26. Dezember 1994
Geboren aus Maria, der Jungfrau
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Der Inhalt des Weihnachtsgeheimnisses läßt sich in die Worte des Glaubensbekenntnisses zusammenfassen: „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn, der empfangen ist vom Heiligen Geiste, geboren aus Maria, der Jungfrau.“
Gegen diesen Glaubenssatz stürmt der Unglaube, auch der Unglaube sogenannter katholischer Theologen, seit Jahrzehnten an. Der Glaube hat seine Gesetze, die Glaubensgessetze, die man auch Dogmen nennt. Aber auch der Unglaube hat seine Sätze, Gesetze und Dogmen; und eines der obersten Dogmen des Unglaubens lautet: „Nur was jeden Tag passiert und immer geschehen kann, das kann sich auch bei Jesus zugetragen haben.“ Mit diesem Satz wird alles, was nicht täglich geschehen kann und was nicht überall passiert ist, aus dem Leben Jesu entfernt. Harmlose Berichte von Jesus, wie meinetwegen, daß der Zöllner Zachäus auf den Feigenbaum geklettert ist, um Jesus zu sehen, werden als echt angesehen. Aber was das Menschliche überschreitet, was exzeptionell und singulär ist, das wird als Legende, als Erfindung der wuchernden Phantasie der Urgemeinde oder der Evangelisten ausgegeben. Und davon ist natürlich an erster Stelle betroffen die jungfräuliche Geburt unseres Heilandes.
Ein Mensch kann nur entstehen, so sagen die heutigen Schriftgelehrten, indem sich ein männliches Prinzip und ein weibliches vereinigen. Ohne eine männliche Samenzelle und eine weibliche Eizelle entsteht kein Mensch. Daß das aber einmal geschehen ist ohne ein solches natürliche Geschehen, daß es einen Fall gibt, wo eine Jungfrau empfangen hat, das räumen sie nicht ein.
Wir wollen am heutigen 2. Feiertag von Weihnachten uns die Gründe für die jungfräuliche Geburt unseres Herrn und Heilandes vor Augen führen.
Erstens: Jeder Mensch entsteht erst, indem sich ein männliches und ein weibliches Prinzip vereinigen. Das ist uns bekannt, deswegen heiraten ja die Menschen, um das Menschengeschlecht fortzupflanzen. Jeder Mensch tritt erst dadurch ins Dasein, daß sich eine weibliche Eizelle und eine männliche Samenzelle vereinigen. Aber bei Jesus ist die Existenz schon vorher gegeben. Er existiert ja seit Ewigkeit beim Vater. Die Ausgangslage ist somit eine ganz andere bei ihm als bei allen anderen Menschen. „Er kommt in diese Welt“, heißt es im 1. Timotheusbrief. Ja, woher kommt er denn? Nun, von der Herrlichkeit des Vaters kommt er. Oder wie heißt es im Epheserbrief: „Das Wort 'Er ist hinaufgestiegen', was besagt das anderes, als daß er vorher herabgestiegen ist auf diese Erde hier unten.“ Die Ausgangslage ist bei jedem Menschen total verschieden von der unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Er kommt aus einer Präexistenz in die irdische Welt hinein.
Der zweite Grund ist die Berichterstattung. Die beiden Evangelisten Matthäus und Lukas berichten übereinstimmend, daß Jesus ohne ein männliches Prinzip auf diese Welt gekommen ist. Sie rufen dafür die Kraft des Heiligen Geistes an. Diese beiden Berichte sind voneinander unabhängig. Das sieht man schon daran, daß im Lukas-Evangelium manches steht, was im Matthäus-Evangelium nicht berichtet wird. Die Hirten treten nur bei Lukas auf, und die Magier finden sich nur bei Matthäus ein. Diese beiden Überlieferungen sind voneinander unabhängig, stimmen aber im Wesentlichen überein, nämlich daß Jesus aus der Kraft des Heiligen Geistes geboren wurde. Außerdem gibt Lukas seine Quelle an, woher er das weiß. Zweimal berichtet er, daß Maria all diese Dinge bewahrte; offensichtlich geht seine Berichterstattung auf Maria zurück, also auf die beste und erste Quelle, die man sich überhaupt denken kann.
Drittens: Es gibt auch ein vielfach übersehenes Zeugnis aus dem Markus-Evangelium. Nur die beiden Evangelisten Matthäus und Lukas haben ja eine Kindheitsgeschichte, die anderen beiden, Markus und Johannes, haben keine Kindheitsgeschichte. Aber es läßt sich mit einigem guten Willen zeigen, daß auch sie von der jungfräulichen Geburt Jesu eine Ahnung hatten. Als Jesus in seine Vaterstadt Kapharnaum kam, begann er in der Synagoge zu lehren. Die vielen Zuhörer verwunderten sich und fragten: „Woher hat er denn dies? Was ist das für eine Weisheit, die ihm verliehen ist? Und solche Wunder geschehen durch seine Hände. Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn Marias?“ Der Sohn Marias. In der damaligen Zeit hatten die Menschen nur einen Namen, nämlich den Rufnamen, keinen Familiennamen. Für den Familiennamen stand bei ehelichen Kindern der Name des Vaters, bei nichtehelichen der Name der Mutter. Es muß also auch in der Heimat des Herrn etwas davon bekannt gewesen sein, daß das keine Familie wie die anderen war. Deswegen sagen sie: „Ist das nicht der Sohn Marias?“ Es heißt eben gerade nicht: „Ist das nicht der Sohn Josefs?“
Viertens: Auch im Johannes-Evangelium gibt es eine Andeutung, daß die Jungfrauengeburt vom Evangelisten als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Am Ende der heiligen Messe lesen wir immer den Prolog, den Anfang des Johannes-Evangeliums. Da heißt es: „Er gab Macht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Geblüte noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“ Da werden also die Sätze – die nicht aus dem Geblüte noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind – den Gläubigen zugeschrieben. Aber es gibt Handschriften, – und unsere heutigen Evangelien-Ausgaben beruhen ja auf Handschriften – die anders lesen. Da heißt es nämlich: „Er gab Macht, Kinder Gottes zu werden ihnen, die an seinen Namen glauben.“ Damit sind die Gläubigen gemeint. Was jetzt folgt, das geht auf Jesus: „Er – er! –, der nicht aus dem Geblüte noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren ist.“ In diesen Handschriften, und es sind alte Handschriften, wird also durchaus auf die jungfräuliche Geburt angespielt und die Ansicht abgewiesen, daß Jesus wie ein anderer Mensch entstanden sein könnte. Man sollte das Zeugnis dieser Handschriften zumindest ernstnehmen, und möglicherweise ist diese Lesart die richtige.
Schließlich ein fünftes Argument. Die Mythen, also diese phantastischen Aufstellungen der Heiden über Götter, berichten davon, daß Götter sich mit Menschenfrauen verbinden. Die Götter nehmen dabei die Gestalt eines Stieres, eines Schwanes oder goldenen Staubes an. Nach dem ägyptischen Mythos vereinigt sich der Gott Ammon in der Gestalt des Königs mit der jungfräulichen Königin. Allen diesen Mythen ist gemeinsam, daß sie die Zeugung als ein materielles, körperliches Geschehen ansehen. Weit davon entfernt der Bericht der Evangelien. Ebene gerade nicht ein körperliches, eben gerade nicht ein materielles Geschehen, sondern die Kraft Gottes, die Kraft des Heiligen Geistes, sie ist es, welche die Empfängnis bewirkt. Es ist so wie bei der Schöpfung, wo es heißt: „Gott sprach, und es ward.“ Ein einziger Willensakt Gottes, und es geschieht, was er befiehlt. Das unterscheidet den Bericht über die jungfräuliche Empfängnis Mariens total von den phantastischen Aufstellungen der Mythen.
Wir haben, meine lieben Freunde, keinen Grund, an der wirklichen jungfäulichen Empfängnis und Geburt Jesu zu zweifeln. Wir können mit voller Überzeugung, ohne den Schatten eines Zweifels, an dem festhalten, was das Glaubensbekenntnis uns sagt: „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn, der empfangen ist durch den Heiligen Geist, geboren aus Maria, der Jungfrau.“
Amen.