Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Dezember 1997

Die Jungfrauengeburt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn auf dem Dach eines Hauses ein Ziegel herabfällt, bemüht sich der Hausherr, den Schaden so bald wie möglich zu ersetzen. Denn es ist dadurch ein Loch entstanden; und wenn der Wind kommt und der Sturm weht, kann das ganze Dach durch diese Lücke abgedeckt werden. Die Ärzte und die Krankenkassen empfehlen die Vorsorgeuntersuchung. Man soll sich zum Arzt begeben, bevor man krank ist, um eventuelle verborgene Krankheitsherde entdecken zu lassen. Am Anfang kann man oft noch Heilung bringen. Wenn das Leiden fortgeschritten ist, ist keine Heilung mehr möglich. Wie im materiellen und im körperlichen Bereich ist es ähnlich auch im geistigen. Sie können eine lange Rechnung durchführen und alle Rechenoperationen mit einer Ausnahme richtig vorgenommen haben: Die eine falsche Rechnung macht die ganze Rechnung falsch. Es ist aber auch so im religiösen Bereich. Hier gibt es Menschen, die sagen: Es kommt nicht darauf an, ob man dieses oder jenes glaubt, Hauptsache, daß man im allgemeinen religiös ist, daß man an Gott glaubt und im übrigen ein anständiger Mensch ist.

Nein, meine lieben Freunde, im religiösen Bereich hängt eine Wahrheit an der anderen. Wer die eine preisgibt, der gefährdet die anderen. Diese Regel hat sich deutlich gezeigt, als sich vor einiger Zeit in einer Tageszeitung eine Diskussion erhob über die Jungfrauengeburt. Da trat ein Monsignore auf, der behauptete, der körperliche Aspekt der Jungfrauengeburt sei unbeachtlich, es komme nur auf die geistige Seite an; er berief sich dabei auf den sogenannten Erwachsenenkatechismus, den die deutschen Bischöfe herausgegeben haben. In diesem Erwachsenenkatechismus steht tatsächlich der Satz: „Nicht der physiologische Vorgang der Geburt war anders, vielmehr war dieses Geschehen vom personalen Mitvollzug her ein Zeichen des Heiles und des Geheiltseins des Menschen.“ Nicht der physiologische Vorgang war anders! Dagegen erhob das Glaubensbewußtsein wacher katholischer Christen Einspruch. Sie waren und sind überzeugt, daß auch der physiologische Vorgang bei der Geburt Jesu anders war. Zum physiologischen Vorgang gehören die Unversehrtheit bei der Geburt und die Schmerzlosigkeit, und gerade diese Komponente der Jungfrauengeburt wird von der Kirche seit altersher ausgesagt. Der Weltkatechismus, den der Heilige Vater erlassen hat, spricht anders und deutlicher. Er sagt nämlich: „Schon in den ersten Formulierungen des Glaubens hat die Kirche bekannt, daß Jesus einzig durch die Kraft des Heiligen Geistes im Schoß der Jungfrau Maria empfangen wurde. Auch der leibliche Aspekt dieses Geschehens wurde ausgesagt. Sie hat Jesus ohne Samen aus Heiligem Geist empfangen.“ Auch der leibliche Aspekt dieses Geschehens wird mit ausgesagt! In der Tat ist die Beschränkung der Jungfrauengeburt auf den geistigen Mitvollzug eine Einschränkung der katholischen Wahrheit. Den geistigen Mitvollzug hat Maria selbstverständlich geleistet, aber er ist kein Zeichen, denn er ist ja innerlich, verborgen in der Seele. Ein Zeichen muß etwas sein, was im äußeren Bereich etwas anzeigt. Und ein Zeichen kann die Jungfrauengeburt nur sein, wenn eben auch die leibliche Komponente eindeutig der Jungfrauengeburt zuzuordnen ist. Die Kirche sagt die Jungfräulichkeit Mariens vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt aus. Vor der Geburt: Nun, daß sie durch Überschattung des Heiligen Geistes das Kind empfangen hat. In der Geburt: Daß die Geburt anders als bei anderen Frauen geschah. Sie hatte nicht die Beschwerden, die normalerweise mit der Geburt verbunden sind, und der neugeborene Knabe ging aus ihrem Schoße hervor wie ein Lichtstrahl durch ein Kristall. So wie Jesus durch die verschlossenen Türen ging, so ähnlich-unähnlich vollzog sich die leibliche Geburt unseres Heilandes. Nach der Geburt: Maria hat kein Kind mehr geboren. Sie war völlig von der Aufgabe, dieses eine, dieses Gotteskind zu hegen und zu pflegen, in Anspruch genommen, daß sie gewissermaßen keine Kraft und keine Zeit mehr hatte für andere Kinder.

Der Unglaube weist darauf hin, daß im Evangelium mehrfach die Rede ist von Brüdern Jesu. Joseph und Jakobus heißen seine Brüder. Die katholische Kirche hat unbeirrt von Anfang an daran festgehalten, daß es keine leiblichen Brüder Jesu aus der Gottesmutter Maria waren, sondern Verwandte, Vettern. Und diese Ansicht ruht nicht in der Luft. Sie ist durch das Evangelium gedeckt; denn im Evangelium nach Matthäus heißt es, daß Joseph und Jakobus die Söhne einer anderen Maria waren, also nicht der Gottesmutter Maria, sondern einer Verwandten Mariens, vielleicht einer Schwester. Es war damals nicht unüblich, daß zwei Schwestern denselben Namen trugen.

Die Jungfräulichkeit Mariens war und ist ein Zeichen, nämlich erstens für die Gottessohnschaft Jesu. Daß Maria durch Überschattung des Heiligen Geistes ihren Sohn empfing, ist ein Zeichen dafür, daß ihr Kind von einer einzigartigen Dignität ist. Ihr Kind sollte nicht, wie andere Kinder dieser Welt, dem Wollen des Mannes zu verdanken sein, sondern ihr Kind sollte einzig und allein Gott zum Vater haben. Jesus hat keinen anderen Vater als Gott. Sowohl seiner göttlichen Natur nach als seiner menschlichen Natur nach ist Gott sein Vater.

Zweitens: Jesus setzt den neuen Anfang. Er ist der neue Adam. Der alte Adam war von der Erde, der neue Adam ist vom Himmel. Er verdankt sich einzig und allein der Allmacht Gottes; und dieser neue Adam leitet die neue Schöpfung ein, die neue Schöpfung, die nicht aus dem Wollen des Mannes, nicht aus dem Geblüte geboren ist, sondern aus Heiligem Geiste durch das Wasser der Taufe und den Glauben. Weil er der neue Adam sein sollte, mußte er den Anfang machen mit der Begabung des Heiligen Geistes, den er nicht geteilt hat, sondern in Fülle hat, in solcher Fülle, daß aus seiner Fülle wir alle empfangen konnten und können.

Drittens: Die Jungfräulichkeit Mariens ist auch ein Ausdruck ihrer völligen Gottgehörigkeit. „Selig du, die du geglaubt hast!“ Ja, warum mußte sie denn glauben? Weil eben das, was aus ihr geboren werden sollte, auf ganz andere Weise zustande kam. Sie mußte dem Wort Gottes trauen, das ihr eine unerhörte Nachricht brachte. Und so ist diese Jungfräulichkeit Mariens ein Zeichen ihrer bedingungslosen Hingabe an Gott, ihres wahrhaftigen und gänzlichen Übergebenseins an Gott im Glauben.

Es ist keine Kleinigkeit, an der Jungfräulichkeit Mariens festzuhalten. Es ist keine Nebensächlichkeit, mit der Kirche zu glauben: Maria war Jungfrau vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt. Durch dieses Geheimnis, durch dieses Wunder, das Gott an Maria gewirkt hat, gibt er einen Hinweis auf die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Weil Maria in einer unvergleichlichen Weise Gott gehörte und weil sie auf eine einzigartige Weise den Messias empfangen sollte, deswegen wurde ihr Kind auch auf eine völlig neue Weise geboren. „Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären. Sein Name wird sein Emanuel, denn er wird sein Volk erlösen von den Sünden.“

Amen.

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