27. Dezember 1998
Das Kind von Bethlehem
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein. Das hab’ ich auserkoren, sein eigen will ich sein.“ So beginnt eines unserer schönsten Weihnachtslieder. „Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein. Dies hab’ ich auserkoren, sein eigen will ich sein.“ Nicht nur zu historischer Stunde, sondern auch an geographischem Orte ist der Logos geboren worden. Der Ort heißt Bethlehem, was zu deutsch bedeutet: Haus des Brotes. Man nimmt an, daß dieser Name für den Flecken gewählt wurde, weil sich bei ihm eine fruchtbare Ebene hinzieht, die den Menschen Korn und Wein und Öl spendet. Behtlehem war schon in der Zeit, die wir die Eisenzeit nennen, bewohnt. Als Josue die Israeliten über den Jordan führte, bestand dieser Ort schon. Wir wissen, daß sich in Bethlehem die ergreifende Geschichte abspielte, die im Büchlein Ruth berichtet ist. Ruth, eine kinderlose Witwe, sorgte für ihre Schwiegermutter Noemi und fand das Wohlgefallen eines reichen Mannes in Bethlehem, des Booz. Sie heirateten, und Ruth wurde die Stammutter des Hauses David, die Urgroßmutter Davids und damit eine Stammutter unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Ein Stern stand über Bethlehem, als dem Jesse zu seinen sieben Söhnen noch ein achter geboren wurde, dem er den Namen David gab. Die Familie wird sich gewundert haben, als eines Tages der Richter Samuel erschien und nach den Söhnen schaute, ob sich unter ihnen einer fände, den er zum König salben könne. Aber es war keiner unter den sieben, die ihm der Vater Jesse vorstellte, den er für geeignet befand, bis er den achten, den jüngsten, aus dem Felde holen ließ und ihn zum König über Israel salbte anstelle des verworfenen Saul. Es kamen harte Jahre für David, bis er endlich sein Königtum durchsetzen konnte. Er nahm Jerusalem zu seiner Residenz, aber Bethlehem war deswegen nicht vergessen. Von ihm sagte Michäas, einer der zwölf kleinen Propheten: „Du, Bethlehem im Lande Juda, bist nicht die geringste unter den Fürstenstädten Judas, denn aus dir wird hervorgehen der Fürst, der mein Volk Israel regieren soll.“
Die Bewohner Palästinas werden wenig entzückt gewesen sein, als die römische Besatzungsmacht eine Volkszählung veranstaltete. Jeder mußte sich in seine Herkunftsstadt begeben, und Josef als Davidide nach Bethlehem. So zog er mit seiner Frau, die gesegneten Leibes war, nach Bethlehem, vorbei an dem Grabe der Rachel, die ja nach der Entbindung des Benjamin gestorben war. Dieses Grab mag die beiden erinnert haben an die Schmerzen der Mutterschaft. Sie zogen vorbei am Herodion, an dieser Trutzfestung, die Herodes in Bethlehem hatte anlegen lassen, immer in Furcht vor seinem Volke, weil er nicht als rechter Jude galt, aber er wurde gehalten von der römischen Besatzungsmacht. Sie werden zunächst ihre Steuerregistrierungspflicht erfüllt haben und dann sich nach einer Bleibe umgesehen haben. Aber in der Herberge, in dem städtischen Fremdenlokal, war kein Platz für sie.
Die Welt hat für alles Platz, meine lieben Freunde. Sie hat Platz für korrupte Politiker und verbrecherische Generäle; sie hat Platz für Schlagersänger und Tennisspieler. Aber wenn der Logos auf der Erde erscheint, da hat sie keinen Platz für ihn. So mußte das Leben beginnen, das auf seinem Gipfelpunkt den Heiland zu dem Ausruf bewegte: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, aber der Menschensohn hat nicht, wohin er sein Haupt legen könnte.“ Sie nahmen also Platz in einer Höhle, die für Tiere und Menschen als Unterschlupf geeignet war. Dort gebar Maria ihren Sohn. Sie legte ihn in einen Futtertrog, denn eine Krippe in unserem Sinne war nicht zur Verfügung, und so kam das Licht der Welt auf diese Erde.
Bethlehem ist ein auserwählter Ort. Aber da meldet sich der Unglaube und sagt: „Es gibt eine theologische Geographie, und nur nach dieser theologischen Geographie ist Bethlehem der Geburtsort Jesu. Er ist der theologische Geburtsort; biologisch ist Jesus in Nazareth geboren.“ Hier wird das Geheimnis der Geburt Jesu in der Wurzel verfälscht. Wenn Bethlehem nicht der biologische Geburtsort ist, dann dürfen wir auch nicht singen: „Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein.“ Wenn Bethlehem nicht der wahre Geburtsort ist, sondern ein fiktiver, ein sogenannter theologischer, dann ist das der Ausbund einer Theologie, die auf dem Boden von Sand steht und nicht auf dem Boden von Felsen. Das ist eine falsche, eine Betrugstheologie, von der wir nichts wissen wollen. Und mag der Neue Brockhaus in seiner 20. Auflage noch so viel von Legende sprechen, wir wissen, wir stehen auf dem Boden der Geschichte. Es gibt überhaupt kein Indiz dafür, daß Jesus nicht in Bethlehem geboren sein könnte. Von Anfang an und ohne Unterbrechung wird der Ort gezeigt, da die Mutter Maria niederkam, in einer Höhle, in einer Grotte. Die frühesten Zeugnisse, die wir überhaupt besitzen, weisen auf diese Stelle hin. Der Kaiser Hadrian ließ an der Stelle der Geburt ein Adonis-Heiligtum errichten, zum Spott natürlich und zum Ärger der Christen. Aber gerade dadurch hat er diesen Ort unsterblich gemacht; so konnte er nicht vergessen werden. Ein Zeitgenosse Hadrians, Justinus der Martyrer, bezeugt die Geburtsstelle Jesu. Nicht anders tut es das Prot-Evangelium Jakobi, ebenso bezeugt es Origenes. Also die frühesten Zeugen, die wir überhaupt haben, sprechen vom Geburtsort Bethlehem und von der Stelle, an der diese Geburt geschah. Hieronymus hat jahrzehntelang in Bethlehem gelebt und ist allen Nachrichten, die über die Geburt Jesu lauten, nachgegangen. Er hat nicht den geringsten Zweifel, daß die Stelle, die gezeigt wird, die Geburtsstätte Jesu ist.
Sie konnte nicht mehr vergessen werden, schon gar nicht, als Kaiser Konstantin über der Geburtsstelle Jesu die herrliche Basilika errichten ließ, die heute noch steht. Sie ist die älteste Kirche der Christenheit, die noch erhalten ist. Sie mag umgebaut worden sein unter Justinian, gewiß. Es mögen immer wieder Veränderungen vorgenommen worden sein, aber die Geburtsstätte Jesu ist geheiligt durch die Basilika Konstantins. Und wer immer die engen Treppen hinuntersteigt zu der Geburtsgrotte, der spricht ehrfürchtig und gläubig die Worte: „Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria der Jungfrau und ist ein Mensch geworden.“ Und er spricht mit Johannes: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Der Stern über Bethlehem ist nicht erloschen.
Auf dieser Erde muß jeder, der sich zu Gott hält, den Sold der Bitternis bezahlen. Und so war es auch mit dem neugeborenen König der Juden. Als Herodes von seiner Geburt hörte, da erschrak er und ganz Jerusalem mit ihm. Warum denn ganz Jerusalem mit ihm? Ja, wenn Herodes erschrickt, dann muß auch sein Volk erschrecken, denn der Schrecken des Herodes tobt sich aus in Mord und Brand, und so war es auch im Falle des neugeborenen Heilands. Mit Schlichen und mit Gewalt suchte er diesen neugeborenen König zu vernichten. Aber er war schon längst weggetragen in das Land Ägypten. Ägypten war immer das Zufluchtsland für die Israeliten. Abraham, Isaak und Jakob zogen zur Zeit der Dürre und der Hungersnot nach Ägypten, und so wurde auch diesmal das Krippenkind gerettet, indem es Josef nach Ägypten führte.
Jesus ist in seinem späteren Leben nach den Nachrichten, die uns zur Verfügung stehen, nie mehr nach Bethlehem zurückgekehrt. Wir hören von seiner Antrittsrede in Nazareth, aber von Bethlehem verlautet nichts. Das, was Bethlehem bedeuten sollte, das war erfüllt; es war erfüllt mit der Geburt unseres Herrn und Heilandes. Wir dürfen, nein, wir müssen weiter unser Weihnachtslied singen: „Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein. Das hab’ ich auserkoren, sein eigen will ich sein.“
Amen.