Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. August 1996

Die Zwecke des Meßopfers

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Meßopfer ist das unter sakramentalen Zeichen erscheinende Kreuzesopfer. Einem Opfer kann man nur adäquat beiwohnen, indem man opfert. Diejenigen, die sich zum Meßopfer versammeln, müssen Mitopfernde sein, Mitopfernde mit dem sich selbst auf dem Altare opfernden Christus. Die Opfernden dürfen, ja sollen mit ihrem Opfern Opferzwecke verbinden. Wir sollen das Opfer für etwas darbringen. Wenn Sie einmal aufmerksam den Text der heiligen Messe durchlesen, dann finden Sie, daß oft das Wörtchen „pro“ erscheint – „für“. Damit sind die Opferzwecke der heiligen Messe angedeutet; wir opfern Christus unter den Gestalten von Brot und Wein dem himmlischen Vater auf für bestimmte Zwecke. Diese Zwecke können selbstverständlich keine anderen sein als die dem Kreuzesopfer immanenten. Wir können keine fremden Zwecke mit dem Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt verbinden, sondern wir müssen uns in der Zweckhaftigkeit, die wir in das Meßopfer hineintragen, anschließen, an die die Zwecke, welche Christus mit seinem Kreuzesopfer beabsichtigt hat. Daraus ergeben sich vier Zwecke für unsere Aufopferung des Herrn im Meßopfer.

Erstens die Sühne. Das Opfer Christi war zuerst und zuoberst ein Sühnopfer. Er ist gestorben für unsere Sünden. So kann das Meßopfer nichts anderes sein als ein Sühnopfer; es muß zuerst und zuoberst ein Sühnopfer sein. Das Meßopfer wird dargebracht in der Absicht, für eigene und fremde Sünden Sühne zu leisten, für eigene und fremde Sünden Genugtuung zu erbringen. In den Texten der heiligen Messe wird der Sühnegedanke mehr als einmal ausgesprochen. In ganz besonderer Weise ist das der Fall, wenn der Priester die Gaben von Brot und Wein Gott darbietet. Im ersten Gebet bei der Darbringung des Brotes spricht der Priester in der 1. Person, er bringe dieses Opfer dar – das zielt natürlich auf das ganze Opfer, nicht nur auf die Gaben von Brot und Wein, sondern auch auf den Leib und das Blut des Herrn -: „Ich bringe sie dir dar für meine unzähligen Sünden, Fehler und Nachlässigkeiten.“ Darin ist der Sühnecharakter des Meßopfers ausgedrückt. Und in dem schönen Gebet, das unsere tridentinische Messe abschließt, ist noch einmal von dem Sühnecharakter des Meßopfers die Rede. Denn in diesem Gebete erscheint das gewichtige Wort „propitiabile“, und propitiabile heißt versöhnend, entsühnend, Versöhnung bringend. Es soll also das Gebet in der heiligen Messe, es soll die Darbringung des Meßopfers eine Sühne sein. „Heilige Dreifaltigkeit“, heißt es da, „nimm die Huldigung deines Dieners wohlgefällig an. Laß das Opfer, das ich Unwürdiger vor den Augen deiner Majestät dargebracht habe, dir wohlgefällig sein und gib, daß es mir und allen, für die ich es darbrachte, durch dein Erbarmen zur Versöhnung“- zur Versöhnung, d.h. zur Entsühnung! – „gereiche.“ Dieses Gebet ist deswegen von ungeheurer Bedeutung, und sein Wegfall in der neuen Messe ist außerordentlich bedauerlich. Gott wird durch das Sühneopfer versöhnt, und wir werden mit ihm versöhnt. Das Blut Christi ist der Preis für unsere Entsühnung, für die Versöhnung Gottes. Und dieses Blut Christi wird lebendig auf unserem Altare. Es spricht besser und lauter als das Blut des Abel, das um Rache rief.

Der zweite Opferzweck ist die Bitte. Das Meßopfer ist ein Bittopfer, wie das Konzil von Trient erklärt hat. Keine Gabe und keine Gnade ist zu gering, als daß sie nicht durch das Meßopfer erbeten werden könnte. Ein Bittopfer ist das Meßopfer in sich, also nicht nur durch die Gebete, die wir dabei verrichten, sondern wenn das Opfer dargebracht wird, ist es eine Bitte an den himmlischen Vater um Barmherzigkeit und Gnade. Der Grund ist darin gelegen, weil hier niemand anderer zum Vater im Himmel bittet als Christus. Wie er am Kreuze gebeten hat: „Vater, verzeih ihnen“, so ruft er auf dem Altare zum Vater im Himmel um Erbarmen für die arme, verirrte, schuldbeladene Menschheit. Das Meßopfer ist das wirksamste Bittgebet, das man sich denken kann. In vielen Texten der heiligen Messe kommt dieser Charakter als Bittopfer zum Ausdruck. Wir bitten in der heiligen Messe an mehreren Stellen für Menschen. „Wir bringen“, so heißt es nach dem Gesang des Sanktus, „dir die Opfergabe dar für deine heilige katholische Kirche.“ Dann werden aufgezählt der Heilige Vater, der Bischof, alle Rechtgläubigen und alle, die den katholischen und apostolischen Glauben fördern. Die Bitten, die wir darbringen, werden, soweit es auf den bittenden Christus ankommt, unfehlbar erhört. Aber sie werden nicht unfehlbar erhört, soweit es auf uns ankommt und soweit es auf den Gegenstand unserer Bitten ankommt. Von daher ergeben sich Fehlerquellen. Aber noch einmal: Soweit es auf den bittenden Christus ankommt, werden die Bitten in der heiligen Messe unfehlbar erhört.

Die heilige Messe ist dann drittens auch ein Lobopfer. Wir sollen in der heiigen Messe Gott loben. Hat das Gott nötig? Natürlich nicht. Aber wir haben es nötig. Wir haben es nötig, daß wir Gott anerkennen, daß wir seine Herrlichkeit und seine Macht und seine Größe und seine Majestät preisen. Wir müssen, um als Geschöpfe ehrlich zu bleiben, Gott anbeten und verherrlichen. So wird in dem zweiten Gebet nach dem Sanktus das Meßopfer als ein „sacrificium laudis“, als ein Lobopfer bezeichnet. Und in der Tat kommen viele Lobgebete in dem heiligen Meßopfer vor. Das Gloria ist ein einziges Lobgebet, ein Preislied auf den großen, dreifaltigen Gott, und immer wieder, etwa am Abschluß des Kanons, wird das Lob Gottes gesungen: „Durch ihn und mit ihm und in ihm“ – das ist nämlich Christus – „ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes, alle Ehre und Herrlichkeit.“ Aber nicht nur die Gebete stellen ein Lob dar, sondern das Opfer als solches ist ein Lob. Warum? Weil in ihm jenes höchste Lob gegenwärtig wird, das der eingeborene Sohn des himmlischen Vaters ihm am Kreuze dargebracht hat, wo er seinen Gehorsam und seine Liebe hat aufgipfeln lassen. Das eben wird in der heiligen Messe gegenwärtig. Ein höheres Lob ist überhaupt nicht denkbar als jenes, das durch das irdische Leben des Gottessohnes dem himmlischen Vater dargebracht worden ist. Also Lob ist nichts Überflüssiges gegenüber der Sühne und der Bitte, sondern etwas Notwendiges, etwas Unentbehrliches. Wir müssen loben, wenn immer wir unserem Verhältnis zum majestätischen Gott gerecht werden wollen.

Der vierte Opferzweck ist die Danksagung. Man verwendet heute gern und vorwiegend, manchmal ausschließlich, für das heilige Meßopfer die Bezeichnung Eucharistie, und das heißt Danksagung. Das ist nicht falsch; Eúcharistie als Bezeichnung des Meßopfers ist berechtigt. Das Meßopfer ist eine Danksagung, aber nun eben nicht eine Danksagung durch irgendein Gebet, sondern eine Danksagung durch die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers. Wir sagen Gott Dank, indem wir das höchste Geschehen, das sein Christus auf Erden vollbracht hat, nämlich seinen Kreuzestod, vergegenwärtigen. Das ist unsere Danksagung, denn dazu hat er uns aufgefordert: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Und indem wir es tun, erfüllen wir seinen Willen und sagen ihm Dank für das, was er für uns getan und gelitten hat. Selbstverständlich wird der Dank auch in der heiligen Messe mehrfach artikuliert. Denken wir etwa an das Gloria, wo es heißt: „Wir sagen dir Dank ob deiner großen Herrlichkeit.“ Weil du so schön und so gewaltig und so herrlich bist, Gott, deswegen danken wir, daß du uns deinen Namen und dein Wesen geoffenbart hast. Auch in der Präfation wird das Wort „danken“ gebraucht. „Es ist würdig und recht, immerdar und überall zu danken.“ Wahrhaftig, diesen Dank vollziehen wir, indem wir Christus auf unsere Altäre herabrufen, ihn anbeten, ihn aufopfern und ihn in der heiligen Kommunion in uns aufnehmen. Das ist der Dankcharakter des Meßopfers.

Das Meßopfer ist mit all den vier genannten Opferzwecken immer Anbetung. Opfern kann man nur dem, der der Herr aller Wesen und der Schöpfer aller Dinge ist. Ein Opfer kann man nicht einem Heiligen oder einem Engel darbringen; das wäre ein Götzendienst. Opfern kann man nur dem höchsten Herrn Himmels und der Erde. Aber man kann und soll bei dieser Anbetung die Opferzwecke verwirklichen, die eben genannt worden sind. Wir können das Meßopfer darbringen für Verstorbene und für Lebende. Für Verstorbene wurde es von Anfang an dargebracht. Der heilige Augustinus schreibt einmal: „Wenn das Meßopfer für Verstorbene dargebracht wird, ist Gott den Verstorbenen barmherziger, als sie es wegen ihrer Sünden verdient haben.“ Da sieht man, welche Bedeutung das Meßopfer, die Darbringung des Meßopfers für Verstorbene hat. Gott ist ihnen barmherziger, als sie es ihrer Sünden wegen verdient haben. Und er berichtet von seiner Mutter. Als Monika dem Tode nahe war, legte sie keinen Wert auf kostbare Leichenkleidung oder eine Gruft, sondern sie sagte nur: „Gedenket meiner am Altare!“ Da sehen wir, daß Monika von dem Gedenken beim Meßopfer sich Gewinn in der Ewigkeit erhofft hat. Und in unserer wunderbaren tridentinischen Messe ist ja immer das Gedächtnis der Verstorbenen vorgesehen. Wie rührend und wie ergreifend, meine lieben Freunde, wenn der Priester bis dahin mit gefügten, festliegenden Worten betet, und dann schweigt er; jetzt betet er innerlich für bestimmte Verstorbene, und alle Gläubigen schließen sich an und beten für ihre Verstorbenen. Das ist ein wunderbarer Haltepunkt in unserer heiligen Messe. Ähnlich ist es auch mit den Lebenden; wir dürfen für alle Lebenden das Meßopfer aufopfern, und wir sollen es für sie aufopfern, für unsere Angehörigen und Freunde, für die Kranken und Sterbenden, für die Feinde und Widersacher, für die Sünder und Verbrecher. Für alle dürfen und sollen wir beten, keinen sollen wir ausnehmen, alle sollen wir einschließen, denn der Segen des Meßopfers kommt ihnen allen zugute, sofern sie nur ihre Herzen aufschließen.

In besseren Zeiten der Kirchengeschichte war es üblich, daß ein Priester zu einem anderen, der im Begriff war, zum Meßopfer hinauszugehen, in der Sakristei sagte: „Commendo me.“ Das heißt: Ich empfehle mich. Dieses Wort besagte, daß der eine Priester den anderen, der im Begriffe war, die Messe zu feiern, bat, in diesem Meßopfer seiner zu gedenken. Wie rührend! Und der zelebrierende Priester antwortete darauf: „Libenter“ – Ich will es gerne tun.  Wie schön ist es, wenn man für die Lebenden in der heiligen Messe betet. Auch hier hat die tridentinische Messe einen Freiraum geschaffen. Der Priester hält ein und betet innerlich mit eigenen Worten für die Lebenden, natürlich vor allem für diejenigen, für die diese heilige Messe aufgeopfert wird.

So sehen wir also, meine lieben Freunde, wie wir wirksam und nützlich das heilige Meßopfer mitfeiern können. Wir sollen uns dem sich opfernden Christus anschließen und mit ihm uns selbst und unsere Bitten aufopfern. Wir sollen die vier Opferzwecke zu realisieren versuchen, die Sühne, die Bitte, das Lob und den Dank. Der Pater Martin von Cochem, jener Kapuziner, der eine so ergreifende Meßerklärung geschrieben hat, schreibt einmal in diesem Büchlein: „Das Beste, was du bei der Messe tun kannst, ist aufopfern.“ Machen wir uns diese Mahnung zu eigen. Opfern wir auf alles, was aufopferungsfähig ist, und der Segen des Meßopfers wird unserem flehentlichen Rufen nicht versagt bleiben.

Amen.

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