Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. März 1996

Das Verhältnis Jesu zu seiner Mutter

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns vorgenommen, das Wesen und das Leben Mariens zu betrachten. Am vergangenen Sonntag waren wir dem Begriff Gottesmutter nachgegangen. Wir hatten festgestellt, daß dieses Wort im Neuen Testament nicht vorkommt. Aber die Grundlagen für diesen Begriff sind im Neuen Testament enthalten.

Nun erhebt sich die Frage, wie Jesus selbst zu seiner Mutter gestanden hat. Da ergibt sich die auffällige Beobachtung, daß er seine Mutter entweder nicht angesprochen hat oder niemals das Wort Mutter gebrauchte. Es gibt keinen einzigen Text in den Evangelien, in dem Jesus Maria als Mutter anspricht. Wie ist das zu erklären?

Die erste Stelle, in der uns ein Zwiegespräch zwischen Jesus und Maria berichtet wird, ist jene Szene aus der Osterwallfahrt nach Jerusalem. Der zwölfjährige Jesus verweilte ohne Wissen Mariens und Josefs in der heiligen Stadt. Maria und Josef suchten das Kind, fanden es aber nicht; sie kehrten zurück, und schließlich entdeckten sie ihn im Tempel, wo er den Gesetzeslehrern zuhörte und sie befragte. „Kind, warum hast du uns das getan? Wir haben dich mit Schmerzen gesucht“, sagt Maria zu ihrem Sohn. Und da erfährt sie die Antwort: „Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich im Hause meines Vaters sein muß?“ In den Worten Mariens zittert der Schmerz nach, das Leid, das ihr der Sohn angetan hatte. „Dein Vater und ich, wir haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Es ist ein leiser Vorwurf darin. „Kind, warum hast du uns das getan?“ Das Wort Kind freilich ist gleichzeitig ein Ausdruck der Herzlichkeit, mit der Maria ihren Sohn umfängt. Und welches ist die Reaktion Jesu? Er entschuldigt sich nicht, er gibt keine Erklärung ab, sondern er erhebt seinerseits einen leisen Vorwurf. „Warum habt ihr mich gesucht?“ Sie hätten doch wissen müssen, wo er sich aufhält. Sie haben nicht genügend bedacht, daß er in dem sein muß, was seines Vaters ist. Eine rätselhafte Rede, aus der sich aber soviel ergibt: Der Ort Jesu ist nicht das Haus Mariens und Josefs, der Ort Jesu ist das Haus des himmlischen Vaters. Wir können das Wort „Haus“ sogar in einem symbolischen Sinne verstehen, nämlich als Bestimmung, als Atmosphäre, und dann bedeutet das Wort: Seine Geborgenheit findet er nicht im Haus von Nazareth, sondern sein Auftrag ist es, den Willen des Vaters zu erfüllen. Er macht einen Unterschied zwischen sich und seinen Eltern.

Die zweite Szene spielt sich bei der Hochzeit zu Kana ab. Hier geht den Brautleuten und den Hochzeitsgästen der Wein aus. Maria macht ihren Sohn darauf aufmerksam und erfährt von Jesus die kühle Zurückweisung: „Frau, was ist zwischen mir und dir? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Jesus hat später das große Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein gewirkt. Wie ist diese Begebenheit zu verstehen? Zunächst einmal müssen wir uns klarmachen, daß die Wunder Jesu, die Machttaten Jesu Zeichencharakter haben. Sie zeigen auf etwas oder besser auf jemanden hin, nämlich auf ihn selbst. Alle Wunder Jesu sind nach der Darstellung des Apostels Johannes symbolische Hinweise auf das, was Jesus für die Menschen ist. Er ist derjenige, der den Menschen das Leben bringt, die wahre, die eigentliche Existenz verschafft. Und wenn er hier in einer Machttat ohnegleichen Wasser in Wein verwandelt, dann zeigt er, daß er der Lebensspender ist. Bei der Brotvermehrung war er erkennbar als derjenige, der ihnen das Brot des Lebens spendet. Hier ist er erkennbar als der, der ihnen den Wein des Lebens gibt. Gemeint ist natürlich letztlich das eucharistische Element, das Blut Christi. Das ist also der tiefste Sinn diese s Geschehens. Und nun kommt Maria in dieser knappen Szene dreimal vor. Sie macht den Sohn auf die Verlegenheit der Hochzeitsgesellschaft aufmerksam. Man muß nicht unbedingt annehmen, daß sie auf eine wunderbare Erhörung ihrer Bitte rechnete. Es konnte auch auf andere Weise geschehen, daß Jesus z.B. durch seine Jünger und Freunde Wein herbeischaffen ließ. Schließlich stammte ja einer von ihnen, Nathanael, selbst aus Kana. Aber klar ist die Ablehnung der Bitte durch Jesus mit den Worten: „Frau, was ist zwischen mir und dir?“ Diese Formel kommt oft in der Bibel vor, und sie besagt immer eine Distanzierung. Sie beinhaltet stets eine Ablehnung, wie sie auch hier zweifellos als solche zu verstehen ist. Dennoch bedeuten die Worte Jesu keine endgültige und totale Ablehnung, sonst könnte Maria nicht sagen: „Was er euch sagen wird, das tut!“ Das entscheidende Wort, das in diesem Zusammenhang fällt, lautet: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“

Welches ist denn die Stunde Jesu? Das ist die Stunde seiner Selbstoffenbarung. Diese Stunde ist ihm vom Vater festgesetzt. Zeitpunkt und Inhalt der Stunde bestimmt kein Mensch, auch keine Mutter, sondern Zeitpunkt und Inhalt dieser Stunde bestimmt allein der Vater im Himmel. Und deswegen muß er sagen: „Frau, was ist zwischen mir und dir“, weil seine Stunde noch nicht gekommen ist. Wenn seine Stunde gekommen sein wird, dann besteht,wie wir noch sehen werden, fraglose Einheit zwischen Mutter und Sohn. Aber solange diese Stunde noch nicht gekommen ist, solange der Vater im Himmel diese Stunde noch nicht nach seinem göttlichen Haushaltsplan herbeigeführt hat, kann kein Mensch ihn zu irgendetwas führen, was der Vater nicht will. Norm und Prinzip seines Handelns ist allein der Wille des himmlischen Vaters.

Er macht dann freilich eine Ausnahme, wie er ja manchmal eine Ausnahme gemacht hat, z.B. als er den Heiden, zu denen er an sich nicht gesandt war, gepredigt oder Wunder an ihnen gewirkt hat, und schafft damit der verlegenen Hochzeitsgesellschaft die köstliche Gabe des Weines herbei.

Die dritte Szene spielt in einem Hause. Jesus saß in dem Hause und war umrundet von vielen Zuhörern. Nun kamen seine Mutter und seine Brüder. Sie blieben draußen stehen, schickten zu ihm hinein und ließen ihn rufen. Das Volk saß um ihn her. Man sagte ihm: „Siehe, deine Mutter und deine Brüder sind draußen und suchen dich.“ Da antwortete er ihnen: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ Und er schaute auf die, welche rings um ihn her saßen und sprach: „Seht da, meine Mutter und meine Brüder! Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter.“ Jesus verhält sich anders, als unsere Vorstellungen von einem liebevollen Sohne sind. Wenn die Mutter kommt und nach dem Sohne ruft, dann nimmt man an, daß der Sohn hinausgeht zu ihr. Keineswegs! Keineswegs! Er sagt: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ Nicht die naturhaften Bindungen stehen im Vordergrund seines Auftrags, sondern Bindungen im Heiligen Geiste. Die um ihn sitzen, die mit ihn geeint sind in der Erfüllung des Willens des Vaters im Himmel, die mit ihm eine Gemeinschaft bilden, die sind ihm die wahren Verwandten. Mutter ist ihm nicht die, die ihn gebar, und Brüder sind nicht die Kinder derselben Eltern, sondern die im Heiligen Geiste geeint sind, die um ihn herumsitzen und seinen Worten lauschen, die das Reich Gottes suchen und in denen er das Reich Gottes auferbaut, die sind ihm Bruder, Schwester und Mutter.

Freilich bedeutet das keine Abweisung Mariens, sondern die Aufdeckung des wahren Zusammenhanges mit ihr. Weil sie eben auch mit Christus im Heiligen Geiste geeint ist, deswegen kann er diese Überhöhung über die naturhafte Verbindung vornehmen. Daß Maria im Geiste mit ihm geeint ist, wissen wir bereits von daher, als sie vom Heiligen Geiste empfangen hatte. Aber auch aus einer anderen Szene, die wir soeben im Evangelium des heutigen Sonntags gehört haben, zeigt sich diese Einigkeit, nämlich eine Frau ruft aus: „Selig der Leib, der dich getragen und die Brust, die dich genährt hat!“ Jesus bestätigt dieses Lob, aber er gibt den wahren Grund für die Herrlichkeit und Ehre Mariens an: „Jawohl, selig, die das Wort Gottes hören und es beobachten!“

Die letzte Szene spielt am Kreuze. „Neben dem Kreuze Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleophas, und Maria von Magdala. Da nun Jesus seine Mutter und den Jünger, den er liebte, da stehen sah, sprach er zur Mutter: 'Frau, siehe da, dein Sohn!' Darauf spricht er zu dem Jünger: ‘Siehe da, deine Mutter!' Und von der Stunde an nahm sie der Jünger in sein Haus auf.“ Noch einmal, wie am Anfang seiner öffentlichen Tätigkeit, klingt das kühle Wort „Frau“ auf. Es ist das Abschiedswort des Herrn, und er spricht Maria nicht als Mutter an. Er sagt zu ihr „Frau“. Darin liegt natürlich nichts Verächtliches. Aber es liegt darin eine gewisse Distanzierung. Und warum nimmt er selbst am Kreuze diese Distanzierung vor? Der Grund ist darin gelegen, daß der, der hier stirbt, der Menschensohn ist. Er hat einen Auftrag erfüllt, der ihn weit über alle naturhaften Bindungen hinausgeführt hat. Seine Sendung war es, das Elternhaus zu verlassen und in der Öffentlichkeit der Welt das Reich Gottes zu verkündigen und aufzurichten. Und jetzt ist sein Auftrag erfüllt. Das wird noch einmal deutlich, wenn er zu Maria sagt: „Frau“. Maria hat das schwere Opfer bringen müssen, daß sie ihren Sohn aus der häuslichen Geborgenheit entließ in die öffentliche Wirksamkeit, die ihn ans Kreuz gebracht hat. Doch in der Stunde des Abschieds trägt er Sorge für seine Mutter.

Der heilige Augustinus hat diesen Zusammenhang einmal treffend ausgedrückt, wenn er schreibt: „Seliger ist Maria dadurch, daß sie den Glauben an Christus vollzog, als daß sie das Fleisch Christi empfing. Ihre müterliche Nähe hätte ihr nichts genützt, wenn sie Christus nicht glücklicher im Herzen als im Leibe getragen hätte.“ Ein ganz herrliches Wort von tiefem Sinn! Seliger ist Maria dadurch, daß sie den Glauben an Christus vollzog, als daß sie das Fleisch Christi empfing. Ihre mütterliche Nähe hätte ihr nichts genützt, wenn sie nicht glücklicher Christus im Herzen als im Leibe getragen hätte. Das ist die Lösung des Rätsels, warum wir beobachten, daß Christus einen Unterschied zwischen sich und seiner Mutter machte. Die naturhafte Bindung besteht, aber sie wäre wenig wert, wenn sie nicht überhöht wäre durch die Bindung im Heiligen Geiste. Zwischen Maria und Jesus strömt das Blut des davidischen Geschlechtes, aber weit mehr verbunden sind sie durch die Kraft des Heiligen Geistes, in dem Jesus sein Heilswerk vollbracht hat und in dem Maria ihr Kind empfangen hat. Viel mehr ist die seelische, die geistliche Geburt wert als die leibliche. Die leibliche Geburt war unbedingt notwendig, wenn Gott den Überschritt von seiner ihm vorbehaltenen Welt in die Welt der Menschen machen wollte, aber diese bloß leibliche Geburt hätte Maria zerstört, wenn sie nicht gleichzeitig im Heiligen Geiste dem Vater im Himmel geeint gewesen wären. Und diese Einigkeit im Heiligen Geiste ist es, die zwischen Maria und Jesus immer bestanden und, wie wir sehen werden, sich von Jahr zu Jahr weiter entwickelt hat.

Amen.

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