Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Dezember 2009

Das Heilswirken Gottes in der Geschichte

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die beiden wesentlichen Kennzeichen des biblischen Gottes sind Schöpfung und Offenbarung. Beides gehört untrennbar zusammen. Offenbarung kann nur heilend und rettend sein, weil alles – nach der Schöpfung – Gottes ist. Heute gibt es bei aller Lobpreisung der Materie einen neuen Gnostizismus, also eine Erscheinung, die Gott die Materie wegnimmt. Gott wird letztlich auf die Innerlichkeit, auf die Subjektivität oder – Sie können auch sagen – auf die Phantasie der Menschen beschränkt. Die Religion gehört nach der Masse der heute Schreibenden in die Sphäre der Subjektivität. Da kann jeder damit halten, wie er will. Aber die Welt der Materie, so sagen diese Schreiberlinge, die Welt der Materie, die objektive Welt gehorcht anderen Gesetzen. Da hat Gott nichts zu suchen.

Ein solcher Gott, meine lieben Freunde, ist kein Gott, sondern nur ein Element der Psychologie und der Vertröstung. Deswegen ist die Empfängnis Jesu aus der Jungfrau so wichtig. Gottes Macht, Gottes Geist kann Neues schaffen in der leibhaftigen Welt, in der Welt des Leibes. Und deswegen ist so wichtig seine Auferstehung. Sie ist nicht ein Interpretament, das heißt also eine gedankliche Konstruktion, um etwas anderes zu erklären. Nein, sie ist wahrhaft und wirklich ein Geschehen am Leibe. Der Leib Jesu ist nicht verwest, denn die Materie ist Gottes.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in der Berliner evangelischen Fakultät zwei Theologen, die sich scharf gegenüberstanden. Der eine war der liberale Harnack, der andere war der konservative Schlatter. Harnack sagte eines Tages zu Schlatter: „Im wesentlichen sind wir uns doch einig. Zwischen uns steht eigentlich nur eine Kleinigkeit, die Wunderfrage.“ „Nein“, sagte Schlatter, „uns trennt die Gottesfrage.“ Es kommt darauf an, ob Gott wirklich Gott ist oder ob er in den Bereich der Subjektivität gehört.

Da steht zunächst die Frage im Raume: Kann uns der Glaube Gewißheit über historisches Geschehnis geben? Oder kann man Historisches, also geschichtliche Dinge, nur auf historische Weise durch historische Forschung wissen? Wenn Letzteres der Fall wäre, dann bliebe alles hypothetisch, den die Geschichtswissenschaft vermag über Hypothesen nicht hinauszukommen. Dem biblischen Glauben dagegen ist es wesentlich, dass er sich auf ein Handeln Gottes in der Geschichte bezieht. Ein der Geschichte beraubter Glaube wäre ohne Grundlage, er wäre Gnosis, eine menschliche Fiktion. Dem biblischen Glauben ist es eigen, dass er von dem geschichtlich handelnden Gott handelt, und deswegen einige grundlegende geschichtliche Fakten zum Glauben gehören. Es ist eine Gewißheit, die vom Glauben kommt, auf die man sein Leben gründen und für die man sterben kann. Wenn Jesus nicht gelebt hätte und nicht am Kreuze gestorben wäre, wäre unser Glaube eitel. Wenn seine Verkündigung nicht geschichtlich bezeugt wäre, wäre unser Glaube eitel. Wenn er nicht am Abend vor seinem Leiden Brot und Wein in seine heiligen Hände genommen und sich selbst damit den Menschen überantwortet hätte, dann wäre die Eucharistiefeier der Kirche eine leere Fiktion.

Zu diesen grundlegenden Artikeln des Glaubens gehört auch die Jungfrauengeburt. Sie gehört zum Glaubenskern. Die Kirche hat von Anfang an gewußt, dass die Empfängnis Jesu nicht einem männlichen Prinzip zu verdanken ist, sondern einem wunderbaren Eingreifen Gottes. Gott selbst hat den zweiten Adam geschaffen. Er ist der Sohn, der wirkliche Sohn einer menschlichen Mutter, aber er ist auch der Anfang einer neuen Schöpfung, die Gott bewirkt. Desgleichen gehört es zu den geschichtlichen Tatsachen, die uns der Glaube verbürgt, dass Jesus nicht im Grabe geblieben ist, dass er nicht der Verwesung verfallen ist, sondern dass er in eine neue Leiblichkeit umgewandelt wurde. Dem apostolischen Zeugnis ist es wesentlich, dass Jesu Leib die Verwesung nicht geschaut hat. Das ist der Kern der Pfingstpredigt des Apostels Petrus. Er sagt, der Psalm, der davon spricht, dass der Leib die Verwesung nicht schaut, geht nicht auf David; denn der David ist verwest, man kann an sein Grab hingehen und es nachweisen. Was da im Psalm 15 gesagt ist, das geht auf Jesus, dessen Leib die Verwesung nicht schauen durfte. Es ist ein zentraler Artikel des katholischen, des christlichen Glaubens, dass der Leib Jesu von der Verwesung gerettet wurde und dass er leiblich, wirklich leiblich auferstanden ist. Gottes Handeln reicht eben in den Leib hinein. Empfängnis und Auferstehung entsprechen sich. Sie gehören zusammen. Der Begriff der Inkarnation als das Eintreten Gottes in die Materie empfängt erst durch die Auferstehung und Verwandlung Jesu seinen vollen Sinn. In beiden Aussagen geht es nicht um theologische Interpretation, sondern um Glaubensgewißheit, um eine Gewißheit, die uns Gott selber schenkt.

Da höre ich den Einwand: Ja, aber das moderne Weltbild, sagt man, das moderne Weltbild, das ist doch ganz anders und durch das moderne Weltbild ist das alles ausgeschlossen. Einer, meine lieben Freunde, den man als den bedeutendsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts erklärte, hat geschrieben: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Tetsamentes glauben.“ Donnerwetter. Warum kann man das nicht? Ich benutze nicht nur elektrisches Licht und Radioapparat, ich habe auch einen Tauchsieder und einen elektrischen Rasierer und glaube dennoch an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testamentes. Ich verstehe nicht, was es mit der Menschwerdung Gottes oder mit der Auferstehung Christi zu tun hat, dass wir heute die Nachrichten nicht mehr durch einen Mann ausrufen lassen, der mit der Klingel durch die Straßen geht, sondern dass wir die Nachrichten vom Radio empfangen. Was hat das mit der Menschwerdung Gottes und mit der Auferstehung Jesu zu tun?

Unter Weltbild versteht man eine einheitliche Gesamtauffassung der Welt, in der alles seinen Platz hat. Weltbilder wollen das Ganze der Welt, wie der Name sagt, zusammenfassend in den Blick bringen. Man spricht vom ptolemäischen Weltbild, nach dem die Erde im Mittelpunkt steht. Man spricht vom kopernikanischen Weltbild, nach dem die Sonne im Mittelpunkt steht. Das Weltbild ergibt sich aus Beobachtungen, aus Überlegungen und aus Vermutungen. Der Glaube, der Inhalt des Glaubens ist vom Weltbild völlig unabhängig. Über die Wirklichkeit Gottes und über die Werke Gottes entscheidet nicht ein vorgefaßtes, ein konstruiertes Weltbild, sondern die Tatsächlichkeit, das Geschehen. Man darf nur den Inhalt des Glaubens nicht mit der Vorstellung verwechseln, die wir uns von den Geschehnissen des Glaubens machen. Ein Beispiel. Wir glauben an die Himmelfahrt Jesu. Wir können uns dabei schwer von der Vorstellung lösen, dass Jesus nach oben gefahren ist und dass eben der Himmel oben ist. Der Inhalt der Himmelfahrt ist ein ganz anderer. Ihn gibt der Apostel Petrus an, wenn er sagt: „Gott hat Jesus von Nazareth, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Messias gemacht.“ Das ist der Inhalt, der historische Inhalt, der wirkliche Inhalt der Himmelfahrt. „Gott hat Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Messias gemacht.“

Nein, meine lieben Freunde, nicht das Weltbild hebt den Glauben aus den Angeln, sondern der Glaube weist die Weltbildkonstrukteure in ihre Schranken. Entscheidend ist die Frage: Gibt es Gott? Und: Wer ist Gott? Und: Wie ist Gott? Unser Gott, der biblische Gott, der Gott der Offenbarung ist ein lebendiger Gott, d.h. er handelt, er redet. er hört. Er ist ein Schöpfer. Das All kommt von ihm. Aber er hat auch in der menschlichen Geschichte gehandelt und darin sein Gesicht gezeigt, bis zu dem Punkte, da er durch die Menschwerdung des Sohnes selbst in die Geschichte eingetreten ist. Das All ist ihm mit der Schöpfung nicht entglitten; er ist kein Willkürgott. Er respektiert die Gesetze der Schöpfung und die Freiheit des Menschen, die er ja selber gestiftet hat. Aber er ist auch kein ohnmächtiger Gott, der nur im Geistigen, im Existentiellen angesiedelt ist. Nein, ein Gott, der nicht auch an der Materie handeln könnte, wäre ein ohnmächtiger Gott. Diese Vorstellung ist dem biblischen Glauben völlig fremd.

Und deswegen ist es für den Glauben der Kirche konsequent und einsichtig, dass Gott in seinem zentralen geschichtlichen Handeln, also Menschwerdung, Kreuzigung, Auferstehung, seine Macht bis in die Materie hinein gezeigt hat. Die Empfängnis Jesu im Mutterleib hat er bewirkt, genauso wie die Auferweckung Jesu aus dem Grabe. Er hat ihn der Verwesung entrissen und ihn in die neue Seinsweise des Auferstandenen hineingeführt. So wird sichtbar, dass es sich bei den genannten Glaubensartikeln nicht um irgendwelche Randerscheinungen, nicht um irgendwelche marginalen Mirakel handelt, die man zugunsten eines reinen Glaubens besser beiseite schiebt, sondern dass der Kern des Gottesbildes und der Realismus von Gottes geschichtlichem Handeln in Frage steht. Es geht darum, ob der Glaube wirklich in die Geschichte hineinreicht. Es geht darum, ob die Materie der Macht Gottes entzogen ist oder nicht. Es geht darum, ob Gott wirklich Gott ist und ob er wirklich in die Geschichte bis in das Leibliche hinein gehandelt hat und so als Herr über Leben und Tod sich erwiesen hat. Und so geht es darum, ob wir dem Wort des Glaubens vertrauen können, ob wir Gott trauen und ob wir auf dem Grunde dieses Vertrauens unser Leben führen und unseren Tod annehmen können.

Amen.

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