Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. August 1986

Die Bedeutung des Gelübdes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit vielen Sonntagen haben wir uns Gedanken gemacht über das 1. Gebot Gottes. Es hält uns dazu an, Gott zu dienen, ihn anzubeten und zu verehren. Am vergangenen Sonntag lernten wir eine besondere Weise der Gottesverehrung kennen, nämlich die Verehrung durch den Eid. Wer einen Eid leistet, ehrt dadurch Gott, weil er ihm nämlich als dem Allwissenden, als dem Allmächtigen und als dem Gerechten huldigt.

Dem Eid nahe verwandt ist das Gelübde. Auch das Gelübde ist eine Weise, Gott zu ehren. Was ist ein Gelübde? Ein Gelübde ist ein überlegtes und freiwilliges, Gott gemachtes Versprechen, etwas Gutes zu tun. Ein Gelübde ist also ein Versprechen. Ein Versprechen macht man immer einer anderen Person, nicht sich selbst. Das Versprechen ist deswegen zu unterscheiden vom Vorsatz. Wenn ich mir etwas vornehme, dann ist ein anderer nicht beteiligt. Ich nehme es mir vor, und das ist wohl zu unterscheiden, denn mancher ist schon in Gewissensnot gekommen wegen der Frage: Habe ich es versprochen, oder habe ich es nicht versprochen? Die Entscheidung ist leicht: Hast du deine zukünftige Tat, die du vollbringen willst, Gott versprochen, oder hast du es dir nur vorgenommen? Im ersten Falle liegt ein Gelübde vor, im zweiten ein bloßer Vorsatz. Aufgrund eines Vorsatzes hat niemand ein Recht, etwas zu fordern, auch nicht Gott. Dagegen, wenn ich ein Versprechen gemacht habe, räume ich dem anderen ein Recht ein, die Erfüllung des Versprechens zu verlangen.

Ein Gelübde ist ein freiwilliges Versprechen. Niemand ist verpflichtet, ein Gelübde abzulegen. Niemand kann auch gezwungen werden, ein Gelübde abzulegen. Ein erzwungenes Gelübde wäre ungültig. Es bräuchte nicht erfüllt zu werden. Das Gelübde geht auf etwas Gutes. Das Gute kann geboten sein oder nicht geboten. Wenn ich etwas gelobe, was sowieso schon geboten ist, dann verstärke ich eben die Verpflichtung. Also wenn ich gelobe: Ich will jeden Sonntag gewissenhaft die heilige Messe besuchen, dann mache ich etwas zum Gelübde, was an sich schon geboten ist, nämlich den Meßbesuch. Aber das ist möglich. Die Bindung durch das Gebot wird dadurch gleichsam verstärkt und überhöht. Aber ich kann natürlich auch etwas geloben, was noch nicht verpflichtend ist; zum Beispiel einen Fasttag zu halten, bestimmte Gebete zu verrichten, eine Wallfahrt zu unternehmen. In jedem Falle muß das Gelübde etwas sein, was sittlich gut ist.

Im Alten Testament wird einmal berichtet von einem Manne, der ein Gelübde machte, das nicht gut, weil unüberlegt, war, wie sich herausstellte, als es zur Erfüllung kam. Der Jephte im „Buch der Richter“ hatte vor der Schlacht gelobt, er wolle das erste, das ihm aus seinem Hause entgegenkommt, opfern, wenn Gott ihm den Sieg gibt. Nach der erfolgreichen Schlacht kam ihm aus seinem Hause entgegen als erstes seine Tochter. Er nahm seine Tochter und opferte sie. Das war kein gutes, gründlich überlegtes Gelübde, und das war kein Gelübde, das er hätte erfüllen dürfen. Hier hat er etwas Schlechtes zum Gegenstand des Gelübdes gemacht und etwas Schlechtes erfüllt.

Die Freiwilligkeit des Gelübdes wird dadurch nicht aufgehoben, daß man es in der Not macht. Häufig werden ja Gelübde in Bedrängnis abgelegt. So mancher hat im Kriege, in den Eissteppen Rußlands ein Gelübde gemacht, was er tun wolle, wenn er nach Hause zurückkehre, und mancher hat es erfüllt, aber mancher hat es auch nicht erfüllt. Ein Gelübde wird dadurch nicht unfreiwillig oder ungültig, daß man es in der Not oder in der Sorge oder in der Angst macht. Die Freiwilligkeit wird dadurch nicht aufgehoben.

Meistens werden die Gelübde bedingungsweise abgelegt. Man sagt Gott: Wenn das und jenes geschieht, dann will ich dies und jenes tun. Dafür gibt es viele Beispiele. Die Bittprozessionen sind eingeführt worden vom heiligen Bischof Mamertus von Vienne im Jahre 500. Er hatte das Versprechen abgelegt: Wenn eine ansteckende Krankheit, wenn eine Hungersnot vorübergeht, dann wollen wir diese Prozession halten. So hat es auch Gregor der Große gemacht, als die Markusprozession im Jahre 600 eingeführt wurde. In Rom war eine Pest, und die Prozession wurde gelobt zur Abwendung der Pest. Das berühmte Gelübde von Oberammergau im Jahre 1633 ist ebenfalls ein Pestgelübde. Die ganze Gemeinde hat damals versprochen: Wenn die Pest von diesem Ort weicht, dann wollen wir das Spiel vom Leiden Christi aufführen. Als die Gemeinde dieses Gelübde gemacht hatte, ist niemand mehr in Oberammergau gestorben. Die berühmte Wallfahrtskirche Mariazell in Österreich verdankt ihre Entstehung einem Gelübde. Der König Ludwig I. von Ungarn hat ihre Einrichtung gelobt, und zwar in der Türkennot. Und ähnlich hat der heilige König Ludwig IX. von Frankreich den Kreuzzug des Jahres 1248 in einer Krankheit versprochen.

Das sind einige Beispiele für Gelübde, die von hervorragenden Persönlichkeiten gemacht wurden. Die bekanntesten Gelübde werden auch heute noch abgelegt in den Orden. Ja, der Orden ist kraft Definition ein Verband von Menschen, die sich durch Gelübde gebunden haben, die evangelischen Räte zu beachten. Evangelische Räte sind die Räte des Evangeliums, und zwar sind es Armut, Keuschheit und Gehorsam. Diese Räte des Evangeliums sind besondere Wege der Gottesliebe, insbesondere Wege zur Erlangung der Vollkommenheit in der Gottesliebe, und die Ordensleute nehmen diese Räte, die ja keine Pflicht sind, auf sich durch ein Gelübde und machen sie dadurch für sich pflichtmäßig.

Wir unterscheiden bei den Gelübden der Klosterleute feierliche und einfache Gelübde. Der Unterschied kommt nicht daher, daß bei der Ablegung etwa eine größere Feierlichkeit aufgewendet wird, sondern der Unterschied besteht darin, daß die feierlichen Gelübde strenger sind als die einfachen, daß die feierlichen Gelübde erheblich schwerer gelöst werden können als die einfachen. Das ist der Unterschied.

Wer Gelübde ablegt, leistet dadurch einen besonderen Akt der Gottesverehrung. Er traut Gott etwas zu und erzeigt ihm Treue. Er bringt ihm etwas dar, ja er weiht ihm etwas. Und das ist das Schöne im Gelübde, daß der Mensch sich vor Gott neigt, sich vor ihm beugt, ihm etwas verspricht und ihm etwas zutraut. Die Gelübde sind deswegen grundsätzlich Gott wohlgefällig. Man erlangt durch sie schnellere Erhörung und kommt schneller zur Vollkommenheit.

Man erlangt durch sie schnellere Erhörung. Das hat sich oft bewiesen. Ich habe schon das Beispiel Oberammergau genannt. Im Alten Bunde ist berichtet von der Anna. Anna war kinderlos, und sie ersehnte ein Kind, und so machte sie das Gelübde, daß, wenn Gott ihr einen Sohn schenkt, sie ihn Gott weihen werde. Und tatsächlich, Gott erhörte ihr Flehen. Sie empfing den Samuel, und der wurde ein großer Prophet Gottes, mächtig in Wort und Tat.

Durch die Gelübde empfangen wir auch Kraft. Derjenige, der sich Gott durch Gelübde verbindet, dem schenkt Gott besondere Kraft. Es ist ein ständiger Ansporn für den Menschen, wenn er sich sagt: Ich habe es Gott gelobt und ich muß es erfüllen. Durch das Gelübde werden wir stärker, das zu tun, was wir tun wollen.

Freilich muß man vor der Ablegung von Gelübden bedenken, ob die Kraft zureicht. Man muß die Gelübde mit Überlegung ablegen. Schon mancher hat unbedacht ein Gelübde abgelegt und es dann nicht halten wollen oder nicht halten können. Deswegen ist es ratsam, wenn man ein Gelübde ablegen will, erst mit kleinen Dingen  anzufangen und dann zu einem größeren Versprechen fortzuschreiten. Es ist auch empfehlenswert, mit einem Priester ein solches Gelübde zu besprechen. Die Augen eines anderen sehen häufig weiter und tiefer als die eigenen Augen. Und darum empfiehlt es sich, einen erfahrenen Seelsorger heranzuziehen, bevor man ein Gelübde ablegt. In den Orden ist vorgeschrieben, daß der ersten Gelübdeablegung ein ganzes Jahr Noviziat vorausgehen muß. Ein ganzes Jahr, zwölf Monate, muß man sich prüfen, ob man sich für geeignet hält, ob die Oberen einen für geeignet halten, Gelübde abzulegen. Und dann werden die Gelübde zunächst für eine bestimmte Zeit abgelegt, für ein Jahr oder für drei Jahre. Und erst, wenn diese Zeit verstrichen ist und man erkannt hat, daß man für diese Lebensform geeignet ist, wird das ewige Gelübde abgelegt, also für die ganze Zeit der Lebensdauer.

Es ist nicht unmöglich, abgelegte Gelübde zu ändern. Selbst kann der Christ (private) Gelübde ändern, wenn er sie in ein gleichwertiges oder schwereres Werk umwandelt. Das hat er selbst in der Hand. Man kann Gott mehr schenken, als man ursprünglich versprochen hat. Man kann ihm auch das gleiche geben, was man ihm geben wollte. Wenn dagegen das Gelübde gemindert oder gar aufgelöst werden soll, da muß die Kirche eingeschaltet werden. Da muß man sich erinnern an das Wort: „Alles, was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein.“ Der Bischof, auch der Pfarrer, und u.U. der Beichtvater, hat bestimmte Vollmachten, von Gelübden zu befreien. Die Ordensgelübde freilich können nur vom Papst aufgehoben werden, die feierlichen Gelübde jedenfalls, andere Gelübde vom Bischof.

Nun, meine lieben Freunde, im großen Werk von Dante in der Divina Comedia wird im 5. Gesang der Beatrice auch auf das Gelübde eingegangen. Und Dante läßt die Sängerin sprechen: „Scherze, o Sterblicher, nicht mit dem Gelübde!“ Nein, es ist besser, nicht geloben, als geloben und nicht erfüllen. Aber es ist gut und erhaben, geloben und erfüllen. Und wenn wir je ein Gelübde machen – und wir können und sollen es nach dem Maß unserer Kräfte –, dann wollen wir die Gelübde erfüllen. „Dir will ich das Lobopfer bringen, die Frucht meiner Lippen. Dir will ich mein Gelübde erfüllen, mein Gott!“

Amen.

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