Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
31. Dezember 1989

Geschichtlichkeit der Geburt Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Unglaube zieht es vor, sich in das Gewand der Wissenschaft zu hüllen. Wenn man sich auf die Wissenschaft beruft, dann ist man, zumal in Deutschland, gewiß, Gehör zu finden. Nun ist zwar im Namen der Wissenschaft schon der größte Unsinn behauptet worden. Aber diese Flitterkleidung tut immer noch ihre Wirkung, auch im religiösen Bereich. Gegen das ungeheure, fassungslose Wunder der Geburt Gottes aus einer Jungfrau hat der Unglaube seit Anbeginn seine Angriffe gerichtet und sich dabei auch, vor allem in der Neuzeit, der sogenannten Wissenschaft bedient. Ich will Ihnen an einigen Beispielen vorführen, wie diese Attacken aussehen und was der Glaube und die gläubige Wissenschaft ihnen entgegenzusetzen hat.

Das erste Ziel dieser Angriffe war die jungfräuliche Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria. Die Juden haben frühzeitig die jungfräuliche Geburt Jesu verdächtigt. In dem Traktat „Sanhedrin“ der Mischna, der Aufzeichnung des bis dahin mündlich überlieferten Religionsgesetzes, die um 200 n. Chr. abgeschlossen wurde, wird behauptet, Jesus sei unehelich gezeugt, und zwar von einem römischen Soldaten namens Pandara oder Pandera. Diese Verleumdung wurde dann im ganzen Mittelalter weitergegeben durch das jüdische Volksbuch „Toledoth Jeschu“. Wir wissen, daß den Juden oft Unrecht geschehen ist, daß sie verfolgt worden sind. Aber das Christentum, zumal das lebendige Christentum, hat auch immer Anstoß genommen an den Lügen und Verleumdungen, die jüdische Schriften gegen Christus ausgestreut haben. Und in diesen jüdischen Schriften steht auch drin, Jesus habe in Ägypten die Zauberei gelernt, und zwar von solcher Qualität, daß er nach seinem Tode als Gespenst seinen Jüngern wieder erscheinen konnte. Wenn also Christen im Mittelalter sich auf die Juden gestürzt haben, so ist doch zu bemerken, daß die Juden nicht ganz unschuldig an diesen Verfolgungen waren, denn diese unerhörten Verleumdungen Jesu taten natürlich den Christen weh.

Auch ein Heide hat sich diese Verleumdungen zu eigen gemacht. Es ist der Heide Celsus. Er lebte im 2. Jahrhundert n. Chr. und hat ein uns in Bruchstücken erhaltenes Werk gegen das Christentum geschrieben. Er überbot in gewisser Weise noch die Verleumdungen der Juden, indem er sagte, er sei nicht nur unehelich gezeugt, sondern er sei ehebrecherisch gezeugt.

Diese Erfindungen von Juden und Heiden treten relativ spät auf. Wir können sie erst greifen etwa um 100 oder nach 100 nach Christus. Das heißt, sie sind spät entstanden. Sie sind entstanden, als die christlichen Schriften schon längst vorlagen. Sie stammen also nicht mehr aus der Zeit, da Jesus in Palästina wirkte oder kurz danach, denn wenn damals diese unerhörten Behauptungen schon aufgetreten wären, hätten sich die Evangelienschriften damit auseinandersetzen müssen. Sie hätten es müssen; denn diese ungeheuren Verleumdungen konnte man nicht auf Jesus sitzen lassen. Aber sie haben sich nicht damit auseinandergesetzt, weil sie zu der Zeit, als die Evangelien entstanden, noch nicht aufgetreten waren. Es sind also späte Produkte jüdischer und heidnischer Polemik, die mit der Geschichte nichts zu tun haben. Es sind Phantasien, die nicht auf geschichtlichem Grunde beruhen.

Selbstverständlich hat man auch gegen die Jungfrauengeburt als solche agitiert, vor allem mit religionsgeschichtlichen Argumenten. Man sagte: In der damaligen Zeit, als Jesus geboren wurde, war das Motiv, das literarische Motiv der Jungfrauengeburt weit verbreitet. Man kann vor allem aus dem lateinischen Sprachkreis die vierte Ekloge Vergils anführen. Vergil war ein römischer Dichter, der von einem Wunderkind spricht, das von einer Jungfrau geboren wird. „Da sieht man's ja,“ so sagen die Religionsgeschichtler, „da kommt die biblische Erzählung von der Jungfrauengeburt her. Das ist übernommen aus den zeitgenössischen Erwartungen, die zur Zeit Jesu im Schwange waren.“ Diese Erwartungen gab es tatsächlich. Aber was bedeutet das? Vergleichbarkeit ist nicht gleichzusetzen mit Ursächlichkeit. Ähnlichkeit ist nicht dasselbe wie Abstammung. Man kann nicht hergehen und sagen: Dieses Motiv ist auch anderswo zu beobachten, also ist es auf Jesus übertragen worden. Das müßte man beweisen! Doch das kann man nicht. Das ist eine freche Behauptung, für die die Beweise fehlen.

Vor allem, meine lieben Freunde, handelt es sich bei den Äußerungen nichtchristlicher Schriftsteller oder Religionen bezüglich der Jungfrauengeburt um mythische, also erfundene, traumhafte Erzählungen. Niemand kann tatsächlich sagen: Da und dort ist wirklich einmal ein Jungfrauensohn geboren worden. Es handelt sich um mythische Erzeugnisse, die weit entfernt sind von dem geschichtlichen Bericht, daß eben der Jesus von Nazareth der Sohn einer Jungfrau sei. Die Anhänger der Mythen wußten selbst darum, daß deren Inhalt sich nicht geschichtlich verifizieren läßt.

Außerdem gibt es einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen diesen Geschichten, Erzählungen, Phantasien und dem Bericht des Evangeliums. Denn bei all diesen Erörterungen der Jungfrauengeburt wird ein männliches Prinzip vorausgesetzt. Jawohl, man redet von Jungfrauengeburt, aber ihr ging vorher die Zeugung eines Mannes oder eines Gottes voraus. Das ist gerade der Unterschied zwischen der Jungfrauengeburt, wie die Mythen sie verkünden, und der Jungfrauengeburt Jesu. Da fehlt das männliche Prinzip. Die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria ist eben nicht eine ideologische Aussage, wie Frau Ranke-Heinemann behauptet, sondern eine biologische Aussage. Das, was sonst das männliche Prinzip beim Entstehen eines Kindes tut, ist in diesem einen Falle in wunderbarer Weise von Gott gewirkt worden, und zwar nicht auf geschlechtliche Art, sondern in einer unbegreiflichen, wunderhaften Weise. „Überschattung des Heiligen Geistes“, so nennt es die Heilige Schrift.

Dies ist tatsächlich der entscheidende Einwand gegen die Behauptung einer Abstammung der biblischen Meldung, daß Christus aus der Jungfrau Maria geboren ist, gegenüber den Phantasien der Mythen. Dort ist die Jungfrauengeburt die Folge eines männlichen Prinzips, das sich mit der Jungfrau vereinigt hat.

Man hat auch eine weitere religionsgeschichtliche Parallele herangezogen und gesagt: Die Geburt Jesu in Bethlehem geht zurück auf die Geburt des Mithras, des persischen Gottes Mithras. O, das ist eine interessante Geschichte, meine lieben Freunde, die Religion des Mithras. Sie spielt auch in unserer Gegend eine Rolle; denn die römischen Soldaten haben die Mithrasreligion hierher verpflanzt. In Heddernheim bei Frankfurt, in Neuenheim bei Heidelberg, in Dieburg gibt es heute noch Ruinen von Mithras-Kultstätten. Der Mithraskult war nämlich die Soldatenreligion. Vor allem Soldaten haben ihr angehangen. Und diese Religion hat dem Christentum größte Schwierigkeiten bereitet, hat sich jahrhundertelang gegen das Christentum zu behaupten verstanden, auch wegen gewisser äußerlicher Ähnlichkeiten. Und worin bestehen diese Ähnlichkeiten? Zum Beispiel darin, daß Mithras, der Gott, nach dem Mythos aus einer Felsengrotte geboren wird, daß Hirten – Hirten! – ihn anbeten, und daß er sich mit dem Sonnengott verbündet und die Erde schafft. Dieser Mythos, so behauptet man, sei auf Jesus übertragen worden. Grottengeburt des Mithras, Grottengeburt des Jesus.

Daß Jesus in Bethlehem geboren wurde, ist eine uralte, von Anfang an im Christentum weitergegebene Überzeugung. Er heißt zwar der „Nazarener“, weil er aus Nazareth kam, als er öffentlich aufzutreten begann. Er hat in Nazareth seine Jugend und Kindheit verbracht, ja auch sein frühes Mannesalter. Und als er dann auftrat, hat man ihn nach dem Ort, in dem er aufgewachsen war, genannt der „Nazarener“ – Nazoraios. Aber das hindert nicht, daß Jesus nicht bloß theologisch, wie Herr Vögtle in Freiburg sagt, sondern daß er auch biologisch in Bethlehem geboren wurde.

Die neutestamentlichen Schriften, vor allem die Evangelien von Lukas und Matthäus in diesem Falle, werden häufig viel zu spät angesetzt, nach 80 n. Chr. Die Evangelien waren viel früher da. Dafür gibt es gewisse Hinweise. Ich erwähne zwei, einmal: Der Evangelist Lukas hat ja noch ein zweites Buch geschrieben, nämlich die Apostelgeschichte. Und die Apostelgeschichte bricht dort ab, wo Paulus in Rom gefangengehalten wurde. Das ist etwa anzusetzen im Jahre 60-61. Und darin, in der Apostelgeschichte, ist vom Evangelium schon die Rede. Das Evangelium hat damals schon vorgelegen, muß also doch erheblich früher abgeschlossen worden sein. Es ist dann auch zu verweisen auf die Zerstörung Jerusalems und des Jerusalemer Tempels, die im Jahre 70 geschehen ist. Die Juden hatten einen Aufstand gemacht gegen die Römer, die Römer kamen mit einem riesigen Heer, Titus an der Spitze. Jerusalem wurde erobert. Ein Soldat warf eine brennende Fackel in den Tempel, der Tempel verbrannte. Der Stolz und die Hoffnung des Judentums ging in dem Feuer zugrunde. Wenn die Eroberung Jerusalems und die Zerstörung des Tempels erfolgt wären, bevor die Evangelien fertig waren, dann hätte das in den Evangelien viel deutlicher ausgebreitet werden müssen, dann hätten die Evangelien vor allen Dingen sagen müssen: „Da sieht man, daß der Alte Bund zu Ende ist: Der Tempel, sein wichtigstes Zeichen, ist zerstört!“ Aber nein, das steht gerade nicht in den Evangelien. Es wird nur angedeutet, daß Jesus etwas Derartiges vorhergesagt habe. Aber es läßt sich nicht daraus schließen, daß die Evangelien auf die schon geschehene Zerstörung Jerusalems und des Tempels zurückschauen. Das ist also auch ein Hinweis darauf, daß die Evangelien früher fertig waren, als viele meinen. Und diese Evangelien berichten eben von der Geburt Jesu in Bethlehem. Die christliche Überlieferung nimmt an, daß die Geburt in einem Stalle geschah. Es ist ja von der Futterkrippe die Rede, und eine Futterkrippe steht normalerweise in einem Stalle für Tiere. Ich will es nicht ausschließen, daß es in Jerusalem auch Höhlen gab, in denen man die Tiere barg, Höhlen, die man in die Felsen oder in die Felswände geschlagen hatte. Warum nicht? Aber das ist doch kein Beweis dafür, daß die Mithras-Erzählungen auf Jesus übertragen wurden; denn niemand kann sagen, wann Mithras tatsächlich geboren wurde. Seine Geburt ist ein Mythos, also eine erfundene Erzählung, die etwas von der Numinosität der Welt und der Erde einfangen will. Mithras wird in diesem Sinne niemals und immer geboren. Er ist ein ungeschichtliches Wesen, während die Geburt Jesu Geschichte ist, die man lokalisieren und temporalisieren kann. Man kann sie nach Ort und Zeit festlegen. Außerdem hätte der strenge Ein-Gott-Glaube des Christentums und ebenso des Judentums es verboten, Anleihen bei Götterreligionen zu machen, und zwar bei einer persischen Götterreligion, die wahrscheinlich erst später durch Soldaten ins römische Reich eingedrungen ist.

Schwierigkeiten scheint auch zu bereiten, daß es im Neuen Testament zwei verschiedene Stammbäume des Josef gibt. Es gibt keinen Stammbaum Mariens, aber es gibt zwei Stammbäume des Josef, einen bei Matthäus, einen bei Lukas. Diese Stammbäume sind verschieden aufgebaut. Sie endigen beide bei Josef. Aber jedesmal wird ein verschiedener Name für den Vater des Josef angegeben. Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Verschiedenheit ist die, daß Josef einen natürlichen Vater hatte, der ihn gezeugt hat, und einen gesetzlichen Vater, der nach dem Tode des ersten die Mutter geheiratet hat. Mehr wissen wir nicht. Aber in jedem Falle soll durch die Rückführung des Stammbaumes Josefs nachgewiesen werden, daß er ein Davidide ist, daß er also vom König David abstammt. Diese Abstammung ist deswegen bedeutsam, weil Jesus als der Davidssohn, als der seit langem erwartete Davidssohn, als der erhoffte Messias auftrat. Und dieser Nachweis gelingt. Beide Stammbäume des Josef führen zu David zurück. Josef ist Davidide. Und weil er es ist, ist es auch Jesus. Ob Josef gesetzlicher Vater oder biologischer Vater hieß, spielt dabei keine Rolle. Auch der gesetzliche Vater vermacht dem Kinde, das er angenommen hat, seine Abstammung von dem König David.

Schließlich noch ein letztes, meine lieben Freunde, der Kindermord in Bethlehem. Auch der wird angegriffen, vor allem mit dem Argument: Der jüdische Schriftsteller Josephus Flavius, der ein Riesenwerk über den jüdischen Krieg geschrieben hat, weiß davon nichts. Über die jüdischen Altertümer hat er gleichfalls ein Buch geschrieben. Aber auch dort ist nichts von dem Kindermord erwähnt. Und an diesem Schweigen des Josephus Flavius sieht man, das ist eine Legende, welche die biblischen Schriftsteller erfunden haben, um das Motiv von der Verfolgung des Heldenkindes aufzugreifen. Ist diese Argumentation stichhaltig? In Bethlehem wurden die Knäblein bis zu 2 Jahren getötet. Bethlehem, ein Ort etwa von zweitausend Einwohnern, die nächste Umgebung einbezogen, wird damals schätzungsweise 20 bis 30, vielleicht auch 40 Kinder in diesem Alter gehabt haben. Und sie sind nach dem Evangelium des Matthäus getötet worden. Ich frage: War das ein Ereignis, meine lieben Freunde, das unbedingt von Josephus Flavius in seine Bücher aufgenommen werden mußte? Hat nicht Herodes ganz andere, viel größere und weit schlimmere Verbrechen begangen als dieses eine? Er war ja ein großartiger Verbrecher auf dem Königsthron. Seine Morde sind weit bekannt, haben sogar zu Interventionen in Rom geführt. Da sollte man dieses lokale Ereignis unbedingt haben aufnehmen müssen? Das ist unwahrscheinlich. Aus diesem argumentum e silentio, also aus dem Beweis aus dem Schweigen, kann man gegen den biblischen Bericht gewiß nicht durchschlagend argumentieren.

Wir haben in diesen Tagen gelesen, wie die Sekuritade in Rumänien in Temesvar 50 Kinder niedergemetzelt hat. Wenn in zwanzig, dreißig Jahren über die Revolution in Rumänien berichtet werden wird, bin ich überzeugt, daß in den meisten, vielleicht in allen Berichten von dieser einzelnen Tat der Sekuritade überhaupt nicht die Rede sein wird. Da gibt es wichtigere Dinge zu berichten, nämlich daß eben der Konduktor, der Führer Ceaucescu gefangengenommen und in einem Schnellverfahren hingerichtet wurde, daß bis zuletzt sich die Geheimpolizei sich gegen das Militär zur Wehr gesetzt hat, daß Tausende umgekommen sind. Was zählen angesichts dieser vielen Toten die 50 Kinder von Temesvar? Es ist also unwahrscheinlich, daß dieses Ereignis erwähnt wird. Aber geschehen ist es trotzdem.

Diese Hinweise, meine lieben Freunde, haben den Zweck, uns sicher zu machen in der Überzeugung, daß die biblischen Berichte auf dem soliden Felsengrund der Geschichte stehen. Wir haben keinen Anlaß, sie zu bezweifeln. Die sogenannte Wissenschaft vermag sie nicht aus den Angeln zu heben. Es ist genug Licht da für diejenigen, die glauben wollen. Freilich, es ist auch genügend Dunkel da für diejenigen, die nicht glauben wollen. Wir aber wollen uns zu unserem Herrn und Heiland bekehren. Wir wollen ihm mit den Hirten und mit den Weisen das sagen, was wir immer bekannt haben: Du bist der Sohn des lebendigen Gottes. Du bist der Erlöser der Welt. Sagt uns, ihr Hirten, wen habt ihr gesehen? Den neugeborenen König der Welt haben wir geschaut und die Engel, die ihn gepriesen haben.

Amen.

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