Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. November 2023

Priestermangel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der katholischen Kirche vollziehen sich empfindliche strukturelle Veränderungen. Pfarreien werden aufgehoben, in sogenannte Pastoralräume eingegliedert, priesterliche Dienste wie die tägliche heilige Messe, die Spendung des Bußsakramentes und das Geleit zum Grabe entfallen, die Präsenz des Priesters am Ort fehlt, die sakramentale Struktur der Kirche verblasst. Der Grund für diese Erscheinungen ist der Mangel an Priestern. Wie erklärt er sich? Priesterberufungen entstehen in christlichen Familien. In Familien, die den Glauben leben, das Gebet pflegen, den Gottesdienst hochschätzen, der Kirche anhängen. In Familien, die an die Bedürfnisse der Kirche denken. Der Bischof Ferdinand Piontek empfahl den Familien das kleine Gebet: „Lieber Gott, lass uns in unserer Familie so leben, dass aus ihr ein Priester hervorgehen kann!“ Familien, die so beten, sind selten geworden, falls es sie überhaupt noch gibt. Die allermeisten Familien haben aufgehört, Pflanzstätten für Priesterberufungen zu sein. Priester stammen meist oder häufig aus kinderreichen Familien. Ein paar Beispiele. Der Freiburger Priester Joseph Schumacher hatte einen Vater und eine Mutter, die beide aus einer Familie mit je elf Kindern kamen. Der geistliche Schriftsteller Peter Lippert hatte acht Geschwister. Der Dominikanerpater Gordian Landwehr wuchs unter elf Geschwistern auf. Der Kardinal Alfredo Ottaviani war Sohn eines Bäckers, das elfte von zwölf Kindern (29.10.1890). Der englische Bischof Bernhard Vaughan stammte aus einer Familie mit dreizehn Kindern. Von den sieben Söhnen wurden sechs Priester. Solche Familien gibt es heute kaum noch. Die Folge dieses Verlustes ist die Priesterlosigkeit. Vor einiger Zeit besuchte ich einen kleinen Wallfahrtsort in Niederbayern. Neben der Kirche steht ein Haus für den Priester. Ich fragte eine Frau nach dem Priester. Sie antwortete: „Hier wohnt kein Priester mehr.“ Und sie fügte hinzu: „Wie soll es denn Priester geben, wenn es keine Kinder gibt?“ Die Frau hatte die Lage erkannt. Kinderreiche Familien sind seit dem vorigen Jahrhundert immer seltener geworden. Schuld daran ist nicht zuerst Bedürftigkeit und Armut. Der Geburtenrückgang ist bei den Massen die Not, bei den Prominenten die These. Die Statistik erweist: Je mehr der Wohlstand steigt, um so mehr nimmt die Zahl der Kinder in den Familien ab. Der Berliner Großstadtapostel Carl Sonnenschein schreibt: „Die Kinderbeschränkung hat im Grunewald, nicht im Wedding begonnen. Wir sahen auf dem Müggelsee die Motorboote der Reichen. Die Frauen in ihren Korbsesseln. Sie könnten, wenn sie wollten. Denen fehlt weder physische Kraft noch geldliches Wohlbehagen. Sie wollen nicht“ (13. Mai 1928).

Priesterberufe wollen erbetet werden. Die Kirche hat den Priestersamstag eingeführt, an dem in allen Gotteshäusern Gott angefleht werden soll: „Sende Arbeiter in deine Ernte, sende würdige Priester in deine heilige Kirche. Lass alle, die du von Ewigkeit her zu deinem heiligen Dienst berufen hast, deine Stimme willig hören und von ganzem Herzen befolgen.“ Das Gebet um Priester ist selten geworden in unseren Kirchen. Der Priestersamstag ist abgeschafft worden wegen der Vorabendmesse. Der ersatzweise eingeführte Priesterdonnerstag hat sich nicht durchgesetzt. So unterbleibt das öffentliche Gebet um Priester. An manchen Orten besteht ein ausgesprochener Widerstand gegen das Gebet um Priester. Mit dem Gebet um geistliche Berufe weicht man ihm aus. Mit Gemeindereferenten und Pastoralassistenten ist dem Priestermangel nicht abzuhelfen.

In früheren Zeiten konnten sich die Priester auf die Zuneigung, Anhänglichkeit und Sympathie der katholischen Christen verlassen. Die Priester waren gern gesehen. Die Kinder eilten zum Priester, um sich von ihm segnen zu lassen. Die Eltern lehrten ihre Kinder Ehrfurcht vor dem Priester und Vertrauen zum Priester. Das Verhältnis der Gläubigen zum Priester hat sich geändert. Achtung und Ehrfurcht, Gewogenheit und Vertrauen sind selten geworden. An ihre Stelle sind Kritik und Befremdung getreten. Die Haltung des typischen nachkonziliaren Katholiken gegenüber dem Priester ist frostig. Er meint, ihn entbehren zu können. Die hervorgehobene Stellung des Priesters als des geweihten Dieners Christi und Verwalters der Geheimnisse Gottes ist ihm zuwider. Alles soll gleich sein, der Bazillus des Demokratismus hat die Achtung, die Wertschätzung und die Ergebenheit gegenüber dem Priester zerstört.

Priester wie alle Menschen brauchen Vorbilder, an die sie sich halten, von denen sie lernen, die sie nachahmen können. Grundsätzlich sind alle Menschen, die Tugenden entwickelt haben, brauchbar zum Vorbild. Doch dem Priester unentbehrlich sind Vorbilder, die im gleichen priesterlichen Dienst stehen, also Mitbrüder aus der Nähe oder der Ferne, von denen man ablesen kann, wie ein Priester sich verhalten und wie er seinen Dienst verrichten soll. Unter den geistlichen Vorbildern kommt ein besonderer Rang den Vorgesetzten, also vornehmlich den Bischöfen zu. Sie sind gleichsam kraft Amtes verpflichtet, ihren Priestern an Tugenden, durch Sittenreinheit und beispielhaften Eifer, mit dem sie Gottes Werk betreiben, voranzuleuchten. Da stellen sich Fragen: Zu welchen Bischöfen in Deutschland können die Priester aufschauen? Wer bietet ihnen Halt? Welche Bischöfe stehen wie Säulen in den Attacken gegen den Glauben und die Kirche von liberalen Theologen und linken Journalisten? Welche Bischöfe verkündigen ungebrochen die katholische Lehre über den Umgang mit der Geschlechtlichkeit? Welche Bischöfe treten für die gottgeweihte Enthaltsamkeit der Priester ein? Die Antwort auf diese Fragen kann nur lauten: Die Priester haben an den meisten deutschen Bischöfen kein Vorbild und keinen Halt. Die Bischöfe lassen in der Regel ihre Priester in ihrer Arbeit, in ihrer Einsamkeit, mit ihren Sorgen im Stich. Sie besuchen sie nicht, richten sie nicht auf, trösten sie nicht. Die Priester sind von ihren Bischöfen zumeist verlassen. Zahlreiche Bischöfe untergraben die Stellung der Priester, indem sie für die Weihe von Frauen eintreten. Damit haben sie die Grenze zur Häresie überschritten.

Das Fundament der Kirche ist der Glaube. Die Kirche hat ihn formuliert in den Glaubensbekenntnissen und zahlreichen Glaubenserklärungen. Ein Priester lebt aus dem Glauben. Nur im Glauben an den unsichtbaren Gott vermag er seinen entsagungsreichen Dienst zu verrichten. Als der Glaube der Kirche von allen katholischen Priestern, Theologen und Bischöfen unversehrt vorgetragen wurde, hat es der Kirche an Priestern nicht gefehlt. Seit mehreren Jahrzehnten ist die Einheit und die Sicherheit der katholischen Christen im Glauben zerbrochen. Zahlreiche Theologen, also Lehrer des Glaubens, tragen abwegige, irrige Meinungen vor, zersetzen den Glauben ihrer Hörer und Leser. Die Priesterkandidaten werden mehrere Jahre zum Studium der katholischen Theologie verpflichtet. Hier sollen sie die gläubige Ausrüstung für ihren geistlichen Dienst empfangen. Doch die katholische Theologie, jedenfalls in Deutschland und den meisten angrenzenden Ländern, ist in weitem Umfang nicht mehr in Ordnung. In vielen Disziplinen werden abwegige, falsche, glaubenswidrige Ansichten vorgetragen. Hier wird der Glaube nicht auferbaut, sondern zersetzt. Mit einem unsicher gewordenen Glauben kann niemand das Lebensopfer des Priestertums bringen. Mit einem unsicheren Glauben kann man nicht ein Leben lang im priesterlichen Dienst ausharren. Die Bischöfe, Hüter des Glaubens, sehen zu, ohne einzugreifen. Die meisten stützen sich auf Theologen, die nicht mehr voll hinter der Kirche stehen.

Die Gestalt, die das Priestertum in Lehre und Praxis der nachkonziliaren Kirche angenommen hat, wirkt nicht anziehend auf junge Männer. Das Wesen des Priesters als Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes ist verwischt. Von seiner Verähnlichung mit dem Hohenpriester Christus ist kaum noch die Rede. Das höchste Tun des Priesters, die Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers, hat in der Meinung vieler Menschen seine Bedeutung eingebüßt. Die nachkonziliare Messfeier wird dem Rang und der Bedeutung des priesterlichen Dienstes weniger gerecht als die Feier der tridentinischen Messe. Der Dienst des Priesters in der Vergebung der Sünden wird kaum noch begehrt. Das Bußsakrament ist zum verlorenen Sakrament geworden. Dieser Verlust schlägt auf den Priester zurück. Der Priester, der nicht regelmäßig den Dienst der Versöhnung leistet, ist gefährdet. Es gibt sogar Stimmen im katholischen Raum, die das Priestertum für entbehrlich ausgeben. In jedem Falle soll es eingeebnet werden. Immer mehr Funktionen, die früher dem Priester vorbehalten waren, sind auf Laienfunktionäre übergegangen. Der nachkonziliare Priester ist in die Fessel von Räten und Gremien gelegt. Selbstbewusste Laienfunktionäre fordern Mitsprache und Mitentscheidung bei der Leitung der Gemeinden. Ein derart geringschätzig gewordenes Priestertum zieht nicht mehr an.

In den letzten Jahren wird in Deutschland viel von Neustrukturierung des kirchlichen Dienstes gesprochen und eine solche betrieben. Pfarreien werden aufgehoben, zusammengelegt. Gottesdienste werden reduziert, entfallen. Statt der Feier der hl. Messe werden Wortgottesdienste von Pastoralreferenten angeboten. All das sind keine Reformen, also Verbesserungen, sondern das ist Abbau, Drosselung, Schmälerung. Was hier vor sich geht, ist die Liquidation, d.h. die Abwicklung der Rechtsverhältnisse bei Auflösung der Gesellschaft, die wir katholische Kirche nennen. Was umschrieben wird als Errichtung neuer Pastoralräume, ist die Einrichtung priesterloser Gemeinden. Eine Gemeinde ohne Priester ist ein Torso, ein Fragment, eine Ruine, ein Wrack. Eine Gemeinde ohne Priester ist ein Rumpf ohne Kopf. Der heilige Pfarrer von Ars, Johannes Vianney, sagte: „Lasst eine Pfarrei zwanzig Jahre ohne Priester, und sie wird die unvernünftigen Tiere anbeten.“ Das ist die Zukunft der Kirche in Deutschland.

Christus brachte die Erlösung. Sie wird den Menschen vermittelt durch die Priester. Der Hohepriester Christus opferte sich für die Seinigen am Kreuze. Dieses Opfer vergegenwärtigt der Priester Tag für Tag auf dem Altare. Opferpriester und Opferlamm bleibt Christus. Aber er vollzieht sein Opfer durch den Priester. Christus hat dem Priester die Gewalt der Sündenvergebung übertragen. Gott vergibt die Sünden. Aber der Priester vermittelt die Vergebung. Der Priester ist Lehrer und Hirt. Dazu empfängt er Weihe und Sendung. Den Reinen ist er Führer und Weggenosse, den Gestrauchelten ist er Arzt und Retter, den Ringenden ist er Halt und Kraft, den Verbitterten ist er Licht und Sonne, den Heimatlosen ist er Heimat, den Armen Hilfe, den Kranken Trost, den Kindern Lehrer. Der Priester ist notwendig und unentbehrlich. Der Priester ist nicht zu ersetzen. Kein noch so gebildeter oder frommer Laie kann den Herrn Jesus Christus auf den Altar herabrufen. Kein demütiger und gottliebender Laie kann mit Wirkung vor Gott und den Menschen die sakramentale Sündenvergebung vermitteln. Es war in Berlin in der Bahn von Pankow nach Neukölln an einen Sonntagnachmittag. Der Wagen war leer, nur ein Betrunkener war drin. Ein Franziskaner stieg ein. Der Betrunkene fing an zu fluchen und zu lästern. Dem Schaffner wurde es zuviel. Er ging zu dem Betrunkenen und sagte ernsten Tones: „Wer weiß, ob Sie nicht einmal, in der letzten Stunde, diesen Mann notwendig haben.“ Der Spötter verstummte. Wir brauchen Priester. Eine priesterlose Kirche ist keine katholische Kirche. Die Kirche, welche die Herren Bätzing, Marx und Genossen erstreben, ist auf diesem Wege. Eine französischer Priester schreibt: Ich kenne ein Dorf, das seit zehn Jahren ohne Priester ist. Die Sakristei stürzt ein, es regnet auf die Schränke, die Ornate verschimmeln. Zwischen den Fliesen des Chores wächst Gras. Auf dem unbenutzten Friedhof spielen Kinder mit Totenköpfen Kegel. In dem Dorfe leben die Einwohner wie Tiere: Sie essen und trinken, sie arbeiten und schlafen. Sie glauben weder an Gott noch an die Seele und an ein künftiges Leben. Aber sie glauben an den Kunstdünger. Die Kinder wachsen heran ohne Kenntnis von Gut und Böse. Die Kranken sterben ohne Beistand und ohne Hoffnung. Wenn sie tot sind, scharrt man sie ein wie Tierkadaver. Kein Mensch betet für sie. Wird es bei uns bald auch so sein?

Amen.  

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