Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. Juni 1999

Die selbstgewählte, ewige Gottesferne der Verdammten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die heidnische Religion der Griechen hatte eine Ahnung davon, daß es einen Zustand der Verlorenheit nach dem Tode gibt. In mehrfachen Ansätzen hat die griechische Mythologie diese Vorstellung ausgedrückt. Da ist die Rede vom Tantalus. Er war ein grausamer König, und er wurde entsprechend nach seinem Tode bestraft. In seiner Nähe waren Wasser und Früchte, aber sobald er nach ihnen griff, entzogen sie sich ihm. Er litt Tantalusqualen. Die Danaiden waren Frauen, die ihre Männer ermordet hatten. Entsprechend war ihre Strafe im Jenseits. Sie mußten mit einem Sieb Wasser in Fässer schöpfen, die bodenlos waren. Schließlich gab es noch die Vorstellung vom Sisyphus. Er war ebenfalls ein harter Herrscher, in Korinth. Sisyphus wurde damit bestraft, daß er immer einen Stein, einen Felsblock einen Berg hinaufwälzen mußte, und wenn der Felsblock gerade oben angekommen zu sein schien, da rollte er wieder hinab, und so begann das Spiel von neuem. Man sieht, wie die Heiden etwas von der Aussichtslosigkeit, von der Hoffnungslosigkeit der Hölle geahnt haben.

Die christliche Kunst hat sich nicht an die Vorstellungen der Heiden gehalten, sondern an die Lehre der Heiligen Schrift und hat versucht, die Qualen der Verdammten in Bildern und in Versen auszudrücken. Ich erinnere etwa an das Inferno in Dantes „Göttlicher Komödie“ oder an die Vorstellung der Hölle, die Angelus Silesius uns niedergelegt hat. Es sind das Versuche, das Unsagbare auszusagen, Versuche, das Unanschauliche anschaulich zu machen. Es ist das keine getreue Wiedergabe des Zustandes der Hölle, aber es ist eben ein Versuch, das, was uns überliefert ist, umzusetzen in Bilder und Gleichnisse.

Die Hölle ist ewig. Es ist also nicht so, als ob der Mensch durch die Jahrhunderte und Tausende von Jahren mürbe gemacht würde und der Wunsch in ihm aufkäme, Gott zu lieben und sich ihm zu unterwerfen. Nein, die Hölle ist ewig, weil die Sünde ewig ist. Der sündhafte Wille des Verdammten besteht eine Ewigkeit und darum auch die Ewigkeit der Hölle. Der Verdammte empfindet Abscheu vor sich, Ekel vor seiner Zerrissenheit. Er haßt sich selbst, aber seinen sündhaften Willen gibt er nicht auf. Er möchte loskommen von der Pein, die ihm bereitet ist, aber die Wurzel dieser Pein, die Selbstvergottung, mag er nicht aufgeben. Er empfindet keine Reue, daß er Gott beleidigt hat, er verflucht nur die Schmerzen, die er deswegen leiden muß. Er verwünscht den Zustand, in dem er lebt, aber seine autonome Selbstbehauptung zieht er nicht zurück. Die Hölle ist ewig, weil die Sünde des Verdammten ewig ist.

Nicht Gott erschafft die Hölle, sondern der Mensch erschafft sie. Jeder Mensch erschafft die ihm zukommende Hölle. Indem er nämlich in der Sünde verharrt bis zum Tode, schafft er sich die Hölle. Die Hölle ist gewissermaßen die Selbstverwirklichung des Sünders. So wie Gott den Tod nicht geschaffen hat, so schafft er auch nicht die Erstarrung in der Sünde, die wir den Zustand der Hölle nennen. Dennoch ist Gott an der Hölle beteiligt, und zwar in zweifacher Weise. Einmal, weil er den sündigen Willen nicht hindert, und zum anderen, weil er den Sünder in seinem Sein und in seinem Tun erhält. Gott hindert den sündigen Willen nicht. Er hat den Menschen im Modus der Freiheit erschaffen; er will ihm Anteil geben am Herrschertum Gottes, und das Herrschertum Gottes drückt sich eben in seiner Freiheit aus. So hat Gott den Menschen als einen freien, als einen mündigen erschaffen. Das ist die Würde des Menschen, daß er Verantwortung tragen kann. Gott hat ihm diese Verantwortung übergeben, selbst auf die Gefahr hin, daß der Mensch seine Verantwortung mißbraucht. Gott ist das Risiko eingegangen, daß er dem Menschen eine Freiheit gab, die auch gegen ihn gewendet werden konnte. Es war ihm wichtiger, den Menschen als freien zu schaffen, als ihn risikolos wie eine Marionette oder einen Angehörigen eines Termitenstaates zu bilden. Der Mensch ist von Gott zur Teilnahme an seinem dreipersönlichen Leben gerufen, aber er wird dazu nicht gezwungen. Gott lädt ihn ein, aber er bricht nicht seinen Willen.

Die Mündigkeit des Menschen ist der Grund, warum Gott seinen sündigen Willen nicht hindert. Gott erhält aber auch den Sünder in seinem Dasein. Wir wissen, daß die Welt nicht nur von Gott geschaffen worden ist, sondern auch von ihm im Dasein erhalten wird. Die Welt würde ins Nichts zurücksinken, wenn Gott sie nicht erhalten würde. Das gilt für alles, was in der Welt ist. Auch der Verdammte wird von Gott in seinem Dasein gehalten, und nicht nur in seinem Dasein, auch in seinem Tun. Der Sünder kann nur sündigen in der Kraft, die Gott ihm gibt, und der Verdammte kann seinen sündigen Willen nur behaupten in der Kraft, die von Gott kommt. Er durchschaut diesen Sachverhalt, und das ist ein Teil seiner Demütigung, daß er weiß, er kann sich nur empören in der Kraft dessen, gegen den er sich erhebt.

Dennoch bleiben zwei Fragen, die wir schwer beantworten können, meine lieben Freunde. Einmal: Warum hat Gott dem Menschen eine Freiheit gegeben, die die Freiheit zum Sündigen einschließt? Das Sündigenkönnen ist nämlich mit der Freiheit nicht notwendig verbunden. Gott ist der Freieste von allen und kann doch nicht sündigen. Jesus war der Freie, aber alles hat er mit uns geteilt, ausgenommen die Sünde. Die Vollendeten des Himmels sind frei, aber sie können nicht sündigen. Warum also hat Gott die Freiheit dem Menschen in einer Weise gegeben, daß er sie mißbrauchen kann? Es ist schwer, darauf eine Antwort zu geben. Vielleicht kann man sagen: Gott wollte dem Menschen jede während des Pilgerlebens mögliche Freiheit geben. Er wollte ihm die Freiheit in dem für ein Geschöpf, das unterwegs ist, geeigneten Maße anvertrauen. Der Mensch ist im Pilgerleben ein Ringender, ein Suchender, und damit ist natürlich die Gefahr gegeben, daß er sich verirrt, daß er das Ziel nicht findet. Aber Gott wollte ihm diese Freiheit geben, er wollte ihn nicht im Zustand der Vollendung erschaffen. Er schuf ihn vermutlich deswegen als Suchenden und Ringenden, weil ihm das Kämpfen und Ringen und Suchen als ein Wert erscheint. Der Mensch soll durch Ringen und Suchen den Weg zur Vollendung finden, und das dünkt Gott wertvoll.

Die zweite Frage ist, warum Gott den Verdammten nicht die Gnade der Bekehrung gibt. Er könnte ja den in der Hölle befindlichen Menschen eine solche siegreiche Gnade geben, daß sie die Eigenherrlichkeit überwindet und in den Verdammten den Wunsch aufkommen läßt, Gott zu dienen und ihn anzubeten. Aber Gott tut es nicht. Die Antwort ist vermutlich darin gelegen, daß Gott seine Herrschaft, die Herrschaft der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Heiligkeit unverbrüchlich durchsetzen will. Er will eine letzte Sanktion für den Ernst und die Verpflichtung der Aufgabe des Menschen, und diese letzte Sanktion ist der Zustand der Hölle. Der Mensch soll wissen: Es gibt eine unverbrüchliche Wahrheit, eine unverbrüchliche Gerechtigkeit und eine unverbrüchliche Heiligkeit, und wer sich ihr nicht in Anbetung unterwirft, auf den schlägt sie zurück. Er muß von dieser Wahrheit, Gerechtigkeit und Heiligkeit, die er nicht anbeten will, sich fesseln und binden lassen. So kann man vielleicht zu erklären versuchen, warum Gott den Verdammten die Gnade der Bekehrung nicht gibt.

Die Menschen, die verdammt werden, schaffen sich die Hölle selbst. Jeder schafft sich die ihm zukommende Hölle, d.h. die Verdammten leiden verschiedene Qualen. Die Qualen der Verdammten sind nicht gleich, sondern je nach Art, Zahl und Größe der Sünden wird auch die Strafe bemessen.

Eine weitere Frage erhebt sich: Wo ist die Hölle? Zunächst einmal ist zu sagen, daß die Verdammten, weil sie ja leibfrei sind – sie sind nur noch Geister –, nicht überall sein können. Sie haben keine Allgegenwart. Sie sind aber freilich wie alle Geister nicht mehr den Gesetzen von Raum und Zeit unterworfen. Es ist anzunehmen, daß Gott den Verdammten ein Wirkfeld zuweist; es ist auch wahrscheinlich, daß die Verdammten gemeinsam in diesem Wirkfeld hausen. Aber wo dieses Wirkfeld ist, das ist uns verborgen. Es läßt sich im Weltall kein Ort angeben, von dem wir sagen können: Hier ist die Stätte der Verdammten. Natürlich hat man in irriger Weise versucht, bestimmte Orte auszumachen, etwa einen Vulkan, einen Feuerschlund. Aber das sind Annahmen, die gefährlich sind und die den Glauben an die Hölle der Lächerlichkeit preiszugeben geeignet sind. Denn die Existenzweise der Verdammten ist eben nach Art der Engel, d.h. es ist eine ganz andere Weise der Existenz, als wir sie auf Erden kennen. Die Wirklichkeit der Hölle ist von der Erfahrungswirklichkeit völlig und gänzlich verschieden. Die Hölle ist keine Wirklichkeit, wie wir sie aus der Erfahrung kennen, und deswegen kann man sie auch nicht mit den Mitteln, mit denen wir die Erfahrungswirklichkeit erforschen, ergreifen. Man kann in den Weltraum hinausfahren, so weit man will; man kann ein tiefes Loch in die Erde bohren, wie es in der Oberpfalz geschehen ist; man kann in den Atomkern eindringen: Die Hölle ist auf diese Weise nicht zu finden, denn mit diesen Methoden gelangen wir immer nur in die Erfahrungswirklichkeit, aber die Hölle ist keine Erfahrungswirklichkeit; sie liegt jenseits der Erfahrungswirklichkeit.

Die großen Kirchenväter haben deswegen allesamt darauf verzichtet, den Ort der Hölle zu bestimmen. Sie sagen: Fragen wir nicht, wo die Hölle ist, fragen wir, wie wir ihr entgehen! Und das ist auch schließlich das Letzte, was wir zur Hölle sagen wollen: Die Offenbarung der Hölle, meine lieben Christen, ist ein Erweis der Liebe Gottes. Er hat uns diese schreckliche Möglichkeit geoffenbart, damit wir ihr entgehen. Die Offenbarung der Hölle ist eine Warnung. Wir sollen nicht blindlings auf ein furchtbares Verhängnis zulaufen, sondern wir sollen den Weg zum Himmel nehmen. Wir sollen den Weg einschlagen, der zur Seligkeit führt, und nicht die breite Straße gehen, die zur Unseligkeit führt. Gott hat uns auch Hoffnung gegeben. Er sagt: Wer wird euch anklagen, wenn ihr Christi Jünger seid? Wer wird euch anklagen? Christus ist ja für euch gestorben. In seinem Tode haben wir den Erlösungs- und Rettungswillen Gottes erlebt. Wir haben also begründete Hoffnung, wir haben begründetes Zutrauen, wir haben begründete Zuversicht, daß wir der Hölle entgehen können.

So wollen wir also, meine lieben Freunde, die Hölle ernstnehmen, überzeugt, daß Gott den Sünder, der von der Sünde nicht läßt, in seinem sündigen Willen erstarren läßt, wollen aber gleichzeitig unseren Weg mit Ernst und mit Anstrengung zum Himmel nehmen, wollen beten, wie wir es ja in der Totenmesse immer tun: „Bei den Schafen gib mir Weide, von der Böcke Schar mich scheide, stell‘ mich auf die rechte Seite!“ Ja, wir wollen beten, wie wir es in Fatima gelernt haben:

O mein Jesus, verzeihe uns unsere Sünden. Bewahre uns vor dem Feuer der Hölle. Führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen!

Amen.

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