Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 2023

Heute ist euch der Heiland geboren

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Drei Evangelien am heutigen Tage. Das erste steht bei Lukas und berichtet die Verkündigung der Engel. Das zweite steht ebenfalls bei Lukas und erzählt die Anbetung des Kindes durch die Hirten. Das dritte steht bei Johannes und gibt die Geschichte des Logos.

Zum ersten. Hier steht der römische Cäsar Augustus allein. Von Tiberius, den er später zur Mitregierung zuzog, ist noch keine Rede. In die Zeit dieser frühen Epoche fällt die erste Lukas bekannte Volkszählung des Reiches. In den einzelnen Ländern wird sie nach Bedarf verschieden durchgeführt. Palästina gehört zum Verwaltungsbezirk des Statthalters von Syrien, der ausdrücklich mit seinem Namen Quirinius genannt wird. Im engeren Syrien wird die Zählung an Ort und Stelle vollzogen. Doch der kluge Verwaltungsbeamte trägt dem Charakter Palästinas durch die Verordnung Rechnung, dass sich jeder zu der Mutterstadt eines der zwölf Stämme begebe und dort seinen Namen eintrage. Damit ist die Reise Josephs von Nazareth nach Bethlehem gegeben. Joseph und Maria gehören nicht zur priesterlichen Kaste wie Zacharias und Elisabeth; sie sind, wenn auch verarmt und in einem entlegenen Landwinkel wohnend, wenn auch handwerklichen Gewerbes und einfacher Sitte, doch adliger Abstammung und fürstlicher Tradition. Sie gehören zum Königsgeschlecht. Zu ihrer Ahnengalerie gehören der tapfere David und der weltfeine Salomon. Frei von allem Überschwang schildert Lukas im griechischen Text nun das große Ereignis. Den beiden öffnet sich keine Herberge der königlichen Stadt; es bleibt ihnen, an hundert Türen abgewiesen, nichts übrig, als draußen, vor den Mauern Bethlehems, am Hang des Hügels zwischen Stall und Scheune ein Dach für die Nacht zu suchen. Diese Nacht ist die große Nacht der Geburt des Herrn geworden. Die Hirten, die hier mühselig wohnen, sind bei ihren Herden am Feld geblieben und haben draußen die Nachtwache gehalten. Da leuchtet es um sie auf, und die Feuer stehen um die judäische Stadt, und aus den Feuern tritt ein Bote des Himmels zu ihnen und der Chor der Engel verstärkt seine Botschaft. „Darob sollt ihr nicht erschrecken. Denn ich bringe euch eine gute Nachricht, über die sich jedermann freuen soll, auch der letzte im Volk, das ganze Volk, die Völker der Erde! Drüben, in der nahen Davidsstadt, ist um diese Stunde der Heiland geboren, den das geweihte Volk seit Jahrhunderten als seinen Gesalbten, als den Christus, als den Messias erwartete. Ihr braucht nur eine Viertelstunde zu gehen, und ihr werdet, in euren eigenen Höhlen drüben, zwischen Stall und Scheune, das neugeborene Kind finden! Die beiden haben keine Reichtümer, in die sie das Kind betten können. So haben sie es in eure Krippe gelegt, an der die Tiere sonst stehen, und in Windeln haben sie es eingewickelt. An der Krippe und an den Windeln könnt ihr das Kind erkennen.“ Diese Botschaft umrahmt der Chor der Engel mit dem Hochgesang: „Ehre ist Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden des göttlichen Wohlgefallens.“ Die Worte der Engel sind nicht als Wunsch („Ehre sei Gott in der Höhe“), sondern als Aussage, als Verkündigung eines göttlichen Geschehens zu verstehen. Sie beschreiben die heilsgeschichtliche Bedeutung der Stunde. Der Sinn des Textes ist: Durch die Geburt des Messias ist Gott (in den Himmelshöhen) verherrlicht und auf Erden den Menschen des göttlichen Wohlgefallens Heil widerfahren. In dem Lobgesang wird Gottes Größe verherrlicht, die sich in seinem Heilswirken offenbart. Für solche Stunde sollen die Menschen dem großen Gott danken. Er hat die Zäune der jüdischen Hürde zerrissen und die Grenzen des Religiösen bis an die Enden der Erde erstreckt. Nicht bloß Palästina, der Planet gehört dem neuen Herren, der von Bethlehem zum Aufbau der einen Weltreligion schreitet.

Zum zweiten. Die Hirten sagen zueinander: „Transeamus“, Lasst uns gehen, und sie wandern den Weg zu ihren Hütten eilenden Schrittes. Da finden sie das Kind und Maria und Josef, genau in der Umgebung, in der Lage, in der Stimmung, welche die Engel beschrieben haben. „Sie finden wahr, was von diesem Kinde zu ihnen gesagt worden war.“ Sie erzählen bis zur letzten Silbe und wiederholen immer wieder, was ihnen die helle Nacht draußen zugesprochen und was der Chor der Geister unterstrichen, eingeprägt, bestätigt hat, dass dieses Fürstenkind der Welt, nicht nur Judäa gehört. Solches hat Maria bislang nie ausdrücklich erfahren, und sie behält alle diese seltsamen Worte in ihrem Gedächtnis und überlegt sie in ihrem Herzen.

Zum dritten. Der Johannesprolog ist das hohe Lied des griechischen Logos, des Traumes der Gnostiker, der Sehnsucht der intellektuellen Welt um das Mittelmeer. Ihn trägt der jüngste Evangelist, der einst des Täufers Schüler war und von ihm zu Christus überging, den Lesern seines Buches in aller Welt vor. „Ihr sucht den Übermenschen eurer Philosophie, den Hauch des ewigen Gottes, das Wort der Ewigkeit, das in die Zeit hinausstieg und unter uns sichtbar wandelte. Der Nazarener ist dieser Logos, und darum reichen seine Ursprünge bis in das Dunkel der Ewigkeit, bis weit vor die Schöpfung der Welt.“ „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war gottgleich!“ Matthäus und Lukas beginnen ihre Evangelien mit der Geschichte von der irdischen Geburt Jesu. Johannes geht weiter zurück. Er erinnert seine Leser daran, dass der wirkliche Ursprung seines wunderbaren Lebens sich in die Tiefen des ewigen und zeitlosen Lebens Gottes verliert.

Der erste Vers des Johannesprologs umfasst drei Aussagen. Die erste schreibt dem Logos, dem Wort, Vorzeitlichkeit, Präexistenz, d.h. Existenz vor seinem irdisch-geschichtlichen Dasein zu. Der Ausdruck „im Anfang“ bezeichnet den Anfang schlechthin, den Uranfang. Er besagt, dass der Logos, das Wort, bereits vor Erschaffung der Welt existierte.

Die zweite Aussage von Vers 1 des Johannesprologs spricht vom Sein des Wortes bei Gott. Durch das „bei Gott“ wird ausgesprochen, dass das „Wort“ nicht mit dem ewigen Vatergott identisch, sondern von ihm verschieden ist; dass es nicht ein Attribut (eine Eigenschaft, ein Merkmal, eine Beigabe) Gottes, sondern eine selbständige Person ist. So spricht diese Aussage die Persönlichkeit des Wortes aus.

Die dritte Aussage (und Gott war das Wort) gibt seine Göttlichkeit an. Der Sinn der Aussage kann nur sein: Das „Wort“ ist von Ewigkeit her Mitbesitzer oder Mitteilhaber an der einen göttlichen Natur.

Ebenso selbstverständlich ist seine Teilnahme am Schöpferwerk: Ohne den Logos ist von allem, was geschaffen worden ist, nichts erschaffen. Keine Blume blüht ohne seinen Duft, keine Woge rauscht ohne seine Kraft, kein Auge glänzt ohne seine Seele. Er ist der Schöpfung tiefstes Leben und verborgenstes Licht. Licht war er für die Menschen der Erde, längst ehe er selbst unter ihnen wandelte. Er umgab mit seinem Leuchten die Gipfel ihrer Geistesgeschichte, er strahlte in die jüdische, in die indische, in die griechische Kultur aus, was sie an religiösen Tiefen im Grunde behütet, gepflegt und entfaltet hat. „Das Licht leuchtet in der Finsternis!“ So muss man die Geschichte vor Christus, an diesem Licht gemessen, nennen. In dem „Wort war das Leben“. Alles Leben in der Welt hat im „Wort“ seinen Ursprung und seine Quelle. Der Knabe von Bethlehem ist der Träger des Lebens. Er ist auch der Vermittler des Lebens, des wahren Lebens. Darum singt die gläubige Christenheit heute: „O selige Nacht! In himmlischer Pracht erscheint auf der Weide ein Bote der Freude den Hirten, die nächtlich die Herde bewacht. Wie tröstlich er spricht: O fürchtet euch nicht! Ihr waret verloren, heute ist euch geboren der Heiland, der allen das Leben verspricht.“ Dieses Leben, das wahre göttliche Leben, zu spenden wird die eigentliche Aufgabe des fleischgewordenen „Wortes“ sein. Diese Lebensspendung wird nun als Erleuchtung der Menschen bezeichnet. Das Leben des „Wortes“ wurde ihnen als „Licht“, in der Form der Erleuchtung gegeben. Was die vorchristliche Menschheit an (göttlicher) Erleuchtung und Offenbarung empfangen hat, verdankt sie dem „Wort“. Über die Firnen der ganz Großen ist das Licht in jenen Jahrhunderten vor Christus nie bis in die Tiefe des Volkes niedergestiegen. Der Inhalt seiner Menschwerdung, die der Täufer ankündigte, der selbst nicht das Licht war, sondern nur des Lichtes Zeugnis brachte, ist die Eroberung des Tales der Menschheit. Mit Christus steigt das wahre Licht in die Welt hinab, um alle Menschen zu ergreifen und zu erglühen. Aber dieser Weg aus den Gezeiten der Ewigkeit zu den Hütten der Gegenwart sollte nicht eiserne Notwendigkeit werden, wie die Gesetze des Himmels und die Kräfte des Abgrundes, sondern geistige Auseinandersetzung mit dem eigenwilligen Menschen dieser Erde. Er wollte seine eigene Schöpfung nicht zwingen.

„Er kam in die Welt, aber die Welt lehnte ihn ab.“ Selbst das Blut, aus dem er gewachsen, dem er nach Sprache, Farbe und Rasse angehörte, das er sein „Eigentum“ nennen konnte, nahm ihn nicht auf. Er fand nur eine räumlich begrenzte Gefolgschaft, eine Minderheit, die seinen Geist auffing und sich zu ihm stellte. Dieser Gefolgschaft aber gab er unerhörte Geistigkeit und Macht. Aus ihr hat er Aristokraten des Himmels gemacht, aus den Menschen, die letztlich nicht aus der Geburt des Blutes, dem Willen des Mannes waren, sondern die man mit Fug und Recht als Doppeltgeborene bezeichnen kann, deren zweite und größere Geburt der Zeugung Gottes zugeschrieben wird. Das ist das geschichtliche Ereignis, das wir erlebt haben. Der Logos ist Mensch geworden und hat Wand an Wand mit uns gewohnt. Wir haben seinen Atem gespürt und seinen Pulsschlag gefühlt. Wir sind die Tage und die Nächte um ihn gewesen und haben ihn erlebt, den Herrlichen, den Gottgleichen, den Sohn Jahwes, in all seiner Mystik, aber auch in all seiner Realität. So beginnt die Botschaft des vierten Evangelisten, der aus Eigenem kündete. Wir sind ihre Hörer. Und wir tragen sie weiter: Der vor dem Morgenstern und aller Zeit gezeugt ist, der Sohn des höchsten Herrn, hat sich herabgeneigt von seinem Himmelsthron und ist zur Erde kommen als einer Jungfrau Sohn.

Amen.

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