Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Mai 1993

Wert und Bedeutung der menschlichen Arbeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 

Geliebte im Herrn!

„Laß uns die Arbeit verrichten, die du uns aufträgst, und den Lohn empfangen, den du verheißest.“ So beten wir am Feste von Josef dem Arbeiter. Mit dem Christentum ist eine neue Wertung der Arbeit in die Welt gekommen. Das Heidentum hat im allgemeinen die Arbeit, vor allem die körperliche Arbeit, geringschätzig beurteilt. Der berühmte Jurist und Philosoph Cicero zum Beispiel schreibt: „Nichts Edles kommt aus der Werkstätte.“ In der modernen Zeit gibt es einen Strang der Überschätzung der Arbeit, der die Arbeit an die Stelle der Religion setzt, als ein Ersatz für die Religion ansieht. Die christliche Auffassung, welche die Kirche vermittelt, hat die Arbeit in ihrem Werte erkannt und diese Wertschätzung der Arbeit bei dem christlichen Volke durchgesetzt. Wir wollen am heutigen Tage über die Bedeutung der Arbeit, über die Pflicht zur Arbeit und über die Ordnung der Arbeit nachdenken.

Das erste Thema unserer Überlegungen ist die Bedeutung der Arbeit; es ist eine vierfache. Die Arbeit hat eine wirtschaftliche, eine kulturelle, eine ethische und eine religiöse Bedeutung. Die wirtschaftliche Bedeutung der Arbeit liegt darin, daß sie die notwendigen Bedarfsmittel herbeischafft, und zwar um so besser, je planmäßiger, je zweckvoller die Arbeit vor sich geht. Ohne Arbeit würde es an den Mitteln zur Erhaltung des Lebens und zur Entfaltung der menschlichen Gemeinschaft fehlen. Jedermann begreift, daß die Arbeit wirtschaftlich notwendig ist; sie schafft ja die Wirtschaftsgüter. Gleichzeitig ist die Arbeit kulturell von Bedeutung, denn nur durch Arbeit ist es dem Menschen möglich, über den Tagesbedarf hinausgehende kulturelle Werte zu schaffen. Erst wenn die Menschen nicht mehr nur um das tägliche Brot kämpfen und ringen müssen, kann man daran gehen, kulturelle Einrichtungen aufzubauen, Kulturwerte zu schaffen. Und auch die sind nur durch Arbeit zu erreichen. Ein Künstler beispielsweise muß jahrelang an sich arbeiten, um seine Kunst zu erlernen und zu vervollkommnen, um dann den anderen Menschen einen Kunstgenuß vermitteln zu können. Die ethische Bedeutung der Arbeit liegt darin, daß sie den Menschen Tugenden, Eigenschaften lehrt, die er sonst nicht erwerben würde. Wir alle wissen, was die Arbeit von uns verlangt. Sie verlangt Selbstzucht, Selbstverleugnung, Selbstbescheidung. Die Arbeit fordert Umsicht, Energie, Anstrengung, Mühe. Die Arbeit fördert die Sparsamkeit, den Ordnungssinn, auch den Gehorsam, denn Arbeit ist häufig Gemeinschaftsarbeit, und Gemeinschaftsarbeit ist nur möglich, wenn sie einem bestimmten Plane folgt, der von einem Vorgesetzten vorgelegt und durchgeführt wird. Die religiöse Bedeutung der Arbeit ist leicht zu erkennen, wenn wir wissen, daß schon der Herr bei der Erschaffung des Menschen gesagt hat, er solle die Erde bebauen, den Garten Eden bebauen und ihn pflegen. Also das Paradies am Anfang war nicht ein Schlaraffenland, in dem den Menschen ohne Arbeit alles zugefallen wäre. Nein, von Anfang an hat Gott für den Menschen das Gesetz der Arbeit statuiert. Er setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und pflege. Der Mensch kommt mit der Arbeit dem Gebot Gottes nach.

Der Bedeutung der Arbeit entspricht die Pflicht zur Arbeit. Dabei ist nicht nur gedacht an die Erwerbsarbeit, an die Berufsarbeit, sondern an jede mit persönlichem Kräfteaufwand verbundene nützliche Betätigung. Es gibt eine Pflicht zur Arbeit für einen jeden Menschen. Gott hat das Gesetz der Arbeit für einen jeden Menschen aufgerichtet. Die Natur liefert nicht, was der Mensch zum täglichen Leben braucht. Schon darin liegt die Pflicht zur Arbeit begründet. Aber auch im Menschen ist ein Drang, sich zu betätigen, und dieser Drang kommt aus der Natur, und die Natur kommt aus der Schöpfung, und die Schöpfung kommt vom Schöpfer. Deswegen ist der natürliche Drang, sich zu betätigen, vom Schöpfer in den Menschen hineingelegt. Der Mensch muß sich betätigen, wenn er nicht dem Müßiggang erliegen will. Die Heilige Schrift hat scharfe Worte gegen den Müßiggang ausgesprochen: „Geh zur Ameise, Fauler, betrachte ihr Tun und werde weise. Wenn sie auch keinen Fürsten hat, keinen Vogt und Gebieter, so sorgt sie im Sommer für ihre Nahrung, sammelt sich Speise zur Erntezeit. Wie lange noch, Fauler, willst du liegen bleiben? Wann willst du vom Schlaf dich erheben? Ein bißchen noch schlafen, ein bißchen noch schlummern, ein bißchen die Hände noch falten und ruhen. Schon kommt der Mangel über dich wie ein Läufer und wie ein Krieger die Armut.“ Der Müßiggang ist für den Menschen schädlich. Der Mensch, der sich dem Müßiggang überläßt, verkümmert. Er entfaltet sich nicht. Es kommen die schlechten Neigungen in ihm zum Vorschein. Es war keine katholische, sondern eine liberale Lehrerzeitung, die vor einiger Zeit geschrieben hat: „Das wertvollste Mittel gegen die geschlechtliche Verirrung und jede sexuelle Schädigung – bei der Jugend – ist die Arbeit, planmäßige, geregelte Arbeit. Unsere Stadtjugend weiß gar nicht mehr, was arbeiten heißt. Der Müßiggang ist aber das größte Verderbnis für die Jugend. Das Wort: ,Schaff was, dann kommst du nicht auf schlechte Gedanken' birgt in sich das Geheimnis einer guten Erziehung. Und vor allem die körperliche Arbeit. Unsere Jugend muß fort von den Straßen, weg, weit weg von den Stätten der Verführung und der Versuchung, hin zu den Stätten körperlicher Arbeit.“ Der das geschrieben hat, war kein Katholik, aber er hat begriffen, daß die Arbeit therapeutische Bedeutung hat, daß durch die Arbeit der Mensch vor vielen Versuchungen und Gefahren bewahrt bleibt oder solche Versuchungen und Gefahren überwindet. Auch daraus ergibt sich die Pflicht zur Arbeit.

Eine weitere Quelle ist selbstverständlich der Nutzen für die Gemeinschaft. Jeder muß an den Gemeinschaftslasten mittragen, jeder muß zum Gemeinwohl beitragen, und dazu ist notwendig, daß er arbeitet, daß er sich auswirkt im Dienste der Gemeinschaft. Die Arbeit dient ja nicht nur dem einzelnen, sie schafft Werte auch für andere, und deswegen gibt es eine Pflicht zur Arbeit auch aus sozialen Gesichtspunkten.

Schließlich drittens die Ordnung der Arbeit. Die Ordnung der Arbeit gilt sowohl für den einzelnen als auch für die Gemeinschaft. Zuerst muß das Notwendige, dann das Nützliche und zum Schluß das Angenehme getan werden. Das Notwendige ist jenes, was unbedingt erforderlich ist, damit der einzelne und die Gemeinschaft leben kann. In Notfällen muß man sogar höhere Werte beiseite lassen, um die grundlegenden, für das Leben unentbehrlichen Dinge zu schaffen. Als wir im Mai 1945 aus dem Krieg nach Hause kamen, da waren unsere Werkstätten und unsere Häuser verlassen. Die Bahnlinien waren gesprengt. Als erstes mußten die Bahnlinien in Ordnung gebracht werden. So habe ich damals auf der Strecke gearbeitet, Weichen eingebaut, gesprengte Schienen ersetzt. Zuerst das Notwendige, dann das Nützliche und erst zum Schluß das Angenehme. Es gilt zunächst einmal der Grundsatz, daß die körperlichen Arbeiten unerläßlich und unbedingt notwendig sind. Leider entspricht dieser Tatsache nicht die Wertung. In der Wertung vieler Menschen, zu vieler Menschen wird die körperliche Arbeit geringschätzig beurteilt, obwohl sie doch die Grundlage für jede andere Tätigkeit ist. Soeben hat der Präsident der deutschen Handwerkerschaft bekanntgegeben, die deutschen Handwerker könnten 200.000 Auszubildende einstellen, aber es gäbe sie nicht. An ihrer Stelle haben wir beinahe 2 Millionen Studenten, von denen viele studierunfähig sind und um deretwillen dauernd das Niveau an den Universitäten und Fachhochschulen gesenkt werden muß, damit man sie mitschleifen kann. Diese Verkehrung, dieser Mißbrauch zeigt, daß die Gesellschaft, daß vor allem die Parteien nicht begriffen haben, welche Ordnung der Arbeit gilt. Erst das Notwendige, dann das Nützliche und zum Schluß das Angenehme.

Pius XI. hat einmal 2000 römische Straßenkehrer empfangen. Der Sprecher dieser Straßenkehrer hat in seiner Begrüßung gemeint, ihre Arbeit als niedrig einstufen zu sollen. Pius XI. hat ihm geantwortet: „Keine Arbeit ist niedrig im Sinne von minderwertig.“ Eine jede Arbeit ist ehrenwert, wenn sie ehrlich und nützlich ist. Wenn man zwischen Arbeit und Arbeit unterscheiden will, dann ist das Kriterium, der Wertmaßstab die Ehrlichkeit und die Nützlichkeit einer Arbeit. Es ist also auch an uns,  meine lieben Freunde, denen, die Handarbeit verrichten, zu zeigen, wie sehr wir ihre Arbeit schätzen, wie sehr wir auf sie angewiesen sind und wie sehr wir ihnen dankbar sind, daß sie diese Arbeit für uns verrichten.

Die Heilige Schrift mahnt immer wieder dazu, sich durch Arbeit, und da ist natürlich in der Regel die körperliche Arbeit gemeint, das Brot zu verdienen. Es war kein Sozialist, sondern es war der heilige Paulus, der den Satz geschrieben hat: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Dieser schöne Satz steht im 2. Thessalonicherbrief. „Als wir bei euch waren, haben wir dies euch geboten: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Nun haben wir gehört, daß einige unter euch einen unordentlichen Lebenswandel führen und nicht arbeiten, sondern sich herumtreiben. Solchen Leuten empfehlen wir streng im Herrn Jesus Christus, sie sollen still ihre Arbeit tun und ihr selbstverdientes Brot essen.“ Im Herrn Jesus Christus befiehlt der Apostel solches, d. h. nach der Gesinnung, nach der Weisung des Heilandes. Das ist keine bloß taktische Lebensregel, das ist ein sittliches Gebot, das ist ein religiöser Befehl, daß man arbeiten soll und dadurch sich sein Brot verdienen soll.

Für uns Christen ist die Arbeit in gewisser Hinsicht ein Gottesdienst. Wir arbeiten zur Ehre Gottes, zum Dienste des Nächsten, zu unserem eigenen Heile. Und weil wir diese Intention haben, ist die Arbeit ein Gott dargebrachtes Opfer, ein Gott geleisteter Dienst. „Für den Herrn arbeite, nicht für die Menschen“, mahnt der Apostel. So hat also die Arbeit eine große Würde, und an unserer Arbeit, an der Art und Weise, wie wir unsere Arbeit verrichten, wird sich einmal unser ewiges Los entscheiden. Wir wollen die Arbeit schätzen, wir wollen rastlos tätig sein, wir wollen vor der Arbeit nicht fliehen. In der vorigen Woche sagte mir ein Student: „Ich tu nur das, was unbedingt notwendig ist.“ Das ist eine ganz falsche Auffassung. Man soll sich auswirken, man soll soviel tun, wie möglich ist, um Gott zu ehren, dem Nächsten zu dienen und sich selbst im Dienste Gottes und des Nächsten zu verwirklichen.

Amen.

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