26. Dezember 2000
Die Botschaft der Heiligen Nacht
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Der geniale Naturforscher Isaac Newton hat einmal das schöne Wort gesprochen: „Ich habe in meinem Leben zwei Dinge gelernt, erstens, daß ich ein großer Sünder bin, und zweitens, daß Jesus ein noch größerer Heiland ist.“ Ähnlich hatte schon viele Jahrhunderte vor ihm Augustinus gesagt, daß wir eigentlich Jesus mehr Dank schulden als dem Vater im Himmel. Denn was hätte es uns genützt, geschaffen zu werden, wenn wir nicht erlöst worden wären? Man hat Jesus viele Namen gegeben, aber ein Name ist der schönste von allen, nämlich Jesus, Heiland der Welt. Dieser Name gibt uns Anlaß drei Dinge zu bedenken, nämlich erstens das Elend ohne Ende, zweitens die Liebe ohne Ende und drittens das Erbarmen ohne Ende.
Am leichtesten fällt es uns, das Elend ohne Ende zu begreifen, denn wir sind vom Elend umgeben. Jede Sendung des Rundfunks oder des Fernsehens bringt uns Meldung von immer neuen Erschütterungen in der Welt. Die Natur ist feindselig gegen den Menschen, denn sie teilt das Schicksal des Menschen. Und da der Mensch in die Sünde gefallen ist und in Unordnung geraten ist, so ist auch die Natur nicht mehr in Ordnung. Der Regen fällt zu spät oder im Übermaß, die Sonne verbirgt sich hinter den Wolken oder brennt erbarmungslos nieder, die Erde öffnet sich, und furchtbare Erdbeben stürzen aus den Feuerschlünden, Vulkane öffnen sich – die Erde ist durch die Sünde des Menschen in Unordnung geraten. Und erst recht sind es die Menschen. Tränen über Tränen werden vergossen, die erste Träne, wenn ein Menschlein geboren wird, und die letzte Träne, wenn der Mensch auf dem Sterbebett liegt. Wenn man die Tränen sammeln könnte, die von den Menschen vergossen werden, es würde ein wahrer riesiger Tränensee werden. Kein schmerzvolle Situation, die die Sonne nicht beschienen hätte, keine schmerzvolle Lage, welche die Nacht nicht zugedeckt hätte! Schmerzen, Verfolgungen, Zwietracht, Uneinigkeit, die furchtbare Gewalt der Triebe, die Macht der Leidenschaften, Lüge, Verleumdung, Ungerechtigkeit, das sind die apokalyptischen Reiter, die das menschliche Leben durchrasen. Elend ohne Ende. Das fällt uns nicht schwer zu begreifen.
Das schlimmste Elend aber ist die Sünde selbst, denn sie ist die Wurzel von all diesem Elend. Jedermann spürt: So kann die Erde nicht aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen sein, wie sie jetzt ist. Es muß etwas Schreckliches geschehen sein, daß die Erde so verändert worden ist, und das nennen wir die Sünde, die Schuld. Die Sünde hat die Erde zum Schlechteren gewandelt. Es gibt Menschen, die von diesem Thema nicht gern reden hören, die das Schuldbewußtsein verdrängen wollen, die sich ein gutes Gewissen machen, auch wenn sie Böses tun, nicht zuletzt auch durch Mitverantwortung der Kirche, die die Sünden nicht mehr beim Namen zu nennen wagt und die in „Bußandachten“ den Menschen eine falsche Befreiung von der Sünde vorgaukelt. Nein, es ist ein Elend ohne Ende, und dieses Elend hat seine tiefste Wurzel im Riß mit Gott. Weil der Mensch von Gott geflohen ist, weil er sich gegen Gott erhoben hat, weil er sich empört hat gegen seinen Schöpfer, deswegen ist ein Elend ohne Ende über diese Welt gekommen.
Wenn dieses Elend behoben werden soll, dann muß seine tiefste und schrecklichste Ursache beseitigt werden, nämlich der Unfriede mit Gott. Aber das kann der Mensch nicht aus eigener Kraft, sondern nur wenn der Beleidigte selber kommt und sagt, es soll wieder gut sein, dann wird dieser Riß geheilt. Das aber eben ist die Botschaft der Weihnacht, daß Gott gekommen ist, um das Elend von den Menschen zu nehmen, daß eine Liebe ohne Ende auf Erden erschienen ist, um die Menschen zu befreien. Im Epheserbrief hat Paulus den Grundakkord dieser Liebe ohne Ende angestimmt: „Gott aber, reich an Erbarmen, hat in seiner übergroßen Liebe, mit der er uns geliebt und uns, da wir in den Sünden tot waren, lebendig gemacht mit Christus. Aus Gnade also seid ihr gerettet; es ist Gottes Gabe.“ Wahrhaftig, das ist die Liebe ohne Ende. Jesus hat die Sünde gehaßt, er war ein Feind der Sünde. Er hat schon das aufkeimende Böse, nämlich die böse Gesinnung, verurteilt. Nicht nur, wer Ehebruch treibt in offenbarer Tat, ist der Sünde schuldig, sondern wer die Frau des anderen begehrlich ansieht, ist schon der Sünde schuldig. Er hat vor der Gelegenheit zur Sünde gewarnt: Wenn dein Auge dich ärgert, dann reiß es aus, und wenn deine Hand dich ärgert, dann hau sie ab. Es ist dir besser, einäugig oder mit einer Hand ins Leben einzugehen, als mit beiden Augen und mit beiden Händen ins Feuer geworfen zu werden. Er hat gewarnt vor dem Verführer, vor dem, der unschuldiges Leben in die Sünde bringt. Es wäre ihm besser, er wäre nie geboren, oder es würde ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er würde in die Tiefe des Meeres versenkt. Er war der Feind der Sünde. „Er ist gekommen, die Bollwerke des Teufels zu zerstören.“
Aber er war der Freund der Sünder. Mit einer Zärtlichkeit, wie sie nur von einer idealen Mutter bewährt werden kann, hat er die Sünder geliebt. Er ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren war. Und wir haben ja so herrliche Beispiele seiner Sünderliebe. Er kehrt bei dem Zöllner ein, der ein großer Sünder war; er läßt Magdalena seine Füße salben; er schützt die Ehebrecherin vor dem Steinwurf, und er verspricht dem reuigen Schächer das Paradies. Er hat die Sünder geliebt, freilich, meine Christen, die reuigen Sünder, die Sünder, die sich bekehren, die Sünder, die willens sind, sich zu Gott zu wenden, die hat er geliebt. Das ist Liebe ohne Ende. Aus Liebe zu den Sündern ist er herabgestiegen vom Himmel und hat Fleisch angenommen und ist ein Mensch geworden. Aus Liebe ohne Ende hat er ein hartes Leben geführt, und aus Liebe ohne Ende ist er den grausamen Kreuzestod gestorben. Eine Mystikerin, die heilige Rosa von Viterbo, hat einmal den Herrn gefragt: „Wer hat dich denn so grausam gemartert?“ Da hat ihr der Gekreuzigte geantwortet: „Das haben die Sünden getan.“ Sie haben das Kreuz bereitet, sie haben die Nägel geschmiedet, sie haben Galle und Essig gemischt, sie haben die Hände und die Füße durchbohrt, sie haben den Lanzenstich des Soldaten geführt. „Wir stachen dich mit Spott und Wut, du tauftest uns mit deinem Blut, nun müssen wir dich lieben.“ Liebe ohne Ende hat er uns bewiesen.
Aber nicht nur das, auch Erbarmen ohne Ende. Er wollte, daß die Liebe, die in seinem Leben und Sterben aufgestrahlt ist, nicht aufhört, ihre Strahlen auszusenden bis zur Abenddämmerung der Welt, bis zum letzten Tage. Zu diesem Zweck hat er seine Kirche gestiftet. Ach, diese geschmähte, diese geschändete, diese verunglimpfte, diese beschimpfte Kirche – sie hat er gestiftet, um sein Erbarmen ohne Ende weiterzutragen. Sie ist es, meine lieben Freunde, die uns die Wahrheit und die Gnade vermittelt. Es gibt eine solche Vermittlung. Die katholische Kirche ist die von Gott gestiftete Gnadenanstalt. Die katholische Kirche ist das von Christus gestiftete Zelt der Wahrheit. Vor allem jugendliche Menschen meinen, die Kirche wolle ihnen die Freude verderben, indem sie ihnen die Gebote vorhält. O nein, meine lieben Freunde, das ist ein völliges Mißverständnis. Die Gebote sind die Wegweiser, die Gebote sind die Schilder, die uns den steilen und schweren Weg zum Heil weisen, aber es ist eben der Weg zum Heil, der durch sie gewiesen wird. Die Gebote sind keine Last, sie sind die Wegweiser zum Himmel. In den sieben Sakramenten hat er uns die Gnadenströme eröffnet, vor allem in einem Sakrament, nämlich im Sakrament der Buße. Das Sakrament der Buße ist der innigste Ausdruck eines Erbarmens ohne Ende. Es muß so sein, wie es uns die Kirche lehrt, daß der Mensch seine Sünden bereut, aber auch bekennt, daß er sie bekennt vor einem Menschen, der der Stellvertreter Gottes ist, der im Namen Gottes mit unfehlbarer Sicherheit spricht: Deine Sünden sind dir vergeben. Und wie relativ leicht ist es uns doch gemacht, meine lieben Freunde, an diesen Gnadenstrom heranzukommen! Wie leicht ist es uns gemacht! Die Zahl unserer Beichten ist unbegrenzt. Noch niemals ist festgesetzt worden, daß man eine bestimmte Beichte nicht ablegen dürfte, wenn immer man dazu bereitet ist. Und wie schnell, in wie kurzer Spanne der Zeit geschieht doch diese Vergebung! Und wie kommt man aus dem Beichtstuhl, voll Freude, daß einem die Last abgenommen ist, voll Glück, daß man wieder frei ausschreiten kann, nicht mehr beladen mit der Last der Schuld, daß man wieder neu anfangen kann, daß man auf Gott zugehen kann! Welches Glück ist es, beichten zu dürfen! Goethe hat einmal das schöne Wort gesagt: „Die Ohrenbeichte hätte den Menschen nie genommen werden dürfen.“ Luther hat sie ihnen genommen. Die Ohrenbeichte hätte den Menschen nie genommen werden dürfen. Denn hier ist der Ort des Erbarmens, hier wird das Erbarmen ohne Ende am Menschen wirksam. Und so ist auch die Weihnachtszeit eine Gelegenheit, für dieses Geschenk des Erbarmens ohne Ende zu danken, gleichzeitig zu danken, daß uns Gott das Priestertum gegeben hat, denn ohne Priestertum gibt es keine heilige Beichte. Das Priestersakrament und das Bußsakrament sind innig und untrennbar miteinander verknüpft.
So wollen wir heute unserem Herrn und Heiland danken, daß er in seinem Erbarmen ohne Ende uns das Sakrament der Versöhnung geschenkt hat, daß er uns das Priestertum geschenkt hat. Vor allem aber wollen wir ihm danken, daß er ist und bleibt, was er immer war: Jesus, der Heiland der Welt.
Amen.