22. Dezember 1996
Die Arten der Hauptsünden
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Nicht alle Sünden sind gleich groß. Sowohl bei den läßlichen Sünden als auch bei den Todsünden sind Unterschiede in der Schwere. Die Schwere richtet sich nach dem Gegenstand, nach der Absicht und nach den Umständen. Wir wollen uns drei Gruppen von Sünden vorführen, je nach ihrer Schwere, erstens die Laster, zweitens die himmelschreienden Sünden und drittens die Sünden wider den Heiligen Geist.
An erster Stelle die Laster. Der deutsche Name ist schon eine glückliche Bezeichnung für das, was sie sind, nämlich eine Last. Laster sind durch Übung erworbene Fertigkeiten in der Ausübung des Bösen und Geneigtheit des Willens zum Bösen. Also zwei Elemente konstutuieren das Laster, die Fertigkeit, d.h. eben die leichte Übung, das leichte Vollbringen des Bösen, und die Geneigtheit des Willens zum Bösen. Es sind in der Seele gleichsam Bahnen ausgeschliffen worden, in die der Mensch immer wieder hineinkommt. Die Laster entstehen durch Gewohnheit. Wenn man eine Sünde immer wieder begeht, entsteht das Laster. Jede neue Begehung einer Sünde schwächt den Willen, raubt ihm etwas von der Kraft, ihr beim nächstenmal, bei der nächsten Versuchung zu widerstehen. Und allmählich wird der Wille immer schwächer, und die Vernunft immer mehr getrübt, bis der Mensch eine Beute des Lasters ist. Die Laster umklammern die Seele wie mit einer Fessel. Der lasterhafte Mensch ist eine Beute des Teufels. Er verliert die heiligmachende Gnade; er zieht sich schon auf Erden gewöhnlich Schäden und Verluste zu und riskiert den Verlust der ewigen Glückseligkeit. Es ist sehr schwer, sich aus dem Laster zu erheben, denn das Laster fesselt ihn und möchte ihn bei seiner schlechten Gewohnheit festhalten.
Die hauptsächlichen Laster werden zusammengefaßt unter den sogenannten Hauptsünden. Man zählt gewöhnlich sieben auf: Geiz, Neid, Stolz, Zorn, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Trägheit. Das ist eine gute Zusammenstellung, denn wenn man einmal diese sieben Hauptsünden betrachtet, dann begreift man, daß sie gewissermaßen Häuptlinge von anderen Sünden sind. Sie regieren über andere Sünden, die sie in ihrem Gefolge haben. Man kann sie deswegen auch gut als Wurzelsünden bezeichnen, weil sie die Wurzel für andere Sünden sind. Nehmen Sie bitte die Trägheit! Die Trägheit hat eine Fülle von anderen Sünden im Gefolge. Wer träge ist, versäumt seine Pflichten. Er bezieht seinen Arbeitslohn teilweise zu Unrecht, weil er eben nicht seine Pflicht tut. Er neigt dazu, sich zu verstellen und zu betrügen und zu lügen, um seine Untätigkeit zu verdecken. Er ist lieblos, weil andere die Arbeit für ihn mitmachen müssen. Da sehen Sie, wie furchtbar eine Haupt- oder Wurzelsünde sich auswirkt. Sie zieht einen Schweif von anderen Sünden nach sich.
Es ist schwer, vom Laster aufzustehen. Je tiefer ein Nagel in ein Brett getrieben ist, um so schwerer kann man ihn wieder herauslösen. Man kann einen Stein schwer in die Höhe werfen, aber man kann ihn leicht fallen lassen. Es ist hart, gegen den Strom zu schwimmen, aber es ist leicht, mit dem Strom zu gehen. Wenn man ein Laster überwinden will, dann geht das nicht auf einmal. Man muß sich auf eine lange Zeit der Überwindung gefaßt machen. Gewohnheit wird nur durch Gewohnheit besiegt. Man muß immer wieder ansetzen und die Hilfsmittel gebrauchen, die notwendig sind, etwa die häufige Beichte, um das Laster zu überwinden. Man muß sich der Hilfe Gottes versichern; allein wird man’s nicht schaffen. Man braucht die helfende Gnade, um aus dem Laster aufzustehen. Man kann auch nicht alle Laster auf einmal überwinden. Man muß eines nach dem anderen angehen. Ein Bündel Holz kann man nicht brechen, aber einen einzelnen Stab kann man leicht zerbrechen. So muß man es bei der Bekämpfung der Laster machen. Das Laster, das einem am meisten zu schaffen macht, worunter man am meisten leidet und welches das gefährlichste ist, das muß man zuerst angreifen, und wenn man es besiegt, dann wirkt sich das auch auf andere Laster günstig aus.
An zweiter Stelle stehen die himmelschreienden Sünden. Das sind Sünden, die so enorm sind, daß sie zum Himmel um Rache rufen. Dieses Wort stammt aus der Heiligen Schrift, denn der Herr sprach zu dem Kain, der seinen Bruder Abel erschlagen hatte: „Das Blut deines Bruders ruft zu mir um Rache.“ Deswegen „himmelschreiende“ Sünden. Da habe ich gleich die erste dieser himmelschreienden Sünden genannt, nämlich die vorsätzliche Tötung. Das ist eine der himmelschreienden Sünden. Man zählt gewöhnlich noch die folgenden auf: Unterdrückung der Armen und Hilflosen; solche Unterdrückung haben beispielsweise die Israeliten in Ägypten erfahren. Dann weiter Vorenthaltung des Arbeitslohnes. Das scheint uns heute wenig aktuell zu sein. Aber wenn Sie die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Freitag gelesen haben, da finden Sie erschütternde Berichte, wie in Rußland Arbeitern, aber ebensogut Angestellten und Professoren der Arbeitslohn über Monate nicht gezahlt wird. Das Geld ist verbraucht durch den Tschetschenienkrieg. Und schließlich die letzte der himmelschreienden Sünden, die sodomitische Sünde. Das ist jene Sünde, die die Bewohner von Sodoma begangen haben. Wir wissen, wie sie geahndet wurde: ihre Stadt wurde vom Erdboden vertilgt. Diese Sünde ist ja heute im Schwange und wird immer mehr aufgewertet. Man verlangt, daß die Menschen, die das tun, als normal und mit anderen gleichberechtigt angesehen werden. Aber dagegen steht das Zeugnis der Heiligen Schrift, auch des Neuen Testamentes. Im Römerbrief schreibt der Apostel Paulus zu dieser Sünde: „Den wahren Gott haben sie mit falschen Götzen vertauscht und die Geschöpfe verehrt und angebetet anstatt des Schöpfers, der gepriesen sei in Ewigkeit. Amen. Darum überließ sie Gott schändlichen Leidenschaften. Ihre Weiber vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen. Ebenso verließen auch die Männer den natürlichen Umgang mit der Frau und entbrannten in wilder Gier gegeneinander. Männer verübten Schamloses aneinander und empfingen den gebührenden Lohn für ihre Verirrung an sich selbst.“
Die letzte und furchtbarste Sünde oder ein ganzes Bündel von Sünden faßt man zusammen unter der Sünde wider den Heiligen Geist. Die Sünde wider den Heiligen Geist ist das beständige eigensinnige Widerstreben gegen die Einsprechungen Gottes. Wir alle kennen Eingebungen Gottes. An Kreuzwegen spüren wir, wie wir hin- und hergezogen werden. Soll ich den bequemen, leichten, angenehmen Weg gehen oder den schweren, steilen und ermüdenden? Die Stimme, die uns zum bequemen rät, ist gewöhnlich die Stimme des Versuchers. Und die Stimme, die uns auf den schwierigen Weg weist, ist gewöhnlich die Stimme Gottes, ist gewöhnlich eine Einsprechung des Heiligen Geistes. Wer aus Müdigkeit oder aus Schwäche gelegentlich den Einsprechungen des Heiligen Geistes widerstrebt, hat noch nicht die Sünde wider den Heiligen Geist begangen, sondern nur wer beständig und eigensinnig den Einsprechungen des Heiligen Geistes widerstrebt. Wer also unbußfertig in seiner Sünde verharrt, wer der erkannten Wahrheit eindeutig widerstrebt, wer verstockt ist gegen die Einsprechungen Gottes, der begeht die Sünde wider den Heiligen Geist. Das ist die einzige unvergebbare Sünde, unvergebbar deswegen, weil der Betreffende sich gegen die Vergebung wehrt. Selbstverständlich, wer von dieser Sünde abläßt, kann auch dafür Verzeihung empfangen. Aber solange er in der Sünde verharrt, kann sie nicht verziehen werden. „Diese Sünde wird nicht vergeben, weder in dieser noch in der jenseitigen Welt“, sagt der Herr. Sie ist unvergebbar, weil sie nämlich mit Unbußfertigkeit identisch ist.
Diese Sünde wider den Heiligen Geist scheint mir heute häufiger als noch vor vierzig, fünfzig Jahren zu sein. Wer sich immerfort und beharrlich jeder Aufforderung zum Gebet und zum Gottesdienst entzieht, wer schon gereizt reagiert, wenn er die Glocken hört, die ihn zu Gebet und Gottesdienst rufen – und solche Menschen gibt es in größerer Zahl –, wer allen Mahnungen gegenüber taub ist und den Mahnenden verspottet und herabzuziehen sucht – solche Menschen habe ich erlebt! –, bei dem besteht die Gefahr, daß er in der Sünde gegen den Heiligen Geist lebt. Diese Sünde ist die furchtbarste von allen, denn sie hat den Verlust der ewigen Seligkeit zur Folge. Wer in der Sünde wider den Heiligen Geist lebt, wird schon auf Erden unzufrieden und unglücklich, und er wird unselig und verloren in der Ewigkeit. Wenn ein solcher gerettet werden soll, dann nur durch intensives Gebet vieler Menschen, die Gott anflehen, seine verdunkelte Seele zu erleuchten. Sein Wille ist verhärtet, sein Verstand ist verblendet, er weicht dem Licht der Gnade Gottes aus, er rechtfertigt sein Tun mit seinen falschen Argumenten. Die Unbußfertigkeit ist die Sünde, die den Zorn Gottes auf sich zieht.
Meine lieben Freunde, wir haben an den vergangenen Sonntagen von der Sünde gesprochen. Die Sonderung von Gott – das ist ja die Sünde – ist das größte Übel, das dem Menschen widerfahren kann. Es gibt Schwachheitssünden, und es gibt Bosheitssünden. Schwachheitssünden finden bei Gott Verzeihung, sobald der Mensch sich von ihnen abwendet. Bosheitssünden aber, in denen der Mensch verharrt, können nur schwer überwunden werden. Es hat immer Menschen gegeben, die sich aus dem Schlamm ihrer Sünden erhoben haben, und wir sollten alles daransetzen, uns und unsere Umgebung aus dem Gefängnis der Sünde zu befreien. Wir können viel dafür tun. Wir können täglich beten, daß sich Gott der Sünder annimmt und daß er sie bekehrt. Wir flehen ja nach jeder heiligen Messe an Werktagen um die Bekehrung der Sünder. Es müssen ganze Wolken von Gebeten über den Sündern schweben, damit sie von ihrer Sünde befreit werden, damit ihre harten Herzen von der Gnade erweicht werden. Wir können auch Mahnungen aussprechen, und wir sollen die Sünder mahnen. Wir sollen uns nicht fürchten, wenn wir abgewiesen werden. Die törichten Argumente, die wir da zu hören bekommen, können wir widerlegen. Meistens berufen sich diese Menschen auf Fehler von Geistlichen und kommen sich dadurch entschuldigt vor. Dann müssen wir den Menschen sagen: Wir glauben nicht an den Bischof und an den Pfarrer, sondern wir glauben an Christus! Menschen sind das erbärmliche Gefäß für die göttliche Gnade und die Wahrheit. Wir gehen in die Kirche nicht wegen des Priesters, sondern wir gehen in die Kirche um Gottes willen. Auf diese Weise müssen wir versuchen, ihre Scheinargumente zu entwaffnen und sie zur Bekehrung zu bringen. Wer einen Sünder auf Erden bekehrt, der rettet sein Leben und empfängt Lohn von Gott.
Amen.