16. Mai 1993
Über Jesus als das Licht der Welt
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir waren dabei, uns vor Augen zu führen, wie Christus im Johannesevangelium vor uns hintritt. Das geschieht in der Weise, daß er sich alles, was groß und bedeutungsvoll und wertvoll in dieser Welt ist, zuschreibt und anderen abspricht. „Ich bin die Wahrheit“, so hatten wir am vergangenen Sonntag gesehen, sagt er von sich aus. Wir ergänzen heute diese Aussage um die beiden anderen: „Ich bin der Weg“ und „Ich bin das Licht.“
In der Abschiedsstunde erklärte Jesus den Jüngern: „Wohin ich gehe, den Weg kennt ihr.“ Thomas sagte: „Herr, woher sollen wir wissen, wohin du gehst?“ Jesus gibt ihm die Antwort: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich!“
Jesus bezeichnet sich also als den Weg. Der Weg ist das Mittel, um zu einem Ziele zu gelangen, und die Menschen gehen auf Erden viele Wege, um zu irdischen Zielen zu gelangen. Die irdischen Wege können weit führen. Sie führen zum menschlichen Du, von dem der Mensch Erlösung aus seiner Einsamkeit erhofft; sie führen zu Staat und Volk; die irdischen Wege führen zu Macht und Besitz, zu Ruhm und Reichtum. Aber alle diese Wege sind Sackgassen. Sie führen nicht über die Welt hinaus, sie lassen die letzte und tiefste Sehnsucht des menschlichen Herzens unerfüllt. Wenn einer alles besitzt und alles genossen hat, so ist sein Herz immer noch nicht in einer letzten Weise befriedigt und erfüllt. Die irdischen Wege laufen gleichsam im Kreis. Sie sind unfähig, aus der Geschichte und aus der Welt herauszuführen.
In diese Situation ruft Christus hinein: „Ich bin der Weg!“ Nicht nur der Wegweiser, nein, er ist der Weg selbst, und dieser Weg wird uns erschlossen durch den Glauben. Man kommt auf den Weg, der Christus ist, nur durch den Glauben. Allein der Gläubige ist imstande, den Weg zu gehen, der Christus ist. Wer diesen Weg begeht, der wird von Christus geführt, der hat eine Straße eingeschlagen, die über die Welt und die Geschichte hinausführt. Das ist keine Sackgasse, sondern das ist der Weg, der in das Licht Gottes hineinführt.
Es gibt ein versprengtes Jesuswort, das nicht in den Evangelien steht, das lautet: „Die Welt ist eine Brücke. Gehe hinüber, aber baue nicht dein Haus auf ihr!“ Das ist eine Warnung für uns, die irdischen Wege als die letzten zu betrachten. Die Welt ist eine Brücke, und man muß sie betreten und hinübergehen, wie uns Jesus aufgetragen hat. Wir müssen die irdischen Wege abschreiten, aber wir dürfen sie nicht für die letzten und endgültigen halten. „Die Welt ist eine Brücke; geh' hinüber, aber baue nicht dein Haus auf ihr!“ Der Weg, der zum Ziele führt, zum endlichen, zum endgültigen, zum bleibenden, für die ganze Ewigkeit gültigen Ziel, dieser Weg ist allein Christus.
„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln,“ ist eine andere Aussage Christi im Johannesevangelium. Was bedeutet das Licht? Das Licht erhellt die Welt, so daß sie angeschaut werden kann. Es erleuchtet die Wege, so daß sie beschritten werden können. Das Licht hilft uns, daß wir uns orientieren, daß wir uns zurechtfinden können.
Das irdische Licht verdanken wir der Sonne. Die Sonne geht strahlend auf und erleuchtet die Welt. Wir begrüßen die Sonne, aber sie geht auch wieder unter. Sie erleuchtet immer nur zeitweise die Welt, und selbst in der Zeit ihres Leuchtens vermag sie das Dunkel nicht ganz zu vertreiben. Vor allem vermag keine irdische Sonne das Dunkel des menschlichen Herzens zu entfernen. In diese Situation hinein ruft Jesus: „Ich bin das Licht der Welt!“ Und dieses Licht leuchtet von Anfang an. Das Licht, das in der Ewigkeit wirklich ist, hat auch die Welt seit ihrer Entstehung erleuchtet. Gott war stets für den Menschen erkennbar.
Es gibt eine natürliche Gotteserkenntnis, von der Paulus im Römerbrief spricht. „Was unsichtbar an ihm ist, seine ewige Macht und Göttlichkeit, wird seit der Schöpfung der Welt an seinen Werken deutlich erschaut, so daß sie keine Entschuldigung haben.“ Man kann Gott erkennen, auch vor Christus und auch ohne Christus. Und diese Möglichkeit ist den Menschen von Gott gegeben, daß sie sie wahrnehmen, und wer sie nicht wahrnimmt, wer sich dieser Möglichkeit begibt, der ist ohne Entschuldigung. „Das Licht leuchtet in der Finsternis“, so heißt es im Johannesprolog, „aber die Finsternis hat es nicht begriffen.“ Und weil sie es nicht begriffen hat, kam sie in schändliche Untaten und Verbrechen. „Obwohl sie Gott kannten, haben sie ihn nicht als Gott geehrt oder ihm Dank abgestattet, sondern wurden nichtig in ihren Überlegungen, und ihr unverständiges Herz verfinsterte sich. Sie behaupteten, weise zu sein und waren Narren geworden. Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Abbildern von sterblichen Menschen, von Vögeln, Vierfüßlern und Schlangen. Darum hat sie Gott durch die Begierden ihres Herzens der Unreinheit überantwortet, auf daß sie ihre eigenen Leiber entehrten. Hatten sie doch die Wahrheit Gottes mit der Lüge vertauscht und Verehrung und Anbetung dem Geschöpf erwiesen statt dem Schöpfer.“
Die Menschen haben also die Möglichkeit, Gott und Gottes Willen über dem Menschen zu erkennen, nicht benutzt, sie haben sich als autonom verstanden, waren selbstherrlich, wollten ihre eigene Welt bauen. Ein Gleichnis dessen ist der Turmbau zu Babel, wo die Menschen sich einen großen Namen machen wollten – sie bauen gar viele Türme zu Babel! Man kann versuchen, auch ohne Gott und ohne Christus ein Leben zu führen, ein Leben ohne Hoffnung, ein Leben ohne Licht – das ist der Horizont dessen, der in den Nihilismus hineinschaut. Es ist ein Leben ohne letzte Verheißung, ein Leben ohne wahre Aussicht auf Ewigkeit. Weil die Menschen die von Gott eingeräumte Möglichkeit nicht benutzt haben, hat Gott seinen Sohn in letzter Stunde gesandt. Da ist das Licht in der Welt gegenwärtig geworden, das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Das Licht ist in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht worden. Dieses Licht vermag den Menschen zu erleuchten. Es belehrt ihn über Gott, die Welt und den Menschen selbst. Ohne Erleuchtung durch Gott ist der Mensch immer in der Gefahr, sich ein Götzenbild zu schaffen, sich einen Gott nach eigenem Geschmack zu machen, einen Gott, von dem man dann sagt: Das kann Gott nicht wollen, das kann Gott nicht zulassen, das kann Gott nicht wünschen. Das sind Götzenbilder, die sich der Mensch macht, nicht mehr aus Gold oder Stein, sondern aus Gedanken. Das sind Götzenbilder, welche der Mensch aus seinen eigenen Wünschen schafft, und um das zu verhindern, offenbart Christus, wer Gott ist, wer sein Vater im Himmel ist.
Die Menschen bedürfen dieses Lichtes auch zu dem Zweck, daß sie den rechten Umgang mit der Welt finden. Deswegen offenbart ihnen Gott, daß die Welt sein Geschöpf ist, daß der Mensch sie zu verwalten hat und daß er einmal Rechenschaft von seiner Verwaltung abgeben muß.
Christus sagt dem Menschen auch, wer er selber ist, nämlich ein Geschöpf, ein verlorenes und ein gerettetes, ein Geschöpf, das seinen Schöpfer anzubeten und ihm Ehrfurcht, Dank und Liebe entgegenzubringen hat. Wenn der Mensch wirklichkeitsgemäß leben will, dann muß er sich als Geschöpf verstehen, und das bedeutet als einen, der heteronom ist, nicht autonom, von einem anderen abhängig, nämlich von dem, der ihn erschaffen hat, nicht von seinen eigenen Wünschen und Gelüsten und seiner eigenen Willkür.
Christus offenbart dem Menschen, wer er ist. Aber er offenbart sich so, daß der Mensch dafür verantwortlich ist, daß er die Offenbarung vernimmt und aufnimmt. Die Sonne geht auf, ob die Menschen es wünschen oder nicht, das ist ein naturhafter Vorgang, und er vollzieht sich gleichsam automatisch, aber die Erleuchtung durch Christus ist kein automatischer, kein naturhafter Vorgang, sondern der Mensch ist dafür verantwortlich, daß er diese Erleuchtung an sich geschehen läßt. Wer sich ihr öffnet, der wird von dieser Erleuchtung zum Selbstverständnis, zum Verständnis Gottes und der Welt geführt. Wer sich dieser Erleuchtung verschließt, der ist ein Unwissender. Die durch Christus Erleuchteten sind die wahrhaft Sehenden – alle anderen sind Phantasten und Schwärmer, sie schwärmen vom Übermenschen, vom Menschen-Gott, vom Paradies auf Erden. Sie haben Vorstellungen von den Dingen, die nicht zutreffen, Illusionen, Träume von einer ständig steigenden Kurve des Wohlstands und des Fortschritts. Manche bilden sich ein, wenn die ganze Erde in Demokratien umgewandelt ist, dann werde für alle Arbeit und Zuversicht und Friede und Wohlstand sein. O, meine Christen, was ist das eine törichte Illusion! Schauen wir doch um uns, wie viele Demokratien innerlich ausgehöhlt sind, Haß und Neid, Unfriede, Parteiengezänk, Selbstbedienung der Herrschenden, Mafiadurchdringung des öffentlichen Lebens, Willkür. Die Polizei ist nicht mehr Herr der Lage. Wie kann man solchen Illusionen nachhängen, daß bestimmte Institutionen und Strukturen aus sich Frieden und Wohlstand, Heil und Sicherheit hervorbringen könnten? Die Menschen müssen verändert werden! Die Menschen müssen erleuchtet werden. Wenn wir Menschen haben, die gut und ehrlich, rein und selbstlos sind, dann werden auch die Institutionen nützlich sein. Aber ohne solche Menschen, da mögen wir Parlamente und Parteien schaffen, so viel wir wollen, sie werden in Todesschatten und im Unheil versinken.
Meine lieben Freunde, der Mensch muß sich von Christus erleuchten lassen, dann wird er ein sehender, ein nüchterner Mensch, dann weiß er, welchen Weg er gehen muß, und dann weiß er, wie er selbst sein muß. Aber es gibt immer wieder Menschen, welche die Wahrheit niederhalten. „Das Licht leuchtet in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen!“ Ja, sie hat es nicht nur nicht begriffen, die Finsternis sucht das Licht auszulöschen! Das Leben war das Licht und das Licht leuchtete in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen! Ja, sie hat den, der das Licht war, der das Licht brachte, im Tode ausgelöscht! Und das ist offenbar ein Gesetz, nach dem das Christentum angetreten ist. Was sich damals in Palästina abspielte, das wiederholt sich im Laufe der Geschichte. Immer wieder versuchen Menschen, innerhalb und außerhalb der Kirche, das Licht, das Christus ist und das er bringt, auszulöschen. Auch innerhalb der Kirche! Immer wieder versuchen Menschen, Theologen, die Wahrheit niederzuhalten, ihre eigene Meinung gegen die Lehre, gegen die heilige Lehre der Kirche zu setzen. Soeben hat der Heilige Vater einen Katechismus herausgegeben, einen Katechismus für die ganze katholische Kirche, in dem die Wahrheit des Glaubens zuverlässig enthalten ist. Und was tut die Mainzer Kirchenzeitung? Auf ein und derselben Seite bringt sie Stimmen für den Katechismus und gegen den Katechismus. Die einen nehmen ihn an, und die anderen lehnen ihn ab. Das tut die Kirchenzeitung, die im Auftrag des Bischofs herausgegeben wird!
Und von außerhalb wird das Licht ebenfalls bedrängt und bedroht. Es gibt Menschen, welche die Erwähnung Gottes im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland tilgen wollen. Falls ihr Bemühen Erfolg hätte, wären die Folgen fatal. Wenn Gott erst einmal draußen ist aus der Verfassung, dann ist jede transzendente Berufung unmöglich geworden, dann kann man sich nicht mehr auf eine höchste Instanz berufen, die jenseits dieser Welt besteht. Dann herrscht nur noch die Mehrheitsmeinung, und daß diese tyrannisch sein kann, das wissen wir nur allzu gut.
Ich erwähne noch ein anderes Beispiel, wie versucht wird, das Licht Gottes auszulöschen. Es hat sich jetzt neuerdings eine Vereinigung gebildet, die verhindern will, daß die ehemalige DDR wiederverchristlicht wird. Eine eigene Vereinigung, die alle ohnehin kümmerlichen Anstregungen, das Christentum in der ehemaligen DDR wieder hochzubringen, niederzuhalten bemüht ist.
Was tun diese Menschen? Was tun sie, wenn sie die Erde von der Sonne losketten? Wenn die irdische Sonne aufhören würde zu scheinen, dann würde sich in acht Minuten – denn so lange braucht der Sonnenstrahl – der Schatten auf die Erde senken. In 24 Stunden wäre das gesamte Leben auf der Erde zum Sterben verurteilt, es würde sich die Kälte des Weltraums auf uns senken, 273° minus.
Ähnlich ist es, wenn wir die Sonne auslöschen, die Christus ist und die die heilige katholische Kirche ist. Die Menschen wissen nicht, was sie tun, wenn sie dieses Licht auslöschen wollen. Wir wollen es ihnen sagen. Wenn sie Erfolg haben, dann senkt sich die Unmenschlichkeit auf diese Erde.
Der norwegische Dichter Ibsen hat in seinem Stück „Gespenster“ eine ergreifende Szene geschildert. Der arme Oswald bricht im Wahnsinn zusammen wegen der Schuld der Vätersünden und wegen des Fluches der eigenen Schuld. Die Nacht senkt sich wie ein dunkles Gewölk über seinen Verstand, die Gedanken verwirren sich. Da schaut er zum Fenster hinaus, und da sieht er die große, rote Sonne. Der im Wahnsinn allmählich untergehende Oswald streckt seine Hände aus nach der Sonne und ruft: „Die Sonne! Mutter, gib mir die Sonne!“ Mutter, gib mir die Sonne! Das werden die Menschen rufen, wenn die Sonne , die Christus heißt, einmal untergegangen ist auf dieser Erde!
Tun wir, meine lieben Freunde, was an uns ist, daß diese Sonne weiterscheine! Geben wir das Beispiel eines unerschütterlichen Glaubens, das Beispiel einer erleuchteten Lehre und das Beispiel eines lauteren Lebens!
Amen.