26. Dezember 2008
Ein Kind ist uns geboren
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Das Wort, das ewige Wort des Vaters, der Logos, die zweite Person in Gott, ist Fleisch geworden.“ So meldet uns das Evangelium nach Johannes. Das ewige, persönliche Wort des ewigen Vaters ist hörbar geworden. Und wie ist es hörbar geworden? Es ist das Weinen eines Kindes, es ist das Lachen eines Kindes, in dem dieses Wort hörbar geworden ist. So klingt also das Wort Gottes auf Erden, wie Kinderworte klingen. Das große Licht ist aufgegangen. In der Dunkelheit leuchtet ein Licht, wie es die Propheten vorausverkündet haben. Aber siehe, das Licht, das in dieser Nacht um Mitternacht aufging, das waren die Augensterne eines Kindes. „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt.“ Gott ist so groß, dass er klein werden kann; Gott ist so mächtig, dass er wehrlos werden kann; Gott ist so gut, dass er auf seinen göttlichen Glanz verzichten kann. Es scheint, dass sich in Christus etwas erfüllt hat, was unser deutscher Dichter Clemens von Brentano einmal so ergreifend ausgedrückt hat: „Welch Geheimnis ist ein Kind! Gott ist auch ein Kind gewesen. Weil wir Gotteskinder sind, kam ein Kind, uns zu erlösen. Welch Geheimnis ist ein Kind!“ Und dann fährt er fort: „Welche Würde hat ein Kind! Sprach das Wort doch selbst die Worte: Die nicht wie die Kinder sind, gehen nicht ein zur Himmelspforte. Welche Würde hat ein Kind!“ Wahrhaftig, jetzt können wir sehen, wie Gott ist. So liebenswürdig ist Gott wie ein Kind. Ein Kind kann man nur lieben, ein Kind weckt unwiderruflich unsere Liebe. Ein Mensch, der die Kinder nicht lieb hat, kann kein guter Mensch sein. Was wird das Herz eines Menschen noch rühren, wenn die Seele eines Kindes ihn nicht mehr rührt?
Ein Kind ist schön. Warum? Weil es ein Anfang ist, eine Verheißung, ein Aufgang. Es ist noch nicht verbraucht, es ist noch nicht verdorben. Es ist noch nichts vergangen, noch nichts verwelkt, alles ist noch ein Beginn. Und so will Gott uns sagen: Seht, so bin ich. Der ewige Anfang, der ewige Aufgang, die ewige Jugend. Die Philosophen haben Gott als „nunc stans“ definiert, als das „stehende Jetzt“. Sie wollten damit zum Ausdruck bringen, dass in Gott keine Gegenwart und keine Zukunft und keine Vergangenheit ist, sondern dass in ihm alles ständiger, stehender Augenblick ist, der nie vergeht. Von Gott wird nie etwas vergehen, nie etwas verbraucht werden. Er ist immer Anfang. Er besitzt seine ganze Herrlichkeit ohne Anfang und ohne Ende. Es gibt ein geheimnisvolles Wort im Johannesevangelium, und die Übersetzer tun sich schwer damit. Dieses Wort heißt, jedenfalls nach einer bestimmten Übersetzung: „Ich bin der Anfang, der zu euch redet.“ Ich bin der Anfang, der zu euch redet, der ewige Anfang, der Aufgang, die unsterbliche Jugend, die Unvergänglichkeit. So ist unser Gott, so schön wie die Jugend, so schön wie ein Kind.
Und so liebenswürdig ist Gott wie ein Kind, so liebewerbend. Am leichtesten wird es uns doch, ein Kindlein zu lieben. Wir können nicht sagen, warum wir es nicht lieben sollen. Nun ist Gott in der Gestalt eines Kindes zu uns gekommen, damit wir ihn lieben können. Es muss ihm unendlich viel daran gelegen sein, dass er in seiner erfinderischen Weisheit darauf gekommen ist, einen Weg zu finden, auf dem uns die Gottesliebe leicht werden kann. Und sie wird uns leicht, wenn wir Gott in der Gestalt eines Kindes vor uns sehen. So ist er als Kindlein zu uns gekommen. Jetzt haben wir keinen Grund mehr und keine Ausrede mehr, wir könnten Gott nicht lieben. Wir können ihn lieben. Dieses Kind, dieses Gotteskind müssen wir lieben.
Jetzt verstehen wir auch, warum im Evangelium der Ruf an uns ergeht: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen.“ Worin besteht denn das Werden wie ein Kind? „Wer sich erniedrigt wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich!“ Was soll mit dieser Erniedrigung gesagt sein? Sich abwenden von Ehrgeiz und Eifersucht, von Angeberei und Stolz, sich demütigen, seiner Kleinheit, seiner Hilfsbedürftigkeit eingedenk sein, Argwohn und Mißtrauen ablegen, offen und vertrauend sein, das heißt Werden wie ein Kind. Christus liebt das Kind, dessen Natur er selbst als Kind dem Leibe und der Seele nach angenommen hat. Er liebt das Kind als Lehrer der Demut, als Vorbild der Sanftmut, als Verkörperung der Unschuld. Je tiefer wir uns vor diesem Kindlein beugen, desto mehr wird es uns zu sich erheben. „Werden muss ich wie ein Kind“, so fährt noch einmal Clemens von Brentano fort, „werden muss ich wie ein Kind, wenn ich will zum Vater kommen. Kinder, Kinder, kommt geschwind, ich werd gerne mitgenommen. Ich muss werden wie ein Kind.“
Liebevoll ist Gott wie ein Kind. Kinder sind immer dankbar. Der dankbarste Liebesempfänger ist immer ein unverdorbenes Kind. Ein Kind ist unendlich dankbar für jedes gute Wort, für jedes Zeichen der Liebe und Zuneigung. Es schenkt seine Liebe gern dem, der es liebt. Ende des 18. Jahrhunderts wurde der französische König Ludwig XVI. mit dem Fallbeil hingerichtet. Er hinterließ einen Sohn. Der junge Sohn wurde einem Flickschuster zur Erziehung übergeben. Der Schuster behandelte den Königssohn grausam. Als er ihn eines Tages wieder mißhandelte, da entriß ihm der anwesende Arzt das Kind und drückte es an seine Brust. Am folgenden Tage gab das Kind dem Arzt zwei Birnen, die es sich vom Munde abgespart hatte, und sagte: „Sie haben mir gestern Ihre Teilnahme bezeugt. Nehmen Sie diese Birnen als kleine Zeichen des Dankes. Sie machen mir dadurch eine Freude.“ Dem Arzt traten die Tränen in die Augen, als er von dem armen Königssohn die Birnen als Zeichen des Dankes entgegennahm.
Gott ist in der Gestalt einer Kindes zu uns gekommen. Er will uns sagen: Seht, so bin ich wie dieses Kind. Ihr braucht mir nur ein gutes Wort zu geben, ihr braucht euch nur meiner anzunehmen, ihr braucht mich nur gern zu haben, und ich gehöre euch wie ein Kind. Er kommt mit keinem anderen Angebot zu uns, als uns zu gehören. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Nichts anderes will er, als uns geschenkt sein. Das ist das Ziel seiner Weltschöpfung und seiner Welterlösung. Das ist das Ziel seines ganzes Heilsweges, nämlich dass er uns gehören will, dass er uns Arme in sein Herz schließen will. Selbst wenn er Gebote gibt, selbst wenn er droht, selbst wenn er straft, er will das alles nur, um uns gehören zu können, um die Tore aufzusprengen, die in unsere Seele führen. Er will uns geschenkt werden, sonst will er gar nichts. Menschen wollen uns gebrauchen, auch mißbrauchen, wollen uns benutzen, auch ausnutzen. Nichts dergleichen. Er will nur, dass wir ihn aufnehmen. „Welch ein Bote ist ein Kind“, um noch einmal Clemens von Brentano zu zitieren, „welch ein Bote ist ein Kind! Jedes Wort, das es erquicket, bis zum Himmelsgarten rinnt, wo das Wort ward ausgeschicket. Welch ein Bote ist ein Kind! In der Krippe lag ein Kind. Ochs und Esel es verehren. Wo ich je ein Kindlein find, will ichs lieben, pflegen, lehren. In der Krippe lag ein Kind.“
O, meine lieben Freunde, dass doch in dieser Weihnacht unsere Herzen geöffnet seien! Dass wir doch das Krippenkind in unsere Herzen aufnehmen möchten! Dass wir ihm eine Wohnung bereiten! In meiner Heimat singt man zu Weihnachten ein schönes Lied: „O Jesulein zart, dein Kripplein ist hart, o Jesulein zart.“ Wir wollen ihm ein weiches Kripplein bereiten in unseren Herzen. Wir wollen in der Gesinnung der Kinder zu ihm rufen: „O Jesus, durch seine Ankunft erlöse uns. Durch deine Geburt erlöse uns. Durch deine Kindheit erlöse uns.“
Amen.