Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 1998

Ein Kind ist uns geboren

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!

„Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt, auf seinen Schultern ruht Weltherrschaft. Sein Name wird sein Wunderrat, Gottheld, Vater der Zukunft, Friedensfürst.“ So hat Gott durch den Propheten Isaias den Heiland Jesus Christus vorausverkündet. „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt, auf seinen Schultern ruht Weltherrschaft. Sein Name wird seine Wunderrat, Gottheld, Vater der Zukunft, Friedensfürst.“ In diesem wunderbaren Text sind drei Punkte zu beachten, einmal die Eigenschaften des erschienenen Herrn, zweitens seine Geburt und drittens der Nutzen, den wir daraus ziehen.

Der erste und wichtigste von diesen drei Punkten sind die Eigenschaften dieses Herrn und Heilandes. Er ist wunderbar. Als wunderbar haben ihn die Himmel, die Engel, die Hirten und die Weisen bekundet. Die Himmel, indem sie einen Stern sandten, die Engel, indem sie sein Lob sangen, die Hirten, indem sie von ihm sprachen, und die Weisen, indem sie zu ihm eilten. Er ist wunderbar, weil der Schöpfer zum Geschöpf wurde. Er bleibt, was er war, aber er  nahm an, was er noch nicht hatte. Seit dieser Menschwerdung Gottes gibt es nur eine verbindliche und eine wahre Religion auf dieser Erde. Es ist jene Religion, die von Gott gestiftet ist. Alle anderen Religionen sind von Menschen gemacht, kommen von unten, nur eine Religion kommt von oben: es ist jene, die der Gottessohn als Menschgewordener auf die Erde gebracht hat. Daraus ergibt sich die Überlegenheit, ach, was sage ich, ergibt sich die Alleinberechtigung des Christentums. Mögen andere Religionen vor der Ankunft des Erlösers im Advent gestanden haben, nach seiner Ankunft stehen sie gegen ihn. Seitdem stehen sie in Konkurrenz zu ihm. Wenn wir also von der christlichen Religion als der absoluten sprechen, dann wissen wir: Sie ist absolut, weil Gott selbst sie gegründet hat. Christus ist wunderbar, weil Gott ein Geschöpf wird.

Er ist wunderbar, weil er von der Jungfrau geboren wurde. Bei allen anderen Menschen beendet die Mutterschaft die Jungfrauschaft, bei ihm krönte die Mutterschaft die Jungfrauschaft. Maria ist die einzige, die Mutter und Jungfrau zugleich ist, und dieses Wunder über alle Wunder sollte ein Hinweis sein auf den, der da geboren wird. „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären.“ Er ist wunderbar, weil er von der Jungfrau geboren wurde.

Er ist wunderbar, weil er von den Menschen geglaubt wird. Daß Weihnachten Wahrheit und Wirklichkeit, daß Weihnachten Geschichte und Geschehen ist, daß wir an Weihnachten glauben als an eine gottgewirkte Wirklichkeit, das ist das Wunder; daß wir nicht sagen: Sage, Erfindung, Märchen, Erzählung. Nein, daß wir sagen: Wirklichkeit, von Gott gewirkte Wirklichkeit, das ist ein Wunder, daß es noch Menschen gibt, die sich nicht von ungläubigen Theologen verführen lassen und sagen: Das ist ein Geschehen wie jedes andere auch. Nein, es ist ein Geschehen wie kein anderes! Es ist ein Geschehen über allen Geschehnissen dieser Erde, daß einmal sich der Himmel geöffnet hat und Gott hervortrat aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit des menschlichen Leibes. Das ist Weihnachten! Er ist wunderbar.

Er ist zweitens liebenswürdig. Liebenswürdig ist er, weil er sich selbst geschenkt hat. „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Das ist ein so ungeheurer Schenkungsakt, daß wir auf die Knie fallen, wenn wir es aussprechen. „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Er hat sich selbst geschenkt, nicht etwas von ihm, sondern sich selbst. Er hat die menschliche Natur angenommen, um das menschliche Elend aufzuarbeiten. Er mußte in derselben Natur dem entgegentreten, der die menschliche Natur im ersten Menschen besiegt hat. Er hat sich selbst geschenkt. Er ist auch – und das ist ein Erweis seiner Güte – Wohltaten spendend durch die Lande gezogen. Deswegen haben wir in der Epistel gehört: „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes.“ Er hat die Wahrheit verkündet, er hat das Evangelium gepredigt, er hat die Kranken geheilt, er hat die Aussätzigen gereinigt, er hat die Toten zum Leben erweckt. Wohltaten spendend ging er durch die Lande, und das ist ein Erweis seiner Liebe. Er ist liebenswürdig, weil er seine Liebe nicht mit Worten, sondern in der Tat und Wahrheit erweist. Er ist liebenswürdig, weil er uns seine Wahrheit, seine Gnade und seine Herrlichkeit schenkt. In dem Evangelium, das heute im Mittelpunkt dieser heiligen Messe steht, wird es gesagt: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“ Andere mögen Splitter der Wahrheit uns bringen, er bringt die Fülle. Andere mögen von der Gnade sprechen, er schenkt sie. Andere mögen auf die Herrlichkeit verweisen, er ist sie. „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit“, die Wahrheit in Fülle und die Gnade im Übermaß. Er ist liebenswürdig.

Er ist auch unaussprechlich, denn er ist von Ewigkeit.  „Am Anfang war das Wort!“ Das ist der Anfang vor jedem Anfang. Das ist ein Anfang vor jedem irdischen Anfang. Im Anfang, das heißt von Ewigkeit her, war das Wort. Er ist von Ewigkeit her, weil er gleichen Wesens mit dem Vater ist. Die Gleichheit mit dem Vater, auch sie macht ihn unaussprechlich. „Und das Wort war bei Gott.“ Das heißt eben, er ist gleicher Gott wie der Vater. „Und das Wort war Gott.“ Er ist unaussprechlich, weil er Gott ist. Seine Gottheit ist ihm eingeboren. Das ist es eben, daß wir heute nicht einen Propheten feiern, daß wir heute nicht einen Revolutionär bekennen, sondern daß wir unseren Herrn und Heiland als Gott bekennen. Er ist der menschgewordene Gott und Heiland, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist unerträglich, meine lieben Freunde, wenn vor Weihnachten das Buch eines amerikanischen Juden erscheint, Norman Mailer, der das fünfte Evangelium zu verkünden vorgibt, indem er Jesus als einen neurotischen Jüngling schildert. Er, der selber sechsmal geschieden ist, stellt Jesus als einen von Sex und Leidenschaft zerrütteten Mann dar. Das ist unerträglich! So kann man nicht von unserem Herrn und Heiland sprechen! Sondern: „Gott von Gott, wahrer Gott vom wahren Gott, Licht vom Lichte, gezeugt, nicht geschaffen.“ Er ist unaussprechlich, weil er gleichen Wesens mit dem Vater ist und weil ihm die Gottheit eigen ist.

Er ist auch verehrungswürdig, erstens weil er alles geschaffen hat. „Durch ihn ist alles geschaffen.“ Der Evangelist nimmt nichts aus. Es gibt nichts Geschaffenes, was nicht durch ihn geschaffen wäre. Er ist der Schöpfer von allem. Er ist verehrungswürdig, weil er alles erhält; er trägt alles durch das Wort seines Mundes, wie es in der Epistel aus dem Hebräerbrief heißt: „Er trägt das Weltall durch das Wort seiner Allmacht.“ Er ist nicht nur der Schöpfer, er ist auch der Erhalter der Welt. Die Welt würde ins Nichts zurücksinken, wenn er sie fallen ließe. Und er ist verehrungswürdig, weil er alles wieder herstellt als derjenige, der uns von unseren Sünden reinigt, wie es wiederum im Hebräerbrief heißt: „Er hat sich zur Rechten Gottes gesetzt, nachdem er uns von unseren Sünden gereinigt hat.“ Er ist der Schöpfer, er ist der Erhalter, er ist der Wiederhersteller, und deswegen ist er verehrungswürdig.

Er ist auch begehrenswert, weil er so schön ist. Das Schöne zieht uns an. Das Zusammenpassen der Teile, wie wir es im menschlichen und irdischen Bereich sagen, wegen der consonantia, des Zusammentreffens des einzelnen mit seinem Gesamtbilde, das ist Schönheit. Er ist die Schönheit selbst, weil er die Schönheit Gottes an sich trägt. Gott ist die Urschönheit, Gott ist die Wurzelschönheit, Gott ist der Urheber jeder Schönheit. Und diese Schönheit trägt unser Herr und Heiland an sich. Die Aussagen, die der Hebräerbrief trifft, lauten: „Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens.“ Das heißt: Was Gott an Schönheit eigen ist, das ist auch ihm zugekommen. Er ist ein Abbild seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens. Kein zweiter Gott, wie Arius wollte, kein deuteros theos, kein untergeordneter Gott, nein, ein Gott wie der Vater, von derselben Schönheit und Herrlichkeit, vom selben Glanz wie der Vater. Deswegen ist er begehrenswert.

Er ist aber auch furchtbar. Furchtbar ist er, weil er das Licht ist. Im Lichte sieht man jeden Schatten; im Lichte erkennt man die eigene Schuld. Er ist das Licht, und deswegen ist er furchtbar, und deswegen kommen die Menschen nicht zu ihm, weil ihre Taten böse sind, denn sie wollen nicht aufgedeckt sein vom Lichte. Er ist furchtbar, weil er mächtig ist. Er hat sich ja zur Rechten der Macht Gottes gesetzt, und das ist der Ehrenplatz, das ist der Thron der Herrlichkeit, das ist der Posten der Allmacht. Er ist mächtig, ja er ist allmächtig, und deswegen ist er furchtbar. Denn der Herr mit seiner Allmacht zerschmettert, wer immer ihm entgegentritt. Wenn er wartet, dann nicht deswegen, weil er seine Allmacht aufgegeben hätte. Wenn er wartet, dann darum, weil er den Menschen zur Besserung treibt, weil er abwarten will, ob sich nicht vielleicht doch noch einer bekehrt, wenigstens an Weihnachten. Ob nicht vielleicht doch einer umkehrt von seinem bösen Wege und sich wendet zum Vater der Lichter. Er ist furchtbar wegen seiner Gerechtigkeit. „Du liebtest die Gerechtigkeit und haßtest das Unrecht.“ Er ist ein Gott, der nicht nach dem Augenschein richtet und nicht nach dem Hörensagen. Was tun die Menschen? Sie richten nach dem Augenschein und nach dem Hörensagen. Er richtet nach dem Herzen und nach den Taten. Er schaut ins Herz und erwägt die Taten. Deswegen ist er furchtbar, denn wir wissen, daß wir Ungerechten von der Gerechtigkeit einiges zu befürchten haben. Er ist furchtbar wegen seines Lichtglanzes, wegen seiner Allmacht und wegen seiner Gerechtigkeit. Das sind seine Eigenschaften.

Nun ist uns dieser Herr geboren, und seine Geburt ist eine dreifache. Zunächst einmal seine Geburt von Ewigkeit im Schoß des Vaters. Wie das Hervorgehen des Sohnes aus dem Vater beschaffen ist, das ist ein unergründliches Geheimnis. So viel sich auch das Nachdenken der Kirche damit beschäftigt hat, so richtig auch die Aussagen der Konzilien sind, adäquat vermögen wir diesen Hervorgang niemals zu erfassen Um jeden Schein einer Schaffung, einer Schöpfung zu vermeiden, hat die Kirche das Wort Zeugung gewählt. Sie will damit andeuten, daß das ein Hervorgang eines Gleichen ist. „Gezeugt, nicht geschaffen.“ In jedem Falle aber ein ewiger Hervorgang aus dem Wesen des Vaters.

In der Zeit die Geburt aus der Jungfrau. Wir können den Tag benennen, wir vermögen den Ort anzugeben, wo dieses Geschehen Platz gegriffen hat. „Geboren in der Fülle der Zeit aus Maria der Jungfrau zu Bethlehem im Lande der Juden.“ Wir werden morgen und übermorgen auf die geschichtlichen Ereignisse dieser Geburt näher eingehen. Heute nur: Er ist tatsächlich in geschichtlicher Stunde in Bethlehem geboren. Mag die Zeitrechnung durcheinandergekommen sein, nicht durch die Schuld Gottes, sondern durch die Schuld der Menschen, sicher ist, daß vor 2000 Jahren in Bethlehem der Schöpfer der Welt aus dem Schoße der Jungfrau Maria hervorgegangen ist.

Und schließlich die dritte Geburt: im Herzen der Menschen! Im Epheserbrief weist der Apostel Paulus darauf hin, daß Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnen möge. Also wenn wir glauben, dann wird Christus geboren – in einem übertragenen Sinne selbstverständlich. Er wird geboren in unserem Herzen. Der Glaube vermag eine Geburt Christi in unserem Herzen zu bewirken. Und deswegen sagt ja unser schlesischer Dichter Angelus Silesius so schön: „Wär’ Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in dir, du bliebst doch ewiglich verloren!“ Es ist eigentlich schön, was um Weihnachten rankt. Wir haben nichts dagegen, gegen Lichter und Geschenke und Freundlichkeiten, die ausgetauscht werden, aber wenn dahinter nicht der Glaube an die Geburt steht, dann ist das alles nur Schein, ein ferner, ferner, allzu ferner Abglanz des Lichtes, das in Bethlehem aufgestrahlt ist. Geboren muß er werden in unseren Herzen, in einem festen, unerschütterlichen, alle Zweifel überwindenden Glauben.

Das alles ist ja geschehen für uns. Über dem Erscheinen, dem Wirken und dem Sterben Jesu von Nazareth steht das Wort „Pro nobis, pro nobis, pro nobis!“ Für uns ist er ein Mensch geworden, für uns hat er gewirkt, für uns hat er gelitten, für uns ist er gestorben. Es ist alles nicht um seinetwillen geschehen, es ist alles nur um unseretwillen geschehen. Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er ein Mensch geworden. Er ist es geworden, um uns alles Gute zu schenken und uns von allem Übel zu befreien. Er schenkt uns die Wahrheit und die Gnade in dieser Zeit und die Herrlichkeit in der jenseitigen Welt. Die Wahrheit und die Gnade ist das größte, was auf dieser Erde den Menschen zuteil werden kann. Nicht wenige meinen, die irdische Liebe könne die Gnade Gottes ersetzen. Aber das ist falsch. Wir leben von der Wahrheit und von der Gnade, und wenn unser Leben einen heilvollen Verlauf nehmen soll, dann nur, wenn wir in der Gnade leben und wenn wir der Wahrheit dienen. Und wir hoffen, wir hoffen zuversichtlich auf die Herrlichkeit des Himmels. Es ist das kein Trug, meine lieben Freunde, keine Illusion. Wir haben einen, der vorangegangen ist, wir haben einen Quartiermacher, wir haben einen, der die Wohnungen bereitet für uns, wenn die irdische Weltzeit abgelaufen ist. Wir können uns darauf verlassen. Es ist das kein Trug, es ist das keine Vertröstung, es ist auch kein Opium des Volkes. Nein, es ist das eine reale Verheißung, die sich auf Gründe stützt, die keine irdische Macht erschüttern kann. Und er hat uns von allem Übel befreit. Es gibt viele Übel, die über uns kommen, Verlust der Habe, der Heimat, Verlust der Gesundheit und des Lebens. Aber der größte Verlust, der Menschen treffen kann, ist der Verlust seines Heilandes. Wenn er in das Dunkel der Sünde fällt, wenn er in Nacht und Todesschatten sitzt, weil er die Gnade verloren hat, das ist der größte Verlust. Der Dichter sagt es, wenn er hervorhebt: „Der Übel größtes ist die Schuld.“ Und das ist es, was unser Herr und Heiland wegnimmt. Er nimmt von uns die Schuld, er nimmt von uns den Irrtum, er nimmt von uns die Hoffnungslosigkeit, er nimmt von uns die Verzweiflung. Seitdem er gekommen ist, braucht niemand mehr auf dieser Erde jede Hoffnung fahren zu lassen, braucht niemand mehr zu verzweifeln. Er hat uns alles Gute geschenkt und alles Übel von uns genommen.

Das also, meine lieben Freunde, ist das Geheimnis der Christgeburt. Von Ewigkeit geboren, in der Zeit erschienen, für uns und um unseres Heiles willen. Möge uns unser Herr seiner Gnadengaben teilhaftig machen in dieser wunderbaren Zeit.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt