Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Seele
21. November 2021

Rette deine Seele!

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott hat dem Menschen eine Seele gegeben, die den Körper belebt und lenkt. Kraft seiner Seele ist der Mensch ein Ebenbild Gottes, d.h. ist er Gott ähnlich. Er hat wie Gott Verstand und freien Willen, er beherrscht durch diese beiden Vermögen die sichtbare Welt. Die Seele befähigt den Menschen, eine geistig-sittliche Persönlichkeit zu werden durch Teilnahme am Leben Gottes in Wahrheitsbekenntnis, Heiligkeit und Liebe. Die Seele des Menschen ist unsterblich, d.h. sie kann nicht aufhören zu sein. Glaube und Vernunft überzeugen uns von der Existenz der unsterblichen Seele.

I.

Dass es eine Seele gibt und dass die Seele des Menschen unsterblich ist, wissen wir einmal aus den Worten Christi. Christus sagte nämlich: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können. Fürchtet vielmehr den, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle zu stoßen vermag“ (Mt 10,28). Menschen sind imstande, dem Körper ein Ende zu bereiten; die Seele steht ihrem Zugriff nicht offen. Ferner sagte er zu dem reumütigen Schächer: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“ (Lk 23,43). Der Herr und der Schächer waren des Todes gewiss, aber er war nicht das Ende ihrer Existenz. Jesus versprach dem reumütigen Verbrecher das selige Leben in Gott, ausgedrückt mit dem Wort Paradies. Auch in der Geschichte vom reichen Prasser und armen Lazarus lehrte Christus die Unsterblichkeit der Seele (Lk 16,19-31). Beide starben, aber beide lebten in veränderter Weise weiter, der eine in Schmerz und Qual, der andere in Freude und Frieden. Diese Verheißungen haben ihr Fundament in Gott. Christus lehrte schließlich, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs kein Gott der Toten, sondern der Lebendigen ist (Mt 22,32). Die Urväter des Volkes Israel leben in Gott. Jesus hat uns verheißen: „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten“ (Joh 14,2). Die Jünger werden sie beziehen, wenn die irdische Behausung abgebrochen wird. Der Herr hat für seine Schüler, Jünger und Anhänger gebetet: „Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast“ (Joh 17,24). Jesus und seine Jüngerschar werden nicht getrennt: sie bleiben in alle Ewigkeit beisammen. Haben diese Worte des Sohnes Gottes Gültigkeit oder nicht? War Jesus ein Spinner? Oder ein Phantast? Er, der vor Gericht bekannte: „Ich bin in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe“ (Joh 18,37)? Nein, Jesus ist weder ein Spinner noch ein Phantast und schon gar nicht ein Lügner. Er ist der Offenbarer, der Bringer der Wahrheit Gottes, auch der Wahrheit über die Seele und das ewige Leben.

Die Anhänger und Jünger Jesu haben an die Seele und an das ewige Leben der menschlichen Seele geglaubt. Der sterbende Stephanus betet: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf“ (Apg 7,59). Er scheidet aus dieser Welt, zu Tode gesteinigt. Aber er denkt nicht: Jetzt ist alles aus, sondern er weiß sein Leben in Christus aufgehoben. Der auferweckte Herr ist es, in dem die Seinigen leben. Er erwartet seinen Bekenner. Zu diesem Zweck hat er, der sonst zur Rechten Gottes sitzt, sich erhoben, um seinen Bekenner zu empfangen. Stephanus durfte dies sehen. Paulus war überzeugt, dass, wer Christus angehört, nach Beendigung des irdischen Lebens zu Christus heimkehrt. Danach sehnte er sich, als er in Rom in Untersuchungshaft festgehalten wurde. In dem Brief an die Gemeinde zu Philippi sprach er den Wunsch aus, „aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein“ (Phil 1,23). Paulus weiß, was Sterben heißt. Der Tod ist der Abbruch der irdischen Zeltwohnung, er ist die Beendigung der diesseitigen Existenz, er ist Auflösung. Aber er ist überzeugt, dass er nach seinem Tode zu Christus kommt. Wer bei Christus ist, der lebt, lebt weiter, weil seine Seele unsterblich ist.

Das entscheidend Menschliche ist die Gottfähigkeit des Menschen, dass er von Gott angesprochen wird und von ihm gerufen ist, ihm zu antworten. Wer im Gespräch mit Gott steht, der fällt nicht in das Nichts. Gottes Liebe gibt Unsterblichkeit. Ein Geschöpf, das er ansieht und liebt, der Ewigkeit ist, hat damit Anteil an der Ewigkeit. Wen Gott anspricht, den lässt er nicht fallen. Wer in das Gespräch mit der Wahrheit selbst getreten ist, hat Anteil an ihrer Unzerstörbarkeit. Für die paar Jahre Erdendasein wäre das Leben, Wirken und Leiden des Sohnes Gottes zu viel Aufwand gewesen. Das Blut des Heilands ist zu kostbar, als dass es für die bloß irdische Existenz des Menschen vergossen würde. Augustinus sagt mit Recht: Gott hätte niemals so Großes für uns getan, wenn mit dem Tod des Körpers auch das Leben der Seele zugrunde ginge.

II.

In der Tat weiß die gläubige Wissenschaft Gründe für Existenz, Geistigkeit und Fortleben der Seele anzugeben. Die Seele existiert. Der Mensch ist nicht bloß Leib, ist nicht bloß Stoff. Er birgt in sich ein immaterielles Element. Wir nennen es Seele. Im Laufe des Lebens werden wir anders, reifer, bedächtiger, klüger, aber wir werden kein anderer. Wir bleiben der, der wir immer waren. Unsere Lebensgeschichte, unser Selbstbewusstsein, unsere Jugenderinnerungen, unser Gewissen behalten wir auch dann, wenn nach ungefähr sieben Jahren alle Stoffteile unseres Körpers ausgeschieden und durch andere ersetzt sind. Es muss also in uns etwas sein, was vom veränderlichen Stoff unabhängig ist und trotz aller Veränderungen des Körpers, also auch durch den Tod, nicht zerstört werden kann. Wir nennen es die Seele. In dem Begriff Seele sind die Aspekte Kontinuität, Konstanz und Identität in den psychischen Abläufen enthalten.

Der Mensch weiß sich dem Körper überlegen. Er verfügt über ihn. Er gebietet ihm. Der Mensch weiß, was er dem Körper abverlangen und zumuten kann. Er vermag abzuwägen, was ihm nützlich und was ihm schädlich ist. Anders der Leib. Der Leib neigt zum Exzess, zur Zügellosigkeit, zur Hemmungslosigkeit. Die aus dem Körper aufsteigende Esslust z.B. kennt kein Maß. Der Geist, die Vernunft, die Einsicht kann und muss ihm befehlen. Der Mensch besitzt ein Prinzip, das den Körper dirigiert und dominiert. Wir nennen es Seele. Die Seele fällt nicht mit dem Körper zusammen. Sie gebietet ihm. Körperliches Begehren und triebhafte Regungen, die aus dem Körper aufsteigen, können von der Seele zugelassen oder abgewehrt werden. Die Existenz der Seele (mit ihrem Gewissen) erklärt den Widerstreit im Menschen zwischen Verlangen und Überwindung.

Der Mensch besitzt Sinne: Sehen, Hören, Tasten. Sie sind ihm unentbehrlich. Denn sie verbinden ihn mit der Umgebung. Aber die Sinne liefern lediglich das Material für das Verstehen. Was wir mit ihnen aufnehmen, muss gesichtet, geordnet, begriffen werden. Diese Arbeit vermögen die Sinne nicht zu leisten. Das Verstehen der Sinneseindrücke benötigt eine geistige Wirklichkeit, welche die Sinneseindrücke verarbeitet. Wir nennen sie Seele. Der Seele ist ein Verstehen eigen, das mit der Tätigkeit der Sinne wie Sehen und Hören nicht zu erklären ist. Ein Beispiel. Zwischen einem ungelernten und einem angelernten Arbeiter besteht ein wichtiger Unterschied, der sich in der Verwendung und in der Entlohnung zeigt. Aber die beiden Worte „ungelernt“ und „angelernt“ unterscheiden sich nur in einem einzigen Buchstaben, den das Auge oder das Ohr wahrnimmt. Dieser geringfügige äußere Unterschied vermag die verschiedene Reaktion eines Vorarbeiters oder Bauführers nicht zu erklären. Er setzt einen ungelernten Arbeiter anders ein als einen angelernten. Es muss zu der Wahrnehmung ein Element treten, das den Sinn, die Bedeutung, den Inhalt der beiden Worte erfasst und dementsprechend urteilt und handelt. Dieses Element nennen wir Seele. Oder ein anderes Beispiel. Wenn ein Architekt für ein Haus einen Umbau, ein anderer Architekt einen Anbau empfiehlt, sind die beiden Worte „Umbau“ und „Anbau“ nur durch zwei Buchstaben unterschieden. Gehör und Gesicht vermögen den unmessbaren Unterschied zwischen den beiden Projekten nicht darzulegen. Die unterschiedlichen Buchstaben allein können die Reaktion der Menschen nicht erklären. Nur das geistige Verstehen begreift die Differenz. Es ist nicht dem Körper, sondern der Seele eigen. Aus ihrer Tätigkeit ist zu erschließen, dass es eine verstehende Substanz im Menschen gibt, die vom Leibe wesentlich verschieden ist. Geistige Ereignisse lassen sich nicht durch naturwissenschaftliche Prinzipien erklären. Ein letztes Beispiel. Nehmen wir an, jemand erhält ein Telegramm: Großmutter angekommen. Diese Nachricht erwirkt Dankbarkeit und Freude. Durch Vertauschung empfängt er ein anders Telegramm: Großmutter umgekommen. Er ist jetzt zutiefst betroffen und entsetzt. Nur wegen zwei Buchstaben? Ja, wegen zwei Buchstaben, in denen aber für den Empfänger, für sein Verstehen, für sein Empfinden, für sein Seelenleben extreme Gegensätze enthalten sind. Das Auge nimmt nur den winzigen Unterschied zweier Buchstaben wahr und ist davon völlig unberührt. Der Materie ist es völlig egal, welche Worte sie transportiert, ob angekommen oder umgekommen. Die Materie ist blind für den Bedeutungsgehalt der Worte. Aber das Gemüt, das Herz reagiert in unerhört verschiedener Weise, weil ihm das Verständnis zweier total abweichender Geschehnisse aufgeht.

Man verweist auf das Gehirn. Das Gehirn ist jener Abschnitt des Nervensystems, in dem sich die wichtigsten Schalt- und Steuerungszentren des Körpers befinden. Das Gehirn ist das Zentrum für alle Sinnesempfindungen und Willkürhandlungen, der Sitz des Bewusstseins, des Gedächtnisses und aller geistigen und seelischen Leistungen. Es fällt nicht etwa mit der Seele zusammen, sondern dient ihr als Werkzeug. Solange die Seele im Körper ist, ist sie für ihre Funktion im Körper auf das Gehirn angewiesen. Das Gehirn ist gewissermaßen das Instrument, dessen sich die Seele bedient, um im Denken und Wollen aktiv zu werden. Mit Hilfe des Gehirns leitet sie ihre Befehle an die Sinne und die Gliedmaßen weiter. So erklärt sich, dass bei Hirnschäden und bei Demenz beides nicht mehr oder nicht mehr voll geleistet werden kann. Kein Klavierspieler kann ein makelloses Konzert geben, wenn das Klavier, auf dem er spielt, verstimmt ist. 

Die Seele ist ganz im Körper und ganz in jedem seiner Teile. Sie wird durch Verletzungen und Amputationen von Gliedmaßen oder Körperteilen nicht in Mitleidenschaft gezogen. Dass bei ärztlichen Untersuchungen die Seele nicht entdeckt oder erfasst wird, ist bei ihrem geistigen Wesen leicht erklärlich. Das Auge und das Mikroskop erfassen nichts Geistiges. Dass bei der Sektion von Leichen keine Seele entdeckt wurde, ist selbstverständlich; denn die Seele hat im Tode den Körper verlassen. Meine lieben Freunde. Lassen Sie sich nicht irremachen von den Sendboten des Materialismus! Sie sind im Unrecht. Halten Sie sich an das, was auf Kreuzen steht, die zur Erinnerung an Volksmissionen errichtet wurden: „Rette deine Seele!“ Fürwahr eine ernste und dringende Aufforderung! Rette deine Seele! Lass die Seele nicht zugrunde gehen, für die Christus sein kostbares Blut am Stamme des heiligen Kreuzes vergossen hat! Rette deine Seele!

Amen.

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