichfalls umkommen.“ Dann erzählt man ihm, daß ein Turm in Siloe umgefallen sei und daß dieser Turm 18 Personen erschlagen habe. Da gibt Jesus wieder zur Antwort: „Glaubt ihr, sie seien schuldiger gewesen als alle anderen Einwohner von Jerusalem? Nein, sage ich euch, aber wenn ihr euch nicht bekehrt, werdet ihr alle gleichfalls umkommen.“

Das ist der Bußruf unseres Herrn und Heilandes, der von seinen Aposteln aufgenommen wurde. In der Apostelgeschichte wird uns ja der Anfang der Kirche berichtet, und es werden uns die Predigten überliefert, die von den Uraposteln gehalten wurden. Diese Predigten münden immer ein in den Ruf zur Umkehr. Die Umkehr besagt dreierlei, nämlich 1. Abkehr von der Sünde, 2. Annahme des Heilsmittlers Jesus Christus und 3. Eingliederung in die Heilsgemeinde Gottes. Als die Menge Petrus fragt, was sie tun sollen, da antwortet Petrus: „Bekehret euch, und ein jeder von euch lasse sich taufen im Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden.“

Der Apostel Paulus hebt die Macht der Gnade hervor, die den Menschen von einem Unseligen zu einem Seligen macht. Aber gleichzeitig betont er mit aller Entschiedenheit die Pflicht des Menschen, sich unter der Macht der Gnade zu bekehren. Gottes Güte treibt den Menschen an zur Umkehr, aber sie zwingt ihn nicht. „Verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, daß die Güte Gottes dich zur Bekehrung treibt? Aber durch deine Hartnäckigkeit und dein unbußfertiges Herz häufest du dir Zorn auf für den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden vergelten wird nach seinen Werken.“

So geht es durch alle Schriften des Neuen Testamentes hindurch. Es werden immer zwei Tatsachen betont: die Kraft der Gnade, ohne die der Mensch sich nicht bekehren kann, aber auch die Freiheit des Menschen, mit der er die Gnade aufnehmen muß. „Bekehret euch zu mir!“, das ist die Aufforderung, und „Ich will mich zu euch kehren“, das ist die Zusage der göttlichen Gnade. Im letzten Buch der Heiligen Schrift, in der Apokalypse des Johannes, finden sich sieben Sendschreiben an christliche Gemeinden. Diese Schreiben richten sich also an Menschen, die schon die Bekehrung erlebt haben. Aber die einmal erfolgte Bekehrung muß man festhalten, man darf sie nicht verlieren. Man muß sie bewähren im Leben, und das eben ist bei der Gemeinde von Ephesus etwas schwierig. „Ich habe gegen dich, daß du deine erste Liebe verlassen hast. Gedenke also, von welcher Höhe du gefallen bist. Bekehre dich und vollbringe die Werke, die du früher tatest! Tust du dies nicht, so komme ich über dich und werde deinen Leuchter von seiner Stelle rücken, wenn du dich nicht bekehrst.“ Die Gemeinde muß also vor dem zweiten Kommen Christi ihre schon einmal vollzogene Hinwendung zu ihm erneuern, wenn sie dem Gerichte entgehen will.

Alles das, was in der Schrift geschrieben steht, ist zu unserer Belehrung geschrieben, wie wir soeben in der Epistel der heutigen heiligen Messe gehört haben. Also auch die Aufforderung zur Bekehrung ist für uns geschrieben, und sie tönt an unser Ohr, und sie dringt in unsere Herzen und fordert uns auf, die schlechten Werke zu verlassen und gute Werke zu vollbringen. Nur dann, wenn wir uns zu Gott bekehren in der Kraft der Gnade, werden wir mit ihm zu Tische sitzen und uns ewiglich freuen. Nur dann werden wir als Sieger die Wonnen des Himmels genießen dürfen.

Amen.

 

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