Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Februar 1998

Die Pflicht zur Arbeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ Das war der Ausgangspunkt unserer Überlegungen über die Selbstliebe. Denn in diesem Satz: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ wird die Selbstliebe anerkannt, ja als Maßstab der Nächstenliebe begründet. Eine Pflicht der Selbstliebe ist die Arbeit. Der Mensch ist zur Arbeit geschaffen wie der Vogel zum Fliegen. Als das Christentum diese Erde betrat, war die Arbeit geringgeschätzt; sie war Sache der Sklaven, und die Sklaven waren verachtet, und mit ihnen war die Arbeit verachtet. Die Heiden schätzten nur geistige Tätigkeit oder den Müßiggang, die Arbeit dagegen galt ihnen als unerträgliches und erniedrigendes Geschäft. „Es wohnt nichts Edles in der Werkstätte“, sagte einmal Cicero in seinem Buch „De officiis“. Gegen diese Geringschätzung der Arbeit, die aus Sinnlichkeit, Trägheit, Lasterhaftigkeit entsprang, hat sich das Christentum erfolgreich zur Wehr gesetzt. Das Christentum hat die Würde der Arbeit begründet. Es hat die Lehre gebracht, daß eine jede Arbeit, die zum Nutzen des einzelnen und der Gemeinschaft verrichtet wird, den Menschen ehrt, daß die Arbeit ein Mittel ist, um das ewige und letzte Ziel zu erreichen und daß die Arbeit, in richtiger Weise getan, den Menschen edelt und adelt.

Die Arbeit besitzt eine hohe Würde. Diese Würde ist von großer Bedeutung für den einzelnen und die Gemeinschaft. Die Arbeit ist einmal deswegen von Bedeutung, weil sie wirtschaftlich notwendig ist. Durch die Arbeit müssen die zum Lebensunterhalt erforderlichen Güter beschafft werden. Die Erde ist nicht so beschaffen, daß sie ohne Arbeit das hergibt, was der Mensch für seine Bedürfnisse benötigt. Der Mensch muß, um seinen Lebensunterhalt zu erwerben, arbeiten.

Dazu tritt die kulturelle Bedeutung der Arbeit. Durch die Arbeit veredelt der Mensch die Erde, herrscht er über die Materie, erfüllt er den Schöpfungsauftrag: „Macht euch die Erde untertan!“ Das bedeutet natürlich nicht willkürlichen Gebrauch der Erde, sondern es bedeutet Benutzung der Erde nach Gottes Willen, Herrschaft über die Materie, Veredelung aller Güter dieser Erde.

Dazu tritt die sittliche Bedeutung der Arbeit. Die Arbeit vervollkommnet den Menschen. Sie bildet in ihm Tugenden aus, die es sonst nicht gäbe. Die Tugenden, die aus der Arbeit ihren Ausgang nehmen, sind Selbstzucht, Selbstverleugnung, Selbstbescheidung, Gewissenhaftigkeit, Ordnungsliebe, Umsicht, Energie, Beharrlichkeit, Pünktlichkeit, Sparsamkeit, Sinn für Autorität. Alle diese Tugenden erwachsen aus der recht verstandenen und recht ausgeübten Arbeit.

Schließlich hat die Arbeit auch Bedeutung für die Religion; denn sie ist das Mittel, mit dem wir den Weg zum Himmel nehmen. Noch niemand ist in den Himmel eingegangen, der nicht gearbeitet hätte, obwohl er dazu in der Lage und verpflichtet war; die Arbeit ist der Weg zum Himmel.

Unter Arbeit verstehen wir die mit persönlichem Kräfteaufwand verbundene sozial nützliche Tätigkeit – die mit persönlichem Kräfteaufwand verbundene sozial (also gesellschaftlich) nützliche Tätigkeit. Wegen ihrer Bedeutung besteht eine Arbeitspflicht. Die Menschheit muß arbeiten, wenn sie den Auftrag, den Gott ihr gegeben hat, erfüllen will. Und der einzelne muß arbeiten, wenn er das ewige Ziel erreichen will. Die Pflicht zur Arbeit ergibt sich einmal aus dem dem Menschen eingeborenen Drang zur Betätigung. Es spürt jeder Mensch in sich einen Drang, sich zu betätigen. Das ist die Sprache des Schöpfers. In diesem Drang zur Betätigung drückt sich ein Naturgesetz aus, und dieses Naturgesetz hat den Schöpfer der Natur zum Urheber. Es ist eine naturgesetzliche Pflicht, zu arbeiten.

Sodann hat der Mensch eine Pflicht zur Arbeit, weil er sich nur so selbst veredeln kann. Ich habe eben von der Bedeutung der Arbeit gesprochen. Diese Bedeutung in sittlicher Hinsicht ist eben auch eine Pflicht. Der Mensch muß arbeiten, um sich selbst sittlich zu bilden. Er muß arbeiten, um Tugenden zu erwerben. Er muß arbeiten, um Leidenschaften zu unterdrücken. Er muß arbeiten, um vor allem dem Laster des Müßiggangs zu entgehen. Es besteht eine sittliche Pflicht zur Arbeit.  Es gibt aber auch eine sozialethische Pflicht zur Arbeit. Das heißt: Um der Gesellschaft willen muß man arbeiten. Jeder empfängt von der Gesellschaft vielerlei Gaben und Wohltaten. Die Gesellschaft leistet ihm viele Dienste, also muß auch er seinen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft, zum Gemeinwohl, leisten. Es ist eine sozialethische Pflicht, zu arbeiten und durch Arbeit zum Volkswohl beizutragen. Es ist auch eine religiöse Pflicht, zu arbeiten, weil Gott den Befehl gegeben hat: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen.“ Die Arbeit ist Buße, d.h. Strafe für Sünden. Wir alle sind Sünder, haben also Strafe verdient. Einen Teil dieser Strafe büßen wir ab in der Mühsal und Anstrengung der Arbeit.

Es ist ganz falsch, wenn Materialisten den Sinn der Arbeit allein als Lohnquelle, als Mittel zum Genuß oder als Ware, die man verkauft, sehen. Diese falschen Ansichten verkennen die Würde der Arbeit und vor allem die Würde des Menschen, der arbeitet. Die Arbeit ist nicht nur Lohnquelle, sie ist nicht nur Mittel zum Genuß und sie ist schon lange nicht eine Ware, die der Arbeiter verkauft. Nein, sie ist ein Stück der menschlichen Selbstverwirklichung und der menschlichen Selbstbildung. Die Arbeit läßt sich von dem, der arbeitet, nicht trennen. Das gilt für jede Arbeit, für die geistige wie für die körperliche Arbeit. Sie ist ein ganz entscheidendes Mittel, um Mensch zu sein und Mensch zu werden.

Es gibt eine bestimmte Ordnung der Arbeit, nämlich: Es muß zuerst das Notwendige getan werden, dann das Nützliche und erst zum Schluß das Angenehme. Das Notwendige der Arbeit ist im allgemeinen die Berufsarbeit, die Erwerbsarbeit. Wir müssen unseren Lebensunterhalt mit unserer Hände oder mit unseres Geistes Arbeit verdienen. Dieser Arbeit darf nichts anderes vorgezogen werden. Der Apostel Paulus hat häufig angeblich fromme Müßiggänger getadelt und zur Arbeit aufgerufen. Er wollte, daß in seinen Gemeinden die Menschen arbeiten. Er schreibt zum Beispiel an die Thessalonicher: „Setzt eure Ehre darein, ein stilles Leben zu führen, eure eigenen Angelegenheiten zu besorgen und eurer Hände Arbeit zu verrichten! So haben wir euch angewiesen, und so wandelt ihr ehrbar vor den Außenstehenden und braucht von keinem etwas zu begehren.“ An einer anderen Stelle: „Als wir bei euch waren, haben wir euch geboten: Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen. Nun haben wir gehört, daß einige unter euch einen unordentlichen Lebenswandel führen, nichts arbeiten, sondern sich herumtreiben. Solchen Leuten befehlen wir streng im Herrn Jesus Christus, sie sollen still ihre Arbeit tun und ihr selbstverdientes Brot essen.“ Und schließlich noch im Epheserbrief: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern erwerbe sich durch die Arbeit seiner Hände ehrlichen Lohn, damit er auch den Bedürftigen mitteilen kann.“ Was der Apostel Paulus hier anmahnt, hat er selbst bewiesen. Er hat sein ganzes Leben nicht nur das Evangelium verkündet, was ja auch eine Arbeit ist. Er hat nebenbei auch ein Handwerk ausgeübt, um nicht den Gemeinden zur Last zu fallen. Er konnte sich dabei berufen auf das Beispiel des Herrn Jesus, der gearbeitet hat, der den größten Teil seines Lebens in handarbeitender Tätigkeit verbracht hat. Er konnte schließlich auch zurückgreifen auf Texte des Alten Testamentes, in denen oft und immer wieder zur Arbeit gemahnt wird. „Geh zur Ameise, du Fauler, betrachte ihr Tun und werde weise. Wenn sie auch keinen Fürsten hat, keinen Vogt und Gebieter, so sorgt sie im Sommer für ihre Nahrung, sammelt sich Speise zur Erntezeit. Wie lange noch, Fauler, willst du liegen bleiben? Wann willst du vom Schlaf dich erheben? Ein bißchen noch schlafen, ein bißchen noch schlummern, ein bißchen die Hände noch falten und ruhen! Schon kommt über dich wie ein Läufer die Armut und wie ein Krieger der Mangel.“ Diese und ähnliche Mahnungen haben dem Apostel Paulus sicher im Gedächtnis gelegen, als er zur Arbeit ermahnte.

Wir Christen haben noch ganz andere Motive, um unsere Arbeit sorgfältig und genau zu erfüllen. Für uns ist die Arbeit Mitarbeit an der Schöpfung Gottes. Gott hat die Schöpfung nicht ganz vollendet; er hat sie gewissermaßen uns zur Vollendung überlassen. Wir sollen über die Erde, die er uns anvertraut hat, herrschen, indem wir die Materie bändigen, indem wir die Naturgewalten zähmen, indem wir die Schätze der Erde in rechter Weise benutzen, um allen Menschen Wohnung, Nahrung und Kleidung zu verschaffen. Wir sind Mitarbeiter an Gottes Schöpfung. Unsere Arbeit ist auch ein Opfer an Gott, also ein Geschenk, das mit Schwierigkeiten erworben und ihm übereignet wird. Unsere Arbeit ist auch ein Werk, das Lohn verdient. Gott hat allen Arbeitern Lohn verheißen. Unsere Arbeit ist ein mittelbarer Gottesdienst. Unmittelbaren Gottesdienst halten wir, wenn wir beten und opfern. Mittelbaren Gottesdienst nehmen wir wahr, wenn wir arbeiten. Die Arbeit in der guten Meinung, zur Ehre Gottes, zum Nutzen der Menschen, zum Heile der eigenen Seele getan: Die Arbeit ist ein mittelbarer Gottesdienst.

Wenn heute so viele Menschen arbeitslos sind, dann ist das eine schreckliche Unordnung der Gesellschaft. Die Arbeitslosigkeit ist eine Geißel, die über den Menschen liegt, und diese Geißel sollte mit jeder möglichen Anstrengung von ihnen genommen werden. Freilich wissen wir, daß nicht alle, die arbeitslos sind, auch arbeitswillig sind. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages bezeichnete nur ein Drittel aller Arbeitslosen als wirklich arbeitswillig, ein zweites Drittel sei nicht gesund genug, um zu arbeiten, und ein weiteres Drittel drücke sich vor der Arbeit. Ich weiß nicht, ob diese Zahlen stimmen, aber immerhin stammen sie aus dem Munde eines Mannes, der von dieser Angelegenheit etwas versteht, vom Präsidenten den Deutschen Industrie- und Handelstages.

Wir, die wir in der glücklichen Lage sind, arbeiten zu dürfen, wollen unsere Kräfte und Anlagen benutzen, um nützlich zu wirken, solange es Tag ist. Wir wollen unsere Arbeit verrichten im Aufblick zu Gott. Wir wollen bei der Arbeit Gott nicht vergessen. Wir wollen die Arbeit aus Liebe zu den uns Anvertrauten verrichten, und wir wollen damit ein Lobgesang auf Gott sein, der die Arbeit zu seiner Verherrlichung eingesetzt hat. „Alles, was ihr tut, ob ihr eßt oder trinkt oder etwas anderes tut, tut alles zur Ehre Gottes!“

Amen.

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