Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. Mai 1988

Pfingsten – Vom Heiligen Geist

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Als der Apostel Paulus nach Athen kam, fand er dort viele Tempel und Altäre. Sie waren den zahlreichen Göttern Griechenlands geweiht. Er kam aber auch an einen Altar, auf dem stand geschrieben: „Dem unbekannten Gott“. „Das,“ sagte der heilige Apostel Paulus seinen Zuhörern, „was ihr unbekannterweise verehrt, das künde ich euch – den Gott und Vater Jesu Christi.“

Als unbekannten Gott könnte man auch die dritte Person in Gott bezeichnen, den Heiligen Geist. Er wird im Frömmigkeitsleben der Christen oft stiefmütterlich behandelt, und es besteht wenig Wissen von dieser dritten Person in Gott. Wir wollen darum am heutigen Pfingsttage drei Fragen stellen, die uns das Wesen und das Wirken dieses Heiligen Geistes klarer machen sollen und sie zu beantworten versuchen.

1. Warum konnte der Heilige Geist erst gesandt werden, als der Herr schon in den Himmel aufgefahren war?

2. Was wirkt der Heilige Geist?

3. Woran erkennt man sein Wirken?

Die erste Frage lautet: Warum konnte der Geist erst gesandt werden, als der Herr in den Himmel aufgefahren war? Er sagt es ja selbst: „Wenn ich nicht hingehe, wird der Geist nicht zu euch kommen.“ Also muß er erst hingehen. Ja, aber warum denn? Christus ist das Haupt des Alls, das Haupt der Schöpfung, das Haupt der Kirche, das Haupt des Volkes Gottes. Er muß erst in den Zustand der Verwandlung eingegangen sein, bevor die Schöpfung, die Kirche verwandelt werden kann. Erst muß an dem Haupte geschehen, was an dem Leibe sich vollziehen soll. Am Haupte aber ist die Erhöhung geschehen. Erhöhung ist nämlich die Zusammenfassung von zwei Ereignissen, der Auferstehung und der Himmelfahrt Jesu. In der Erhöhung wird die menschliche Natur Jesu Christi, die er von der Jungfrau Maria empfangen hat, durchglüht, durchweiht und durchwirkt vom Heiligen Geiste. Wenn die Himmelfahrt erfolgt ist, ist die Verklärung Christi abgeschlossen. Dann ist das Haupt des Alls und das Haupt der Kirche in den endgültigen Zustand der Vollendung eingegangen. Erst muß dies geschehen, ehe das All, die Schöpfung, die Kirche verklärt werden kann. Aber dann soll auch die Verklärung von All und Kirche nicht mehr aufgeschoben werden. Und so konnte neun Tage nach der Himmelfahrt die Sendung des Geistes erfolgen.

Aus dem verklärten Christus, aus seiner verklärten menschlichen Natur strömt der Geist auf die Schöpfung, auf das All, auf die Kirche, auf das Volk Gottes über. Erst wenn das Haupt vom Heiligen Geiste durchstrahlt ist, kann diese Strahlung auf alle, die zu diesem Haupt gehören, übergehen.

Das ist also der Grund, warum der Herr sagt: „Wenn ich nicht hingehe, wird der Geist nicht zu euch kommen.“ Er muß erst vollendet sein, damit die Vollendung auf die Schöpfung übergehen kann. Alles, was am Haupte geschieht, muß am Leibe geschehen, und wenn das Haupt vollendet ist, dann muß die Vollendung des Leibes in Angriff genommen werden.

Deswegen gehören Ostern und Pfingsten und in der Mitte die Himmelfahrt eng zusammen. Sie sind tatsächlich eigentlich ein Fest. Die Kirche verteilt diese Ereignisse auf mehrere Tage, wie sie ja auch historisch an verschiedenen Tagen stattgefunden haben. Aber inhaltlich, nach ihrem Ziel, gehören sie zusammen. Die Himmelfahrt zielt auf die Geistsendung, ja die Himmelfahrt ist die Voraussetzung der Geistsendung, und die Geistsendung ist die Frucht der Himmelfahrt.

Das ist die erste Frage: Warum mußte der Herr erhöht, in den Himmel aufgenommen werden, um den Geist senden zu können? Die zweite Frage lautet: Was wirkt der Heilige Geist? – Der Heilige Geist wirkt

1. die Verherrlichung Christi und

2. die Verherrlichung und Heiligung der Christusgläubigen.

Das erste, was der Heilige Geist wirkt, ist die Verherrlichung Christi. Solange der Herr auf Erden weilte, hat er die Offenbarung Gottes durchgeführt. Er ist der Offenbarer. Er hat Gott verherrlicht durch sein Wirken, durch sein Reden, durch sein Handeln, aber auch natürlich durch sein Leiden. Nachdem der Herr in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen ist, übernimmt ein anderer die Verherrlichung Gottes und die Verherrlichung Christi. Das ist der Heilige Geist. Er verherrlicht Christus im Zeugnis der Jünger. Dazu war es notwendig, die Jünger zu verwandeln. Vorher waren sie furchtsam, jetzt wurden sie mutig; vorher waren sie selbstsüchtig, jetzt wurden sie selbstlos; vorher waren sie verantwortungsscheu, jetzt fühlten sie sich verantwortlich, die Sendung bis an die Grenzen der Erde zu tragen. Durch die Jünger legt der Heilige Geist Zeugnis ab von Christus. Solange sie den Geist nicht empfangen hatten, verkrochen sie sich im Abendmahlssaal und verschlossen die Türen. Als der Geist in ihnen wirksam wurde, gingen sie hinaus in die Öffentlichkeit und legten Zeugnis ab von Jesus Christus. Da erfüllte sich, was der Herr vorhergesagt hatte: „Was ich euch ins Ohr geflüstert habe, das werdet ihr ausrufen von den Dächern.“

Der Heilige Geist verherrlicht Christus. Es ist nicht zu verwundern, wenn in den Evangelien der Pfingstoktav dauernd von Christus die Rede ist. So muß es sein, denn das ist das Ziel der Herabkunft des Heiligen Geistes, daß Christus kundgemacht werde, daß sein Name verherrlicht werde, daß seine Botschaft bis an die Grenzen der Erde getragen werde.

Diejenigen, die das Zeugnis von Christus verkündigen, rufen die Menschen in die Entscheidung. Wer sich auf diese Botschaft einläßt, dem wird sie zum Heil. Wer sie abweist, dem gereicht sie zum Unheil. Diejenigen, die diese Botschaft annehmen, werden vergeistigt, denn „der Herr ist der Geist,“ heißt es einmal an einer Stelle in einem Paulusbrief. Der Herr, seine menschliche Natur ist jetzt durchwirkt und verklärt vom Heiligen Geiste, und in diese menschliche Natur können alle die eingehen, die sich auf die Botschaft von Christus einlassen. Die Christusgläubigen gehen wie durch eine offene Tür in die menschliche, verklärte Natur Christi ein, und aus dieser verklärten Natur strömt der Heilige Geist auf sie über. Diejenigen, die das Zeugnis von Christus annehmen, werden geistlich, wie der Herr vergeistlicht ist. Das, was am Haupte geschah, das muß an ihnen geschehen. Sie werden vom Geiste durchwirkt, ja, sie werden, wie der Apostel Paulus im Ersten Brief an die Korinther schreibt, „Tempel des Heiligen Geistes“. Der Heilige Geist wohnt in ihnen gleichsam wie in einem Tempel.

Das ist keine Übertreibung, meine Christen, das ist nicht ein ekstatischer Überschwang, das ist eine Wirklichkeit. Der Heilige Geist lebt in den von ihm erfüllten Menschen wie in einem Tempel.

Aber da erhebt sich natürlich gleich die dritte Frage: Woran erkennt man denn das Wirken des Geistes? Kann man gewahr werden, daß jemand im Heiligen Geiste lebt, daß er im Heiligen Geiste wirkt, daß er vom Heiligen Geiste erfüllt ist? O ja, es gibt Erkennungszeichen. Wir sind nicht ganz ohne Hinweise. Es sind ihrer drei:

1. die Wahrheit,

2. die Liebe und

3. das Leid.

Der Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit. Er will also die Menschen zur Wahrheit führen und in der Wahrheit erhalten. Wo also die Wahrheit gesucht, wo die Wahrheit verkündet wird und wo die Wahrheit verteidigt wird, da ist der Heilige Geist. Wer immer selbstlos im Dienste der Wahrheit steht, für die Wahrheit Zeugnis ablegt und für diese Wahrheit Nachteile und Verkennung in Kauf nimmt, der lebt im Heiligen Geist, der trägt den Geist der Wahrheit in sich.

Aber die Wahrheit muß freilich in der Liebe gesagt werden. Wahrheit und Liebe schließen sich nicht aus. Die Wahrheit den Menschen bringen ist höchster Dienst der Liebe. Es ist falsch, zu meinen, man könne den Menschen einen Dienst erweisen, wenn man sie nicht beunruhigt mit der Wahrheit, wenn man sie weiter ihren falschen Weg laufen lasse. Das ist nicht Liebe, sondern das ist Treulosigkeit gegenüber der Wahrheit. Wer wahrhaft im Heiligen Geiste steht, der zeugt auch für sie durch die Liebe. Die Liebe, das Wohlwollen, das unbegrenzte Wohlwollen, das den Menschen Hohes zumutet, die Liebe, die niemals ausgeht, die geduldig, die gütig, die langmütig ist, die Liebe, die sich nicht aufbläht, die Liebe, die nichts für sich haben will, die selbstlose Liebe, die ist es, die ein Zeichen des Heiligen Geistes ist.

Und es ist eine Merkwürdigkeit: Diejenigen, die in der Wahrheit stehen und in der Liebe leben, werden auf dieser Erde verfolgt. „Die in Jesus Christus gottselig leben wollen, müssen Verfolgung leiden,“ heißt es in einem Brief des Apostels Paulus. So ist es tatsächlich immer. Den Jüngern, die die Wahrheit bekennen und für die Liebe Zeugnis ablegen, bleiben Leiden und Verfolgungen, Untergang und Tod nicht erspart.

„Der Geist selbst gibt unserem Geiste Zeugnis, daß wir Kinder Gottes sind,“ heißt es im Römerbrief, „wenn aber Kinder, dann auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi.“ Und jetzt kommt der folgenschwere Satz: „Nur müssen wir zuerst mit ihm leiden, um dann mit ihm verherrlicht zu werden.“ Leiden bleiben also den Menschen, die für die Wahrheit zeugen und die Liebe zum Grundgesetz ihres Lebens gemacht haben, nicht erspart. Leiden müssen sein, anders kann man in die Gemeinschaft mit dem verherrlichten Christus nicht gelangen als durch Leiden.

Vor 35 Jahren, meine lieben Freunde, machte ich einmal bei einem frommen, vielleicht heiligmäßigen Priester Einzelexerzitien. Und er fragte mich: „Was machen Sie denn, wenn Sie mit der Straßenbahn fahren und auf der Straße gehen?“ Ich sah ihn etwas verwundert an. Was soll ich denn da machen? „Da müssen Sie immer rufen,“ sagte er zu mir: „Komm, Heiliger Geist! Komm, Heiliger Geist! Sie müssen ständig den Heiligen Geist anrufen, daß er Sie erfüllt und durchfeuert.“ Das Wort habe ich nicht vergessen.

Und wir, meine lieben Freunde, am heiligen Pfingstfest, am Feste der Geistausgießung wollen uns diese heilige Übung zu eigen machen. Wir wollen voll Sehnsucht, voll Verlangen nach dem Heiligen Geiste rufen, daß er uns durchfeuere, durchwirke, durchtränke, daß wir in der Kraft dieses Geistes für die Wahrheit, für die Liebe zeugen und daß wir fähig werden, die Leiden zu ertragen, die uns, den Geisterfüllten, bestimmt sind.

Amen.

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