Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. März 1998

Über Wert und Bedeutung des Eigentums

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts besuchte eine sowjetische Arbeiterdelegation Amerika. Sie kam auch nach Detroit, also in die Stadt, in der die großen Autowerke von Ford stehen. Die Delegation wurde durch das Gelände geführt und stellte Fragen. „Wem gehören die Fabriken?“ – „Dem Herrn Ford.“ „Wem gehören die Maschinen?“ – „Dem Herrn Ford.“ „Und wem gehören die vielen Autos auf den Parkplätzen vor den Fabriken?“ – „Den Arbeitern.“ Wenig später kam eine amerikanische Delegation von Arbeitern in die Sowjetunion, und zwar nach Gorki, wo Autos gebaut werden. Auch sie ließ sich führen und stellte Fragen. „Wem gehören die Fabriken?“ – „Dem Volke.“ „Wem gehören die Maschinen?“ – „Dem Volke.“ „Und wem gehören die Autos vor den Fabriken?“ – „Den Volkskommissaren.“ An dieser Anekdote kann man den Unterschied zwischen Wirtschaftssystemen, welche die Freiheit geben, Eigentum an Produktionsmitteln zu erwerben, und anderen, die dies verbieten, erkennen.

Wir haben uns seit vielen Sonntagen bemüht, die Pflichten der Selbstliebe zu erkennen. Es bleibt uns noch ein einziger Gegenstand zu berücksichtigen, nämlich das Eigentum; das Eigentum, der Erwerb des Eigentums, die Verwendung des Eigentums als Pflicht der Selbstliebe. Unter Eigentum versteht man die Gewalt einer Person über eine Sache als ihr zugehörig, frei innerhalb der Grenzen der Vernunft zum eigenen Interesse zu verfügen. Eigentum ist also das Besitz- und das Verfügungsrecht über eine Sache im eigenen Interesse.

Zur Begründung des Eigentums werden vier verschiedene Faktoren angeführt. Erstens ein wirtschaftlicher. Daß es Privateigentum geben soll, legt sich nahe aus dem Eigeninteresse, das in jedem Menschen ist. Und solange dieses Eigeninteresse geordnet und vernünftig ist, ist es berechtigt. Das berechtigte Eigeninteresse ist eine der Grundlagen des Privateigentums. Dazu kommt der Anreiz zur Anstrengung, der von der Möglichkeit ausgeht, Privateigentum zu erwerben. Wer die Frucht seiner Arbeit besitzen und genießen darf, der ist veranlaßt, sich zu mühen und anzustrengen. Das ist ein wirtschaftlicher Gesichtspunkt. Dazu kommt ein sozialer. Wenn jeder sein Eigentum hat, ist der Verwirrung vorgebeugt, die dann besteht, wenn alle alles gemeinsam haben. Bei Gemeinbesitz gibt es Schwierigkeiten in der Verteilung, im Gebrauch; es kommt zu Streitigkeiten. Diese Faktoren legen nahe, auch aus sozialen Rücksichten für das Privateigentum einzutreten.

Weiter dient das Privateigentum der Kultur. Wer Eigentum besitzt, kann sich Bildung verschaffen, denn der Erwerb von Bildung ist nicht billig. Wer Eigentum besitzt, vermag auch ein Werk aufzubauen, vermag etwas zu leisten, und er hat mit dem Eigentum die Möglichkeit, Stiftungen zu machen, also gute Zwecke zu fördern. Die Kultur verdankt den Eigentümern große Fortschritte und viele Errungenschaften. Der wichtigste Gesichtspunkt freilich ist wohl der, daß das Eigentum sittliche Qualitäten im Menschen zu schaffen geeignet ist. Wer Eigentum erwirbt und Eigentum besitzen darf, der ist gehalten zu Fleiß, Anstrengungsbereitschaft, Arbeitsamkeit, Ordnungsliebe, Sparsamkeit. Es werden im Menschen viele Tugenden und gute Eigenschaften ausgebildet, wenn er Eigentum erwerben und besitzen darf. Dazu kommt die Möglichkeit, durch Freigebigkeit Bedürftigen zu helfen und gute Unternehmungen zu fördern.

Schließlich ist die Möglichkeit, Privateigentum zu besitzen, auch eine ganz wichtige Quelle der Freiheit. Wenn man in allem von einem anderen abhängig ist, dann hat man keine Freiheit. Wer in allen Angelegenheiten an den Staat gewiesen ist, der ist dem Staat restlos ausgeliefert. Der Staat kann über ihn verfügen und ihn kirre machen, indem er ihm je nach seiner Einstellung Eigentum zuweist oder Eigentum entzieht. Eigentum macht frei. Wir sehen das zum Beispiel am Auto. Wer ein Auto besitzt, ist nicht auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Er kann sich begeben, wohin er will und wann er will. Oder denken Sie an das Wohneigentum. Wohneigentum macht frei. Man ist nicht an den Vermieter gewiesen, der einem kündigen kann, sondern man kann mit seinem Eigentum schalten und walten, wie es dem Eigeninteresse dient.

Es gibt darum ein Recht, Eigentum zu besitzen. Es ist das ein natürliches Recht, das durch die positive Rechtsordnung in den allermeisten Staaten geschützt wird. Das Recht, Eigentum zu erwerben und zu besitzen, ergibt sich aus der Selbstliebe. Der Mensch ist eben hingewiesen darauf, sich etwas zu erwerben, um seinen Unternehmungen nachgehen zu können. Er erwirbt Eigentum, um für die Seinen und für sich zu sorgen. Der Mensch ist ja ein Zukunftswesen; er blickt in die Zukunft und muß deswegen auch für die Zukunft Vorkehrungen schaffen. Dazu dient das private Eigentum. Ja, es ist nicht nur ein Recht, Eigentum zu erwerben, es ist eine Pflicht; denn wer sollte einem die Sorge für die Zukunft abnehmen, wenn man selbst nicht durch Eigentum vorsorgt? Das Eigentum macht den Menschen selbständig. Wer in allem von anderen abhängig ist, der wird nie zu einer selbständigen Persönlichkeit werden. Wer sich also entfalten will als selbständige Persönlichkeit, benötigt normalerweise Eigentum. Die Entwicklung des Menschenwesens wird durch den Besitz und den Erwerb von Eigentum gefördert. Der Mensch vermag seine Aufgaben in der Welt regelmäßig nur zu erfüllen, wenn er Eigentum besitzt. Wie soll ein Handwerker seinen Kunden die Aufträge erledigen, wenn er keine Werkstatt besitzt, keine Werkzeuge und keine Materialien? Die Erfüllung unserer Aufgaben auf dieser Erde macht das Eigentum erforderlich.

Das Eigentum muß freilich redlich erworben werden. Wir unterscheiden im allgemeinen drei verschiedene Erwerbsarten. Die regelmäßige Erwerbsart ist die Arbeit. Die Erde gibt nicht her, wessen wir bedürfen, ohne Arbeit. Also sind wir zur Arbeit gewiesen; wir sollen durch Arbeit das Eigentum erwerben. Der Mensch empfindet eine Befriedigung, wenn er durch Arbeit Eigentum erwirbt. Diese Befriedigung ist berechtigt. Es gibt einen berechtigten Stolz auf die eigene Leistung. Eine zweite Erwerbsart ist die Schenkung. Anderen mitzuteilen durch Geschenke ist eine Art, die Nächstenliebe auszuüben. Die Schenkung nimmt besondere Formen an in der Familie durch die Vererbung. Man darf, was man selbst erarbeitet hat, anderen hinterlassen. Man darf jemanden zum Erben einsetzen, man darf Vermächtnisse machen. Die Schenkung ist eine schöne Form christlicher Nächstenliebe. Schließlich gibt es die Möglichkeit, sich herrenloses Gut anzueignen. Diese Chance besteht auch heute. Wenn Ihnen ein Tier zuläuft, das keinen Herrn mehr hat, dann dürfen Sie es in der Regel behalten. Oder wenn Sie an den Tagen, an denen die Sperrmüllabfuhr durch die Straßen fährt, sich etwas von den herausgestellten Gegenständen aneignen, dann ist das erlaubt, denn was da hinausgestellt wird, ist herrenloses Gut. Auch heute ist die Okkupation ein legitimer Erwerbstitel.

Wir sollen uns Eigentum erwerben, um für unser Leben, für die Unseren und für die Gemeinschaft besorgt zu sein. Das Eigentum ist sozialpflichtig. Die christliche Eigentumslehre hat niemals einem schrankenlosen Gebrauch des Eigentums das Wort geredet. Eigentum verpflichtet. Man darf mit dem Eigentum nicht tun, was man will, sondern man darf es nur verwenden zu vernunftgemäßen Zwecken. Vor wenigen Tagen ging die Meldung durch die Presse, ein Bauer in Niedersachsen, dessen Hof versteigert werden sollte wegen Schulden, habe dieses sein Eigentum angezündet und sich selbst getötet. Das ist kein legitimer Gebrauch des Eigentums. Eigentum verpflichtet. Es verpflichtet gegenüber der Gemeinschaft, es verpflichtet gegenüber der Vernunft, es verpflichtet gegenüber Gott.

Eine Grenze zu ziehen, wie weit der Eigentumserwerb gehen kann, ist schwer. Man darf sich Reichtümer erwerben. Der Reichtum ist an sich ein Gut. Man darf alles erwerben, was zum standesgemäßen Unterhalt erforderlich ist oder was zur Erreichung von vernünftigen Zwecken notwendig ist. Große Vermögen können auch große Unternehmungen gestatten. Wie hätten Männer wie Siemens und Diesel ihre Entdeckungen und Erfindungen machen können, wenn sie nicht über ein Vermögen verfügt hätten? Die Großunternehmung ist auf großes Vermögen angewiesen.

Freilich sollte der Gegensatz zwischen Bettelarmut und übermäßigem Reichtum möglichst eingeebnet werden. Aber man kann die Unterschiede zwischen arm und reich niemals ausräumen. Das ist schon deswegen unmöglich, weil die Menschen verschieden sind. Wenn heute an einem bestimmten Tage alle das gleiche besitzen, dann würde in kurzer oder längerer Zeit doch wieder ein Unterschied entstanden sein, weil der eine eben, mit dem, was er besitzt, sparsam und fleißig wirtschaftet, der andere liederlich und träge dahinlebt. Unterschiede muß es geben, sind berechtigt, nur sollten sie sich nicht zu zerstörerischen Gegensätzen auswachsen.

Die Kirche hat auch immer gewußt, daß der Reichtum eine Gefahr bedeutet. Er kann eine sittliche und soziale Gefahr bedeuten. Sittlich kann er dazu führen, daß man hochmütig wird, träge, üppig lebt, daß man bequem und dem Mammon verpflichtet dieses Leben vollzieht, daß man hartherzig gegen andere wird. Der Reichtum birgt Gefahren in sittlicher Hinsicht in sich. Er ist auch sozial ein Sprengstoff; denn allzu leicht weckt er die Begehrlichkeit der Armen, und dann kann sich eine solche Begehrlichkeit in Diebstahl, Raub, Plünderung, Aufständen und Aufruhr Bahn brechen. Freilich ist der Arme genauso gefährdet, denn er kann in die Begehrlichkeit, in die Unzufriedenheit, in den Haß gegen die Reichen verfallen. Deswegen lehrt die Kirche die Armut im Geiste. Armut im Geiste besagt nicht, daß man nichts besitzt. Armut im Geiste besagt, daß man an nichts hängt. Der ist arm im Geiste, der viel besitzt, aber sich innerlich von seinem Besitz löst und lösen kann.

Die Verwendung des Reichtums wird auch geregelt durch die Tugend der Freigebigkeit, eine der schönsten christlichen Tugenden, die wir kennen. Die Freigebigkeit spendet von dem, was einer besitzt, aus, teilt anderen mit, ermöglicht dadurch die Minderung des Gegensatzes zwischen arm und reich, erfreut andere Menschen, hilft großen Unternehmungen. Wo wären unsere Stiftungen hingekommen, wenn es nicht freigebige Menschen gäbe? Und immer haben sich gerade die kirchlich gebundenen Christen durch besondere Freigebigkeit ausgezeichnet. Sie haben Werke der Frömmigkeit und der Mildtätigkeit in großer Zahl auf dieser Welt geschaffen. Auch der von den Polemikern so gern verzeichnete Ablaß hat in dieser Freigebigkeit eine seiner Ursachen. Die Geldablässe des Mittelalters, gegen die Luther so leidenschaftlich angegangen ist, haben eine große Quelle der Freigebigkeit eröffnet. Die Menschen haben, um einen Nachlaß zeitlicher Sündenstrafen zu bekommen, erhebliche Geldmittel drangewendet, und mit diesen Geldmitteln wurden Kirchen und Leprosenhäuser, wurden Werkstätten, Herbergen für Pilger, wurden Straßen und Brücken gebaut. Zum Beispiel die Brücke in Torgau in Sachsen ist aus Geldern entstanden, die für Ablässe gespendet wurden. Diese Geldablässe haben also – abgesehen vom Mißbrauch, der vielleicht hie und da geschehen ist – ihren großen und guten Sinn gehabt. Sie sind heute verboten, aber nur, weil eben Mißbräuche vorgekommen sind.

Der Gegensatz zur Freigebigkeit ist die Verschwendung auf der einen Seite und der Geiz auf der anderen Seite. Verschwendung bedeutet, daß man den vernunftgemäßen Gebrauch der Güter vernachlässigt, daß man sich verausgabt. Geiz besagt, daß man den Besitz allzusehr festhält, daß man nicht bereit ist, mitzuteilen nach dem Maße des eigenen Vermögens.

Die Heilige Schrift hat wunderbare Worte gefunden für Reichtum und Armut. Im Buch der Sprüche im Alten Testament betet ein Frommer: „Gib mir nicht Armut und gib mir nicht Reichtum. Laß mich genießen mein Stücklein Brot, sonst könnt’ ich, werde ich satt, dich verleugnen und fragen: Wer ist der Herr? Oder wäre ich arm, könnte ich zum Diebe werden und mich am Namen meines Gottes vergreifen.“ Der Beter will nicht Armut und will nicht Reichtum, aber er begehrt von Gott das, was zu seinem Leben notwendig ist. Im Neuen Testament warnt der Herr selber davor, den Mammon als Götzen zu betrachten, sondern fordert auf, mit dem Geld gute Werke zu tun. „Ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Reichtum, damit sie euch, wenn er zu Ende geht, in die ewigen Wohnungen aufnehmen. Wer im Kleinsten treu ist, ist auch treu im Großen, und wer im Kleinsten unredlich ist, ist auch unredlich im Großen. Wenn ihr nun mit dem ungerechten Reichtum nicht treu geschaltet habt, wer wird euch dann das wahre Gut anvertrauen? Kein Knecht kann zwei Herren dienen. Entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben oder zu dem einen halten und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!“

Amen.

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